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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.01.1998
Aktenzeichen: I ZR 128/95
Rechtsgebiete: BGB, BaySchüttGut SonderT, GüKG


Vorschriften:

BGB § 276 Hb
BaySchüttGut SonderT § 8
GüKG § 22 Abs. 2 Satz 1 F: 10. März 1983
BGB § 276 Hb; BaySchüttGut SonderT § 8; GüKG § 22 Abs. 2 Satz 1 F: 10. März 1983

Ein Transportunternehmer, der es entgegen einer nebenvertraglichen Verpflichtung schuldhaft unterläßt, eine tarifwidrige Frachtkostenvereinbarung behördlich genehmigen zu lassen, kann sich gegenüber seinem Auftraggeber aus positiver Forderungsverletzung schadensersatzpflichtig machen, wenn dieser wegen Unkenntnis der Tarifwidrigkeit keine Veranlassung zur Beantragung der erforderlichen Ausnahmegenehmigung hatte.

BGH, Urt. v. 15. Januar 1998 - I ZR 128/95 - OLG München LG Landshut


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 128/95

Verkündet am: 15. Januar 1998

Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 1997 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Prof. Dr. Mees, Prof. Dr. Ullmann, Dr. Bornkamm und Pokrant

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 4. April 1995 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Nachzahlung von Frachtentgelt im Güternahverkehr nach dem Bayerischen Landessondertarif schüttbare Güter (im folgenden: Landessondertarif) in Anspruch.

Der Beklagte beauftragte die Klägerin mit Vertrag vom 11. Juli 1989, die im Rahmen seines Bauvorhabens "Moorlagerung Enddeponie B. Los 1 und 2" anfallenden Arbeiten, die in einem dem Vertrag zugrundeliegenden Leistungsverzeichnis sowie in einer Ergänzung hierzu beschrieben waren, auszuführen. Das Gesamtvolumen ist im Auftrag vom 11. Juli 1989 mit 4.953.404,01 DM netto angegeben. Unter Position 2. des Leistungsverzeichnisses betreffend Los 2 fand sich folgende Leistungsbeschreibung:

2.2.4 Abfuhr von Torf aus dem Zwischenlager der Baustelle RMD Main-Donau-Kanal, Haltung Dietfurth, MKD-km 128,850 - 134,750, im 0. Tal, unter Berücksichtigung einer Tagesquote von 800 m³ zum Endlager B. über öffentliche Verkehrswege 384.445 to. à 9,45 DM 3.633.005,25 DM.

Die Klägerin beförderte den Torf bis zum 28. März 1991.

Über die Arbeiten betreffend Los 1 erteilte die Klägerin dem Beklagten am 11. Mai 1992 eine Schlußrechnung, die nach Abzug geleisteter Zahlungen von 2.306.232,22 DM noch eine Restforderung in Höhe von 98.347,22 DM auswies. Für die Arbeiten betreffend Los 2 stellte sie ihm mit Schlußrechnung vom 4. März 1993 - unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen von 3.844.273,81 DM - noch 1.733.976,50 DM in Rechnung. Diese Abrechnung enthält u.a. einen Betrag von 1.521.032,01 DM netto (325.006,84 to à 4,68 DM) als "Zulage zu LV-Pos. 2.2.4", dessen Berechtigung der Beklagte bestreitet. Die Parteien streiten ferner darüber, daß die Klägerin in ihrer Schlußrechnung vom 4. März 1993 einen im "Zusatzblatt zum Auftrag vom 11.7.1989" vereinbarten Nachlaß von 3,5 % auf die Angebotssumme Los 2 unberücksichtigt gelassen hat. Die Beträge von 1.521.032,01 DM nebst 14 % MWSt zuzüglich des Betrages von 98.347,22 DM ergeben - bis auf eine Differenz von 181,30 DM - die Klageforderung.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, das vereinbarte Entgelt sei tarifwidrig gewesen. Ihre Abrechnung vom 4. März 1993 entspreche den zwingenden Vorschriften des Güterkraftverkehrsgesetzes. Sie hat ferner behauptet, die gefahrene Entfernung vom Be- zum Entladeort habe nicht nur - wie ursprünglich zugrunde gelegt - 55 km, sondern 67,5 km betragen, da sie auftragsgemäß die Stadt N. und eine Baustelle habe umfahren müssen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zur Zahlung von 1.832.142,42 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Der Beklagte ist dem nach Grund und Höhe entgegengetreten. Er hat geltend gemacht, Gegenstand des Vertrages seien keine Transportleistungen, sondern Bauleistungen, so daß die Tarife für den Güternahverkehr nicht anzuwenden seien. Aus Los 1 sei nur noch ein Betrag von 98.065,92 DM offen. Auf die Leistungen nach Los 2 müsse die Klägerin den vereinbarten Nachlaß von 3,5 % gewähren. Im übrigen hat er die von der Klägerin in Ansatz gebrachten Strecken, Fahrten und Mengen des abgefahrenen Torfes bestritten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre zuletzt gestellten Anträge weiter. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil der Klägerin nur ein Anspruch auf das vertraglich vereinbarte Entgelt zustehe, das der Beklagte entrichtet habe. Dazu hat es ausgeführt:

Die Rechte und Pflichten der Parteien ergäben sich aus dem Vertrag vom 11. Juli 1989, in dem diese für den Abtransport des Torfes von der Baustelle 0. Tal ein Entgelt von 9,45 DM/to abzüglich 3,5 % Nachlaß vereinbart hätten. Diese Entgeltabrede habe unabhängig von der zurückzulegenden Transportstrecke - 55 km oder, bedingt durch Umwege, 67,5 km - gegolten.

Es könne offenbleiben, ob die Leistungen der Klägerin dem Güterkraftverkehrsgesetz unterfielen. Selbst wenn das der Fall sein sollte, liege eine Tarifunterschreitung, welche die Klägerin zu ihren Gunsten geltend machen könne, nicht vor. Sofern eine Transportstrecke von 55 km vereinbart worden sei - wie der Beklagte behaupte -, entspreche der vereinbarte Preis dem Tarif. Das bei einer Transportstrecke von 67,5 km nach § 8 des Landessondertarifs zu vereinbarende Entgelt hätte von der Verwaltungsbehörde im Einzelfall für zulässig erklärt werden können. Der Senat sei aufgrund der Auskunft eines Beamten des Bundesamtes für den Güterverkehr überzeugt, daß die Klägerin bei Stellung eines entsprechenden Antrags die Genehmigung des vereinbarten Entgelts von 9,45 DM/to abzüglich 3,5 % Nachlaß auch für eine Fahrtstrecke von 70 km erhalten hätte.

Es sei auch unerheblich, ob ein Teil der Fahrten schon vor dem 1. September 1990, als § 8 des Landessondertarifs noch in der Fassung der 8. Verordnung (Bay. GVBl. 1989, S. 73) gegolten habe, durchgeführt worden sei. Denn die Verwaltungsbehörden hätten diese Bestimmung schon immer so gehandhabt, daß die weitgehenden Ermäßigungen (im Streitfall wegen der großen Transportmenge bis zu 40 %) zugesprochen worden seien. Danach wäre sogar ein Entgelt von unter 7,33 DM/to zulässig gewesen. Da ein Antrag nach § 8 Landessondertarif nicht gestellt worden sei, liege das vereinbarte Entgelt bei einer Transportstrecke von 67,5 km allerdings um 0,92 DM/to unter dem tarifmäßigen Entgelt.

