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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.06.2004
Aktenzeichen: I ZR 70/02
Rechtsgebiete: GeschmMG


Vorschriften:

GeschmMG § 5 a.F.
Zur Frage der tatrichterlichen Würdigung des vorbekannten Formenschatzes.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 70/02

Verkündet am: 9. Juni 2004

in dem Rechtsstreit

Klemmhebel

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. Januar 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin, die ihren Sitz in Italien hat, stellt Griffe verschiedenster Art her. Sie ist lnhaberin des internationalen Geschmacksmusters Nr. DM/029270 für den nachfolgend abgebildeten Klemmhebel, für das sie - u.a. für Deutschland - eine Priorität vom 5. April 1994 in Anspruch nimmt:

Die Klägerin stellt gemäß diesem Geschmacksmuster Klemmhebel her, die sie im Inland vertreibt.

Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, vertreibt Klemmhebel entsprechend dem nachfolgend abgebildeten Muster:

Die Klägerin sieht die Herstellung und den Vertrieb solcher Klemmhebel als Verletzung des Klagegeschmacksmusters an und beruft sich hilfsweise auf ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz. Sie hat beantragt, die Beklagten zur Unterlassung, Rechnungslegung und zur Vernichtung der beanstandeten Erzeugnisse zu verurteilen sowie die Schadensersatzpflicht der Beklagten festzustellen.

Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, daß das Klagegeschmacksmuster allenfalls einen sehr engen Schutzumfang habe, weil zum vorbekannten Formenschatz ihr eigenes - nachfolgend abgebildetes - Klemmhebel-Modell mit der Bezeichnung "P. 252" (Anlage B 2) gehöre:

Dazu haben die Beklagten vorgetragen, die Beklagte zu 1 habe Klemmhebel dieses Typs an die S. OHG (später: S. GmbH; nachfolgend bezeichnet als S. ) in N. verkauft und am 28. März 1991 ausgeliefert. Dieses Unternehmen habe den dafür am gleichen Tag in Rechnung gestellten Betrag (einschließlich anteiliger Werkzeugkosten in Höhe von 6.000 DM) bezahlt. Der Klemmhebel "P. 252" sei danach für Kleinmöbel im Bereich Hifi benutzt worden; auch die Pu. GmbH habe solche Klemmhebel erhalten.

Die Klägerin hat demgegenüber behauptet, der vorgelegte Klemmhebel "P. 252" sei ein erst nachträglich - zu Prozeßzwecken - angefertigtes Einzelstück.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen. Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat die geltend gemachten Ansprüche verneint und hierzu ausgeführt:

Ansprüche aus Geschmacksmusterrecht seien jedenfalls deshalb nicht gegeben, weil die angegriffene Gestaltung keine verbotene Nachbildung des Klagegeschmacksmusters sei.

Der Klemmhebel "P. 252" gehöre zum vorbekannten Formenschatz. Der Zeuge Se. habe bei seiner Vernehmung durch das Landgericht den Prototyp eines Monitorständers von S. aus dem Jahr 1991 vorgelegt (Anlage BA 6) und dazu erklärt, die Beklagte zu 1 habe für diesen die Kopfplatte und den Klemmhebel gefertigt. S. habe nach dem Muster seinerzeit 2000 bis 3000 Monitorständer herstellen lassen, davon 500 Stück mit dem Klemmhebel "P. 252".

Im Berufungsverfahren habe der Zeuge Se. seine Aussage untermauert. Danach habe es zwei Aufträge für Monitorständer gegeben, nämlich einen des Unternehmens B. (im Umfang bis zu 2000 Stück) und einen weiteren des Unternehmens Sen. (über etwa 20 Stück). Der Ständer sei (mit gewissen Änderungen) hergestellt und tatsächlich ausgeliefert worden.

Der Zeuge Se. habe angegeben, der Klemmhebel habe dazu gedient, die Befestigung der oberen Platte ein erstes Mal festzuziehen, damit von da ab die obere Platte ohne Betätigung des Griffs dreh- und schwenkbar sei. Von dem Hebelgriff habe er sich eine stärkere Feststellwirkung versprochen. Er habe sich aber später davon überzeugen lassen, daß ein Sternengriff ausreichend sei. Es seien etwa 200 bis 300 Klemmhebel eingesetzt worden, bevor man zu einem Sternengriff übergegangen sei.

