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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 06.07.2006
Aktenzeichen: I ZR 175/03
Rechtsgebiete: UrhG


Vorschriften:

UrhG § 5 Abs. 1
a) Der Begriff des Erlasses in § 5 Abs. 1 UrhG ist kein verwaltungsrechtlicher, sondern ein urheberrechtlicher Begriff, der entsprechend dem Zweck der Vorschrift auszulegen ist. Zu den amtlichen Erlassen gehören deshalb auch allgemeine Regelungen, die zwar formal nur an andere Behörden gerichtet sind, denen aber zumindest eine gewisse Außenwirkung zukommt.

b) Wegen des durch § 5 Abs. 1 UrhG geschützten Publizitätsinteresses der Allgemeinheit kann die Vorschrift auch eingreifen, wenn das Werk im urheberrechtlichen Sinn, das der Hoheitsträger zum Inhalt seiner - vom Gesetz als "amtliches Werk" bezeichneten - Willensäußerung gemacht hat, nicht aus dem Amt selbst herrührt und von dessen Mitarbeitern im dienstlichen Auftrag geschaffen worden ist, sondern von Mitarbeitern eines anderen Amtes oder privaten Urhebern. Entscheidend ist, ob und inwieweit die Verlautbarung dem Hoheitsträger als eigenverantwortliche Willensäußerung zuzurechnen ist.

c) Nach dem Regelungszweck des § 5 Abs. 1 UrhG kommt es nicht darauf an, ob die von dem Hoheitsträger als amtlicher Erlass getroffene Regelung rechtlich zulässig und wirksam ist, sofern sie nur nach seinem Willen die Verwaltungspraxis bestimmen soll.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 175/03

Verkündet am: 6. Juli 2006

Vergaberichtlinien

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 27. Juni 2003 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist als Verlag von dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW, im Folgenden "Ministerium") mit Druck und Vertrieb einer Neufassung des "Handbuchs für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau" (im Folgenden auch "Handbuch") beauftragt worden.

Das Handbuch besteht aus einer Loseblattsammlung von Regelungen für die Vergabe von Aufträgen und die Abwicklung von Verträgen über Bauleistungen im Bereich des Straßen- und Brückenbaus (mit Vordrucken) sowie einem Anhang mit ergänzenden Unterlagen. Die Vergaberichtlinien sind von dem Hauptausschuss Verdingungswesen im Straßen- und Brückenbau (im Folgenden auch "Ausschuss") aufgestellt worden, der sich aus Mitarbeitern des Ministeriums und der Straßenbauverwaltungen der Bundesländer zusammensetzt. Durch Allgemeines Rundschreiben Straßenbau Nr. 20/2001 vom 25. Juni 2001 hat das Ministerium die Neufassung des Handbuchs für seinen Geschäftsbereich eingeführt und den obersten Straßenbaubehörden der Länder zugleich empfohlen, das Handbuch im Interesse einer einheitlichen Handhabung auch für die Straßen in ihrem Zuständigkeitsbereich einzuführen.

Die Beklagte vertreibt in ihrem Verlag ebenfalls die Neufassung des Handbuchs. Die Klägerin sieht darin eine Verletzung ihr zustehender urheberrechtlicher Nutzungsrechte. Sie hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen,

a) es bei Meidung von Ordnungsmitteln zu unterlassen, das Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau, HVH B-StB, von dem nachstehend Kopien des Titelblattes, des Impressums sowie der Gliederung wiedergegeben sind, herzustellen und/oder zu vertreiben:

b) die Vervielfältigungsstücke des im Antrag zu 1a genannten Handbuches, die sich in ihrem Eigentum oder Besitz befinden, an einen von der Klägerin zu beauftragenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der auf Kosten der Beklagten vorzunehmenden Vernichtung herauszugeben;

c) der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang sie die in Ziffer 1a genannten Handlungen vorgenommen hat, und zwar unter Angabe der erzielten Umsätze und der getätigten Werbung mit Angabe der Werbemedien unter Nennung der Auflagenhöhe und unter Angabe der Vertriebswege sowie Rechnung zu legen über die mit dem genannten Handbuch erzielten Gewinne;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der dieser aus den in Ziffer 1a genannten Handlungen bisher entstanden ist und noch entstehen wird.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (OLG Köln GRUR 2004, 142).

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat die Ansicht vertreten, dass der Klägerin keine urheberrechtlichen Ansprüche zustünden. Dazu hat es ausgeführt:

Das Handbuch sei ein urheberrechtlich schutzfähiges Werk. Urheber des Handbuchs sei der Ausschuss. Dieser sei vom Ministerium und den obersten Straßenbaubehörden der Länder damit beauftragt worden, das Handbuch zu entwickeln. Die Umsetzung dieses Auftrags habe die Einräumung der ausschließlichen Nutzungsrechte beinhaltet, weil der Zweck des Vorhabens, die Einführung des Handbuchs durch das Ministerium, nur so habe erreicht werden können. Das Ministerium habe die ausschließlichen Nutzungsrechte zur Vervielfältigung und Verbreitung der Neufassung auf die Klägerin übertragen, die mit Druck und Vertrieb beauftragt worden sei.

