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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.10.2003
Aktenzeichen: I ZR 240/00
Rechtsgebiete: ZPO, UWG


Vorschriften:

ZPO § 62
UWG § 13 Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES TEILURTEIL

I ZR 240/00

Verkündet am: 2. Oktober 2003

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren, in dem bis zum 4. September 2003 Schriftsätze eingereicht werden konnten, durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Prof. Starck, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Büscher und Dr. Schaffert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 27. September 2000, soweit es zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2 ergangen ist, im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin hinsichtlich der vom Landgericht abgewiesenen Unterlassungsklage gegen den Beklagten zu 2 zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin gehört der 140 bis 150 Unternehmen umfassenden M. /S. -Gruppe an. Sie steht im Raum R. mit der Beklagten zu 1 beim Einzelhandel mit Computern und Computerzubehör in Wettbewerb. Der Beklagte zu 2 war bis zum Jahr 2000 der Geschäftsführer der Beklagten zu 1 (im weiteren: die Beklagte).

Die Beklagte bot am 6. März 1998 in einer für ihre bundesweit rund 120 Filialen u.a. zusammen mit der "O. zeitung" verteilten Werbebeilage unter der Überschrift "PREISBRECHER!" einen Computer mit Intel Pentium Prozessor 200 MHz zum Preis von 1.499 DM und einen Computer mit Intel Pentium II Prozessor 233 MHz zum Preis von 1.999 DM - wie nachstehend verkleinert wiedergegeben - zum Kauf an:

Die Beklagte hatte die beworbenen Geräte am 6. März 1998 in ihrer Filiale in R. - wie auch in fünf anderen Filialen in Deutschland - nicht vorrätig und konnte sie daher dort erst am 9. März 1998 verkaufen.

Die Klägerin hat die Werbung als irreführend beanstandet. Die Erwartung des Verkehrs, daß die Waren im Laden der Beklagten vorhanden seien, sei nicht durch den Hinweis in der Fußzeile der Werbung "Keine Mitnahmegarantie. Sofern nicht vorhanden, gleich bestellen. Wir liefern umgehend." ausgeräumt worden. Die Beklagte habe den Vorratsmangel grob fahrlässig verschuldet.

Die Klägerin hat beantragt,

1. den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken Computergeräte blickfangartig hervorgehoben zu bewerben, soweit diese am Tag des Erscheinens der Werbung nicht zur sofortigen Mitnahme vorrätig sind;

2. festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin allen durch die unter 1. geschilderte Wettbewerbshandlung entstandenen und noch entstehenden Schaden zu ersetzen.

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten.

Das Landgericht hat das von ihm zunächst antragsgemäß erlassene Versäumnisurteil auf den Einspruch der Beklagten hin aufgehoben und die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, hat die Klägerin ihre Klageanträge weiterverfolgt. Der Senat hat das Rechtsmittel nur insoweit angenommen, als das Berufungsgericht die Abweisung des Unterlassungsantrags bestätigt hat.

Über das Vermögen der Beklagten zu 1 ist am 1. Mai 2003 das Insolvenzverfahren eröffnet worden.

Entscheidungsgründe:

I. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten zu 1 ist das zwischen dieser und der Klägerin anhängige Verfahren unterbrochen worden (§ 240 Satz 1 ZPO). Da die beiden Beklagten keine notwendigen Streitgenossen i.S. des § 62 ZPO sind, ist über die Revision der Klägerin gegen den Beklagten zu 2 durch Teilurteil zu entscheiden (§ 301 ZPO; vgl. BGHZ 148, 214, 216; BGH, Urt. v. 19.12.2002 - VII ZR 176/02, NJW-RR 2003, 1002, 1003, jeweils m.w.N.).

II. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin gegen das die Klage mit dem Unterlassungsantrag aus sachlichen Gründen abweisende Urteil des Landgerichts mit der Begründung zurückgewiesen, die Klage sei insoweit gemäß § 13 Abs. 5 UWG rechtsmißbräuchlich und daher unzulässig. Dazu hat es ausgeführt:

