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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.02.2000
Aktenzeichen: AnwZ (B) 8/99
Rechtsgebiete: BRAO, GG


Vorschriften:

BRAO § 7 Nr. 5
BRAO § 42 Abs. 1 Nr. 2
BRAO § 42 Abs. 4
BRAO § 7 Nr. 3
BRAO § 114 Abs. 1 Nr. 5
BRAO § 1
GG Art. 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 8/99

vom

14. Februar 2000

in dem Verfahren

wegen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Geiß, die Richter Dr. Fischer und Dr. Ganter, die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt, Dr. Christian und Dr. Wüllrich am 14. Februar 2000 nach mündlicher Verhandlung

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des 1. Senats des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs vom 30. November 1998 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 100.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der im Jahre 1954 geborene Antragsteller bestand im Jahre 1981 die juristische Schlußprüfung (zweite juristische Staatsprüfung) mit der Note "gut" und war anschließend im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen bis 1984 tätig, zuletzt als Regierungsrat. Durch Urteil des Landgerichts M. vom 17. Mai 1988, rechtskräftig seit dem 7. März 1989, wurde der Antragsteller wegen Totschlags in drei Fällen, begangen am 22. September 1984 an seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt.

Nachdem der Antragsteller zwei Drittel der Strafe verbüßt hatte, wurde er im September 1991 aus der Haft entlassen. Die Restfreiheitsstrafe wurde ihm am 21. Oktober 1996 erlassen. Der Antragsteller hat im August 1992 wieder geheiratet und mit seiner jetzigen Ehefrau zwei in den Jahren 1993 und 1996 geborene gemeinsame Kinder. Beruflich hat er nach seiner Entlassung zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Anwalts- und Notariatskanzlei in B. gearbeitet. Seit 1994 ist er als Herausgeber juristischer Loseblattsammlungen im Eigenverlag tätig.

Im Januar 1998 hat der Antragsteller beantragt, ihn zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. Mit Gutachten vom 2. April 1998 hat die zuständige Rechtsanwaltskammer den Versagungsgrund der Unwürdigkeit (§ 7 Nr. 5 BRAO) geltend gemacht. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg; der Anwaltsgerichtshof hat festgestellt, daß der im Gutachten der Antragsgegnerin angeführte Versagungsgrund vorliegt. Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

II.

Das gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Die Antragsgegnerin und der Anwaltsgerichtshof haben den Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO zu Recht bejaht.

1. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Der Unwürdigkeitsvorwurf und die daraus folgende zeitweilige Einschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit der Berufswahl sind gerechtfertigt, wenn dem Bewerber ein Verhalten zur Last fällt, das ihn bei Berücksichtigung aller erheblichen Umstände, einschließlich des Zeitablaufs und der zwischenzeitlichen Führung, nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar erscheinen läßt (st. Rspr.: vgl. Senatsbeschlüsse v. 14. März 1994 - AnwZ (B) 6/93 - NJW 1994, 1730 = BRAK-Mitt. 1994, 108; v. 6. Juli 1998 - AnwZ (B) 10/98, BRAK-Mitt. 1998, 234; v. 12. April 1999 - AnwZ (B) 67/98, BRAK-Mitt. 1999, 187). Maßgeblich für diese Beurteilung ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung. Auch ein schwerwiegendes standesunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände so viel an Bedeutung verlieren, daß es einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr entgegensteht. Abzuwägen sind jeweils das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität und der Erhaltung des Ansehens des Anwaltsstandes (st. Rspr.: vgl. Senatsbeschlüsse v. 30. November 1987 - AnwZ (B) 38/87 - NJW 1988, 1793 = BRAK-Mitt. 1988, 147; v. 29. Januar 1996 - AnwZ (B) 52/95 - BRAK-Mitt. 1996, 122).

Die Frage, wie viele Jahre zwischen einer die Unwürdigkeit begründenden Straftat und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtlich wieder möglich ist, läßt sich nicht allgemein beantworten. Der Senat hat in leichteren Fällen einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren als ausreichend angesehen, bei besonders gravierenden Straftaten, etwa schweren Fällen von Betrug und Untreue, jedoch einen zeitlichen Abstand von in der Regel 15 bis 20 Jahren für erforderlich gehalten (vgl. Senatsbeschlüsse v. 20. Januar 1995 - AnwZ (B) 16/94 - BRAK-Mitt. 1995, 162; v. 29. Januar 1996 - AnwZ (B) 52/95 - BRAK-Mitt. 1996, 122). Eine schematische Fristenberechnung ist nicht möglich; denn die Vorschrift des § 7 Nr. 5 BRAO verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände.

2. Diese Grundsätze hat der Anwaltsgerichtshof zutreffend angewandt; der Senat tritt dem Ergebnis seiner Würdigung bei.

a) Soweit es um den Geschehensablauf am Tattag, dem 22. September 1984, geht, folgt der Senat ebenso wie der Anwaltsgerichtshof den Feststellungen des rechtskräftig gewordenen Strafurteils. Zwar geht aus dem Beschwerdevorbringen hervor, daß der Antragsteller auch heute noch bestreitet, seine Kinder getötet zu haben. Er hat jedoch keine Tatsachen vorgetragen, die geeignet sind, die sorgfältig begründete Würdigung des Strafurteils, daß infolge des Ausschlusses aller sonstigen Todesursachen die Kinder nur infolge vorsätzlicher Gewaltanwendung durch den Vater gestorben sein können, in Frage zu stellen. Der Antragsteller hat, wie schon im gesamten Strafverfahren, zum Tathergang keine Angaben gemacht.