Die Klageanträge seien gleichwohl unbegründet, weil das Handbuch als amtlicher Erlass gemäß § 5 Abs. 1 UrhG keinen urheberrechtlichen Schutz genieße. Das Handbuch enthalte ins Einzelne gehende Anweisungen zur Vergabe bestimmter Aufträge im Bereich des Straßen- und Brückenbaus. Diese Anweisungen seien für die nachgeordneten Behörden im Geschäftsbereich des Ministeriums verbindlich, weil dieses das Handbuch durch das Allgemeine Rundschreiben Straßenbau Nr. 20/2001 eingeführt und gebeten habe, das Regelwerk bei einschlägigen Bauvorhaben zugrunde zu legen. Dem Erlass komme zudem eine gewisse Außenwirkung für Unternehmen im Bereich des Straßen- und Brückenbaus zu.

Das Handbuch sei ein amtlicher Erlass, obwohl es nicht von dem Ministerium selbst, sondern vom Ausschuss stamme, der selbst kein Amt sei. Die Festlegung von verwaltungsinternen Vergaberichtlinien falle - soweit Bundesstraßen betroffen seien - in den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums. Dieses habe - gemeinsam mit den obersten Straßenbaubehörden der Länder - die Entwicklung und Festlegung der Richtlinien dem Ausschuss übertragen, der nur mit Beamten des Bundes und der Länder besetzt sei und sein Bestehen dem Bemühen verdanke, für Bund und Länder einheitliche Vergaberichtlinien zu schaffen. Durch die Einführung des Handbuchs mit Allgemeinem Rundschreiben habe das Ministerium zum Ausdruck gebracht, dass es das Werk inhaltlich billige und in seinem Geschäftsbereich so behandelt wissen wolle, als stamme es von ihm.

II. Die Revisionsangriffe gegen diese Beurteilung haben keinen Erfolg.

Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche, die sie auf urheberrechtliche Nutzungsrechte stützt, die sie letztlich von den Mitgliedern des Ausschusses erworben haben will, nicht zu. Dies gilt schon deshalb, weil das "Handbuch für die Vergabe und Ausführung von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau", soweit es von Mitgliedern des Ausschusses geschaffen worden ist, ein amtliches Werk im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG ist und dementsprechend keinen urheberrechtlichen Schutz genießt. Es muss daher nicht erörtert werden, ob die in das Handbuch aufgenommenen Unterlagen Werke im Sinne des § 2 UrhG sind oder das Handbuch seinem Inhalt nach als Sammelwerk (§ 4 Abs. 1 UrhG) schutzfähig sein könnte. Ebenso kann die Frage offen bleiben, ob das Ministerium und die Klägerin wirksam die Übertragung ausschließlicher Nutzungsrechte zur Vervielfältigung und Verbreitung des Handbuchs vereinbart haben.

1. Das Handbuch ist jedenfalls hinsichtlich der von Mitgliedern des Hauptausschusses Verdingungswesen im Straßen- und Brückenbau geschaffenen Vergaberichtlinien ein Erlass im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG.

a) Der Begriff des Erlasses in § 5 Abs. 1 UrhG ist kein verwaltungsrechtlicher, sondern ein urheberrechtlicher Begriff, der entsprechend dem Zweck der Vorschrift auszulegen ist (vgl. Schricker/Katzenberger, Urheberrecht, 3. Aufl., § 5 UrhG Rdn. 27; v. Albrecht, Amtliche Werke und Schranken des Urheberrechts zu amtlichen Zwecken, 1992, S. 47 f.). Diese soll nicht nur der Publizität von Gesetzen und Verordnungen dienen, sondern auch der Publizität ihrer Auslegung und Anwendung durch Verwaltungsbehörden und Gerichte (vgl. BVerfG GRUR 1999, 226, 229 f.). Die Öffentlichkeit soll Äußerungen von Hoheitsträgern, die für die gegenwärtige oder zukünftige Amtsausübung bedeutsam sind, zur Kenntnis nehmen können, ohne daran durch urheberrechtliche Befugnisse an Werken, die zu ihrer Abfassung benutzt worden sind, gehindert zu sein (vgl. auch Schricker/Katzenberger aaO § 5 UrhG Rdn. 27; Dreier in Dreier/Schulze, UrhG, § 5 Rdn. 3). Das Allgemeininteresse an der Publizität amtlicher Äußerungen bezieht sich auch auf allgemeine Regelungen, die zwar formal nur an andere Behörden gerichtet sind, denen aber zumindest eine gewisse Außenwirkung zukommt (vgl. auch BGH, Urt. v. 26.4.1990 - I ZR 79/88, GRUR 1990, 1003, 1004 - DIN-Normen; Schricker/Katzenberger aaO § 5 UrhG Rdn. 30; Möhring/Nicolini/Ahlberg, UrhG, 2. Aufl., § 5 Rdn. 13). Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 UrhG bestimmt damit im Allgemeininteresse Inhalt und Schranken des Urheberrechts als Eigentum im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfG GRUR 1999, 226, 228).

