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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.11.1998
Aktenzeichen: AnwZ (B) 36/98
Rechtsgebiete: BRAO, HdWO


Vorschriften:

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 9
BRAO § 42 Abs. 1 Nr. 3
BRAO § 42 Abs. 4
BRAO § 45
BRAO § 46
HdWO § 90 Abs. 1
HdWO § 91 Abs. 1
HdWO § 23a
HdWO § 41a
HdWO § 42a
HdWO § 111
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 36/98

vom

16. November 1998

in dem Verfahren

wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Geiß, die Richter Basdorf und Terno, die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Dr. Schott, Dr. Körner und Dr. Wüllrich

am 16. November 1998 nach mündlicher Verhandlung

beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 2. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. März 1998 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsgegner die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 23. Februar 1947 geborene Antragsteller ist - nach Tätigkeiten beim Verband der Metallindustrie Baden-Württemberg und im Personalbereich eines Industrieunternehmens - im November 1988 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen worden. Seit März 1989 ist er als Rechtsanwalt beim Amts- und Landgericht O., seit Dezember 1993 zudem beim Oberlandesgericht K. zugelassen. Seine Kanzlei befindet sich in O..

Im November 1996 wurde der Antragsteller zum Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer F. gewählt; er hat diese Tätigkeit am 1. Mai 1997 aufgenommen. In seinem Dienstvertrag ist bestimmt:

"Der Angestellte ist verpflichtet, seine gesamte Arbeitskraft der Handwerkskammer F. zu widmen, stets auf die Interessen der Handwerkskammer F. bedacht zu sein, sowie über die ihm aufgrund des Dienstverhältnisses bekannt gewordenen Angelegenheiten und Vorgänge Verschwiegenheit zu wahren, auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses."

Dennoch erklärte sich der Vorstand der Handwerkskammer mit Schreiben vom 17. Dezember 1996 damit einverstanden, daß der Antragsteller weiterhin als Anwalt tätig bleibt. Ihm werde ausreichend Zeit gelassen, seinen Aufgaben als Rechtsanwalt nachzukommen. Er könne selbstverantwortlich über seine Zeit verfügen; eine Einschränkung bei der Erreichbarkeit für Mandanten oder bei der Wahrnehmung von Gerichtsterminen bestehe nicht.

Wegen der Tätigkeit des Antragstellers als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer hat der Antragsgegner mit Verfügung vom 29. Juli 1997 dessen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO widerrufen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 BRAO), bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.

1. a) Die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Freiheit der Berufswahl umfaßt grundsätzlich auch das Recht, mehrere Berufe zu wählen und nebeneinander auszuüben. Das gilt auch für einen Rechtsanwalt, sofern die weiterhin ausgeübte Tätigkeit mit seinem Anwaltsberuf vereinbar ist. Unvereinbar ist sie nach § 14 Abs. 2 Nr. 9 BRAO, wenn sie der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege widerspricht oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Insbesondere eine Anstellung des Rechtsanwalts im öffentlichen Dienst und die damit verbundene Staatsnähe kann mit dem Berufsbild der freien Advokatur nicht vereinbar sein; die vielfältige Ausgestaltung der im öffentlichen Dienst wahrgenommenen Aufgabenbereiche erfordert jedoch eine differenzierte Betrachtung (BVerfGE 87, 287, 324; Senatsbeschlüsse vom 13. September 1993 - AnwZ (B) 24/93 - BRAK-Mitt. 1994, 42; vom 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 74/97 - BRAK-Mitt. 1998, 200).

b) Die angefochtene Entscheidung geht zutreffend davon aus, daß eine Unvereinbarkeit dann gegeben sein kann, wenn nach dem vom Rechtsanwalt wahrgenommenen Aufgabenbereich im öffentlichen Dienst aus der Sicht des rechtsuchenden Publikums der Eindruck entstehen kann, die Unabhängigkeit des Rechtsanwalts sei durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf beamtenähnliche Funktionen ausübt, wenn er hoheitlich tätig wird. Von Gewicht ist dabei aber ebenso, ob die vom Rechtsanwalt wahrgenommene Tätigkeit im öffentlichen Dienst die Vorstellung nahelegen kann, sie verschaffe ihm besondere Vorteile in der Wahrnehmung der Interessen seiner Mandanten. Bei allem ist neben der Art des Aufgabenbereichs auch die Bedeutung der Anstellungskörperschaft für den räumlichen Bereich, in dem der Rechtsanwalt tätig ist, zu berücksichtigen (Senatsbeschluß vom 13. September 1993, aaO, m.w.N.; BVerfGE 87, 287, 323 f.).

