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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.05.2000
Aktenzeichen: I ZB 26/99
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 66 Abs. 2
ZPO § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1
ZPO § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
ZPO § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
ZPO § 70 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 233
ZPO § 236 Abs. 2
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 294 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

I ZB 26/99

vom

11. Mai 2000

in der Beschwerdesache

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 11. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Starck, Pokrant und Dr. Büscher

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Streithelferin wird der Beschluß des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 26. Juli 1999 aufgehoben.

Der Klägerin wird wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der VIII. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld vom 19. Februar 1999 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Gründe:

I. Die Klägerin macht gegen den Beklagten vertragliche Ansprüche aus angeblich unerlaubter Konkurrenztätigkeit geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 16. März 1999 zugestellt. Mit einem am 4. Mai 1999 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages hat die Klägerin vorgebracht, mit der Fristenkontrolle seien ihre Korrespondenzanwälte R., L. und Kollegen in H. betraut gewesen. In deren Kanzlei werde die Fristenkontrolle ständig von der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten K. vorgenommen. Diese habe für den streitgegenständlichen Vorgang, der in der Kanzlei ihrer Korrespondenzanwälte unter dem Aktenzeichen L 136/98 geführt werde, eine Vorfrist auf den 30. März und eine Notfrist zur Berufungseinlegung auf den 16. April 1999 notiert. In der Kanzlei ihrer Korrespondenzanwälte würden die Aktenzeichen den Nummern nach doppelt vergeben und jeweils mit dem Buchstaben L für Rechtsanwältin L. und R für Rechtsanwältin R. geführt. Unter dem 16. April 1999 sei neben der Notfrist betreffend den Vorgang L 136/98 auch eine solche für die Sache R 136/98 eingetragen gewesen. Nach Vorlage und Bearbeitung der Sache R 136/98 habe Frau K. versehentlich beide Fristen gestrichen. Dies sei am 20. April 1999 bemerkt worden.

Zur Glaubhaftmachung ihres Vortrages hat die Klägerin eidesstattliche Versicherungen ihrer Streithelferin und der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten K. sowie eine Ablichtung aus dem Fristenkalender für den 16. April 1999 vorgelegt.

Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen.

II. Die dagegen gerichtete, form- und fristgerecht eingelegte, sofortige Beschwerde ist zulässig; sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Zulässigkeit der von der Streithelferin, Rechtsanwältin L., eingelegten sofortigen Beschwerde steht nicht entgegen, daß sie dem Rechtsstreit in den Vorinstanzen nicht beigetreten war und die Klägerin selbst keine sofortige Beschwerde eingelegt hat.

Nach § 66 Abs. 2 ZPO kann die Nebenintervention in jeder Lage des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung, auch in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels, erfolgen. Da eine sofortige Beschwerde nur von einem Prozeßbeteiligten eingelegt werden kann, hängt ihre Zulässigkeit im Falle der Einlegung durch einen Streithelfer davon ab, ob dieser rechtzeitig und wirksam dem Rechtsstreit beigetreten ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.3.1994 - IX ZR 152/93, NJW 1994, 1537; Urt. v. 16.1.1997 - I ZR 208/94, VersR 1997, 1020 f.). Im Streitfall ist der Beitritt rechtzeitig und wirksam erfolgt. Der Beitritt kann mit der Einlegung des Rechtsmittels verbunden werden (§ 66 Abs. 2, § 70 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Er muß dann allerdings auch den inhaltlichen Anforderungen des § 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 3 ZPO genügen. Denn Beitritt und Rechtsmitteleinlegung sind zwei selbständige Prozeßhandlungen, deren Wirksamkeit je für sich gesondert zu beurteilen ist (BGH VersR 1997, 1020, 1021). Nach § 70 Abs. 1 Satz 2 ZPO muß ein Beitrittsschriftsatz die Bezeichnung der Parteien - insbesondere derjenigen, auf deren Seite der Beitritt erfolgen soll - und des Rechtsstreits, an dem der Beitretende sich beteiligen will (Nr. 1), die bestimmte Angabe des Interesses, das dem Beitritt zugrunde liegt (Nr. 2) sowie die Erklärung des Beitritts enthalten (Nr. 3).

Diesen inhaltlichen Anforderungen genügt die von der Streithelferin eingereichte Beschwerdeschrift vom 26. August 1999. Die Parteien und ihre Rollen in dem Rechtsstreit werden ebenso konkret wie dieser selbst bezeichnet. Das Interesse der Streithelferin am Ausgang des Rechtsstreits folgt aus der Feststellung des Berufungsgerichts, daß die von der Klägerin eingelegte Berufung wegen Versäumung der Berufungsfrist nicht zulässig sei und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne. Die Streithelferin muß danach gewärtigen, daß die Klägerin sie in Regreß nimmt, wenn die Entscheidung des Berufungsgerichts rechtskräftig wird.

