Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 18.12.2008
Aktenzeichen: I ZR 128/06
Rechtsgebiete: CMR, VVG


Vorschriften:

CMR Art. 17 Abs. 1
CMR Art. 29
VVG § 67 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 18. Dezember 2008

durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und

die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Bergmann und Dr. Koch

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 15 für Handelssachen, vom 3. Juli 2006 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Assekuradeurin der Transportversicherer der G. GmbH in Hamburg (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen Verlusts von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte im Juni 2005 zu fixen Kosten mit der Beförderung einer aus vier Paketen bestehenden Warensendung von Hamburg nach Luftenberg/Österreich. Die Sendung kam bei der Empfängerin nicht an. Mit Schreiben vom 18. Juni 2005 teilte die Beklagte der Versicherungsnehmerin mit, dass die Sendung beschädigt und der gesamte Inhalt vernichtet worden sei. Die Beklagte hat für den Verlust der Ware an die Versicherungsnehmerin 510,81 EUR gezahlt.

Die Klägerin hat behauptet, in den vier bei der Empfängerin nicht abgelieferten Paketen hätten sich Waren im Gesamtwert von 1.705,26 EUR befunden. Die Transportversicherer der Versicherungsnehmerin hätten für den Verlust der Pakete an die Versicherungsnehmerin unter Berücksichtigung der Ersatzleistung der Beklagten 1.194,45 EUR gezahlt. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hafte für den Verlust der Sendung unbeschränkt, da sie sich zur Ursache des Abhandenkommens unzureichend und widersprüchlich eingelassen habe. Sie hat die Beklagte auf Zahlung von 1.194,45 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen.

Die Beklagte hat demgegenüber die Auffassung vertreten, sie hafte nicht wegen qualifizierten Verschuldens. Die vorprozessuale Mitteilung an die Versicherungsnehmerin sei eine Standarderklärung gewesen, die aufgrund der maschinellen Massenbearbeitung in ungeklärten Fällen an den Geschädigten herausgeschickt werde. Tatsächlich sei die Sendung dadurch in Verlust geraten, dass der Frachtcontainer, in dem sich die Sendung befunden habe, in der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 2005 von einem U. -Gelände am Flughafen Linz von Dritten entwendet worden sei. Dieses Gelände sei gegen Diebstahlsgefahren gesichert.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.

Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Vorinstanzen haben den geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR i.V. mit § 67 Abs. 1 VVG a.F. für begründet erachtet. Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt:

Die von der Klägerin vertretenen Transportversicherer der Versicherungsnehmerin seien aktivlegitimiert. Die Beklagte hafte für den der Versicherungsnehmerin entstandenen Schaden gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR unbeschränkt, weil sie oder der österreichische Lagerhalter, für den die Beklagte einzustehen habe, den Schaden leichtfertig und im Bewusstsein des wahrscheinlichen Schadenseintritts verursacht hätten. Die Beklagte treffe in Bezug auf die näheren Umstände des Schadensfalls eine sekundäre Einlassungsobliegenheit, der sie nicht nachgekommen sei. Ihr Vortrag zu den gegen einen Diebstahl ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen sei lückenhaft. Das rechtfertige den Vorwurf eines qualifizierten Verschuldens.

II.

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.

1.

Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen einer vertraglichen Haftung der Beklagten für den hier in Rede stehenden Verlust von Transportgut nach Art. 17 Abs. 1 CMR bejaht. Es ist dabei zutreffend und von der Revision auch unbeanstandet davon ausgegangen, dass die Beklagte von der Versicherungsnehmerin als Fixkostenspediteurin i.S. von § 459 HGB beauftragt worden ist und sich ihre Haftung demgemäß grundsätzlich nach den Bestimmungen über die Haftung des Frachtführers (Art. 17 ff. CMR) und - aufgrund vertraglicher Einbeziehung - nach ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen richtet.

2.

Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte schulde für den Verlust des Transportgutes gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR Schadensersatz, ohne sich auf die im Gesetz und in ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen vorgesehenen Haftungsbeschränkungen berufen zu können, da sie den streitgegenständlichen Warenverlust leichtfertig und im Bewusstsein verursacht habe, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde.

a)

Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass es der Beklagten oblegen habe, zu den näheren Umständen des Warenverlustes konkret vorzutragen, weil sie vorprozessual eine auch nicht ansatzweise zutreffende Begründung für den eingetretenen Schaden gegeben habe. Dagegen hat die Revision nichts erinnert. Den Vorwurf des qualifizierten Verschuldens hat das Berufungsgericht darauf gestützt, dass die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast betreffend den Ablauf des hier in Rede stehenden Schadensfalls einschließlich der zur Schadensverhinderung getroffenen organisatorischen Kontrollmaßnahmen nicht genügt habe.

b)

Diese Beurteilung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 127, 275, 284 ; 129, 345, 350 f. ; 145, 170, 183 f. ; BGH, Urt. v. 14.6.2006 - I ZR 136/03, VersR 2007, 273 Tz. 13).

aa)

Grundsätzlich ist der Anspruchsteller gehalten, die Voraussetzungen für den Wegfall der zugunsten des Frachtführers bestehenden gesetzlichen oder vertraglichen Haftungsbegrenzungen darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Danach trägt er die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Frachtführer oder seine Leute vorsätzlich oder leichtfertig und im Bewusstsein gehandelt haben, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde (vgl. BGH VersR 2007, 273 Tz. 13; BGH, Urt. v. 20.9.2007 - I ZR 43/05, TranspR 2008, 113 Tz. 30 m.w.N.). Die dem Anspruchsteller obliegende Darlegungs- und Beweislast kann - wovon auch das Berufungsgericht zutreffend ausgegangen ist - jedoch dadurch gemildert werden, dass der Frachtführer angesichts des unterschiedlichen Informationsstands der Vertragsparteien nach Treu und Glauben gehalten ist, soweit möglich und zumutbar, zu den näheren Umständen des Schadensfalls eingehend vorzutragen. Eine solche sekundäre Darlegungslast der Beklagten ist zu bejahen, wenn der Klagevortrag nach den Umständen des Falles ein qualifiziertes Verschulden mit gewisser Wahrscheinlichkeit nahelegt oder sich Anhaltspunkte für ein solches Verschulden aus dem unstreitigen Sachverhalt ergeben (vgl. BGH, Urt. v. 5.6.2003 - I ZR 234/00, TranspR 2003, 467, 469). Insbesondere hat der Frachtführer dann substantiiert darzulegen, welche Sorgfalt er konkret aufgewendet hat. Kommt er dem nicht nach, kann nach den Umständen des Einzelfalls der Schluss auf ein qualifiziertes Verschulden gerechtfertigt sein (BGH VersR 2007, 273 Tz. 13; TranspR 2008, 113 Tz. 30 m.w.N.).

Hat der Spediteur/Frachtführer seiner Einlassungsobliegenheit genügt, muss der Anspruchsteller die Voraussetzungen für eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers darlegen und gegebenenfalls beweisen (BGH TranspR 2008, 113 Tz. 33).

bb)

Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass der Vortrag der Klägerin mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auf ein qualifiziertes Verschulden der Beklagten i.S. von § 435 HGB schließen lässt, das Voraussetzung für eine unbeschränkte Haftung des Frachtführers nach Art. 29 Abs. 1 CMR ist. Die der Beklagten zum Transport nach Österreich übergebenen vier Pakete sind in Verlust geraten, während sie in ihrer Obhut waren. Mit Schreiben vom 18. Juni 2005 hat die Beklagte der Versicherungsnehmerin lediglich mitgeteilt, dass "die Sendung beschädigt und der gesamte Inhalt vernichtet" worden sei. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin hat die Beklagte der Versicherungsnehmerin vorprozessual trotz mehrfacher Nachfrage keinerlei Einzelheiten zur Schadensursache mitgeteilt. Aufgrund der Weigerung der Beklagten, zu den näheren Umständen des Schadensfalls Angaben zu machen, ist der Schadenshergang bis zur Klageerhebung völlig ungeklärt geblieben. Das rechtfertigt grundsätzlich den Schluss auf ein grobes Organisationsverschulden im Betriebsbereich der Beklagten mit der Folge, dass sie im Prozess detailliert zu den Organisationsabläufen in ihrem Betrieb und zu den von ihr gegen einen Verlust von Transportgut eingerichteten Sicherheitsmaßnahmen vortragen muss (vgl. BGH TranspR 2003, 467, 469) .