Diese Differenz könne die Klägerin jedoch nicht nachfordern, weil sie sich damit treuwidrig (§ 242 BGB) verhielte. Ihr habe nach dem Vertrag (Leistungverzeichnis 9.21) die Beachtung des Landessondertarifs oblegen. Der Geschäftsführer der Klägerin habe aber fahrlässig nicht erkannt, daß die Transporte Beförderungen im Sinne des Güterkraftverkehrsgesetzes gewesen seien. Er habe deshalb die Erwirkung der nach dem Vertrag erforderlichen Ausnahmegenehmigung versäumt und dadurch schuldhaft gegen den Tarif verstoßen. Ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten sei dagegen nicht ersichtlich. Er habe davon ausgehen können, daß die Klägerin, wie vertraglich vereinbart, die erforderlichen Schritte für die Festsetzung des Entgelts im Einzelfall nach § 8 Landessondertarif unternehmen würde.

Dem Gesichtspunkt der Tarifsicherung komme bei der streitgegenständlichen Sachlage keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil die den Tarif formell unterschreitende Klägerin bei entsprechendem Bemühen ohne weiteres eine Genehmigung des vertraglich vereinbarten Entgelts erhalten hätte. Der Klägerin stehe mithin kein Anspruch auf Tarifausgleich zu. Die vom Landgericht vorgenommene Abrechnung, die dies berücksichtige, sei daher richtig.

II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

Die Revision wendet sich ohne Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht der Klägerin den auf der Grundlage des Landessondertarifs berechneten Nachforderungsanspruch von 1.832.142,42 DM versagt hat. Dabei kann auf sich beruhen, ob dem Anspruch auf Tarifausgleich ausnahmsweise - wie vom Berufungsgericht angenommen - mit dem Arglisteinwand begegnet werden kann. Denn der Beklagte kann sich gegenüber dem Anspruch der Klägerin auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen, da ihm ein Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung zusteht, weil die Klägerin es schuldhaft unterlassen hat, das untertarifliche Entgelt genehmigen zu lassen. Einer Aufrechnungserklärung des Beklagten bedurfte es hierzu nicht (vgl. nachfolgend unter II. 5.).

1. Für die Prüfung in der Revisionsinstanz ist aufgrund der Unterstellung des Berufungsgerichts zugunsten der Klägerin davon auszugehen, daß es sich bei den streitgegenständlichen Transporten - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung und der Beurteilung des Landgerichts, das in dem Abfahren des Torfes keine tarifgebundene Beförderungsleistung gesehen hat - um Güterbeförderungen i.S. des § 1 GüKG handelt.

Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag auch dann rechtswirksam ist, wenn darin eine untertarifliche Frachtvergütung vereinbart worden sein sollte, und daß der Geltendmachung der Nachforderungsansprüche die Aufhebung des Tarifzwangs zum 1. Januar 1994 grundsätzlich nicht entgegensteht. Wie der Senat inzwischen sowohl für den Bereich des Güterfernverkehrs (BGH, Urt. v. 12.10.1995 - I ZR 118/94, TranspR 1996, 66 = VersR 1996, 259) als auch für denjenigen des Güternahverkehrs (BGH, Urt. v. 5.6.1997 - I ZR 27/95, TranspR 1997, 420) entschieden hat, richtet sich die Frage der Wirksamkeit der Vereinbarungen der Parteien über tarifwidrige Beförderungsentgelte nach der bei Abschluß des Beförderungsvertrages geltenden Gesetzeslage. Da der streitgegenständliche Vertrag im Juli 1989 geschlossen wurde, beurteilt sich die Rechtslage daher noch nach § 22 Abs. 3 i.V. mit § 84 Abs. 1 Satz 3 GüKG a.F.

2. Das Berufungsgericht hat zutreffend und von den Parteien unbeanstandet angenommen, daß im Streitfall der Landessondertarif anzuwenden ist; hierbei kann offenbleiben, ob - wie vom Berufungsgericht zugrunde gelegt - in der ab 1. September 1990 geltenden Fassung oder in der Fassung ab 1. April 1989 (diese hat bei Abschluß des streitgegenständlichen Vertrags im Juli 1989 gegolten), da die hier maßgebenden Regelungen und Tarifsätze unverändert geblieben sind. Für die Prüfung in der Revisionsinstanz ist davon auszugehen, daß das von den Parteien vereinbarte Beförderungsentgelt von 9,45 DM/to abzüglich 3,5 % Nachlaß um 2,62 DM unter dem Tarifsatz liegt. Dieser hätte zum damaligen Zeitpunkt nach § 3 Abs. 1 i.V. mit der Anlage 2 des Landessondertarifs 11,74 DM betragen, wobei zugunsten der Klägerin eine tatsächliche Lastentfernung von 67,5 km unterstellt wird. Bei der im Leistungsverzeichnis (Seite 68) angenommenen und von dem Beklagten behaupteten Fahrtstrecke von ca. 55 km wäre der vereinbarte Satz von 9,45 DM/to abzüglich 3,5 % Nachlaß nach den unbeanstandet gebliebenen Feststellungen des Berufungsgerichts tarifgemäß.

3. Die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe es schuldhaft unterlassen, das vereinbarte Entgelt, das - wie zugunsten der Klägerin zu unterstellen ist - um 2,62 DM (= 22,32 %) unter dem Tarifentgelt gelegen hat, nach § 8 des Landessondertarifs für zulässig erklären zu lassen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Entgegen der Ansicht der Revision ist § 8 des Landessondertarifs nicht wegen Verstoßes gegen Bundesrecht (§ 22 Abs. 2 Satz 1 GüKG a.F.) unwirksam.

Den formellen Anforderungen des § 22 Abs. 2 Satz 1 GüKG a.F. ist genügt. Die Revision zieht nicht in Zweifel, daß der in Rede stehende Landessondertarif in allen Teilen ordnungsgemäß im bayerischen Gesetz- und Verordnungsblatt verkündet worden ist. Weder dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck der Vorschrift läßt sich entnehmen, daß jede behördlich erlaubte Einzelvergünstigung bekanntzumachen ist. Das Ziel der Bestimmung besteht vielmehr in der Unterrichtung der (potentiellen) Vertragspartner über das geltende Tarifrecht. Dafür ist es ausreichend, daß sie aufgrund einer Veröffentlichung in üblicher Weise von der Möglichkeit einer untertariflichen Sondervereinbarung Kenntnis erlangen können (vgl. VGH Mannheim, VkBl 1980, 765 zu § 15 Abs. 2 GNT).

Die in § 8 Landessondertarif vorgesehene Einzelfallprüfung und -entscheidung schließt es entgegen der Ansicht der Revision auch nicht aus, daß die in diesem Tarif vorgesehenen Vergünstigungen (unter gleichen Bedingungen) jedermann zugute kommen. Die von § 22 Abs. 2 Satz 1 GüKG a.F. bezweckte Sicherung der Tarifgleichheit ist hinreichend gewährleistet, wenn im Rahmen des Verwaltungsverfahrens festgestellt werden kann, ob die an die Zustimmungsbehörde gerichteten Anträge auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vergleichbar sind; eine bundeseinheitliche Handhabung wird dadurch ermöglicht, daß eine Einzelfallverfügung nach § 8 Landessondertarif nur im Benehmen mit den Bundesministern für Wirtschaft und Verkehr erlassen werden darf. Die Erforderlichkeit eines Antrags steht einer Gleichbehandlung ebenfalls nicht entgegen, weil dieser von jedem Vertragspartner gestellt werden konnte (vgl. VGH Mannheim VkBl 1980, 765).

