Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 20.05.1999
Aktenzeichen: I ZR 126/97
Rechtsgebiete: UWG, ZPO


Vorschriften:

UWG § 13 Abs. 2 Nr. 1
UWG § 3
ZPO § 92 Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 126/97

Verkündet am: 20. Mai 1999

Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 1999 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Prof. Dr. Mees, Dr. v. Ungern-Sternberg, Dr. Bornkamm und Pokrant

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. April 1997 im Kostenpunkt und im Umfang der Annahme der Revision (hinsichtlich der Verurteilung der Beklagten gem. Tenor I 1 a und des hierauf rückbezogenen Urteilsausspruchs gem. Tenor I 2 und II) aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird auf die Berufung der Beklagten das Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Aachen vom 26. Juli 1996 abgeändert und die Klage auch insoweit abgewiesen.

Die Kosten des ersten Rechtszuges hat die Klägerin zu 85 %, die Beklagte zu 15 % zu tragen.

Die Kosten des zweiten Rechtszuges werden der Klägerin zu 76 %, der Beklagten zu 24 % auferlegt.

Die Gerichtskosten der Revision hat die Klägerin zu 82 %, die Beklagte zu 18 % zu tragen.

Die außergerichtlichen Kosten der Revision werden der Klägerin zu 74 %, der Beklagten zu 26 % auferlegt.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien sind Wettbewerber bei dem Vertrieb von Geräten der Unterhaltungselektronik im Einzelhandel.

Am 24. Juli 1995 war der "A. zeitung" unter der Überschrift "COMPUTER-NEWS" eine mehrseitige Werbebeilage der Beklagten beigefügt, in der rund 100 EDV-Artikel (Computer, Drucker, Monitore, Zubehör, Software) beworben waren. Auf der Titelseite befand sich der Hinweis "Sommer 1995".

Die Klägerin hat verschiedene Werbeaussagen der Beilage angegriffen. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, nachdem das Landgericht und das Berufungsgericht die Klage hinsichtlich weitergehender Ansprüche abgewiesen haben und nachdem der Senat durch Beschluß vom 26. März 1998 die Revision nur zum Teil angenommen hat, nur noch die Verurteilung wegen Irreführung infolge fehlender Vorratshaltung.

Die Klägerin hat Unterlassung der Werbung, Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz und Auskunftserteilung begehrt. Sie hat geltend gemacht, die Beklagte habe in der Werbebeilage, die für den ganzen Sommer 1995 gegolten habe, irreführend geworben, weil bei einem Testkauf am 8. August 1995 - und damit 15 Tage nach Erscheinen der Werbung - der auf der Vorderseite der Werbebeilage abgebildete "Pentium 75-CD Minitower" und weitere, im Innern der Beilage angebotene Geräte nicht vorrätig gewesen seien.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat vorgebracht, die Verbrauchererwartung gehe nicht dahin, daß sie noch 14 Tage nach Erscheinen der in Rede stehenden Werbebeilage die Ware vorrätig habe.

Das Landgericht hat dem auf die fehlende Bevorratung bezogenen Unterlassungsbegehren stattgegeben und die Beklagte insoweit auch zur Auskunftserteilung verurteilt sowie eine Schadensersatzverpflichtung festgestellt.

Die Berufung blieb insoweit im wesentlichen ohne Erfolg.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat das Unterlassungsbegehren der Klägerin unter Beschränkung des Verbots auf Artikel des Computer-Sortiments wegen Irreführung über die Erhältlichkeit der beworbenen Geräte als begründet angesehen. Es hat dazu ausgeführt:

Der Verkehr, der durch die Werbebeilage angelockt worden sei, erwarte, daß die dort beworbenen Artikel auch tatsächlich zur Mitnahme und mithin auch noch etwa 15 Tage nach Erscheinen der Beilage vorhanden seien. Die Broschüre erwecke den Eindruck, daß die Beklagte die angebotenen Artikel generell und über längere Zeit zur Verfügung habe. Denn umfassende Angebote, wie sie in der Beilage enthalten seien, würden erfahrungsgemäß nicht kurzfristig wechseln. Hinzu komme, daß die Werbebeilage den Aufdruck "Sommer 1995" trage und auch erkennbar zur Herausnahme und zum Aufheben bestimmt gewesen sei. Der Verkehr erwarte, daß ein entsprechend großes Lager betrieben oder jedenfalls für einen erforderlichen Nachschub gesorgt werde.

