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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.09.1998
Aktenzeichen: I ZB 33/98
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233 Fd
ZPO § 233 Fd

Auch in Kanzleien, in denen sich Rechtsanwälte und Patentanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengeschlossen haben, sind in nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung zu behandelnden Sachen für die Fristenwahrung die insoweit von der Rechtsprechung geforderten Sorgfaltsmaßstäbe anzuwenden (hier: Eintragung der Berufungsbegründungsfrist bei oder alsbald nach Einreichung der Berufungsschrift).

BGH, Beschl. v. 17. September 1998 - I ZB 33/98 - OLG München LG München I


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

I ZB 33/98

vom

17. September 1998

in der Beschwerdesache

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Prof. Dr. Mees, Dr. v. Ungern-Sternberg, Dr. Bornkamm und Pokrant

beschlossen:

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 28. April 1998 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 100.000,-- DM festgesetzt.

Gründe:

I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche auf Unterlassung, Schadensersatz, Feststellung und Auskunft geltend, die sie auf Verletzung von Markenrechten und Wettbewerbsverstöße stützt. Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 28. Januar 1998 abgewiesen. Gegen dieses am 4. Februar 1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. Februar 1998 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist erst am 14. April 1998 eingegangen.

Die Klägerin hat mit einem am 31. März 1998 bei dem Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Sie hat zur Begründung vorgetragen: Das Fristenwesen der Kanzlei ihrer Prozeßbevollmächtigten, Patent- und Rechtsanwälte, sei so organisiert, daß die Frist zur Berufungseinlegung im Fristenbuch nicht bei Einlegen der Berufung gestrichen, sondern zunächst die Mitteilung des Oberlandesgerichts über den Eingangszeitpunkt der Berufungsschrift abgewartet werde. So sei auch am 2. März 1998 bei Eingang der Mitteilung verfahren worden. Eine der Anwältinnen der Kanzlei im Büro ihrer Prozeßbevollmächtigten habe die sonst selbständig und immer zuverlässig arbeitende erfahrene Angestellte bei Eingangsmitteilung - in Übereinstimmung mit der Kanzleiorganisation - angewiesen, für die Berufungsbegründung eine Frist zum 23. März 1998 und eine Vorfrist von zwei Wochen einzutragen. Aufgrund einer persönlichen Ausnahmesituation der Angestellten sei die Eintragung dieser Fristen unterblieben, so daß die Akten nicht rechtzeitig vorgelegt worden seien.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.

II. Die nach § 238 Abs. 2, § 519 b Abs. 2, § 547 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung gemäß § 233 ZPO zutreffend verneint, weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem Verschulden der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beruht, das diese sich gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muß. Dazu hat es ausgeführt: In dem Büro der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin habe keine allgemeine Anweisung bestanden, den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist - wie geboten - schon in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Rechtsmitteleinlegung im Fristenkalender zu vermerken. Diese sei erst nach Vorlage der Eingangsbestätigung über den Zeitpunkt der Einreichung der Berufung einzutragen gewesen, wozu Mitarbeiter der Kanzlei angewiesen worden seien. Trotz des Versehens der Kanzleikraft im konkreten Fall wäre es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gekommen, wenn ihr mutmaßliches Ende bereits im Zusammenhang mit der Einreichung der Berufungsschrift im Fristenkalender vermerkt worden wäre, zumal hier das vorläufig vermerkte Datum des Eingangs der Berufungsschrift mit dem wirklichen Eingangsdatum, dem 23. Februar 1998, übereingestimmt hätte.

2. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Einwendungen der Klägerin greifen nicht durch. Sie meint, in einer Kanzlei, in der neben den Rechtsanwaltsfristen eine Vielzahl von Fristen im Patentanwaltsbereich, insbesondere gegenüber dem Deutschen und Europäischen Patentamt, zu überwachen seien, sei die von ihren Prozeßbevollmächtigten eingeführte Organisation der Fristenkontrolle sinnvoll, zuverlässig und ausreichend. Im Interesse einer gleichmäßigen Handhabung der Fristenkontrolle im Rechtsanwalts- und im Patentanwaltsbereich, in dem die Begründungsfristen bereits mit dem Zugang der angefochtenen Entscheidung zu laufen beginnen, sei die Eintragung der Berufungsbegründungsfrist im zeitlichen Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung nicht zweckmäßig, da es zu Verwechslungen kommen könne. Auch habe das von ihren Prozeßbevollmächtigten angewandte System gegenüber den vom Berufungsgericht geprüften - für reine Rechtsanwaltskanzleien aufgestellten - Erfordernissen den Vorteil, daß es ohne das zu Zweifelsfällen führende Notieren vorläufiger Fristen auskomme, und zum anderen auch erlaube zu prüfen, ob die Berufungsschrift bei einer vorzeitig eingelegten Berufung tatsächlich innerhalb der Frist beim Oberlandesgericht eingegangen sei. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden.