2. Die vom Antragsteller ausgeübte Tätigkeit als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer F. ist mit seinem Rechtsanwaltsberuf nicht vereinbar (vgl. zum Geschäftsführer einer Kreishandwerkerschaft bereits Senatsbeschluß vom 13. September 1993, aaO; zum Geschäftsführer einer Handwerksinnung, Senatsbeschluß vom 29. November 1993 - AnwZ (B) 41/93 - BRAK-Mitt. 1994, 43).

a) Die Handwerkskammer ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts (§ 90 Abs. 1 HdWO); der bei ihr unbefristet angestellte Hauptgeschäftsführer übt eine dauerhafte Tätigkeit im öffentlichen Dienst aus. Die Handwerkskammer ist Teil der mittelbaren Staatsverwaltung; sie nimmt auch hoheitliche Aufgaben wahr. Das folgt aus § 91 Abs. 1 HdWO, dem § 2 der vom Antragsteller vorgelegten Satzung der Handwerkskammer F. weitgehend entspricht. Danach hat die Handwerkskammer die Handwerksrolle zu führen, vor allem aber kommen ihr - wie schon vom Anwaltsgerichtshof aufgezeigt - weitgehende Regelungs-, Durchführungs- und Überwachungsbefugnisse im gesamten Bereich handwerklicher Berufsausbildung und der beruflichen Fortbildung zu; sie führt die Aufsicht über die Handwerksinnungen und Kreishandwerkerschaften (§ 2 Abs. 1 Nr. 16 der Satzung).

Bei der Wahrnehmung der Aufgaben der Handwerkskammer weist die Satzung dem Hauptgeschäftsführer eine herausgehobene Stellung zu. Die Geschäfte der Kammer werden nach den Richtlinien des Vorstandes von ihm und unter seiner Leitung von weiteren Mitarbeitern geführt; er ist Dienstvorgesetzter aller Kammerbediensteten (§ 32 Abs. 1 und 8 der Satzung). Ihm obliegt die Führung der laufenden Geschäfte; insoweit vertritt er die Kammer allein (§ 17 Abs. 4 der Satzung). Darüber hinaus vertritt er die Kammer gemeinsam mit deren Präsidenten gerichtlich und außergerichtlich (§ 17 Abs. 1 der Satzung). Zudem kann ihm der Vorstand bestimmte von der Kammer zu erfüllende Aufgaben zur selbständigen Erledigung übertragen.

Der so gekennzeichnete Wirkungskreis beschränkt sich demgemäß nicht auf kammerinterne Tätigkeiten, ihm kommt vielmehr - auch und gerade bei Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und Befugnisse - erhebliche Außenwirkung zu. Dem entspricht es, wenn § 32 Abs. 5 der Satzung bestimmt, daß der Hauptgeschäftsführer in der Regel zum Beamten zu ernennen ist.

Die angegriffene Entscheidung ist danach zu Recht davon ausgegangen, daß sich die Tätigkeit des Antragstellers jedenfalls aus der Sicht des rechtsuchenden Publikums als im besonderen Maße staatsnah darstellen, der Antragsteller durch seine Einbindung in die Wahrnehmung auch staatlicher Befugnisse als in seiner Unabhängigkeit beeinträchtigt angesehen werden kann.

b) Der Anwaltsgerichtshof nimmt weiter an, nach Tätigkeitsbereich und Stellung des Antragstellers als Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer könne bei Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen, die dienstliche Stellung des Antragstellers sei für die Förderung privater Interessen nutzbar, der Antragsteller könne daher mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken. Die dazu angestellten Erwägungen - auf die Bezug genommen wird - tragen diese Annahme des Anwaltsgerichtshofs. Sie werden durch das Beschwerdevorbringen nicht widerlegt. Zwar trägt der Antragsteller vor, er beabsichtige eine Verlegung seiner Kanzlei nach F. nicht mehr. Die von ihm in O. unterhaltene Kanzlei liegt aber im Bezirk der Handwerkskammer F., der den O.kreis umfaßt. Demgemäß verfängt es nicht, wenn der Antragsteller geltend macht, es fehle an der Bekanntheit der Handwerkskammer im Bewußtsein des rechtsuchenden Publikums, soweit es um seinen anwaltlichen Wirkungskreis gehe. Der Anwaltsgerichtshof betont vielmehr zu Recht, daß angesichts der großen wirtschaftlichen und rechtlichen Bedeutung der Handwerkskammer und der damit verbundenen Teilnahme am öffentlichen Leben sowohl von einem hohen Bekanntheitsgrad der Körperschaft als auch ihres Hauptgeschäftsführers, der sie in vielfältiger Weise nach außen vertritt, im gesamten südbadischen Raum auszugehen ist.