cc)

Die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast insoweit nachgekommen, als sie einen Diebstahl des Frachtcontainers, in dem sich die vier verlorengegangenen Pakete nach ihrem unbestrittenen Vortrag befunden haben, als Schadensursache dargelegt hat. Ferner hat die Beklagte vorgetragen, dass das Gelände, von dem der Container entwendet worden sei, mit einem hohen Stacheldrahtzaun umgeben, durch ein Gittertor gesichert und videoüberwacht gewesen sei. Das Gelände sei während der Nacht von Wachpersonal kontrolliert worden; der Fahrer habe seine Schlüssel für den entwendeten LKW im Büro abgelegt. Damit hat die Beklagte die ihr obliegende Darlegungslast nur unvollkommen erfüllt.

Bei Zugrundelegung des von der Beklagten gehaltenen Vortrags sind entgegen der Auffassung der Revision Organisationsmängel in ihrem Betriebsbereich denkbar und Geschehensabläufe naheliegend, die auf ein qualifiziertes Verschulden schließen lassen. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass es auf der Grundlage des Vorbringens der Beklagten gut vorstellbar erscheint, dass weder das Gelände, von dem nach dem Vortrag der Beklagten das komplette Transportfahrzeug entwendet wurde, noch das Fahrzeug selbst in ausreichendem Maße gesichert waren. Es ist insbesondere offengeblieben, ob und auf welche Weise (etwa durch eine Wegfahrsperre) das entwendete Transportfahrzeug gegen Diebstahl gesichert war, ob das Gittertor zum Gelände, auf dem der beladene LKW abgestellt war, aufgeschlossen oder aufgebrochen wurde, weshalb gerade die Aufzeichnung der eigentlichen Entwendung durch die Videoanlage unterblieben ist, wie oft und in welchen Zeitabständen das Gelände von Wachpersonal kontrolliert wurde, worauf sich die Bewachung erstreckt und ob der Wachdienst seinerseits in Bezug auf die Einhaltung der Überwachungspflichten kontrolliert wird. Ebenso fehlen Angaben dazu, ob es vor dem streitgegenständlichen Schadensfall bereits zu Diebstählen von beladenen Transportfahrzeugen gekommen war und was die Beklagte gegebenenfalls zur Erhöhung der Sicherheit unternommen hat. Die Beklagte hat auch nicht dargelegt, ob die Täter sich die angeblich im Bürogebäude verwahrten Fahrzeugschlüssel verschafft haben. Mit Recht hat das Berufungsgericht von der Beklagten des Weiteren die Angabe der Namen der beteiligten Personen (Fahrer, Wachmannschaft, zentrale Kontrolle) verlangt. Obwohl das Berufungsgericht die Beklagte rechtzeitig vor der mündlichen Berufungsverhandlung darauf hingewiesen hat, in welchen konkreten Punkten ihr Vortrag ergänzt werden müsse, ist die Beklagte dem nicht einmal ansatzweise nachgekommen.

Unter diesen Umständen ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht zu der Annahme gelangt ist, dass die Beklagte den Verlust der vier Pakete leichtfertig und im Bewusstsein des wahrscheinlichen Schadenseintritts verursacht hat.

III.

Danach ist die Revision der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück