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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 21.02.2008
Aktenzeichen: I ZR 128/05
Rechtsgebiete: HGB, BGB


Vorschriften:

HGB § 425 Abs. 1
HGB § 435
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 128/05

Verkündet am: 21. Februar 2008

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2008 durch die Richter Dr. Bergmann, Pokrant, Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Juli 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungsgericht über einen Betrag von 31.162,99 € nebst 5% Zinsen seit dem 29. Mai 2002 hinaus zum Nachteil der Beklagten erkannt und dabei ein Mitverschulden verneint hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision einschließlich des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Transportversicherer der P. GmbH in Schwabach (im Folgenden: Versenderin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht der Versenderin wegen Verlusts von Transportgut in 56 Fällen auf Schadensersatz in Anspruch. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind nur die Schadensfälle 1, 14, 23, 25, 30, 31, 33 und 35.

Schadensfall 1: Am 11. Januar 2000 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Frankfurt a.M. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 514,93 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 8.330,37 € Schadensersatz.

Schadensfall 14: Am 7. April 2000 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Frankfurt a.M. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 515,32 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 12.518,98 € Schadensersatz.

Schadensfall 23: Am 29. Mai 2000 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Bochum. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 514,28 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 2.555,44 € Schadensersatz.

Schadensfall 25: Am 6. Juni 2000 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Frankfurt a.M. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 514,28 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 8.613,17 € Schadensersatz.

Schadensfall 30: Am 13. Juli 1999 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Hemer. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 511,29 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 2.052,23 € Schadensersatz.

Schadensfall 31: Am 15. Juli 1999 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Köln. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 511,29 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 3.375,86 € Schadensersatz.

Schadensfall 33: Am 23. Juli 1999 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Celle. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 511,29 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 2.209,23 € Schadensersatz.

Schadensfall 35: Am 20. August 1999 übergab die Versenderin der Beklagten ein Paket zur Beförderung nach Oberhausen. Das Paket ging auf dem Transport verloren. Die Beklagte hat 511,29 € ersetzt. Die Klägerin verlangt weitere 3.308,75 € Schadensersatz.

Den Transportaufträgen lagen die Beförderungsbedingungen der Beklagten (Stand Februar 1998) zugrunde, die auszugsweise folgende Regelungen enthielten:

"...

10. Haftung

In den Fällen, in denen das WA oder das CMR-Abkommen nicht gelten, wird die Haftung von U. durch die vorliegenden Beförderungsbedingungen geregelt. U. haftet bei Verschulden für nachgewiesene direkte Schäden bis zu einer Höhe von ... DM 1.000 pro Sendung in der Bundesrepublik Deutschland oder bis zu dem nach § 54 ADSp ... ermittelten Erstattungsbetrag, je nachdem, welcher Betrag höher ist, es sei denn, der Versender hat, wie im Folgenden beschrieben, einen höheren Wert angegeben.

Die Wert- und Haftungsgrenze wird angehoben durch die korrekte Deklaration des Werts der Sendung. ... Diese Wertangabe gilt als Haftungsgrenze. Der Versender erklärt durch die Unterlassung der Wertangabe, dass sein Interesse an den Gütern die oben genannte Grundhaftung nicht übersteigt.

...

Vorstehende Haftungsbegrenzungen gelten nicht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit von U. , seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen.

...".

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den Verlust des Transportgutes in voller Höhe, da sie mangelhaft organisiert sei. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass die Beklagte den Verbleib der abhandengekommenen Pakete nicht aufklären könne.

Die Klägerin hat hinsichtlich der im Revisionsverfahren noch anhängigen Schadensfälle beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 42.964,03 € nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat geltend gemacht, die Klägerin müsse sich ein die Haftung ausschließendes Mitverschulden der Versenderin zurechnen lassen, weil diese eine Wertdeklaration unterlassen habe. Im Falle der Wertdeklaration behandele sie die Pakete sorgfältiger, sofern deren Wert 2.500 € übersteige.

