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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.10.1999
Aktenzeichen: AnwZ B 94/98
Rechtsgebiete: BRAO, ZPO


Vorschriften:

BRAO § 35 Abs. 1 Nr. 6
BRAO § 20 Abs. 1 Nr. 2
BRAO § 42 Abs. 1 Nr. 5
BRAO § 42 Abs. 4
BRAO § 39 Abs. 3
ZPO § 78
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

AnwZ (B) 94/98

vom

18. Oktober 1999

in dem Verfahren

Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat am 18. Oktober 1999 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert, die Richter Basdorf, Terno und die Richterin Dr. Otten sowie die Rechtsanwälte Dr. von Hase, Dr. Schott und Dr. Körner nach mündlicher Verhandlung

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des 1. Senats des Schleswig-Holsteinischen Anwaltsgerichtshofs in Schleswig vom 8. Oktober 1998 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und die der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 30.000 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Die 1962 geborene Antragstellerin hat im Jahre 1993 die zweite juristische Staatsprüfung abgelegt. Sie wohnt in I. ; dort ist ihr Ehemann als Richter am Landgericht Mitglied einer Zivilkammer des Landgerichts I. .

Die Antragstellerin beantragte im Juli 1993 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin beim Amtsgericht und Landgericht I. . Nachdem sie im Oktober 1993 beim Amtsgericht I. zugelassen worden war, wurde sie auf weiteren Antrag im April 1994 zudem bei den Amtsgerichten E. , M. und P. zugelassen; an diesen Amtsgerichten des Landgerichtsbezirks sind Familiengerichte eingerichtet. Ihre Zulassung beim Landgericht I. versagte der frühere Antragsgegner, weil der Ehemann der Antragstellerin Richter an diesem Gericht war. Ihr Antrag auf gerichtliche Entscheidung blieb ebenso wie ihre Beschwerde gegen die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs ohne Erfolg (Senatsbeschluß vom 18. November 1996 - AnwZ (B) 22/96 - BRAK-Mitt. 1997, 90); die Verfassungsbeschwerde der Antragstellerin wurde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluß vom 21. Februar 1997 - 1 BvR 177/97 -).

Im Januar 1997 beantragte die Antragstellerin erneut ihre Zulassung beim Landgericht I. mit der Begründung, ihr Ehemann sei für neun Monate an das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht abgeordnet worden; ob er an das Landgericht I. zurückkehren werde, sei ungewiß. Nach Anhörung des Präsidenten des Oberlandesgerichts und der Schleswig-Holsteinischen Rechtsanwaltskammer, der jetzigen Antragsgegnerin und dem Hinweis an die Antragstellerin auf die Vorschrift des § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO erteilte der frühere Antragsgegner mit Erlaß vom 18. März 1997 der Antragstellerin (unter Aufhebung ihrer Zulassung bei den Amtsgerichten E. , M. und P. ) die anderweite Zulassung bei dem Landgericht I. . In dem Erlaß ist ergänzend ausgeführt, daß die lokale Zulassung der Antragstellerin unter der Auflage erteilt werde, daß im Falle einer Rückkehr ihres Ehemannes an das Landgericht I. von § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO Gebrauch gemacht werde.

Am 31. Oktober 1997 teilte der Präsident des Oberlandesgerichts dem früheren Antragsgegner mit, daß der Ehemann der Antragstellerin seine Tätigkeit beim Landgericht I. wieder aufnehme. Durch Erlaß vom 4. Dezember 1997 hat der frühere Antragsgegner daraufhin die Zulassung der Antragstellerin beim Landgericht I. gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO widerrufen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin.

II.

Das Rechtsmittel der Antragstellerin ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 BRAO), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

1. Nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO kann die Zulassung des Rechtsanwalts bei einem Gericht widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen, unter denen die Zulassung bei einem Gericht nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 versagt werden soll, erst nach der Zulassung eingetreten sind. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO bestimmt, daß die Zulassung bei dem im Antrag bezeichneten Gericht versagt werden soll, wenn der Ehegatte des Bewerbers an diesem Gericht tätig ist. Ein Widerrufsgrund im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO ist demgemäß grundsätzlich dann gegeben, wenn der Ehegatte des Rechtsanwalts an dem Gericht eine Tätigkeit aufnimmt, bei dem der Rechtsanwalt zugelassen ist. Diese Voraussetzungen lagen im Zeitpunkt des Widerrufs der Zulassung vor. Der Ehegatte der Antragstellerin hatte im November 1997 seine Tätigkeit als Richter am Landgericht I. , bei dem die Antragstellerin zugelassen war, wieder aufgenommen.

