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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.11.2000
Aktenzeichen: AnwZ B 77/99
Rechtsgebiete: BRAO


Vorschriften:

BRAO § 74
BRAO § 89 Abs. 2 Nr. 2
BRAO § 195
BRAO §§ 74, 89 Abs. 2 Nr. 2, 195

Zur Rechtmäßigkeit von Gebühren für die Erteilung einer Rüge und für die Durchführung des Einspruchsverfahrens nach § 74 BRAO.

BGH, Beschluß vom 6. November 2000 - AnwZ (B) 77/99 - Anwaltsgerichtshof Rheinland-Pfalz


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ(B) 77/99

vom

6. November 2000

in dem Verfahren

- Antragsteller und Beschwerdeführer -

gegen

- Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin -

wegen Festsetzung von Verwaltungsgebühren

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Fischer und Dr. Ganter, die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt, Dr. Schott und die Rechtsanwältin Dr. Christian am 6. November 2000 beschlossen.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 7. Mai 1999 und der Kostenfestsetzungsbescheid der Antragsgegnerin vom 26. Mai 1997 aufgehoben.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu tragen und die dem Antragsteller insoweit entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 500,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer hat mit Bescheid vom 30. September 1996 dem Rechtsanwalt eine Rüge erteilt, weil der Antragsteller in einem Schreiben vom 21. Mai 1996 unerlaubt geworben hatte. Mit Bescheid vom 8. Dezember 1996 hat er den dagegen gerichteten Einspruch zurückgewiesen. Den Antrag des Antragstellers auf anwaltsgerichtliche Entscheidung nach § 74 a BRAO hat das Anwaltsgericht mit Beschluß vom 27. März 1997 als unzulässig, weil verspätet zurückgewiesen und ihm die Kosten des Verfahrens, einschließlich seiner notwendigen Auslagen auferlegt. In der Folge hat der Vorstand der Rechtsanwaltskammer, gestützt auf Nr. 4 Satz 1 der am 27. April 1996 in der Kammerversammlung beschlossenen und am 28. Mai 1996 in Kraft getretenen Verwaltungsgebührenordnung, einen undatierten Kostenfestsetzungsbescheid über 250,- DM und einen weiteren Kostenfestsetzungsbescheid vom 26. Mai 1997 über 500,- DM erlassen. Dagegen hat der Antragsteller jeweils fristgerecht Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof ist übereinstimmend Erledigung des Verfahrens hinsichtlich des Antrags gegen den undatierten Kostenfestsetzungsbescheid (AGH 16/96 ) erklärt worden .Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung (gegen den Bescheid vom 26.Mai 1997) hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen, dagegen richtet sich die zugelassene sofortige Beschwerde des Antragstellers.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 223 Abs. 3 Satz 1 BRAO zulässig und hat auch Erfolg.

Die für die Erteilung der Rüge und die Durchführung des Einspruchsverfahrens nach § 74 BRAO entsprechend der Verwaltungsgebührenordnung erhobenen Gebühren von je 250,-- DM entbehren einer Rechtsgrundlage, da die durch die Kammerversammlung der Antragsgegnerin erlassene Gebührenordnung vom 27. April 1996 gegen höherrangiges Recht verstößt, soweit sie diese Verwaltungsmaßnahmen als gebührenauslösende Tatbestände regelt.

Die Rechtsanwaltskammern als Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts sind in dem von der Bundesrechtsanwaltsordnung vorgegebenen Rahmen grundsätzlich befugt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben Gebühren zu erheben, deren Höhe und Fälligkeit nach § 89 Abs. 2 Nr. 2 BRAO die Kammerversammlung bestimmt. Die Zulässigkeit der Erhebung von Verwaltungsgebühren ist durch die Berufsrechtsnovelle von 1994 eingeführt worden. Gesetzgeberischer Anlaß war der Ausgleich der den Rechtsanwaltskammern durch die Mitwirkung im Zulassungsverfahren entstandene Aufwand (BT-Drucks. 12/4993 S. 35). Eine Beschränkung der Gebührentatbestände allein für diese Verwaltungsmaßnahmen läßt sich weder dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzgebungsgeschichte entnehmen. Daß der von einer Person durch pflichtwidriges Verhalten zu verantwortende besondere Verwaltungsaufwand die Erhebung einer Gebühr rechtfertigen kann, mit der die Kosten auf den Veranlasser überwälzt werden, entspricht allgemeiner Auffassung (Vogel in FS für Willi Geiger (1989), S. 518 f., 524, 535 f - auch zur geschichtlichen Entwicklung) und ist vom Anwaltsgerichtshof im Grundsatz zu Recht angenommen worden. Das gleiche gilt für die auf einen (erfolglosen) Einspruch/Widerspruch hin veranlaßte Überprüfung eines Verwaltungsakts in einem rechtsstaatlichen Verfahren (Kirchhof in Handbuch des Staatsrechts, § 88 Rdn. 188 f).

Die vom Vorstand erteilte Rüge als Aufsichtsmaßnahme der Rechtsanwaltskammer wie die Durchführung des Einspruchsverfahrens (§ 74 BRAO) kämen danach grundsätzlich als die Erhebung einer Gebühr rechtfertigende in einer Gebührenordnung zu regelnde Tatbestände in Betracht, wie sie die Kammerversammlung beschlossen hat. Dem stehen aber Bestimmungen höherrangigen Rechts entgegen:

Das sich an ein Rügeverfahren anschließende anwaltsgerichtliche Verfahren nach §§ 195, 197 a BRAO ist gebührenfrei. Das gleiche gilt für ein anwaltsgerichtliches Verfahren, das ohne ein solches Vorverfahren durchgeführt wird. Erhoben werden dürfen nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung nur Auslagen, zu denen etwa die Abgeltung des Zeitaufwands der als Richter im Anwaltsgericht tätigen Rechtsanwälte wie auch deren Reisekosten zum Anwaltsgericht nicht zählen. Diese Aufwendungen hat die Rechtsanwaltskammer zu tragen.