Wegen des Publizitätsinteresses der Allgemeinheit kann § 5 Abs. 1 UrhG auch eingreifen, wenn das Werk im urheberrechtlichen Sinn (§ 2 Abs. 2 UrhG), das der Hoheitsträger zum Inhalt seiner - vom Gesetz als "amtliches Werk" bezeichneten - Willensäußerung gemacht hat, nicht aus dem Amt selbst herrührt und von dessen Mitarbeitern im dienstlichen Auftrag geschaffen worden ist, sondern von Mitarbeitern eines anderen Amtes oder privaten Urhebern (vgl. BGH, Urt. v. 12.6.1981 - I ZR 95/79, GRUR 1982, 37, 40 - WK-Dokumentation; Urt. v. 9.10.1986 - I ZR 145/84, GRUR 1987, 166, 167 - AOK-Merkblatt; vgl. dazu auch nachstehend unter c)). Entscheidend ist, ob und inwieweit die Verlautbarung dem Hoheitsträger als eigenverantwortliche Willensäußerung zuzurechnen ist (vgl. BGHZ 116, 136, 145 f. - Leitsätze; BGH GRUR 1990, 1003, 1005 - DIN-Normen). Nach dem Regelungszweck der Vorschrift kommt es auch nicht darauf an, ob die von dem Hoheitsträger als amtlicher Erlass getroffene Regelung rechtlich zulässig und wirksam ist, sofern sie nur nach seinem Willen die Verwaltungspraxis bestimmen soll (vgl. auch BGH GRUR 1990, 1003, 1005 - DIN-Normen; Schricker/Katzenberger aaO § 5 UrhG Rdn. 30).

b) Das Ministerium hat die von Mitgliedern des Ausschusses erarbeiteten Richtlinien, die im Handbuch zusammengefasst sind, als amtlichen Erlass im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG herausgegeben. Es hat die Richtlinien ausdrücklich als Sammlung durch Allgemeines Rundschreiben für den Geschäftsbereich der Bundesfernstraßen eingeführt. Die Einkleidung der Weisung, das Handbuch bei allen Bauvorhaben zugrunde zu legen, in die Form einer Bitte ändert nichts daran, dass das Handbuch insoweit als verbindliche Regelung erlassen worden ist. Dies wird durch den Umstand verdeutlicht, dass das Ministerium in dem Allgemeinen Rundschreiben lediglich eine Empfehlung ausgesprochen hat, soweit es um die Einführung des Handbuchs für die zur Zuständigkeit der Länder gehörenden Straßen ging.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kommt dem Erlass neben seiner behördeninternen Bindungswirkung auch eine gewisse Außenwirkung zu. Aufträge im Bereich des Straßen- und Brückenbaus für Bundesfernstraßen werden danach nur noch gemäß den Richtlinien des Handbuchs vergeben. Bewerber müssen sich deshalb, wenn sie einen Auftrag erhalten wollen, an die Vorgaben der Richtlinien halten.

Die Frage, ob das Ministerium bezüglich der Bundesfernstraßen durch Erlass verbindliche Regelungen treffen durfte, obwohl die Länder die Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs im Auftrag des Bundes verwalten (Art. 90 Abs. 2, Art. 85 GG), kann offen bleiben. Wie bereits dargelegt, hängt die Beurteilung einer Verwaltungsanordnung als Erlass im Sinne des § 5 Abs. 1 UrhG nicht davon ab, ob der Hoheitsträger zu einer solchen Anordnung befugt war.

c) Das Handbuch genießt danach gemäß § 5 Abs. 1 UrhG jedenfalls hinsichtlich der darin enthaltenen Vergaberichtlinien keinen urheberrechtlichen Schutz. Die Frage, ob diese Wirkung nur eintritt, wenn die Urheber (§ 7 UrhG) der Verwendung ihrer Werke für ein sog. amtliches Werk zugestimmt haben (vgl. dazu BVerfG GRUR 1999, 226, 229; offen gelassen BGH GRUR 1987, 166, 167 - AOK-Merkblatt - und GRUR 1990, 1003, 1004 - DIN-Normen; vgl. weiter Schricker/Katzenberger aaO § 5 UrhG Rdn. 22 m.w.N.), muss nicht entschieden werden. Als Urheber der Vergaberichtlinien kommen nur Beamte des Bundes und der Länder in Betracht, die im Ausschuss zusammengearbeitet haben, um für Bund und Länder einheitliche Vergaberichtlinien zu schaffen. Es kann daher ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass diese der Verwendung ihrer Beiträge in amtlichen Verlautbarungen zugestimmt haben.

2. In seinem Anhang enthält das Handbuch auch Teile der Verdingungsordnung für Bauleistungen (VOB). Die Frage, ob der Anhang insoweit als Teil des Erlasses des Ministeriums anzusehen ist (vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 30.6.1983 - I ZR 129/81, GRUR 1984, 117, 118 - VOB/C), kann offen bleiben. Die Klägerin kann bezogen auf diese Teile des Handbuchs ohnehin keine urheberrechtlichen Befugnisse geltend machen, weil nicht dargelegt ist, wie sie an diesen Nutzungsrechte erworben haben könnte.

III. Die Revision der Klägerin war danach zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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