Die vor dem Landgericht durchgeführte Beweisaufnahme habe ergeben, daß die acht in dem Unterlassungsgebot aufgeführten Geräte am 8. August 1995 und damit am 15. Tag nach Erscheinen der Werbung nicht mehr sofort verfügbar gewesen seien.

II. Die Revision hat, soweit sie zur Entscheidung angenommen worden ist, Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Abweisung der Klage, soweit die Beklagte gemäß dem Tenor zu I 1 a zur Unterlassung und der hierauf bezogenen Auskunftserteilung verurteilt und eine Schadensersatzverpflichtung festgestellt worden ist.

1. Der Klägerin, die aufgrund der vom Berufungsgericht im Rahmen der Prüfung des § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG getroffenen Feststellungen bereits unmittelbar aus § 3 UWG klagebefugt ist (vgl. BGH, Urt. v. 5.3.1998 - I ZR 229/95, GRUR 1998, 1039, 1040 = WRP 1998, 973 - Fotovergrößerungen), steht der noch im Streit befindliche Unterlassungsanspruch nicht zu. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht dadurch in irreführender Weise geworben (§ 3 UWG), daß sie in der am 24. Juli 1995 verteilten Werbebeilage Geräte angeboten hat, die beim Testkauf am 8. August 1995 nicht vorhanden waren.

a) Das Berufungsgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, daß eine Werbung grundsätzlich als irreführend zu beurteilen ist, wenn die beworbenen Waren, die - wie hier - zum persönlichen Gebrauch bestimmt sind, entgegen der Verbrauchererwartung zu dem angekündigten Zeitpunkt nicht oder nicht in gewünschter Menge vorrätig sind und von den Interessenten im Verkaufslokal erworben werden können (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 9.5.1996 - I ZR 107/94, GRUR 1996, 800, 801 = WRP 1996, 899 - EDV-Geräte, m.w.N.). Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, daß die Verbraucher nach der Lebenserfahrung nicht stets und ohne jede Einschränkung erwarten, z.B. auch nach den Kundenwünschen jeweils individuell zu konfigurierende, wenig auffällig beworbene Computer am Tag der Werbung im Ladengeschäft zur sofortigen Mitnahme vorzufinden (BGH, Urt. v. 10.12.1998 - I ZR 141/96, WRP 1999, 421, 423 - Vorratslücken).

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, der Verkehr erwarte, daß die Beklagte die in ihrer Werbebeilage beworbenen Artikel den ganzen Sommer 1995 über zur sofortigen Mitnahme vorrätig halte, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Berufungsgericht hat bereits nicht hinreichend berücksichtigt, daß sich die Erwartung des Verkehrs hinsichtlich der Lieferbarkeit beworbener Waren einer schematischen Beurteilung entzieht. Die Verkehrserwartung wird maßgebend durch die Umstände des Einzelfalls beeinflußt, insbesondere durch den Inhalt, den Umfang und die konkrete Werbung, die Art der angebotenen Waren sowie die Bedeutung des werbenden Unternehmens (vgl. BGH, Urt. v. 4.6.1986 - I ZR 43/84, GRUR 1987, 52, 53 = WRP 1987, 101 - Tomatenmark; Urt. v. 30.3.1989 - I ZR 33/87, GRUR 1989, 609, 610 = WRP 1989, 570 - Fotoapparate). Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht die Besonderheiten der in Rede stehenden Werbebeilage nicht hinreichend berücksichtigt hat. Die Angabe "SOMMER 1995" ist vorliegend zwar nicht ohne jede Bedeutung. Bei Werbebeilagen mit einer längeren Gültigkeitsdauer - hier Sommer 1995 - ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung ähnlich wie bei Katalogen zunächst davon auszugehen, daß die Werbeangaben in der Regel für die genannte Zeitdauer gelten sollen, d.h., daß die angebotenen Artikel zu den angegebenen Preisen während der Gültigkeitsdauer der Werbeunterlage lieferbar sind. Eine solche auf die grundsätzliche Lieferbarkeit bezogene Verkehrserwartung schließt indessen nicht ohne weiteres auch die Erwartung ein, daß alle angebotenen Artikel während der gesamten Zeitdauer zur sofortigen Mitnahme bereit gehalten werden. Der Verkehr weiß, daß z.B. bei Jahreskatalogen oder bei Katalogen mit einer auf eine Jahreszeit beschränkten Gültigkeitsdauer nicht stets alle angebotenen Waren sofort lieferbar sind, sondern erst bestellt werden müssen. Nichts anderes erwartet er bei Werbebeilagen, in denen eine Vielzahl von Artikeln - hier rd. 100 - angeboten werden. Er weiß, daß vor allem die als besonders attraktiv herausgestellten Artikel - wie hier der auf der ersten Seite der Beilage angebotene Minitower "zum Wahnsinnspreis" - starkes Interesse finden und daher vorübergehend auch vergriffen sein können und nachbestellt werden müssen. Ein anderes Verständnis wäre realitätsfremd, sofern es nicht durch den Inhalt und die Ausgestaltung der konkreten Werbung eindeutig nahegelegt wird. Das ist hier nicht der Fall. Der Hinweis "SOMMER 1995" ist neben der Überschrift "COMPUTER-NEWS" drucktechnisch eher unauffällig gestaltet. Es finden sich keinerlei Anhaltspunkte, die den Verkehr zu der Annahme veranlassen könnten, mit dem Hinweis sei nicht nur die zeitliche Dauer der grundsätzlichen Lieferbarkeit angesprochen, sondern auch die Zusicherung gegeben, alle Artikel über einen mehrmonatigen Zeitraum jederzeit und zur sofortigen Mitnahme erwerben zu können, zumal die beworbenen EDV-Artikel aus sich heraus auch keinen bestimmten Bezug zum Sommer haben.

