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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.10.2008
Aktenzeichen: EnVR 79/07
Rechtsgebiete: EnWG


Vorschriften:

EnWG § 23a
EnWG § 79 Abs. 1 Nr. 1
EnWG § 84
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

EnVR 79/07

vom 14. Oktober 2008

in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2008 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf und die Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck, Dr. Strohn und Dr. Grüneberg beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Beigeladenen, ihm Einsicht in die ungeschwärzte Fassung der Verfahrensakte zu gewähren und ihm insbesondere die Rechtsbeschwerdebegründungen der Antragstellerin vom 14. März 2008 und der Bundesnetzagentur vom 3. April 2008 ungeschwärzt zur Verfügung zu stellen, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin beantragte bei der Bundesnetzagentur die Genehmigung der Entgelte für den Gasnetzzugang gemäß § 23a EnWG. Nachdem die Bundesnetzagentur diesem Antrag nur teilweise entsprochen hatte, hat auf Beschwerde der Antragstellerin das Beschwerdegericht den Bescheid der Bundesnetzagentur - unter Zurückweisung der weitergehenden Beschwerde - aufgehoben und die Bundesnetzagentur zur Neubescheidung verurteilt; die Beschwerde des Beigeladenen hat es als unzulässig verworfen. Gegen diesen Beschluss haben die Antragstellerin, die Bundesnetzagentur sowie der Beigeladene die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde eingelegt. Der Beigeladene, ein Verband, der die Interessen von Energieanbietern vertritt, beantragt mit Schriftsatz vom 1. Juli 2008 beim Bundesgerichtshof Einsicht in die Verfahrensakten. Zugleich begehrt er die Übersendung der in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze, insbesondere der Rechtsbeschwerdebegründungen, in ungeschwärzter Form. Im Beschwerdeverfahren hatte das Oberlandesgericht einen bei ihm gestellten Antrag auf Akteneinsicht durch Beschluss vom 2. Mai 2007 zurückgewiesen.

II.

Der Antrag des Beigeladenen ist nach § 88 Abs. 5 EnWG i.V.m. § 84 EnWG zulässig; er bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.

1. Ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 84 Abs. 1 und 2 EnWG steht dem Beigeladenen nicht zu, weil er nicht zu dem Kreis der im § 79 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EnWG genannten Verfahrensbeteiligten zählt.

a) Der Beigeladene ist insbesondere nicht als Beschwerdeführer im Sinne des § 79 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 EnWG anzusehen. Zwar hat er selbst Beschwerde (und auch Rechtsbeschwerde) eingelegt. Maßgeblich für die Frage des Akteneinsichtsrechts ist jedoch nicht seine formelle Stellung als Beschwerdeführer. Um ein gegenüber den sonstigen Verfahrensbeteiligten erweitertes Akteneinsichtsrecht nach § 84 Abs. 1 und 2 EnWG zu erlangen, muss der Beigeladene eine zulässige Beschwerde erhoben haben. Dies hat das Beschwerdegericht zutreffend verneint.

b) Die Beschwerde des Beigeladenen ist unzulässig, weil er materiell nicht beschwert ist.

aa) Allerdings steht nach dem Wortlaut des § 75 Abs. 2 EnWG die Beschwerde den am Verfahren vor der Regulierungsbehörde Beteiligten zu. Die Regulierungsbehörde hat den Beigeladenen im Verfahren über die Genehmigung der Netzentgelte beteiligt. Das reicht jedoch für die Annahme der Zulässigkeit der Beschwerde nicht aus:

Wie der Bundesgerichtshof zu der Parallelnorm des inhaltsgleichen § 63 Abs. 2 GWB bereits entschieden hat, kann im Interesse der Vermeidung einer Popularklage in der Beschwerdeinstanz für die Bejahung der Zulässigkeit nicht maßgeblich auf das formalisierte Merkmal der Verfahrensbeteiligung im Verfahren vor der Kartellbehörde abgestellt werden. Hinzukommen muss vielmehr eine materielle Beschwer als eine besondere Form des Rechtsschutzinteresses (BGH, Beschl. v. 25.9.2007 - KVR 25/06, WuW/E DE-R 2138, 2140 Tz. 12 - Anteilsveräußerung). Eine materielle Beschwer in diesem Sinne liegt vor, wenn der Betroffene durch die angefochtene Verfügung der Kartell-(Regulierungs-)Behörde in seinen wirtschaftlichen Interessen unmittelbar und individuell betroffen ist (BGH aaO Tz. 14; BGHZ 155, 214, 217 - Habet/Lekkerland).