2. Die von der Streithelferin eingelegte sofortige Beschwerde ist begründet.

a) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Diese Voraussetzung hat das Berufungsgericht als nicht erfüllt angesehen. Es hat angenommen, die Klägerin habe den Grund für die Fristversäumung nicht glaubhaft gemacht (§ 236 Abs. 2 ZPO). Die Richtigkeit ihrer Behauptung, wonach die Fristversäumung darauf beruhe, daß im Fristenkalender eine Notfrist für den 16. April 1999 notiert, aber versehentlich gestrichen worden sei, werde zwar in den eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwältin L. und der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten K. bestätigt. Gegen deren Darstellungen spreche jedoch der Inhalt des auszugsweise vorgelegten Fristenkalenders. Darin sei für den 16. April 1999 keine Frist mit dem maßgeblichen Aktenzeichen L 136/98 notiert gewesen. Die Klägerin habe nicht dargetan, weshalb dies nicht geschehen sei. Ein etwaiges Verschulden der Bevollmächtigten stehe gemäß § 85 Abs. 2 ZPO dem Verschulden der Partei gleich.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dem Berufungsgericht kann nicht darin beigetreten werden, daß die Klägerin den Grund für die Fristversäumung nicht gemäß § 236 Abs. 2 ZPO glaubhaft gemacht habe.

Nach § 294 Abs. 1 ZPO kann die Glaubhaftmachung einer tatsächlichen Behauptung durch Abgabe einer Versicherung an Eides Statt erfolgen. Sie muß eine eigene Darstellung der glaubhaft zu machenden Tatsachen enthalten und darf sich nicht in einer "glaubhaften" Bezugnahme auf Angaben Dritter oder schriftsätzliches Vorbringen erschöpfen (vgl. BGH, Beschl. v. 13.1.1988 - IVa ZB 13/87, NJW 1988, 2045). Diesen Anforderungen werden die von der Klägerin vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Rechtsanwältin L. und der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten K. gerecht. Denn darin wird im einzelnen dargelegt, daß der Grund für die Fristversäumung in der versehentlichen Streichung der im Fristenkalender ordnungsgemäß notierten Notfrist zur Einlegung der Berufung seitens der Angestellten K. bestanden habe.

Das Berufungsgericht hat eine Glaubhaftmachung des Grundes für die Versäumung der in Rede stehenden Frist gleichwohl verneint, weil gegen die in den eidesstattlichen Versicherungen enthaltenen Darstellungen der Inhalt des auszugsweise vorgelegten Fristenkalenders spreche, in dem für den 16. April 1999 keine Frist mit dem maßgeblichen Aktenzeichen L 136/98 notiert gewesen sei. Gegen diese Beurteilung wendet sich die sofortige Beschwerde mit Erfolg.

Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Grundes für die streitgegenständliche Fristversäumung überspannt. Es hat schon nicht genügend berücksichtigt, daß hierfür bereits die beiden eidesstattlichen Versicherungen ohne den in Fotokopie vorgelegten Auszug aus dem Fristenkalender genügt hätten. Zudem sind die auf der vorgelegten Fotokopie enthaltenen Eintragungen im Fristenkalender für den 16. April 1999 nicht eindeutig zu entziffern. Das gilt insbesondere für die in der rechten Spalte an dritter Stelle enthaltene Eintragung, die es nicht ausgeschlossen erscheinen läßt, daß es sich dabei um das Aktenzeichen "L 136/98" handelt. Unter diesen Umständen durfte das Berufungsgericht die Glaubhaftigkeit der in den beiden eidesstattlichen Versicherungen enthaltenen Angaben nicht in Zweifel ziehen.

Der Klägerin kann daher die begehrte Wiedereinsetzung nicht mit den Gründen des angefochtenen Beschlusses verweigert werden. Den Fehler der Rechtsanwalts- und Notariatsfachangestellten K. braucht sie sich nicht wie eigenes Verschulden zurechnen zu lassen.

b) Die Wiedereinsetzung kann der Klägerin auch nicht wegen eines anderen Verschuldens ihrer erstinstanzlichen Korrespondenzanwälte, ohne das die Fristversäumung möglicherweise hätte verhindert werden können, versagt werden. Dieses kann insbesondere nicht in dem System der Fristennotierung in dem dafür vorgesehenen Kalender erblickt werden.

Für die Handhabung der Fristennotierung ist weder ein bestimmtes Verfahren vorgeschrieben noch allgemein üblich. Auch im anwaltlichen Schrifttum wird eine bestimmte Art der Kennzeichnung etwa von Berufungs- und Berufungsbegründungsfristen nicht empfohlen oder als üblich bezeichnet (vgl. Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 3. Aufl., S. 400 f.; Commichau, Die anwaltliche Praxis in Zivilsachen, 3. Aufl., S. 75, 82 f.; Tieling u.a., AnwBl 1978, 88). Es entspricht allerdings gefestigter Rechtsprechung, daß Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen so notiert werden müssen, daß sie sich von gewöhnlichen Wiedervorlagefristen deutlich abheben (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - VIII ZR 84/88, NJW 1989, 2393, 2394 m.w.N.). Im Streitfall ist indes nichts dafür ersichtlich, daß das in der Kanzlei der Korrespondenzanwälte der Klägerin praktizierte System diesem Erfordernis nicht genügt. Aus den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen ergibt sich vielmehr, daß es in der Vergangenheit ein ähnliches Vorkommnis wie im vorliegenden Fall noch nicht gegeben hat. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, daß die Handhabung der Fristennotierung in der Kanzlei der Korrespondenzanwälte der Klägerin generell besonders fehleranfällig ist.

Der Klägerin war daher die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung zu gewähren.

Ende der Entscheidung

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