Der Entscheidungsspielraum der Landesjustizverwaltung bei der Zulassung eines Anwaltsbewerbers nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO und beim Widerruf einer bereits erteilten Zulassung nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO ist indessen nicht deckungsgleich. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO ist die Landesjustizverwaltung bei Vorliegen des abstrakten Gefährdungstatbestandes in der Regel gehalten, die Zulassung zu verweigern, ohne daß eine konkrete Gefährdung dargelegt werden müßte. Das hat zur Folge, daß die Landesjustizverwaltung - liegt der in der Vorschrift bezeichnete Tatbestand vor - den Antrag auf Zulassung im Regelfall ablehnen muß. Nur falls Umstände vorliegen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, gewährt das Gesetz Raum für eine Ermessensentscheidung (Senatsbeschluß vom 4. Mai 1998 - AnwZ (B) 78/97 - BRAK-Mitt. 1998, 285). Für den Fall, daß der Versagungsgrund des § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO erst nach der Zulassung des Rechtsanwalts eintritt, ist das Ermessen beim Widerruf der Zulassung dagegen nicht so weitgehend eingeschränkt. Das folgt schon aus dem unterschiedlichen Wortlaut der Vorschriften (§ 20 Abs. 1: "... soll in der Regel ...", bzw. § 35 Abs. 1: "... kann widerrufen werden ..."). Der Widerrufstatbestand legt mithin nicht in der gleichen stringenten Weise wie der Versagungstatbestand ein Regel-Ausnahmeverhältnis fest. Vom Widerruf der Zulassung bei einem Gericht ist daher nicht nur dann abzusehen, wenn auch von einer Versagung der Zulassung abzusehen wäre; von ihm kann vielmehr auch dann abgesehen werden, wenn zwar eine (abstrakte) Gefährdung der Rechtspflege nicht auszuschließen ist, aber gewichtige Gründe für die Beibehaltung der Zulassung bestehen, die nach dem pflichtgemäßen Ermessen der Landesjustizverwaltung höher zu bewerten sind (Senatsbeschluß vom 2. Dezember 1991 - AnwZ (B) 37/91 - BRAK-Mitt. 1992, 53). Die Landesjustizverwaltung hat daher bei Verwirklichung des Widerrufsgrundes des § 35 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 2 BRAO unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die für und gegen den Widerruf sprechenden Gründe einzelfallbezogen abzuwägen. Ihre danach getroffene Entscheidung ist nur in den durch § 39 Abs. 3 BRAO gezogenen Grenzen gerichtlich überprüfbar.

2. Die Widerrufsentscheidung des früheren Antragsgegners hält dieser Nachprüfung stand. Es ist nicht festzustellen, daß mit der angegriffenen Entscheidung die Grenzen des diesem eingeräumten Ermessens überschritten worden sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

a) Allerdings könnte ein Ermessensfehler dann anzunehmen sein, wenn sich der frühere Antragsgegner bei seiner Widerrufsentscheidung von vornherein an die in seinem Erlaß vom 18. März 1997 erwähnte "Auflage" gebunden gesehen hätte, daß im Falle der Rückkehr des Ehemannes der Antragstellerin "von § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO Gebrauch gemacht werden wird". Denn in einem solchen Falle hätte der frühere Antragsgegner von dem ihm zukommenden Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Von einem solchen Verständnis der Auflage ist die Widerrufsentscheidung indessen ersichtlich nicht getragen, so daß es in diesem Zusammenhang auch nicht darauf ankommt, den Rechtscharakter der sog. Auflage oder deren Wirksamkeit näher zu erörtern. Denn mit der angegriffenen Widerrufsentscheidung geht der frühere Antragsgegner ausdrücklich davon aus, daß er unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Dem entspricht es, daß die sog. Auflage auch erst im Rahmen der Erwägung zur Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Erwähnung findet.

b) Soweit sie aber in diesem Rahmen vom früheren Antragsgegner berücksichtigt worden ist, läßt das einen Ermessensfehlgebrauch nicht erkennen. Im vorliegenden Falle war der Antragstellerin die Zulassung als Rechtsanwältin bei dem Landgericht I. mit der Entscheidung des Senats vom 18. November 1996 bestandskräftig versagt worden, als ihr Ehemann an diesem Gericht noch als Richter tätig war. Da der Beendigung seiner Tätigkeit am Landgericht I. lediglich eine am 1. Februar 1997 beginnende neunmonatige Abordnung an das Oberlandesgericht zugrunde lag, stand eine Wiederaufnahme seiner Tätigkeit am Landgericht jedenfalls von vornherein im Raum. Den sich daraus mit Blick auf § 35 Abs. 1 Nr. 6 BRAO ergebenden möglichen Rechtsfolgen trägt die "Auflage" des früheren Antragsgegners Rechnung. Mit ihr ist der Antragstellerin also jedenfalls verdeutlicht worden, daß mit einer Wiederaufnahme der Tätigkeit ihres Ehemannes beim Landgericht eine Entscheidung über den Widerruf ihrer Zulassung bei diesem Gericht zu treffen sein werde, ihre Zulassung also möglicherweise nur für eine beschränkte Zeit bestehen wird. Das danach von vornherein eingeschränkte Vertrauen in den Fortbestand der lokalen Zulassung aber ist ein Gesichtspunkt, den der frühere Antragsgegner mit Recht in seine Erwägungen dazu eingestellt hat, daß der Widerruf der Zulassung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt.