Für die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde nach § 79 EnWG kann nichts anderes gelten. Die Verfahrensregelungen des Beschwerdeverfahrens sind weitgehend dem Kartellgesetz nachgebildet (vgl. BGHZ 174, 324, 327, 330 Tz. 8, 12 - Beteiligung der Bundesnetzagentur). Es ist kein Grund für eine vom Kartellverfahren abweichende Auslegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen ersichtlich (a.A. Salje, EnWG § 75 Rdn. 28 ff.).

bb) Eine materielle Beschwer liegt beim Beigeladenen nicht vor. Der Beigeladene ist ein Verband, der die Interessen von Energieanbietern vertritt, mithin in Bezug auf die Netznutzung von aktuellen oder potenziellen Kunden der Antragstellerin. Seine eigene Rechtssphäre ist durch die Entgeltregulierung nicht berührt. Ob bei den Mitgliedsunternehmen des Beigeladenen, wenn diese das Netz der Antragstellerin nutzen wollen, eine unmittelbare wirtschaftliche Betroffenheit durch die Genehmigung der Entgelte entsteht, kann der Senat offenlassen. Jedenfalls wirkt sich beim Beigeladenen eine mögliche Betroffenheit seiner Mitgliedsunternehmen nur mittelbar aus (vgl. K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl., § 63 Rdn. 48). Wollte man ein derartiges mittelbares Verbandsinteresse ausreichen lassen, liefe dies letztlich auf eine allgemeine Beschwerdebefugnis von Verbänden hinaus. Eine solche hat das Energiewirtschaftsgesetz gegen Verfügungen der Regulierungsbehörde bewusst nicht zugelassen. Wäre eine entsprechende Erweiterung der Beschwerdebefugnis beabsichtigt gewesen, hätte der Gesetzgeber - wie in den Fällen des § 32 Abs. 2 EnWG und der § 33 Abs. 2, § 34a GWB - hierfür eine ausdrückliche Ermächtigung geschaffen.

c) Der Beigeladene kann die Interessen seiner Mitgliedsunternehmen auch nicht im Wege einer gewillkürten Prozessstandschaft vertreten. Ob eine solche Prozessstandschaft überhaupt im gerichtlichen Verfahren über die Anfechtung hoheitlicher Maßnahmen zulässig ist, erscheint - jedenfalls soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist - zweifelhaft (vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1995, 537; K. Schmidt aaO Rdn. 48; Kollmorgen in Lange/Bunte, GWB, 10. Aufl., § 63 Rdn. 36). Eine zulässige Prozessstandschaft würde jedenfalls voraussetzen, dass der Ermächtigte ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung des Rechts im eigenen Namen hätte (vgl. BVerwGE 61, 334, 340 f.). Ein solches Eigeninteresse fehlt aber bei der Geltendmachung von bloßen Mitgliederinteressen (BVerwG, NVwZ-RR 1995, 537, 539). Deshalb sind Vereine oder Verbände prozessual nicht berechtigt, für ihre Mitglieder deren Rechte wahrzunehmen, auch dann nicht, wenn die Wahrnehmung dieser Rechte ihr Vereinszweck ist (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., Vorbem. 26 vor § 40; von Nicolai in Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., § 42 Rdn. 25).

2. Da der Beigeladene nicht beschwerdeberechtigt ist, hat der Senat über sein Akteneinsichtsgesuch gemäß § 84 Abs. 3 EnWG i.V.m. § 79 Abs. 1 Nr. 3 EnWG nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Die Abwägung aller für die Ermessensausübung maßgeblichen Umstände führt hier dazu, den Antrag des Beigeladenen abzulehnen.

Der Beigeladene bedarf zu einer sachgerechten Wahrnehmung der ihm im Rechtsbeschwerdeverfahren zukommenden Aufgaben keiner Akteneinsicht. Die Beiladung nach § 79 Abs. 1 Nr. 3 EnWG dient in erster Linie dazu, die Entscheidungsbasis für das Gericht zu optimieren. Im Rechtsbeschwerdeverfahren bildet allein der angefochtene Beschluss die Grundlage für die sachlich-rechtliche Überprüfung. Eine Überprüfung der Sache in tatsächlicher Hinsicht findet nicht statt. Wie der Rechtsbeschwerdeführer und der Rechtsbeschwerdegegner ist auch der - selbst nicht beschwerdebefugte - Beigeladene darauf beschränkt, dem Rechtsbeschwerdegericht seine Sicht der Rechtslage zu vermitteln. Hierfür ist aber nur die Kenntnis des Beschlusses und der rechtlichen Begründungen der Verfahrensparteien erforderlich. Weitergehende Informationen zum Tatsachenstoff benötigt er für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht.

Dies gilt auch für die geschwärzten Stellen in den Schriftsätzen im Rechtsbeschwerdeverfahren. Insoweit ist gleichfalls nicht ersichtlich, wie eine Kenntnis der bislang geschwärzten Fakten für das Rechtsbeschwerdeverfahren dienlich sein könnte.



Ende der Entscheidung

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