Die Regelung des § 195 BRAO findet sich schon in § 94 RAO vom 1. Juli 1878 und in dem vorangegangenen Entwurf (§ 90). Die Regelung trägt - so die Begründung zur Rechtsanwaltsordnung - dem allgemeinen Grundsatz des § 55 des Entwurfs (§ 60 des Gesetzes) Rechnung, wonach sich die Gebührenfreiheit durch das von den Organen der Rechtsanwaltschaft wahrzunehmende öffentliche Interesse rechtfertigt, und entspricht einer Bestimmung des Reichsbeamtengesetzes für das Disziplinarverfahren für Beamte, die wörtlich übernommen worden ist (Siegeth, Die Rechtsanwaltsordnung vom 1. Juli 1878 mit ihren sämtlichen Unterlagen, S. 132, 133, 106). Die Gebührenfreiheit im Disziplinarrecht - wie sie erstmals im Reichsbeamtengesetz vom 31.3.1873 (RGBl. S. 61) entsprechend einem Beschluß der Reichstagskommission (Sammlung sämtlicher Drucksachen des Deutschen Reichstags, 1872 Bd. 1 Nr. 9; s. auch Motive S. 49) kodifiziert ist - ist auch in späteren Disziplinarordnungen beibehalten und nicht in Frage gestellt worden. Ebenso wurde die entsprechende Regelung der Rechtsanwaltsordnung auch bei Erlaß der BRAO als ein "hergebrachter Grundsatz der anwaltlichen Ehrengerichtsbarkeit" (Begründung der BReg. zu dem Entwurf einer Bundesrechtsanwaltsordnung, Drucks. Nr. 3650; BR Drucks. Nr. 461/57 zu § 210 S. 118) übernommen.

Ob die in den Motiven (zur Rechtsanwaltsordnung) im übrigen nicht näher erläuterte Freistellung des im anwaltsgerichtlichen Verfahren verurteilten Rechtsanwalts von Gebühren und seine Belastung lediglich mit Auslagen in heutiger Zeit noch als befriedigende Lösung erscheint (vgl. Isele, BRAO, § 195 S. 1827), kann angesichts der eindeutigen gesetzlichen Regelung dahinstehen. Allerdings sind die beamtenrechtliche Disziplinarstrafe wie die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen im Sinne von § 114 BRAO, die sich auf den besonderen Rechts- und Pflichtenstatus der Betroffenen beziehen, anders als die Kriminalstrafe als Zucht- und Erziehungsmittel anzusehen. Sie dienen nicht der Vergeltung eines Verstoßes gegen eine allgemeine Rechtsnorm, sondern bemessen sich nach den Erfordernissen des Berufsstandes, dessen Ordnung und Integrität sie gewährleisten sollen (BVerfGE 21, 378, 384; 21, 391, 404). Im Fall des Ausschlusses aus der Rechtsanwaltschaft stellt sich die anwaltliche Maßnahme gerade auch als eine Schutzmaßnahme zugunsten des Berufsstandes dar. Unter diesen Umständen kommt dem Gesichtspunkt der "Kostenprovokation" weniger Gewicht zu.

Danach erscheint es aber widersprüchlich, wenn für das Rügeverfahren, das sich der Sache nach lediglich als eine schwächere Reaktion auf eine Pflichtverletzung darstellt (Hartung in Henssler/Prütting, BRAO, § 74 Rdn. 7), Gebühren erhoben werden, während das weit kostenaufwendigere förmliche anwaltsgerichtliche Verfahren den Rechtsanwalt nur mit Auslagen belastet. Dies würde zu dem merkwürdigen Ergebnis führen, daß ein Rechtsanwalt, bei dem wegen einer gravierenderen Pflichtverletzung das Rügeverfahren nicht in Betracht kommt, kostenmäßig günstiger dastünde. Die gesetzliche Grundentscheidung der §§ 195 bis 197 a BRAO muß daher auch für das an eine weniger gewichtige Pflichtverletzung anknüpfende Rügeverfahren beachtet werden - für ein sich anschließendes anwaltsgerichtliches Verfahren nach § 74 a BRAO findet die Vorschrift des § 195 BRAO ohnehin Anwendung - und steht der Erhebung der Gebühren, wie sie in der Gebührenordnung der Antragsgegnerin unter Nr. 4. geregelt sind, entgegen. Dagegen kann nicht eingewandt werden, daß der gerichtliche Gebührenbegriff nicht der Verwaltungsgebühr entspricht , mit der etwa auch Post- und Schreibgebühren abgegolten werden können, die als Auslagen im Sinne von § 195 BRAO auch im anwaltgerichtlichen Verfahren in Betracht kommen. Um solche Auslagen hat es sich hier nicht gehandelt.

Nach allem kann die Gebührenordnung nicht als wirksame Rechtsgrundlage für den Kostenfestsetzungsbescheid, der gegen den Beschwerdeführer ergangen ist, angesehen werden.

Ende der Entscheidung

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