Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.06.2004
Aktenzeichen: AnwZ (B) 3/03
Rechtsgebiete: BRAO


Vorschriften:

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 3/03

vom

16. Juni 2004

in dem Verfahren

wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, den Richter Dr. Ganter, die Richterin Dr. Otten, den Richter Dr. Ernemann sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt, Dr. Wosgien und die Rechtsanwältin Kappelhoff nach mündlicher Verhandlung

am 16. Juni 2004

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Sachsen-Anhalt in Naumburg vom 27. September 2003 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wurde mit Verfügung des Ministeriums der Justiz der DDR vom 28. Juni 1990 als Rechtsanwalt mit Sitz in H. zugelassen. Die örtliche Zulassung wurde später entsprechend dem Gerichtsverfassungsgesetz für das Landgericht H. und das Amtsgericht H. -S. verfügt. Seit dem Jahre 1996 ist der Antragsteller auch beim Oberlandesgericht N. zugelassen.

Mit Bescheid vom 15. Mai 2002 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Anwaltsgerichtshof hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO); es hat jedoch keinen Erfolg.

1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, daß dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind.

a) Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, geraten und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (st. Rspr.; vgl. Senatsbeschluß v. 25. März 1991 - AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; v. 21. November 1994 - AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126).

b) Im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen des Vermögensverfalls im Zeitpunkt der angegriffenen Verfügung erfüllt.

aa) Die Antragsgegnerin hat den Widerruf darauf gestützt, der Antragsteller schulde

- der B. Landesbank Girozentrale aus einem Vergleich vom 9. April 2002 den in Raten zu tilgenden Betrag von 153.387,56 €,

- dem früheren Sozius Rechtsanwalt Harald N. per 7. Februar 2002 den Betrag von 19.480,54 €,

- dessen Ehefrau Birgit N. per 7. Februar 2002 den Betrag von 28.490,01 €,

- dem in der früheren Sozietät des Antragstellers angestellt gewesenen Rechtsanwalt Dr. Paul R. den Betrag von 12.698,90 €,

- der B. Ersatzkasse per 19. März 2002 den Betrag von 6.297,14 €,

- der AOK S. per 25. Februar 2002 den Betrag von 6.285,43 €,

- der BBK VBU B. per 10. Dezember 2001 den Betrag von 1.441,00 €,

- aus verschiedenen Lieferungen und Leistungen insgesamt 45.253,66 €,

- aus einem Darlehen per 28. März 2002 den Betrag von 13.723,07 €,

- sonstigen Gläubigern 5.583,02 €.

Teilweise seien die Forderungen der Gläubiger tituliert. Außerdem seien Klagen der Eheleute N. über weitere 82.220,76 € gegen den Antragsteller anhängig.

bb) Der Anwaltsgerichtshof hat zusätzlich darauf hingewiesen, daß verschiedene Gläubiger, namentlich die B. Landesbank und die Eheleute N. , seit dem Jahre 2000 im Wege der Zwangsvollstreckung gegen den Antragsteller vorgegangen sind. Diesen Umstand hatte der Antragsteller bereits vor Erlaß der Widerrufsverfügung eingeräumt (vgl. etwa seine Stellungnahme vom 3. Januar 2002 gegenüber der Antragsgegnerin).

cc) Die Anfang April 2002, kurz vor Erlaß der Widerrufsverfügung, erzielte vergleichsweise Einigung mit dem Hauptgläubiger, der B. Landesbank, war nicht geeignet, die in der Erwirkung von Schuldtiteln und dem Betreiben der Zwangsvollstreckung liegenden Beweisanzeichen zu entkräften.

Allerdings hatte die Landesbank im Februar 2001 unter anderem das Konto des Antragstellers bei der Volksbank H. pfänden lassen, das zum damaligen Zeitpunkt ein Guthaben von mehr als 94.000 € aufwies. Im Hinblick auf den abgeschlossenen Vergleich hatte die Landesbank noch vor Erlaß der Widerrufsverfügung die Aufhebung aller von ihr beantragten Vollstreckungsmaßnahmen veranlaßt. Damit konnte der Antragsteller wieder über das Guthaben verfügen.

Andererseits hat der von dem Antragsteller beauftragte Wirtschaftsprüfer/Steuerberater F. in seinem Vermögensstatus per 12. April 2002 dargelegt, daß der Antragsteller "sofort fällige Schulden und monatliche Fixkosten" in Höhe von 140.074,39 € zu bedienen hatte. Dazu war er nur in der Lage, indem er einen Kontokorrentkredit von 50.000 € aufnahm. Er mußte somit alte Schulden durch Eingehung neuer tilgen. Für die Befriedigung der Eheleute N. als Zwangsvollstreckungsgläubiger waren dabei keine Mittel vorgesehen.

dd) In dem Widerrufsbescheid war eine Forderung der KKH von ca. 8.670,21 € noch nicht einmal berücksichtigt.

ee) Die Verbindlichkeiten des Antragstellers waren nicht durch entsprechendes liquides Aktivvermögen gedeckt.

Zwar hat der Wirtschaftsprüfer/Steuerberater F. in dem von ihm zum 12. April 2002 erstellten Vermögensstatus eine Überdeckung von 782.849,28 € ermittelt. Es kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, daß er zuverlässige Zahlen zugrunde gelegt hat; zumindest kann es sich nicht um liquides Vermögen gehandelt haben. Dies zeigt schon die weitere Entwicklung, die keine Konsolidierung der finanziellen Situation des Antragstellers, sondern im Gegenteil eher eine Verschlimmerung seiner Lage ausweist (dazu nachfolgend 2).