Der Zeuge habe weiter dargelegt, warum S. am Monitorständerfuß den Klemmhebel trotz der für diesen bereits bezahlten Werkzeugkostenanteile durch einen Sternengriff ersetzt habe. Dies habe damit zu tun, daß man zur Ausführung eines Auftrags zunächst tiefer in die Tasche greife. Wenn sich dann ergebe, daß billigere Teile eingesetzt werden könnten, lasse man die bis dahin angefallenen Werkzeugkostenanteile fallen. Die technischen Unzulänglichkeiten des vorgelegten Prototyps des Monitorständers, insbesondere was die Form des Klemmhebels "P. 252" und den Einsatz eines Maulschlüssels an diesem angehe, erklärten sich nach den Angaben des Zeugen zwanglos durch die zum Teil nachträglich revidierten Entscheidungen in der Pionierphase.

Der Zeuge Se. sei glaubwürdig, obwohl er am selben Ort wie die Beklagte zu 1 tätig sei und zu ihr langjährige Geschäftsbeziehungen unterhalten habe. Seine Aussage werde durch die Angaben des Zeugen Pr. bestätigt.

Zu den Aussagen der Zeugen paßten die vorgelegten Vertragsunterlagen, insbesondere die technische Zeichnung mit der Datumsangabe "11. Januar 1991" (Anlage B 1), die eine Artikelbeschreibung des Klemmhebels "P 252" enthalte. Die Zeichnung bekräftige, daß es diesen Klemmhebel bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt gegeben habe, ebenso wie die der S. erteilte Rechnung vom 28. März 1991 (Anlage B 6), die auf einen Hebel "gem. Zg. vom 11.01.91" Bezug nehme. Nach der Zeichnung sitze die Sechskantkappe im Betätigungskörper zwar wesentlich höher als in dem Prototyp (Anlage BA 6), dies sei aber eine Modifikation, die an der grundlegenden Übereinstimmung von Zeichnung und Prototyp nichts ändere.

Das Klagegeschmacksmuster habe wegen der Vorbekanntheit des Klemmhebels "P. 252" nur einen geringen Schutzumfang. Der Hebel der Beklagten verwirkliche die vom Klemmhebel "P. 252" abweichenden, individuellen Merkmale des Klagegeschmacksmusters nicht.

Auch Ansprüche aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz seien nicht gegeben.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht Ansprüche der Klägerin aus Geschmacksmusterrecht (§ 14a GeschmMG a.F.) verneint hat, halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Die Schutzfähigkeit des Klagegeschmacksmusters richtet sich noch nach dem Geschmacksmustergesetz in dessen zur Zeit der Anmeldung und Eintragung geltenden Fassung, obwohl nunmehr das Geschmacksmustergesetz in der Fassung des Geschmacksmusterreformgesetzes vom 12. März 2004 (BGBl. I S. 390) in Kraft getreten ist (§ 66 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG).

2. Im Revisionsverfahren ist zugunsten der Klägerin davon auszugehen, daß das Klagegeschmacksmuster im Sinne des § 1 Abs. 2 GeschmMG a.F. neu und eigentümlich ist, weil das Berufungsgericht diese Frage offen gelassen hat.

3. Das Berufungsgericht hat angenommen, der beanstandete Klemmhebel der Beklagten sei keine verbotene Nachbildung (§ 5 GeschmMG a.F.) des Klagegeschmacksmusters, weil dieses wegen der Vorbekanntheit des Klemmhebels "P. 252" nur einen geringen Schutzumfang habe. Diese Beurteilung ist nicht bereits deshalb zu beanstanden, weil das Berufungsgericht auch bei Einbeziehung des Klemmhebels "P. 252" in den vorbekannten Formenschatz den Schutzumfang rechtsfehlerhaft gewürdigt hätte. Mit Erfolg rügt die Revision aber die tatrichterliche Feststellung, dieser Klemmhebel sei vorbekannt, als verfahrensfehlerhaft.

a) Das Berufungsgericht hat seine Annahme, daß der Klemmhebel "P. 252" vorbekannt sei, im wesentlichen auf die Aussagen der Zeugen Se. und Pr. und einige der vorgelegten Unterlagen gestützt. Dabei hat es jedoch wesentliches Vorbringen der Klägerin zum Ergebnis der Beweisaufnahme übergangen.