Zwar kann, wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist, ein Rechtsanwalt die Führung des Fristenkalenders und auch die Berechnung der üblichen, in seiner Praxis häufig vorkommenden Fristen seinem gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Büropersonal überlassen. Er muß aber durch geeignete allgemeine Anweisungen auf einen verläßlichen, Fristversäumnisse möglichst vermeidenden Geschäftsgang hinwirken. Im Hinblick auf die Wahrung der Berufungsbegründungsfrist ist in der Rechtsprechung seit langem anerkannt, daß nicht die Nachricht des Berufungsgerichts abgewartet werden darf, in der der Tag des Eingangs der Berufungsschrift mitgeteilt wird. Das mutmaßliche Ende der Frist muß vielmehr schon früher vermerkt werden, nämlich bei oder alsbald nach Einreichung der Berufungsschrift. Ein solcher Vermerk ist zu überprüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, wenn später das genaue Eingangsdatum der Berufungsschrift durch die gerichtliche Mitteilung bekannt wird (st. Rspr.; z.B. BGH, Beschl. v. 20.5.1992 - XII ZB 43/92, VersR 1993, 378; Beschl. v. 13.6.1996 - VII ZB 7/96, NJW 1996, 2514; Beschl. v. 6.5.1997 - VI ZB 12/97, NJW-RR 1997, 1153). Der Zugang dieser lediglich bestätigenden Mitteilung ist für den Lauf der Berufungsbegründungsfrist bedeutungslos; sie erleichtert dem Prozeßbevollmächtigten des Berufungsklägers lediglich eine vor allem ihm obliegende Aufgabe, sich über das Datum des Eingangs der Berufungsschrift zu vergewissern.

Im vorliegenden Fall hat die Mitarbeiterin der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nach deren allgemeinen Anweisungen das mutmaßliche Ende der Berufungsbegründungsfrist nicht schon bei oder alsbald nach Einlegung der Berufung notiert. Wäre der Fristablauf in diesem Zeitpunkt festgehalten und später überwacht worden, so hätte es nicht zu der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kommen können, wie in dem angefochtenen Beschluß zutreffend festgestellt ist. Die dagegen von der Klägerin erhobenen Einwendungen geben keinen Anlaß, die gefestigten Rechtsprechungsgrundsätze einzuschränken. Insbesondere erscheint es nicht gerechtfertigt, für Kanzleien, in denen Rechtsanwälte und Patentanwälte zur gemeinsamen Berufsausübung zusammengeschlossen sind, aufgrund der von der Klägerin angeführten Besonderheiten bei der Fristenbehandlung andere Sorgfaltsmaßstäbe anzulegen. Es ist vielmehr Sache der Kanzleiorganisation, hier für eine sachgerechte Trennung der Bearbeitung zu sorgen, so daß in Verfahren, für die die Zivilprozeßordnung gilt, die Anforderungen gewahrt werden können, die nach der Rechtsprechung bei der Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln insoweit zu beachten sind. Daß das von den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin angewandte System überlegen wäre, weil es das Notieren vorläufiger Fristen überflüssig mache, kann nicht anerkannt werden. Vielmehr wird im Gegenteil durch die Eintragung vorläufiger Fristen sowohl eine Fristwahrung als auch eine zusätzliche Kontrolle beim Eingang der Nachricht über die Rechtsmitteleinlegung für den Fall erreicht, daß die Berufungsbegründungsfrist zunächst, aus welchen Gründen auch immer, nicht eingetragen worden ist. Sie führt danach zu einer doppelten Kontrolle.

Wegen dieses (ursächlichen) Organisationsverschuldens der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, daß, wie der glaubhaft gemachte Vortrag ergibt, der sonst zuverlässig arbeitenden und erfahrenen Mitarbeiterin die Anweisung zum Eintragen der Frist erteilt worden war, die jene dann jedoch versehentlich nicht beachtet hatte.

Die sofortige Beschwerde war deshalb auf Kosten der Klägerin (§ 97 Abs. 1 ZPO) zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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