Das Vorgehen mehrerer zu einer Unternehmensgruppe oder einem Konzern gehörender Gesellschaften gegen einen bundesweit operierenden Verletzer, von denen jede einen (bundesweit vollstreckbaren) Titel erstrebe, könne, da ein Unterlassungsanspruch grundsätzlich nicht regional beschränkt sei, sondern bundesweit gelte und durchsetzbar sei, den Tatbestand des Rechtsmißbrauchs im Sinne des § 13 Abs. 5 UWG begründen. Eine Mehrfachverfolgung desselben Wettbewerbsverstoßes könne insbesondere dann mißbräuchlich sein, wenn sie auf einem abgestimmten Verhalten der Unterlassungsgläubiger beruhe und wenn die ohne ersichtlichen vernünftigen Grund erfolgende Vervielfachung des mit der Rechtsverteidigung verbundenen Kostenrisikos sowie die Bindung personeller und finanzieller Kräfte eine unangemessene Belastung des Anspruchsgegners zur Folge hätten. Im Streitfall sei danach von einem rechtsmißbräuchlichen Verhalten der Klägerin auszugehen. Deren Schwestergesellschaften hätten den gleichen oder einen ähnlichen Sachverhalt mit im selben Zeitraum vor den Landgerichten Hamburg, Saarbrücken und Bremen erhobenen Klagen verfolgt, wobei dieses ausweislich des Rundschreibens der Holding-Gesellschaft der Klägerin vom 18. März 1997 sowie eines weiteren, als "Grundsätzliche Verhaltensregeln ..." bezeichneten Rundschreibens koordinierte Vorgehen, für das auch die Klägerin keinen anderen plausiblen Grund habe angeben können, vor allem dazu gedient habe, die Beklagte ohne sachlichen Grund mit Gebühren zu belasten und dadurch zu schädigen. Die Beschränkung des vor dem Landgericht Hamburg gestellten Unterlassungsantrags auf den dortigen Wirtschaftsraum ändere daran nichts, da diese Beschränkung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erforderlich gewesen sei. Für ein mißbräuchliches Verhalten der Klägerin spreche auch der Umstand, daß deren in Erlangen ansässige Schwestergesellschaft nicht gegen die Beklagte vorgegangen sei, obwohl sie gegen diese seit längerem über einen entsprechenden Unterlassungstitel verfügt habe, wobei die Klägerin hierfür ebenfalls keinen Grund habe angeben können.

III. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs stellt sich nicht als rechtsmißbräuchlich im Sinne des § 13 Abs. 5 UWG dar.

1. Das Berufungsgericht hat im Ausgangspunkt allerdings zutreffend angenommen, ein Indiz für ein rechtsmißbräuchliches Vorgehen könne darin liegen, daß mehrere Konzernunternehmen, die ihr prozessuales Vorgehen gegen Mitbewerber untereinander abstimmten und über denselben Rechtsanwalt koordinierten, jeweils getrennt voneinander parallele Unterlassungsklagen wegen ein und desselben Wettbewerbsverstoßes anhängig machten (vgl. BGHZ 144, 165, 171 - Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung; BGH, Urt. v. 20.12.2001 - I ZR 15/98, GRUR 2002, 713, 714 = WRP 2002, 980 - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung, m.w.N.). Wie der Bundesgerichtshof entschieden hat, werden durch eine Abstimmung des prozessualen Vorgehens von Konzernunternehmen und durch eine zentrale Koordinierung der Rechtsverfolgung gesteigerte Rücksichtnahmepflichten ausgelöst. Bedienen sich Konzernunternehmen - wie dies nach den unbeanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall geschieht - eines Rechtsanwalts, der die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen auf der Grundlage der bei ihm zusammenfließenden Informationen koordiniert, so obliegt es den Konzernunternehmen grundsätzlich, die daraus erwachsenden Möglichkeiten zu einer den Gegner weniger belastenden Verfahrenskonzentration zu nutzen und ihr Vorgehen für den Beklagten schonender zu gestalten. Auch Konzernunternehmen, die in verschiedenen Städten ansässig sind, sind danach in der Regel gehalten, unnötige Parallelprozesse zu verhindern, indem sie sich beispielsweise darauf verständigen, nur durch ein Konzernunternehmen vorzugehen, die Muttergesellschaft zur Klage als Prozeßstandschafterin zu ermächtigen oder - wenn jedes Konzernuntennehmen einen eigenen Titel erwirken möchte - gemeinsam am Sitz des Beklagten zu klagen (BGH GRUR 2002, 713, 714 - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung).