Das Landgericht hat der Klage hinsichtlich der streitgegenständlichen Schadensfälle stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Der Senat hat die Revision der Beklagten beschränkt auf die Schadensfälle 1, 14, 23, 25, 30, 31, 33 und 35 und insoweit beschränkt auf das Mitverschulden zugelassen. In diesem Umfang verfolgt die Beklagte mit ihrer Revision ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Pakete nach § 425 Abs. 1, § 435 HGB angenommen. Zur Begründung hat es - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - ausgeführt:

Ein Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB an dem Verlust der Pakete sei der Klägerin nicht zuzurechnen. Dies folge schon daraus, dass die Versenderin keine Kenntnis davon gehabt habe, dass die Pakete im Falle einer Wertdeklaration sorgfältiger behandelt worden wären. Eine solche Kenntnis einer erhöhten Transportsicherheit im Falle der Wertdeklaration sei der Versenderin auch nicht durch die Allgemeinen Beförderungsbedingungen vermittelt worden. Überdies komme ein Mitverschulden der Versenderin auch deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte nicht dargetan habe, auf welche Weise Wertpakete im EDI-Verfahren mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert würden.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Sie führen im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt in den Schadensfällen 1, 14, 23, 25, 30, 31, 33 und 35 ein Mitverschulden der Versenderin in Betracht.

1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Mitverschuldenseinwand auch im Falle des qualifizierten Verschuldens i.S. von § 435 HGB zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00, TranspR 2003, 467, 471 = NJW 2003, 3626; Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 4/04, TranspR 2006, 116, 117 m.w.N.).

2. Dem Berufungsgericht kann jedoch nicht in seiner Annahme beigetreten werden, ein Mitverschulden der Versenderin gemäß § 254 Abs. 1 BGB (§ 425 Abs. 2 HGB) wegen Unterlassens einer Wertdeklaration komme nicht in Betracht, weil eine Kenntnis der Versenderin, dass im Falle der Wertdeklaration von der Beklagten Maßnahmen ergriffen worden wären, die die Beförderungssicherheit erhöht hätten, nicht festgestellt werden könne. Nach der Rechtsprechung des Senats kann ein Mitverschulden schon dann zu berücksichtigen sein, wenn die Versenderin die sorgfältigere Behandlung von Wertpaketen durch den Transporteur hätte erkennen müssen (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 284/02, TranspR 2006, 202, 204; Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 46/04, TranspR 2006, 205, 206). Von einem Kennenmüssen der Anwendung höherer Sorgfalt bei korrekter Wertangabe kann im Allgemeinen ausgegangen werden, wenn sich aus den Beförderungsbedingungen des Transporteurs ergibt, dass er für diesen Fall bei Verlust oder Beschädigung des Gutes höher haften will. Diese Kenntnis wurde, wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, der Versenderin durch Nummer 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten vermittelt (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 85/04, TranspR 2006, 166, 168; Urt. v. 19.1.2006 - I ZR 80/03, TranspR 2006, 121, 123 = VersR 2006, 953; Urt. v. 3.5.2007 - I ZR 106/05, TranspR 2007, 421 Tz. 22).

3. Das Berufungsgericht hat auch zu Unrecht angenommen, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beklagte Pakete bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandele, also besonderen Sicherungen unterstelle, wenn der Paketwert 2.500 € übersteige.

a) Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Beklagte nicht dargetan, auf welche Weise sie sicherstelle, dass Wertpakete auch im EDI-Verfahren mit erhöhter Beförderungssicherheit transportiert würden. Die von ihr vorgetragenen Kontrollen bei der Beförderung von Wertpaketen könnten nicht umgesetzt werden, wenn Kunden, die am EDI-Verfahren teilnähmen, bei der Eingabe der Paketdaten zwar eine Wertdeklaration vornähmen, das wertdeklarierte Paket dann aber zusammen mit anderen Paketen in den Feeder gäben. Denn das Paket werde dann weiterhin wie eine Standardsendung befördert. Soweit die Beklagte in anderen Verfahren hierzu ausgeführt habe, der EDI-Kunde müsse dem Fahrer wertdeklarierte Pakete gesondert übergeben, fehle es vorliegend an näherem Vortrag dazu, wie sie die Versenderin hierüber informiert habe. Unabhängig davon könnten die vorgetragenen Sicherungsmaßnahmen im EDI-Verfahren nicht durchgeführt werden, weil keine Versanddokumente in Papierform existierten.