b) Es ist auch davon auszugehen, daß das vereinbarte Transportentgelt von der zuständigen Verwaltungsbehörde nach § 8 Landessondertarif genehmigt worden wäre. Der vom Berufungsgericht zum Verlauf der Verwaltungsübung bei Beantragung einer Ausnahmegenehmigung nach § 8 Landessondertarif angehörte Oberregierungsrat G. vom Bundesamt für Güterverkehr hat ausgeführt, bei der in Rede stehenden Transportmenge habe ein Fall vorgelegen, in dem sich eine Ausnahmeregelung gem. § 8 für die Genehmigungsbehörde geradezu angeboten hätte. Die extrem große Transportmenge führe zu einer deutlichen Kostenentlastung für den Frachtführer. Das im Streitfall vereinbarte Entgelt liege auch angesichts einer Transportstrecke von 67 km immer noch in einer Höhe, die ohne weiteres genehmigt worden wäre. Im vorliegenden Fall wäre sogar ein Abschlag von 40 % genehmigt worden, welcher über dem tatsächlich vereinbarten Abschlag liege. Aufgrund dieser Erklärungen konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsverstoß zu der Annahme gelangen, daß das vereinbarte Entgelt von 9,45 DM/to abzüglich 3,5 % Nachlaß gem. § 8 Landessondertarif auch für eine Fahrtstrecke von 70 km genehmigt worden wäre, wenn die Klägerin einen entsprechenden Antrag gestellt hätte.

Entgegen der Rüge der Revision brauchte das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung § 5 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3 Landessondertarif nicht zu berücksichtigen. Diese Bestimmung regelt, ob und in welchem Umfang die Parteien des Beförderungsvertrags ein vom Tarifsatz abweichendes Transportentgelt auch ohne Genehmigung der zuständigen Verwaltungsbehörde wirksam vereinbaren können. Sofern sich die Vereinbarung in den Grenzen des § 5 Landessondertarif hält und auch dessen weitere Voraussetzungen berücksichtigt (z.B. Schriftform nach § 5 Abs. 2 Nr. 3), handelt es sich um eine im Rahmen der Mindest- und Höchstsätze liegende tarifgemäße Transportvergütung. Demgegenüber ist in § 8 Landessondertarif geregelt, daß im Einzelfall durch Verfügung Entgelte für zulässig erklärt werden können, die außerhalb der Mindest- und Höchstsätze der Verordnung liegen. Die in § 5 Landessondertarif enthaltenen Regelungen spielen daher bei der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 8 Landessondertarif keine Rolle.

c) Die Klägerin trifft ein Verschulden daran, daß die Einholung der Genehmigung nach § 8 Landessondertarif unterblieben ist.

Sie hätte zumindest seit Ende November 1991 erkennen können, daß das vereinbarte Entgelt unter den Tarifsätzen lag und einer Genehmigung bedurfte. Sie hatte durch das Schreiben der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr vom 25. November 1991 Kenntnis erlangt, daß es sich bei den streitgegenständlichen Fahrten um Güternahverkehrstransporte i.S. von § 2 GüKG handelte, da ihr mitgeteilt worden war, daß bei einer vorangegangenen Betriebsprüfung festgestellt worden sei, sie habe in der Zeit vom 1. März bis 28. März 1991 insgesamt 981 Beförderungen im Güternahverkehr ohne Erlaubnis betreiben lassen. Aufgrund dieser Beanstandung der Bundesanstalt für den Güterfernverkehr hätte die Klägerin als Frachtunternehmerin erkennen können - positive Kenntnis vom Tarifverstoß ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Urt. v. 9.2.1984 - I ZR 201/81, TranspR 1984, 199, 200 m.w.N.) -, daß für die Zulässigkeit der mit dem Beklagten vereinbarten Transportvergütung die Bestimmungen des Landessondertarifs schüttbare Güter maßgeblich waren und daß der vereinbarte Satz ohne Einholung einer Ausnahmegenehmigung nach § 8 Landessondertarif tarifwidrig war.

Sofern die Lastentfernung tatsächlich 67,5 km betragen hat, wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, den vereinbarten Satz von 9,45 DM/to abzüglich des im "Zusatzblatt zum Auftrag vom 11.7.1989" vereinbarten Nachlasses von 3,5 % durch eine Verfügung der zuständigen Verwaltungsbehörde nach § 8 Landessondertarif entweder selbst genehmigen zu lassen oder jedenfalls den Beklagten auf die Notwendigkeit einer solchen Genehmigung hinzuweisen, da es ihr sowohl aufgrund ihrer nebenvertraglichen Treuepflichten als auch gemäß Ziffer 9.21 der Besonderen Vertragsbedingungen (Seite 11 f. des Leistungsverzeichnisses) oblag, bei der Kalkulation von Kosten für Transportleistungen im Güternahverkehr mit Kraftfahrzeugen den Landessondertarif schüttbare Güter zu beachten. Denn die Parteien hatten die vertragliche Vereinbarung über die zu zahlende Transportvergütung trotz der nach dem Vorbringen der Klägerin abweichenden längeren Lastentfernung, wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, nicht geändert.