b) Totschlag zählt zu den schwersten Straftaten überhaupt. Wer eine solche Tat zu verantworten hat, kann in aller Regel zu einem Beruf, der ihn zu einem Organ der Rechtspflege macht (§ 1 BRAO), erst dann wieder zugelassen werden, wenn seit der Tat ein Zeitraum vergangen ist, der mindestens im obersten Bereich der bezeichneten Spanne von vier bis zwanzig Jahren liegt.

c) Hier sind seit der Tat inzwischen mehr als fünfzehn Jahre vergangen. Trotz dieses Zeitraums hat das Verbrechen des Antragstellers noch nicht so an Bedeutung verloren, daß er bereits derzeit nicht mehr unwürdig erscheint, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben.

aa) Der Senat hat dabei durchaus berücksichtigt, daß zugunsten des Antragstellers davon auszugehen ist, er sei durch ein von seiner damaligen Ehefrau zu verantwortendes Verhalten in einen hochgradigen Affektzustand geraten, der die Tötung der Frau ausgelöst hat und auch für die im Anschluß daran vollzogene Tötung der Kinder ursächlich geworden ist. Der Antragsteller war jedoch in der Lage, die Leichen fortzuschaffen und innerhalb Deutschlands an weit vom Tatgeschehen entfernten Orten zu verstecken, alle Beweisspuren am Tatort systematisch zu beseitigen und sich anschließend durch eine sorgfältig geplante Flucht monatelang der Strafverfolgung zu entziehen. Auch durch dieses der Tat nachfolgende Verhalten hat das Verbrechen des Antragstellers in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt und war über lange Zeit Gegenstand zahlreicher Presseberichte.

bb) Alle diese Umstände sowie die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe fallen auch heute noch bei der zu treffenden Abwägung erheblich zu Ungunsten des Antragstellers ins Gewicht, obwohl er sich in der Strafhaft einwandfrei geführt hat und davon auszugehen ist, daß er dort auf Mitgefangene mäßigend eingewirkt hat, die damals dazu neigten, ihren Forderungen durch Gewaltanwendung Nachdruck zu verleihen. Dem Antragsteller ist zudem ersichtlich eine erfreuliche soziale Wiedereingliederung geglückt. Er hat wieder geheiratet und sich auch ein berufliches Arbeitsfeld als Selbständiger geschaffen, auf dem er selbst nach einer späteren Zulassung als Rechtsanwalt weiter tätig sein will. Diese positiv zu bewertenden Tatsachen vermögen jedoch bei einer Gesamtbetrachtung die Bedeutung der Verurteilung wegen dreifachen Totschlags derzeit noch nicht so zu mindern, daß der Antragsteller gleichwohl schon als würdig erscheint, bereits heute den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben.

d) Das Ergebnis dieser Abwägung wird auch dadurch bestätigt, daß bei der Prüfung nach § 7 Nr. 5 BRAO die in § 7 Nr. 3 BRAO zum Ausdruck gekommene Wertung des Gesetzgebers nicht außer Betracht bleiben darf (vgl. Senatsbeschluß v. 29. Januar 1996 - AnwZ (B) 53/95, BRAK-Mitt. 1996, 123). Nach dieser Vorschrift ist jedenfalls eine Sperrfrist von acht Jahren einzuhalten, wenn der Bewerber durch rechtskräftiges Urteil aus der Anwaltschaft ausgeschlossen worden ist. Die in § 7 Nr. 3 BRAO enthaltene Regelung gibt einen Hinweis auch bei Tatbeständen, die, wären sie damals von einem Rechtsanwalt begangen worden, gemäß § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO zu einem Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft hätten führen müssen. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß der Antragsteller, hätte er schon damals den Beruf des Rechtsanwalts ausgeübt, wegen der Schwere der von ihm zu verantwortenden Straftaten aus der Anwaltschaft ausgeschlossen worden wäre, obwohl das Tatgeschehen in keinem Zusammenhang mit der Berufsausübung stand. Da schon strafrechtliche Verhaltensweisen eines Anwalts, die mit wesentlich geringeren Sanktionen als ein Kapitalverbrechen geahndet werden, zum Ausschluß aus der Anwaltschaft führen, insbesondere dann, wenn in wesentlichen Maße wirtschaftliche oder sonstige berechtigte Interessen von Mandanten betroffen sind, muß die Sperrfrist bei einer Tat, wie sie hier in Rede steht, deutlich länger als auf den in § 7 Nr. 3 BRAO bezeichneten Mindestzeitraum bemessen werden. Das Strafurteil ist inzwischen seit etwas mehr als zehneinhalb Jahren rechtskräftig. Dieser zeitliche Abstand ist im Hinblick auf die in § 7 Nr. 3 BRAO zum Ausdruck gekommene Wertung zu gering.

e) Auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Bewerbers, seinen Beruf frei wählen zu können, erscheint es dem Senat geboten, den Antragsteller derzeit noch von der Anwaltschaft fernzuhalten. Die Bestimmung des § 7 Nr. 5 BRAO dient vorrangig dem Schutz der Öffentlichkeit vor einer Gefährdung der Rechtspflege sowie der Wahrung des beruflichen Ansehens der Anwaltschaft. Im Hinblick auf die hohe Bedeutung dieser Rechtsgüter ist es unentbehrlich, im Rahmen der nach § 7 Nr. 5 BRAO vorzunehmenden Abwägung der persönlichen Integrität des einzelnen Bewerbers einen hohen Stellenwert einzuräumen. Daher kommt eine Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach weiterem Zeitablauf von insgesamt 20 Jahren seit Begehung der von ihm zu verantwortenden schweren Straftaten in Betracht.



Ende der Entscheidung

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