2. Das Berufungsgericht hat jedoch nicht berücksichtigt, daß der Streitfall Besonderheiten aufweist, die ein getrenntes Vorgehen mehrerer Konzernunternehmen an verschiedenen Orten als gerechtfertigt erscheinen lassen. Denn immer dann, wenn die Klagepartei und ihre Konzernschwestern eine Werbung wegen mangelnder Verfügbarkeit der beworbenen Waren als irreführend beanstanden und einen unzureichenden Warenvorrat in verschiedenen Filialen der Beklagten behaupten, geht es - anders als bei den Sachverhalten, die den Entscheidungen "Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung" und "Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung" sowie den weiteren insoweit zu § 13 Abs. 5 UWG ergangenen Senatsentscheidungen zugrunde lagen (vgl. BGH, Urt. v. 6.4.2000 - I ZR 67/98, GRUR 2001, 82 = WRP 2000, 1263 - Neu in Bielefeld I; Urt. v. 6.4.2000 - I ZR 114/98, GRUR 2001, 84 = WRP 2000, 1266 - Neu in Bielefeld II; Urt. v. 24.5.2000 - I ZR 222/97, GRUR 2001, 78 = WRP 2000, 1402 - Falsche Herstellerpreisempfehlung; Urt. v. 20.12.2001 - I ZR 215/98, GRUR 2002, 715 = WRP 2002, 977 - Scanner-Werbung) - nicht um die Verfolgung desselben (identischen) Wettbewerbsverstoßes, sondern lediglich um gleichartige, ähnliche Verstöße. Jedenfalls bei Fällen wie dem hier in Rede stehenden, die sich durch einen zweigliedrigen Sachverhalt (Anzeigenwerbung, tatsächliche Vorratsmenge in der jeweiligen Filiale) auszeichnen, kann grundsätzlich nicht von einem mißbräuchlichen Vorgehen ausgegangen werden, wenn verschiedene Konzernunternehmen das werbende Unternehmen an verschiedenen Standorten in Anspruch nehmen, ohne ihr prozessuales Vorgehen zu bündeln. Denn bei dieser Fallkonstellation hat grundsätzlich jedes Konzernunternehmen ein berechtigtes Interesse daran, den Wettbewerber jeweils an dem Ort, an dem dieser eine Filiale mit unzureichendem Warenvorrat betreibt, in Anspruch zu nehmen. Dies liegt darin begründet, daß sich derartige Wettbewerbsverstöße, auch wenn ihnen eine überregional verbreitete Werbung zugrunde liegt, nicht einheitlich feststellen lassen. Denn die Annahme einer Irreführung über den Warenvorrat setzt eine doppelte Prüfung voraus: Zum einen sind die durch die Werbung ausgelösten Verkehrserwartungen, zum anderen die tatsächlichen Verhältnisse in einer bestimmten Filiale festzustellen. Dieselbe überregional verbreitete Werbeaussage kann daher hinsichtlich bestimmter Filialen zutreffen und hinsichtlich anderer irreführend sein. Deshalb sind derartige Fälle für ein gebündeltes Vorgehen - etwa am Gerichtsstand der beklagten Partei - in aller Regel nicht geeignet, weil für alle Klagen bedeutsame Tatsachenfeststellungen nur hinsichtlich der einheitlich zugrundezulegenden Werbung, nicht aber hinsichtlich der Verhältnisse in den einzelnen Filialen getroffen werden können. In Fällen dieser Art würde, wenn der Prozeß nicht am Ort der jeweiligen Filiale geführt würde, die Aufklärung des Sachverhalts unter Umständen dadurch erschwert, daß Zeugen oder Wissensvertreter (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO) anreisen müßten. Damit ist hier ein vernünftiger Grund für ein getrenntes Vorgehen gegeben, der den Vorwurf des mißbräuchlichen Verhaltens im allgemeinen ausschließt (BGH GRUR 2002, 713, 714 - Zeitlich versetzte Mehrfachverfolgung).

IV. Das Berufungsgericht hat zu der behaupteten Irreführung keinerlei Feststellungen getroffen. Der Rechtsstreit ist deshalb hinsichtlich des gegen den Beklagten zu 2 weiterverfolgten Unterlassungsantrags zurückzuverweisen. Dessen Haftung kommt als handelndes Organ der werbenden Beklagten zu 1 in Betracht.

Das Berufungsgericht wird zu beachten haben, daß das begehrte Verbot ohne eine Beschränkung auf die beanstandete Werbeanzeige nicht ausgesprochen werden darf. Mit dem Unterlassungsantrag werden auch Werbehandlungen erfaßt, die wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden sind (vgl. BGH, Urt. v. 10.12.1998 - I ZR 141/96, GRUR 1999, 509, 511 = WRP 1999, 421 - Vorratslücken).



Ende der Entscheidung

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