Es ist entgegen der Ansicht der Revision auch davon auszugehen, daß die Genehmigung zu dem Zeitpunkt, als für die Klägerin die Notwendigkeit ihrer Einholung erkennbar wurde, noch erteilt worden wäre. Der Senat hat für den mit § 8 Landessondertarif nahezu wortgleichen § 15 Abs. 2 GNT entschieden, daß die Vereinbarung eines vom Tarif abweichenden Beförderungsentgelts grundsätzlich auch noch rückwirkend durch eine nach dieser Bestimmung ergangene Verfügung der zuständigen Verwaltungsbehörde genehmigt werden konnte (vgl. BGH, Urt. v. 23.3.1966 - Ib ZR 14/64, LM GüKG Nr. 24). Im Streitfall rechtfertigt sich die Anwendung dieses Grundsatzes schon deshalb, weil nach dem Gegenstand des Vertrags vom 11. Juli 1989 aus Sicht der Parteien nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden mußte, daß zur Wirksamkeit der vereinbarten Transportvergütung eine Ausnahmegenehmigung nach § 8 Landessondertarif erforderlich sein würde. Zwar hat die der Klägerin obliegende Transportleistung mit 3.633.005,25 DM nahezu 75 % der Angebotssumme von 4.953.404,01 DM netto ausgemacht. Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Klägerin neben der Güterbeförderung eine Vielzahl weiterer Leistungen schuldete. Hierzu gehörten u.a. die Baustelleneinrichtung nebst Verkehrssicherung, Oberboden- und Erdarbeiten, die Herstellung von Tragschichten, die Wasserhaltung sowie die Verlegung von Rohrleitungen (Seite 77 f. des Leistungsverzeichnisses). Zudem wurde der ursprüngliche Leistungsumfang der Klägerin nach den Losen 1 und 2 durch den Zusatzauftrag vom 15. Februar 1990 noch dahingehend erweitert, daß sie - gesondert vergütet - auch das mehrfache Trennen des Torfes, den schichtweisen Abtrag und die Schaffung der Voraussetzungen für einen sachgerechten Abbau und Abtransport des Torfes schuldete. Danach war die Annahme jedenfalls nicht fernliegend - wovon auch das Landgericht ausgegangen ist -, daß die Klägerin die Erbringung einer Bauleistung, die Herstellung der "Moorlagerung in der Enddeponie B. " (so die Bezeichnung des Vertragsgegenstandes im Vertrag vom 11. Juli 1989), schuldete, die insgesamt nicht dem Anwendungsbereich des Güterkraftverkehrsgesetzes unterfiel.

Eine nachträgliche Genehmigung des vereinbarten Entgelts kam allerdings nicht zeitlich unbegrenzt in Betracht. Sie mußte vielmehr ohne schuldhaftes Zögern eingeholt werden, wobei für den Beginn der Frist auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung der Klägerin von der Erforderlichkeit einer Genehmigung nach § 8 Landessondertarif, die spätestens Ende 1991 erfolgte, abzustellen ist. Dem Beklagten war es danach nicht mehr möglich, die vereinbarte Transportvergütung nachträglich genehmigen zu lassen, da er - soweit ersichtlich - frühestens durch die Übersendung der Schlußrechnung der Klägerin vom 4. März 1993 Kenntnis von der Erforderlichkeit einer Genehmigung nach § 8 Landessondertarif erlangt hat.

