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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.05.2003
Aktenzeichen: AnwZ (B) 50/02
Rechtsgebiete: BRAO


Vorschriften:

BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 8
BRAO § 47 Abs. 1
BRAO § 47 Abs. 1 Satz 2
BRAO § 42 Abs. 2
BRAO § 7 Nr. 11
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 5
BRAO § 47
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 50/02

vom 26. Mai 2003

in dem Verfahren

wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft

Der Bundesgerichtshofs, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert, den Richter Dr. Ganter, die Richterin Dr. Otten, den Richter Dr. Frellesen, die Rechtsanwälte Dr. Wüllrich und Dr. Frey sowie die Rechtsanwältin Dr. Hauger nach mündlicher Verhandlung am 26. Mai 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluß des I. Senats des Anwaltsgerichtshofes Berlin vom 25. April 2002 aufgehoben.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Juli 2001 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Nach vorheriger Zulassung in einem anderen Bundesland wurde der Antragsteller im Jahre 2000 als Rechtsanwalt beim Landgericht Berlin und beim Kammergericht zugelassen. Zugleich wurde er darauf hingewiesen, daß die Vereinbarkeit einer von ihm angezeigten, am 1. Juli 1999 begonnenen Nebentätigkeit als Geschäftsführer bei der B.-kammer B. mit dem Anwaltsberuf noch gesondert geprüft werde.

Mit Bescheid vom 11. Juli 2001 hat die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO widerrufen. Der Anwaltsgerichtshof hat dem hiergegen eingelegten Antrag auf gerichtliche Entscheidung stattgegeben und den Widerrufsbescheid aufgehoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, zwar sei die Tätigkeit des Antragstellers bei der B.-kammer B. mit dem Anwaltsberuf unvereinbar; indes sei die Tätigkeit nachträglich zu einer bloß vorübergehenden im Sinne von § 47 Abs. 1 BRAO geworden, weil der Antragsteller am 4. Mai 2001 mit seinem Arbeitgeber eine Befristung seines Beschäftigungsverhältnisses bis zum 31. Mai 2003 vereinbart habe. Deshalb müsse die Antragsgegnerin erst über einen am 26. Juni 2001 gestellten Antrag gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 BRAO befinden. Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist gemäß § 42 Abs. 2 BRAO zulässig; es hat auch Erfolg. Die Tätigkeit des Antragstellers als Geschäftsführer der B.-kammer B. rechtfertigt den Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 Halbs. 1 BRAO). Für den Antragsteller bedeutet der Widerruf keine unzumutbare Härte (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 Halbs. 2 BRAO), und der Widerruf ist auch nicht deswegen entbehrlich, weil etwa die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 BRAO vorliegen.

1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt eine Tätigkeit ausübt, die mit seinem Beruf, insbesondere seiner Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Diese Regelung soll - ebenso wie die entsprechende Regelung über die Versagung der Zulassung (§ 7 Nr. 8 BRAO) - die Freiheit und Unabhängigkeit des Anwaltsberufs schützen (BT-Drucks. 12/4993, S. 24). Die Zulassung von aktiven Angehörigen des öffentlichen Dienstes zur Rechtsanwaltschaft widerspricht diesem Schutzgedanken. Das ergibt sich aus der gesetzgeberischen Wertung der §§ 7 Nr. 11, 14 Abs. 2 Nr. 5, 47 BRAO. Diese Vorschriften werden durch § 7 Nr. 8 BRAO ergänzt. Zur Erreichung des gesetzgeberischen Ziels ist eine deutliche Trennung des Rechtsanwaltsberufs von einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst erforderlich, weil die Mittel der Berufsaufsicht Abhängigkeitsverhältnisse nicht zuverlässig ausschließen können oder jedenfalls in den Augen der Öffentlichkeit nicht gleich wirksam sind. Für die Betroffenen ist die dadurch zum Ausdruck kommende Beschränkung ihrer Berufsfreiheit allerdings nur dann zumutbar, wenn sie nicht starr gehandhabt wird. Der öffentliche Dienst ist vielgestaltig. Es muß deshalb im Einzelfall geprüft werden, ob die gleichzeitige Ausübung des Anwaltsberufs und eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst die Belange der Rechtspflege gefährden kann (BVerfGE 87, 287, 324; BGHZ 100, 87, 90 f; BGH, Beschl. v. 13. September 1993 - AnwZ (B) 24/93, BRAK-Mitt. 1994, 42; v. 16. Februar 1998 - AnwZ (B) 74/97, BRAK-Mitt. 1998, 200; v. 16. November 1998 - AnwZ (B) 36/98, NJW-RR 1999, 571; v. 14. Februar 2000 - AnwZ (B) 9/99, NJW 2000, 3004). Eine derartige Gefahr ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt öffentliche Aufgaben von einer Art wahrnimmt, daß das rechtsuchende Publikum den Eindruck gewinnen kann, die Unabhängigkeit des Anwalts sei durch Bindungen an den Staat beeinträchtigt. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Rechtsanwalt in seinem Zweitberuf hoheitlich tätig wird. Die Belange der Rechtspflege sind auch dann gefährdet, wenn bei den Rechtsuchenden die Vorstellung entstehen kann, der Rechtsanwalt könne wegen seiner "Staatsnähe" mehr als andere Rechtsanwälte für sie bewirken, oder - umgekehrt - der Gegner eines solchen Rechtsanwalts den Eindruck der Benachteiligung gewinnen kann. Ob derartige Gefahren gegeben sind, muß anhand der konkreten Ausgestaltung des Angestelltenverhältnisses und der ausgeübten Tätigkeit geprüft werden. Dabei ist sowohl der Aufgabenbereich der Körperschaft, bei welcher der Rechtsanwalt angestellt ist, als auch deren Bedeutung im Bereich der Niederlassung des Rechtsanwalts zu berücksichtigen (BVerfGE 87, 287, 323 f; BGHZ 100, 87, 91; BGH, Beschl. v. 13. September 1993 aaO; v. 16. November 1998 aaO; v. 14. Februar 2000 aaO).