b) Mit dieser Begründung kann ein Mitverschulden der Versenderin wegen des Unterlassens einer Wertdeklaration in den noch streitgegenständlichen Schadensfällen nicht verneint werden. Zwar hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die von der Beklagten vorgetragenen Kontrollen bei der Beförderung von Wertpaketen nicht umgesetzt werden können, wenn Kunden, die am EDI-Verfahren teilnehmen, bei der Eingabe der Paketdaten eine Wertdeklaration vornehmen, das wertdeklarierte Paket dann aber zusammen mit anderen Paketen in den Feeder geben. Eine gesonderte Behandlung ist aber im Falle einer separaten Übergabe an den Fahrer möglich (BGH, Urt. v. 20.7.2006 - I ZR 9/05, NJW-RR 2007, 28 Tz. 32 = TranspR 2006, 394). Da dies offenkundig ist, war dieser Umstand auch ohne einen ausdrücklichen Vortrag der Beklagten hierzu zu berücksichtigen (vgl. auch BGH, Urt. v. 3.5.2007 - I ZR 85/05, TranspR 2007, 419 Tz. 22; Urt. v. 30.1.2008 - I ZR 165/04).

Der Annahme eines Mitverschuldens steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte die Versenderin hierüber nicht informiert hat. Wenn - was mangels gegenteiliger Feststellungen des Berufungsgerichts zugunsten der Beklagten zu unterstellen ist - die konkrete Ausgestaltung des Versandverfahrens dem Absender keinerlei Anhaltspunkte bietet, auf welche Weise wertdeklarierte Pakete einem besonders kontrollierten Transportsystem zugeführt werden, hat er selbst Maßnahmen zu ergreifen, um auf eine sorgfältigere Behandlung des wertdeklarierten Pakets aufmerksam zu machen (vgl. BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32). Von einem schadensursächlichen Mitverschulden der Versenderin ist deshalb auszugehen, weil sie hätte erkennen können, dass eine sorgfältigere Behandlung durch die Beklagte nur gewährleistet ist, wenn wertdeklarierte Pakete nicht mit anderen Paketen in den Feeder gegeben, sondern dem Abholfahrer der Beklagten separat übergeben werden. Dass eine solche gesonderte Übergabe an den Abholfahrer erforderlich ist, liegt angesichts der Ausgestaltung des vorliegend angewandten Verfahrens, das im beiderseitigen Interesse der Beschleunigung des Versands darauf angelegt ist, dass Paketkontrollen zunächst unterbleiben (vgl. BGH, Urt. v. 4.5.2005 - I ZR 235/02, TranspR 2005, 403, 404 = NJW-RR 2005, 1557), für einen ordentlichen und vernünftigen Versender auf der Hand (BGH NJW-RR 2007, 28 Tz. 32).

Da die Pakete im Falle einer erfolgten Wertdeklaration und gesonderten Übergabe an den Abholfahrer im Ergebnis aus dem EDI-Verfahren herausgenommen werden, kann auch nicht aus den Besonderheiten des EDI-Verfahrens als papierloses Verfahren darauf geschlossen werden, dass die vorgetragenen Sicherungsmaßnahmen nicht durchgeführt werden können (vgl. BGH, Urt. v. 30.1.2008 - I ZR 165/04).

4. Das Berufungsgericht wird daher Feststellungen zu dem Vortrag der Beklagten zu treffen haben, dass sie bei Paketwerten von mehr als 2.500 € bei richtiger Wertangabe und entsprechender Bezahlung des höheren Beförderungstarifs ihre Sorgfaltspflichten besser erfüllt hätte. Gelingt der Beklagten dieser Beweis nicht, wird sich das Berufungsgericht in den Schadensfällen 1, 14 und 25 mit dem Einwand des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB (§ 425 Abs. 2 HGB) auseinanderzusetzen haben, der nicht die Feststellung voraussetzt, dass der Frachtführer Wertpakete generell sicherer befördert. Die Kausalität des Mitverschuldens nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB kann nur verneint werden, wenn der Transporteur trotz eines Hinweises auf den ungewöhnlichen Wert des Gutes keine besonderen Maßnahmen ergriffen hätte (BGH, Urt. v. 1.12.2005 - I ZR 265/03, TranspR 2006, 208, 209). Ein ungewöhnlich hoher Schaden im Sinne dieser Vorschrift ist in den Schadensfällen 1, 14 und 25 gegeben, in denen der Wert des Paketinhalts jeweils 5.000 € überstiegen hat (vgl. BGH TranspR 2006, 208, 209).

III. Danach kann das angefochtene Urteil, soweit es mit der Revision angegriffen worden ist, keinen Bestand haben. Es ist daher auf die Revision der Beklagten aufzuheben, soweit das Berufungsgericht in den Schadensfällen 1, 14, 23, 25, 30, 31, 33 und 35 ein Mitverschulden verneint hat. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision einschließlich des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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