Ebensowenig wird die angefochtene Entscheidung durch den Hinweis des Antragstellers in Frage gestellt, er sei in seinem anwaltlichen Tätigkeitsbereich vor allem als Rechtsanwalt bekannt. Es sei nicht ersichtlich, wie die Vertrauensgrundlage zwischen Mandant und Anwalt dadurch beeinträchtigt werden könnte, daß er daneben die Tätigkeit des Hauptgeschäftsführers der Handwerkskammer ausübe. Um Interessenkollisionen zu vermeiden, reiche die Anwendung der Vorschriften der §§ 45, 46 BRAO aus.

Mit dieser Argumentation verliert der Antragsteller jedoch aus dem Blick, daß schon seine Beauftragung als Anwalt von der Erwartung beeinflußt werden kann, daß einem Hauptgeschäftsführer einer bedeutenden öffentlich-rechtlichen Körperschaft besondere Fähigkeiten, Informationen und Einflußmöglichkeiten zukommen könnten, die gerade seine Einschaltung als Anwalt nahelegen. Schon diese mit der Stellung des Antragstellers im öffentlichen Dienst verknüpfte Erwartung führt - wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend darlegt - zu einer Gefährdung der Belange der Rechtspflege, denen durch die Tätigkeitsverbote der §§ 45, 46 BRAO nicht begegnet werden kann.

c) Schließlich verweist der Anwaltsgerichtshof mit Recht auf Gefahren für die Unbefangenheit und Unabhängigkeit anwaltlicher Tätigkeit, die sich daraus ergeben, daß die Handwerkskammer im Rahmen der von ihr zu regelnden Ausbildung vielfache Prüfungs- und Überwachungsaufgaben (vgl. §§ 23a, 41a, 42a, 111 i.V. mit 112 HdWO) wahrzunehmen hat. Selbst wenn der Antragsteller nicht unmittelbar etwa mit der Prüfung der Eignung einer Ausbildungsstätte oder der persönlichen und fachlichen Eignung des Ausbilders (§ 23a HdWO) befaßt ist, hat er als Hauptgeschäftsführer in diesem Zusammenhang zu treffende Entscheidungen nach außen zu vertreten und nach innen für deren Vollzug zu sorgen. Daß sich daraus die Gefahr mannigfaltiger Pflichtenkollisionen ergeben kann, ist bereits in der angefochtenen Entscheidung näher dargelegt; der Senat schließt sich dem an (vgl. auch BGHZ 68, 59, 61; Senatsbeschlüsse vom 13. September 1993 und 29. November 1993, aaO).

3. Ein Widerruf der Zulassung käme jedoch dann nicht in Betracht, wenn dieser für den Antragsteller eine unzumutbare Härte bedeuten würde. Ein solcher Ausnahmefall (vgl. Henssler/Prütting, BRAO § 14 Rdn. 29; Jessnitzer/Blumberg, BRAO 8. Aufl. § 14 Rdn. 12, Feuerich/Braun, BRAO 3. Aufl. § 14 Rdn. 74 ff.) liegt hier - wie der Anwaltsgerichtshof mit Recht annimmt - aber nicht vor. Der Antragsteller ist von der Rechtsanwaltskammer alsbald nach Anzeige seiner Tätigkeit im öffentlichen Dienst, nämlich bereits mit Schreiben vom 15. Januar 1997, auf Bedenken gegen die Vereinbarkeit dieser mit dem Anwaltsberuf hingewiesen worden. Der Antragsgegner hat nach weiterer Aufklärung mit Schreiben vom 12. Juli 1997 den Antragsteller auf die Möglichkeit eines - in der Wirkung zeitlich hinausgeschobenen - Zulassungsverzichts hingewiesen und ihn nochmals über die Unzulässigkeit der gleichzeitigen Ausübung beider Tätigkeiten belehrt. Der Antragsteller konnte demgemäß nicht darauf vertrauen, daß das Nebeneinander beider beruflicher Tätigkeiten nicht zu einem alsbaldigen Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft führen würde; er mußte sich vielmehr von Anfang an darauf einstellen, daß die von ihm gegründete Praxis bei Beibehalt der Tätigkeit im öffentlichen Dienst nur ohne seine Mitwirkung als Anwalt fortgeführt werden konnte. Daß sich schließlich der Widerruf der Zulassung für den Antragsteller auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht als unzumutbare Härte darstellt, hat bereits der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt; auch die Beschwerde vermag insoweit neue Gesichtspunkte nicht vorzutragen.

Ende der Entscheidung

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