c) Zutreffend hat der frühere Antragsgegner bei seiner Widerrufsentscheidung aber auch den Gesichtspunkt der Wahrung des Besitzstandes (vgl. Senatsbeschluß vom 2. Dezember 1991 aaO) in die Abwägung einbezogen. Wenn er ihm im konkreten Falle keinen durchgreifenden, den Widerruf der Zulassung hindernden Umstand entnommen hat, läßt auch das einen Ermessensfehler nicht erkennen.

Die Rüge der Antragstellerin, in diesem Zusammenhang habe jedenfalls der Anwaltsgerichtshof - was den wegen der Kinderbetreuung eingeschränkten Umfang ihrer anwaltlichen Tätigkeit angehe - einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt, ist unbehelflich. Denn dieser Sachverhalt war nicht Gegenstand der zu überprüfenden Ermessensentscheidung des früheren Antragsgegners. Dieser hatte sich vielmehr insoweit auf die nur kurze Zeit der Zulassung der Antragstellerin beim Landgericht gestützt und zudem darauf abgestellt, daß ihr die Möglichkeit der Zulassung bei den Amtsgerichten im Landgerichtsbezirk nach wie vor offenstehe. Wenn die Antragstellerin letzterem mit der Beschwerde entgegenhält, auch eine anwaltliche Tätigkeit bei den Amtsgerichten werde durch die gegebenenfalls notwendigen Fahrten einerseits und die erforderliche Kinderbetreuung andererseits erschwert, ergibt sich daraus jedenfalls kein durchgreifender Gesichtspunkt, der einen Widerruf der Zulassung beim Landgericht als ermessensfehlerhaft erscheinen lassen könnte. Denn die Antragstellerin ist damit lediglich in die Lage zurückversetzt, in der sie sich vor ihrer kurzzeitigen Zulassung beim Landgericht befand, in der sie also den genannten familiären und beruflichen Anforderungen ebenfalls zugleich ausgesetzt war und diese bewältigt hat.

d) Zu Unrecht beruft sich die Antragstellerin schließlich darauf, der Anwaltsgerichtshof habe bei der gerichtlichen Überprüfung der Widerrufsentscheidung jedenfalls was die Frage der Gefährdung der Interessen der Rechtspflege anbetreffe , einen fehlerhaften Maßstab angelegt. Vielmehr hat der Anwaltsgerichtshof zutreffend darauf abgehoben, daß von einem Widerruf auch dann abgesehen werden könne, wenn zwar eine Gefährdung der Rechtspflege nicht auszuschließen sei, gleichwohl aber gewichtige und höher zu bewertende Interessen für die Zulassung bestünden. Das entspricht der Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom 2. Dezember 1991 aaO). Die anschließenden Erwägungen des Anwaltsgerichtshofs tragen die Annahme einer fortbestehenden (abstrakten) Gefährdung der Rechtspflege; sie werden auch mit der Beschwerde nicht substantiiert angegriffen. Der Hinweis der Antragstellerin, daß in anderen - hier in den Einzelheiten nicht nachprüfbaren - Fällen, in denen der Ehegatte als Richter tätig ist, von der Möglichkeit des Widerrufs der Zulassung kein Gebrauch gemacht worden sei, ändert für die hier zu treffende Entscheidung nichts.

e) Letztlich verfängt auch der Angriff der Antragstellerin nicht, der frühere Antragsgegner habe bei seiner Widerrufsverfügung ermessensfehlerhaft die mit dem Jahre 2000 in Kraft tretende Änderung des § 78 ZPO unberücksichtigt gelassen. Der frühere Antragsgegner hatte seine Entscheidung vielmehr nach der bei ihrem Erlaß am 4. Dezember 1997 maßgeblichen Rechtslage zu treffen. Daß seine danach getroffene Ermessensentscheidung allein mit Blick auf die später wirksam werdende Änderung des § 78 ZPO eine unzumutbare Härte für die Antragstellerin begründen könnte, ist nicht ersichtlich.

Dem Antrag auf Aufhebung des Termins war nicht stattzugeben. Die Antragstellerin ist - wie sich insbesondere auch aus dem Aufhebungsantrag selbst ergibt - anwaltlich vertreten. Ihr persönliches Erscheinen war nicht erforderlich.

Ende der Entscheidung

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