Soweit der Antragsteller mit den ausstehenden Vergütungen argumentiert, die er als ehemaliger Insolvenzverwalter beantragt habe, ist nicht nachgewiesen, daß die Vergütungen auch entsprechend festgesetzt werden. Selbst wenn dies geschieht, hängt die Bonität der Ansprüche noch von der Liquidität der jeweiligen Masse ab.

Die Kunstsammlung des Antragstellers ist schwerlich als liquides Vermögen anzusehen, zumal sich der Antragsteller offenbar gar nicht von ihr trennen will. Das private Immobilienvermögen ist wertausschöpfend belastet.

Im übrigen hat F. auf der Passivseite Verbindlichkeiten nicht berücksichtigt, die sich später herausgestellt haben und auf die ebenfalls im folgenden noch eingegangen wird.

c) Der Vermögensverfall eines Rechtsanwalts führt regelmäßig zu einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden. Daß sich dies in seinem Fall ausnahmsweise anders verhielt, hat der Antragsteller nicht dargetan.

2. Eine nachträgliche Konsolidierung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers, die im laufenden Verfahren noch zu berücksichtigen wäre (vgl. BGHZ 75, 356, 357), ist nicht festzustellen.

Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte der Antragsteller auf die Prognose gestützt, bis "auf die Ratenzahlungsverpflichtung gegenüber der B. Landesbank ... und höchstens ca. 18.000,00 Euro aus Lieferungen und Leistungen" werde er bis Ende 2002 "sämtliche aufgelaufenen Verbindlichkeiten bezahlt haben". Dieses Ziel hat der Antragsteller bei weitem verfehlt.

Mit seiner Beschwerdebegründung vom 29. August 2003 [GA 91, 115] hat der Antragsteller einen aktualisierten Vermögensstatus vorgelegt, der weiterhin Verbindlichkeiten gegenüber

- Harald N. von 14.659,24 €,

- Birgit N. von 51.177,60 €,

- der AOK von 8.174,91 € und 6.285,43 €, insgesamt also 14.460,34 €,

- der BKK VBU von 4.091,43 €,

- der KKH von 13.260,30 €

sowie aus

- Lieferungen und Leistungen von 54.745,68 €

ausweist.

Nach der jüngsten Stellungnahme des Antragstellers vom 29. März 2004 haben sich die Verbindlichkeiten weiter wie folgt entwickelt:

- Harald N. 6.241,54 €,

- Birgit N. 56.676,70 €,

- AOK 6.285,43 €,

- BKK VBU 2.221,43 €,

- KKH ca. 9.000 €,

- B. 9.890,43 €,

- Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen 30.583,10 €.

Die alten Rückstände haben somit nicht entscheidend abgenommen; teilweise haben sie sogar zugenommen. Noch nicht einmal aufgeführt sind in dieser Aufstellung alte Verbindlichkeiten wie diejenige gegenüber der B. Landesbank.

Neue titulierte Verbindlichkeiten sind hinzugekommen:

- am 11. Juni 2003 erging auf Antrag der M. Hotelgesellschaft mbH gegen den Antragsteller Vollstreckungsbescheid über 386,55 € zuzüglich Zinsen;

- durch Teil-Anerkenntnisurteil vom 27. Juni 2003 wurde der Antragsteller verurteilt, an die M. Leasing GmbH 11.110,39 € nebst Zinsen zu zahlen;

- am 14. Januar 2004 schloß der Antragsteller als Beklagter mit der V. Leasing AG als Klägerin einen gerichtlichen Vergleich, wonach er 30.000 € an die Klägerin zu zahlen hat.

Ferner kam es zu weiteren Vollstreckungsmaßnahmen:

- Am 4. August 2003 erwirkte Rechtsanwalt N. einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß über 2.920,37 €;

- die BKK VBU erwirkte am 9. August 2002 zum Zwecke der Zwangsvollstreckung einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluß, was darauf schließen läßt, daß der Antragsteller die erst am 17. Mai/24. Juni 2002 getroffene Ratenzahlungsvereinbarung nicht eingehalten hat;

- ein weiterer Pfändungs- und Überweisungsbeschluß über 25.346,13 € erging auf Antrag der H. Wohnungsgesellschaft mbH am 3. November 2003;

- am 7. November 2003 wurde der Antragsteller wegen insgesamt zwölf Vollstreckungshaftbefehlen, von denen zwei jedenfalls bis zum Mai 2004 noch bestanden (in den Verfahren 53 M 12/03 und 53 M 6807/03) in das Schuldnerverzeichnis eingetragen:

- darüber hinaus erhielt die zuständige Gerichtsvollzieherin eine Vielzahl von gegen den Antragsteller gerichteten Vollstreckungsaufträgen, die der Antragsteller - wie er selbst eingeräumt hat - nicht sogleich durch Zahlung erledigen konnte.

Gegen eine Beordnung der Vermögensverhältnisse des Antragstellers spricht schließlich der Umstand, daß bei dem Amtsgericht H. -S. in den Jahren 2002 und 2003 drei Anträge auf Eröffnung von Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers gestellt wurden. Auch wenn diese jeweils zurückgenommen wurden (wohl wegen Befriedigung der antragstellenden Gläubiger durch den hiesigen Antragsteller), beleuchten diese Vorgänge die schlechte wirtschaftliche Lage des Antragstellers.

3. Auch an der Gefährdungslage für die Mandanten hat sich seit Erlaß des Widerrufsbescheides nichts Grundlegendes geändert.

Ende der Entscheidung

Zurück