2. Der Arbeitgeber des Antragstellers, die B.- kammer B. , ist die öffentliche Berufsvertretung der .............................................................. Diese gehören der B.-kammer als Pflichtmitglieder an (...............). Die B.-kammer hat den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (................). Ihre Aufgabe ist es unter anderem, die Berufspflichten der Mitglieder in einer Berufsordnung festzulegen und die Erfüllung dieser Pflichten zu überwachen (................), soweit nicht für die Überwachung der im öffentlichen Dienst tätigen Mitglieder der Dienstherr zuständig ist (.................). In diesen Funktionen nimmt die B.- kammer als Teil der mittelbaren Staatsverwaltung hoheitliche Aufgaben wahr.

3. Der Antragsteller ist bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben - auch und gerade in der Vorstellung des rechtsuchenden Publikums - maßgeblich beteiligt. Er wirkt nicht lediglich als interner Berater des Kammervorstands, sondern tritt auch nach außen als Repräsentant der B....kammer in Erscheinung. Gemäß Ziffer 2a und 2g seines Anstellungsvertrages umfassen seine Aufgaben die "Leitung der Geschäftsstelle in personellen und materiellen Belangen" und die "Beratung der Mitglieder"; aufgrund von Ziffer 2i und 2j obliegen ihm die "Repräsentation der B.-kammer nach außen sowie die Vertretung berufspolitischer Interessen, insbesondere Kontaktpflege zu Behörden, Verbänden und der Bundes...kammer" und "öffentlichkeitswirksame Maßnahmen zur Stärkung des Bekanntheitsgrades und des Ansehens der B.-kammer".

Da der Antragsteller insbesondere den Mitgliedern als Berater zur Verfügung steht, wird er von diesen als Repräsentant der B.-kammer angesehen und geachtet. Dabei deckt sich der örtliche Zuständigkeitsbereich der B.-kammer mit dem Landgerichtsbezirk, in dem der Antragsteller sich als Rechtsanwalt niedergelassen hat.

4. Weder bedeutet der Widerruf für den Antragsteller eine unzumutbare Härte (§ 14 Abs. 2 Nr. 8 Halbs. 2 BRAO) noch liegen jetzt noch die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 BRAO vor.

a) Die Härteklausel beruht auf der Erkenntnis, daß der Zwang zur Aufgabe eines gewählten und bereits ausgeübten Berufs den Betroffenen ungleich stärker belastet als ein Hindernis zur Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit (Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl. § 14 Rn. 69). Im vorliegenden Fall ist der Antragsteller jedoch bereits bei der Zulassung durch die Antragsgegnerin darauf hingewiesen worden, daß die Vereinbarkeit der von ihm aufgezeigten Nebenbeschäftigung bei der B.-kammer mit dem Anwaltsberuf noch gesondert überprüft werden müsse. Der Antragsteller durfte somit zu keinem Zeitpunkt darauf vertrauen, neben der bestehenden Anstellung bei der B.-kammer als Anwalt auf Dauer tätig sein zu können (vgl. BGH, Beschl. v. 16. November 1998 - AnwZ (B) 44/98, NJW-RR 1999, 570).

b) Die lediglich vorübergehende Tätigkeit eines Rechtsanwalts im öffentlichen Dienst führt nicht zwingend zum Widerruf der Zulassung; vielmehr können Anträge nach § 47 Abs. 1 Satz 2 BRAO zur Bestellung eines Vertreters oder sogar dazu führen, daß dem Rechtsanwalt gestattet wird, den Beruf selbst auszuüben (BGH, Beschl. v. 5. November 1984 - AnwZ (B) 25/84, BRAK-Mitt. 1986, 49; v. 16. November 1998 - AnwZ (B) 44/98, aaO; Feuerich/Weyland § 47 BRAO Rn. 15).

Darauf kann die Antragsgegnerin aber jetzt nicht mehr verwiesen werden. Da die Antragsgegnerin den Antrag des Antragstellers gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 BRAO, dessen vorrangige Prüfung der Anwaltsgerichtshof hier aufgegeben hat, inzwischen durch - bestandskräftigen - Bescheid vom 12. Dezember 2002 abgelehnt hat, kann der Widerruf der Zulassung nicht deswegen unterbleiben, weil der berufswidrige Zustand in anderer - den Anwalt geringer belastender - Weise sanktioniert werden kann.

Ob ungeachtet der bestandskräftigen Ablehnung des Antrags gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 BRAO eine Widerrufsverfügung aufrecht erhalten werden kann, wenn die Beschäftigung im öffentlichen Dienst, auf welche der Widerruf gestützt ist, wenige Tage später mit Sicherheit endet, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn diese Sicherheit hat der Antragsteller dem Senat nicht vermittelt. Die ausweichenden Antworten seines Arbeitgebers auf entsprechende Anfragen der Antragsgegnerin lassen es im Gegenteil als möglich erscheinen, daß nach Abschluß des vorliegenden Verfahrens das Beschäftigungsverhältnis fortgesetzt wird.



Ende der Entscheidung

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