Ausweislich des Sitzungsprotokolls haben die Parteien nach der Beweisaufnahme auch zu deren Ergebnis verhandelt. Das Berufungsgericht hat durch Beschluß den Parteien zusätzlich Gelegenheit gegeben, sich schriftsätzlich zum Beweisergebnis zu äußern. Es hat jedoch sein Urteil gefällt, ohne wesentliches Vorbringen der Klägerin in deren zuvor eingereichtem Schriftsatz vom 18. Dezember 2001 in mündlicher Verhandlung zu erörtern und in den Entscheidungsgründen abzuwägen.

Die Klägerin hat vorgetragen, daß die Angaben des Zeugen Se. mit den eingereichten Unterlagen zeitlich nicht in Einklang gebracht werden könnten. Nach der Auftragsbestätigung der Beklagten zu 1 für die S. vom 5. Februar 1991 (Anlage B 6/letztes Blatt unten) habe am 10. Januar 1991 eine Besprechung der Beklagten zu 1 mit dem Zeugen Se. über den Klemmhebel stattgefunden. Die technische Zeichnung des Klemmhebels mit der Artikelnummer "252" trage das Datum vom 11. Januar 1991 (Anlage B 1). Die Bestellung von Sen. bei S. (Anlage BA 4) datiere bereits vom 16. Januar 1991, weise aber folgenden Vermerk auf:

"Die Ausführung der Dreh-Schwenkfüße entnehmen Sie bitte der beiliegenden B. -Montageanleitung."

Erst am 30. Januar 1991 solle der Zeuge Se. (ausweislich des Lieferscheins vom 28.3.1991/Anlage B 6 erstes Blatt) der Beklagten zu 1 einen Fertigungsauftrag über 500 Klemmhebel erteilt haben, und zwar, wie er ausgesagt habe, "als der Auftrag von B. sicher war". Dabei solle B. das Unternehmen gewesen sein, "für das die Entwicklungen durchgeführt worden waren". Ausweislich der "Auftrags-Termin-Karte" vom 5. Februar 1991 (Anlage B 6/drittes Blatt, Vermerk im Kasten unten links: "Neuteil, Rückspr. WZ-Bau") habe jedoch erst neues Werkzeug hergestellt werden müssen.

Bei Berücksichtigung des Vorbringens der Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 18. Dezember 2001 erscheint es - jedenfalls ohne ergänzende Erklärung - schwer vorstellbar, daß Sen. nur fünf Tage nach dem 11. Januar 1991, auf den die vorgelegte technische Zeichnung für den Klemmhebel "P. 252" datiert ist, bei der Bestellung des Monitorständers (am 16. Januar 1991) bereits auf eine "B. -Montageanleitung" Bezug nehmen konnte, und dies zu einem Zeitpunkt, als bei der Beklagten zu 1 noch nicht einmal Werkzeug zur Herstellung des Klemmhebels, der zur Montage des bestellten Ständers notwendig war, vorhanden war. Diese Umstände können für die Behauptung der Klägerin sprechen, daß die vorgelegte technische Zeichnung auf den 11. Januar 1991 rückdatiert worden ist und die Bestellvorgänge von Anfang 1991 nicht das als Anlage B 2 vorgelegte und als "P. 252" bezeichnete Modell betrafen.

b) Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird deshalb eine erneute Beweiswürdigung unter Einbeziehung aller maßgeblichen Umstände vorzunehmen sein. Dazu gehören auch die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, daß der als Anlage BA 6 vorgelegte Monitorständer eine "nicht ganz wackelfreie Konstruktion" aufweist, der Klemmhebel "P. 252" eine "unerwartet hohe ästhetische Wirkung" besitzt, obwohl er unter dem Monitorfuß normalerweise nicht zu sehen gewesen wäre, sowie der Umstand, daß bei dem Monitorständer mit dem Klemmhebel "P. 252" ein Maulschlüssel jedenfalls nicht besonders gut eingesetzt werden kann.

Die Beweislast dafür, daß der Klemmhebel "P. 252" zum vorbekannten Formenschatz gehört, trifft die Beklagten.

III. Auf die Revision der Klägerin war danach das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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