4. Da die Klägerin es schuldhaft (fahrlässig) unterlassen hat, die vereinbarte Transportvergütung nach § 8 Landessondertarif von der zuständigen Verwaltungsbehörde genehmigen zu lassen, wozu sie aufgrund der hier gegebenen Umstände im Rahmen ihrer nebenvertraglichen Treuepflichten als auch gem. Ziff. 9.21 der Besonderen Vertragsbedingungen verpflichtet war, hat sie sich gegenüber dem Beklagten aus positiver Forderungsverletzung schadensersatzpflichtig gemacht. Der Schaden des Beklagten besteht in der grundsätzlichen Verpflichtung zur Zahlung des Differenzbetrags zwischen der vereinbarten und der tarifmäßigen Transportvergütung. Denn bei einem entsprechenden Antrag der Klägerin wäre - wie bereits dargelegt - die im Vertrag vom 11. Juli 1989 sowie im "Zusatzblatt zum Auftrag vom 11.7.1989" vereinbarte Vergütung von 9,45 DM/to abzüglich 3,5 % Nachlaß genehmigt worden, so daß der Beklagte auch nur diesen Betrag als Transportentgelt geschuldet hätte.

Der Schadensersatzanspruch des Beklagten vermindert sich nicht nach § 254 Abs. 1 BGB um einen eigenen Mitverschuldensanteil. Er konnte, wie unter II. 3. c dargelegt, aufgrund des Vertragsgegenstands - ebenso wie die Klägerin - zunächst davon ausgehen, daß die von der Klägerin geschuldeten Transportleistungen nicht dem Güterkraftverkehrsgesetz unterfielen und die hierfür vereinbarte Vergütung deshalb auch nicht genehmigungsbedürftig war. Eigene Kenntnis von der Erforderlichkeit einer Genehmigung nach § 8 Landessondertarif hat der Beklagte - soweit ersichtlich - erst zum Zeitpunkt der Übersendung der Schlußrechnung vom 4. März 1993 erlangt. Zu diesem Zeitpunkt wäre eine nachträgliche Genehmigung der vereinbarten Transportvergütung wegen der inzwischen verstrichenen langen Zeitdauer nicht mehr in Betracht gekommen.

5. Der Beklagte kann dem an sich begründeten Tarifausgleichsanspruch der Klägerin seinen eigenen Schadensersatzanspruch aus positiver Forderungsverletzung im Wege eines Leistungsverweigerungsrechts entgegenhalten. Er ist nicht darauf beschränkt, sein Gegenrecht durch Aufrechnung nach § 387 BGB oder im Wege einer Leistungsklage geltend zu machen. Die genannte Rechtsfolge ergibt sich unmittelbar aus dem Inhalt des dem Beklagten zustehenden Schadensersatzanspruchs als solchem. Die Klägerin schuldet dem Beklagten nach § 249 Satz 1 BGB die Erstattung des Differenzbetrags zwischen der vereinbarten und der an sich zu leistenden tarifmäßigen Vergütung. Daraus ergibt sich, daß die Klägerin tatsächlich nur das vereinbarte Transportentgelt verlangen kann. Mit ihrer Forderung auf tarifgemäße Bezahlung der durchgeführten Transporte setzt sie sich daher in Widerspruch zu ihrer dem Beklagten gegenüber bestehenden eigenen Schadensersatzpflicht (BGH, Urt. v. 9.12.1971 - VII ZR 211/69, VersR 1972, 303, 305; vgl. auch BGHZ 70, 240, 245; OLG Düsseldorf VersR 1985, 456, 457; OLG Köln VersR 1987, 620, 621). Die Geltendmachung des Tarifausgleichsanspruchs erweist sich unter diesen Umständen als rechtsmißbräuchlich (§ 242 BGB).

III. Da die Klägerin auf der Grundlage der vertraglich vereinbarten Vergütung nach der nicht angegriffenen Berechnung des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht in zulässiger Weise Bezug genommen hat (§ 543 Abs. 2 ZPO), von dem Beklagten keine weitere Zahlung verlangen kann, war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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