Allerdings erwartet der Verkehr bei Werbebeilagen eine sofortige Lieferbarkeit jedenfalls zum Zeitpunkt ihres Erscheinens (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.1987 - I ZR 95/85, GRUR 1988, 311 f. = WRP 1987, 670 - Beilagen-Werbung) und für eine gewisse Zeit danach. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist dieser Zeitraum bei Werbebeilagen grundsätzlich länger zu bemessen als bei der Anzeigenwerbung in einer Tageszeitung, die nur einen kurzfristigen Aufmerksamkeitswert hat. Maßgebend sind die dem Verkehr bekannten Werbegepflogenheiten und die Art der beworbenen Waren. Die Revision weist insoweit zu Recht darauf hin, daß sich der Verkehr inzwischen an eine Flut von Werbebeilagen - auch der großen Wettbewerber auf dem EDV-Markt - gewöhnt hat, die oft in ein- oder zweiwöchigem Rhythmus erscheinen. Es entspricht auch der allgemeinen Lebenserfahrung, daß gerade der EDV-Markt von einer schnellen Weiterentwicklung mit ständig wechselnden Angeboten gekennzeichnet ist, so daß entsprechende Werbebeilagen nur ein begrenztes Aktualitätsinteresse haben und deshalb in der Regel auch nur vorübergehend aufbewahrt werden. Der Interessent eines EDV-Gerätes kann und wird erwarten, daß die in einer Werbebeilage angebotenen - keine längerdauernde Konfiguration erfordernden - Geräte jedenfalls grundsätzlich innerhalb eines Zeitraums von einer Woche nach Erscheinen der Beilage zur sofortigen Mitnahme zur Verfügung stehen; denn er wird die aktuellen Angebote in derartigen Werbebeilagen, die er der Zeitung entnehmen und gesondert aufbewahren kann, zumindest an einem Wochenende miteinander vergleichen und sich danach entscheiden und den Artikel gegebenenfalls erwerben wollen (vgl. BGH, Urt. v. 4.2.1999 - I ZR 71/97 - Werbebeilage). Aus dem Inhalt der Werbebeilage und der Art der beworbenen Artikel ergeben sich aus der Sicht des Verkehrs keine Anhaltspunkte dafür, daß vorliegend die Festlegung eines längeren Zeitraums notwendig sein könnte.

c) Danach kann die Verurteilung gemäß dem Tenor zu I 1 a nicht aufrechterhalten bleiben; denn die Geräte, die Gegenstand dieses Antrags sind, waren beim Testkauf am 8. August 1995 und damit 15 Tage nach Erscheinen der Beilage nicht vorrätig.

2. Damit entfallen auch die auf das Unterlassungsbegehren bezogenen Ansprüche auf Auskunftserteilung und Feststellung der Schadensersatzverpflichtung.

III. Danach war auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil in dem angenommenen Umfang aufzuheben und auf die Berufung der Beklagten unter weiterer Abänderung des Urteils des Landgerichts die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 92 Abs. 1 und § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück