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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.12.2008
Aktenzeichen: I ZB 120/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 885 Abs. 1
Muss der Schuldner aufgrund eines Titels ein grundbuchmäßig hinreichend bestimmtes Grundstück herausgeben, erfolgt die Zwangsvollstreckung in der Weise, dass der Gerichtsvollzieher das Grundstück auf Antrag des Gläubigers räumt und den Gläubiger an Ort und Stelle in den Besitz einweist. Stellt der Gerichtsvollzieher - wenn es sich etwa um eine brachliegende Fläche handelt - fest, dass eine Räumung nicht erforderlich ist, kann er den Gläubiger durch Protokollerklärung in den Besitz einweisen, auch wenn er in Ermangelung von Grenzsteinen u.Ä. die genauen Grenzen des Grundstücks an Ort und Stelle nicht bestimmen kann.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

am 4. Dezember 2008

durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und

die Richter Prof. Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Mühlhausen vom 17. Oktober 2005 und der Beschluss des Amtsgerichts Sondershausen vom 24. Juni 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Urteil des Landwirtschaftsgerichts Mühlhausen vom 9. Februar 2005 gegen den Schuldner. Der Tenor des Urteils lautet:

Der Beklagte wird verurteilt, folgende landwirtschaftliche Flächen zu räumen und an die Klägerin herauszugeben: Gemarkung O. , Flur 7, Flurst. 219, groß 8.795 qm Gemarkung O. , Flur 7, Flurst. 224, groß 22.881 qm Gemarkung O. , Flur 9, Flurst. 300/1, groß 2.156 qm Gemarkung O. , Flur 9, Flurst. 404/318, groß 6.702 qm Gemarkung O. , Flur 9, Flurst. 433/346, groß 36.653 qm Gemarkung O. , Flur 4, Flurst. 530/98, groß 28.021 qm Gemarkung O. , Flur 8, Flurst. 268, groß 46.284 qm Gemarkung O. , Flur 8, Flurst. 531/277, groß 24.136 qm.

Im Februar 2005 erteilte die Gläubigerin dem Gerichtsvollzieher einen entsprechenden Vollstreckungsauftrag mit dem Ziel der Besitzeinweisung und übersandte dem Gerichtsvollzieher eine Flurkarte im Original. Der Gerichtsvollzieher lehnte die Einweisung als undurchführbar ab: Die genaue örtliche Lage der Grundstücke, die bislang als Großflächen genutzt und bestellt worden seien, könne nicht festgestellt werden; teilweise verfügten sie nicht über einen Weg und seien nur über andere Grundstücke zu erreichen.

Mit der Erinnerung hat die Gläubigerin beantragt, den Gerichtsvollzieher anzuweisen, die Gläubigerin in den Besitz der in Rede stehenden Flächen einzuweisen. Auch ohne Grenzsteine sei der Gerichtsvollzieher in der Lage, sie in den Besitz einzuweisen. Eine Vermessung der Grundstücke vor Einweisung sei nicht erforderlich.

Das Amtsgericht hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen.

Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Gläubigerin ihren Antrag auf Zwangsvollstreckung weiter.

II.

Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass der Gerichtsvollzieher nicht verpflichtet gewesen sei, die von der Gläubigerin begehrte Vollstreckungshandlung auszuführen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Für eine Vollstreckung nach § 885 Abs. 1 ZPO sei unerlässlich, dass das Grundstück in der Natur dem im Vollstreckungstitel bezeichneten Grundstück zugeordnet werden könne. Zwar seien die Grundstücke in dem der Vollstreckung zugrunde liegenden Titel hinreichend individualisiert. An Ort und Stelle sei eine Individualisierung der fraglichen Grundstücke aber nicht möglich. Aus der dem Gerichtsvollzieher übergebenen Flurkarte seien die Grenzverläufe nicht ersichtlich. Der Gerichtsvollzieher sei auch nicht verpflichtet, auf ein von der Gläubigerin zur Verfügung gestelltes GPS-System zurückzugreifen. Nicht ausreichend sei es, wenn der Gerichtsvollzieher lediglich feststelle, dass der Schuldner die Grundstücke, wie sie sich aus dem Vollstreckungstitel ergäben, zu räumen habe und die Gläubigerin in den Besitz eingewiesen werde.

III.

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerde haben Erfolg. Zu Unrecht hat der Gerichtsvollzieher die Vollstreckung mit der Begründung abgelehnt, er könne die Grundstücksgrenzen nicht eindeutig feststellen.

1.

Eine Herausgabevollstreckung nach § 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO setzt zunächst voraus, dass der zu vollstreckende Titel hinreichend bestimmt ist. Insbesondere muss er das herauszugebende Anwesen grundbuchmäßig (Gemarkung, Band, Blatt und Flurstücksnummer) bezeichnen. Im Streitfall erfüllt der Herausgabetitel diese Voraussetzung. Der Gerichtsvollzieher kann sich anhand der Angaben im Titel über die Lage der dort genannten Flurstücksnummern mit allgemein zugänglichen Hilfsmitteln wie Grundbuchauszug und Flurkarte in Kenntnis setzen (vgl. OLG München DGVZ 1999, 56 f.).

2.

Die Zwangsvollstreckung aus einem auf Herausgabe eines Grundstücks gerichteten Titel erfolgt in der Weise, dass der Gerichtsvollzieher den Schuldner - notfalls durch unmittelbaren Zwang (§ 758 Abs. 3 ZPO) - aus dem Besitz setzt und den Gläubiger in den Besitz des Grundstücks einweist (§ 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Was für die Besitzeinweisung erforderlich ist, bestimmt sich nach bürgerlichem Recht. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Gläubiger die tatsächliche Gewalt über das Grundstück erlangt (§ 854 BGB). Hierfür kann eine Erklärung des Gerichtsvollziehers zu Protokoll (§ 762 ZPO) ausreichen.

a)

Um den Schuldner aus dem Besitz zu setzen und den Gläubiger in den Besitz einzuweisen, muss der Gerichtsvollzieher in der Regel in der Lage sein, die Grenzen des fraglichen Grundstücks an Ort und Stelle zu ermitteln. Muss die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass sich der Schuldner auf dem zu räumenden Grundstück aufhält oder dass er dort bewegliche Sachen lagert, kann der Gerichtsvollzieher seiner Aufgabe nur nachkommen, wenn er nicht nur die grundbuchmäßige Lage des Grundstücks kennt, sondern auch den Verlauf seiner Grenzen an Ort und Stelle nachvollziehen und aufgrund dessen beurteilen kann, ob eine Räumung erforderlich ist.

b)

Kommt dagegen eine Räumung nicht in Betracht, weil das fragliche Grundstück Teil einer brachliegenden Fläche ist, oder steht von vornherein fest, dass lediglich eine Fläche geräumt werden muss, die auf jeden Fall zu dem herauszugebenden Grundstück gehört, setzt die Herausgabevollstreckung nach § 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine präzise Bestimmung der Grundstücksgrenzen in der Natur nicht voraus. In einem solchen Fall reicht es aus, wenn der Gerichtsvollzieher an Ort und Stelle - d.h. dort, wo er beurteilen kann, ob eine Räumung erforderlich ist - zu Protokoll (§ 762 ZPO) erklärt, dass er den Schuldner aus dem Besitz setzt und den Gläubiger in den Besitz einweist (LG Trier DGVZ 1972, 93, 94; MünchKomm.ZPO/Gruber, ZPO, 3. Aufl., § 885 Rdn. 24; Zöller/Stöber, ZPO, 27. Aufl., § 885 Rdn. 14; Brehm in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 885 Rdn. 25 Fn. 108; Hüßtege in Thomas/Putzo, 29. Aufl., § 885 Rdn. 8; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 67. Aufl., § 885 Rdn. 3).

c)

Ein solches Verständnis des § 885 ZPO trägt den Erfordernissen Rechnung, die das bürgerliche Recht an den Besitzerwerb stellt. Nach § 854 Abs. 1 BGB wird Besitz allerdings grundsätzlich durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben. Für den Erwerb des Besitzes ist jedoch nach § 854 Abs. 2 BGB die Einigung des bisherigen Besitzers und des Erwerbers ausreichend, wenn der Erwerber in der Lage ist, die Gewalt über die Sache auszuüben. Danach kann auch der Besitz an einem frei zugänglichen Grundstück durch Einigung erworben werden (Soergel/Stadler, BGB, 13. Aufl., § 854 Rdn. 24). Entsprechend kann auch bei der Besitzeinweisung nach § 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Erlangung der tatsächlichen Gewalt durch Protokollerklärung ersetzt werden, wenn der Gläubiger in der Lage ist, die tatsächliche Gewalt über das Grundstück auszuüben.

d)

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nimmt es die Gläubigerin mit ihrem Begehren nicht hin, vom Gerichtsvollzieher auch in fremde Grundstücke eingewiesen zu werden. Durch die Erklärung der Besitzeinweisung zu Protokoll wird vielmehr gewährleistet, dass ausschließlich die Flächen an die Gläubigerin herausgegeben werden, auf die sich der Herausgabetitel bezieht. Eine Einweisung in den Besitz an anderen Flächen als denen, die im Vollstreckungstitel aufgeführt sind, wird durch die Protokollerklärung gerade ausgeschlossen.

IV.

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts kann danach keinen Bestand haben. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil noch die weiteren Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen sind. Da auch das Beschwerdegericht bei richtiger Entscheidung zurückverwiesen hätte, verweist der Senat die Sache an das Amtsgericht zurück.

Ende der Entscheidung

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