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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.05.2000
Aktenzeichen: I ZR 80/98
Rechtsgebiete: CMR


Vorschriften:

CMR Art. 27
CMR Art. 27

Die Zinspflicht des Frachtführers nach Art. 27 Abs. 1 CMR schließt einen Rückgriff gegen den Unterfrachtführer wegen konkreter Verzugsschäden des Hauptfrachtführers, die nicht im Zinsverlust aufgrund der vorenthaltenen Kapitalnutzung des Entschädigungsbetrages bestehen, sondern im anderweitigen Vermögensbereich eingetreten sind (hier: Vorprozeßkosten des Hauptfrachtführers durch gerichtliche Inanspruchnahme von seiten des Absenders bzw. dessen Rechtsnachfolgers), nicht aus (Ergänzung zu BGHZ 115, 299 ff.).

BGH, Urteil v. 24. Mai 2000 - I ZR 80/98 - OLG Hamburg LG Hamburg


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 80/98

Verkündet am: 24. Mai 2000

Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2000 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Prof. Dr. Bornkamm, Pokrant und Raebel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, 6. Zivilsenat, vom 22. Januar 1998 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 13 für Handelssachen, vom 29. Mai 1997 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittel trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten - soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung - aus übergegangenem Recht der bei ihr haftpflichtversicherten Hauptfrachtführerin, ihr die Kosten eines Vorprozesses in Höhe von 13.756,01 DM zu ersetzen. In diesem Vorprozeß ist die Hauptfrachtführerin nach Streitverkündung an die hier beklagte Unterfrachtführerin und Beitritt derselben auf ihrer Seite verurteilt worden, dem Versicherer des Absenders Ersatz für Elektrogeräte zu leisten, die mit dem Lkw von Hamburg nach Moskau zu befördern waren und den Empfänger nicht erreichten. Die Klägerin macht die Kosten des Vorprozesses als Verzugsschaden geltend.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Erstattung der Versicherungsleistungen für das verlorengegangene Transportgut sowie von 13.756,01 DM Rechtsverteidigungskosten der Hauptfrachtführerin aus dem Vorprozeß verurteilt. Die auf die Verurteilung zur Zahlung der Rechtsverteidigungskosten beschränkte Berufung der Beklagten führte insoweit zur Klageabweisung (OLG Hamburg TranspR 1998, 252).

Mit der (zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zahlung von 13.756,01 DM weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch auf Ersatz der Kosten des Vorprozesses auf der Grundlage der hier anwendbaren CMR verneint und dazu ausgeführt:

Die CMR-Haftung beschränke sich im Verlustfalle regelmäßig auf die Leistung von Wertersatz nach Maßgabe des Art. 23 Abs. 1 und 2 CMR und auf Rückerstattung von Fracht, Zöllen und sonstigen aus Anlaß der Beförderung des Gutes entstandenen Kosten. Daneben könne der Verfügungsberechtigte gemäß Art. 27 Abs. 1 CMR auf die ihm zu gewährende Entschädigung jährlich 5 % Zinsen beanspruchen. Weitergehenden Schadensersatz schulde der Frachtführer dagegen nicht, so daß er im Regelfall auch keine mittelbaren Schäden - wie die hier in Rede stehenden Kosten des Vorprozesses - zu ersetzen habe.

An der in einem vergleichbaren Fall vertretenen Ansicht, daß eine Ersatzpflicht hinsichtlich der Vorprozeßkosten in analoger Anwendung des Art. 37 CMR zu bejahen sei (OLG Hamburg TranspR 1985, 266, 268), werde - wie das Berufungsgericht näher ausgeführt hat - nicht mehr festgehalten.

Die CMR enthalte hinsichtlich der Haftung des Frachtführers bei Verlustschäden - ebenso wie im Falle der Beschädigung - eine abschließende Regelung, die eine ergänzende Anwendung der Verzugsvorschriften des nationalen Rechts (hier: § 286 Abs. 1 BGB) grundsätzlich nicht zulasse. Ein Rückgriff auf nationales Recht sei nur ausnahmsweise möglich, wenn den Frachtführer ein grobes Verschulden im Sinne des Art. 29 CMR treffe. Ein solches Verschulden sei von der Klägerin jedoch nicht geltend gemacht worden.

II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt hinsichtlich der Kosten des Vorprozesses in Höhe von 13.756,01 DM zur Wiederherstellung des der Klage stattgebenden landgerichtlichen Urteils.

Die Klägerin kann die Vorprozeßkosten unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzuges (§§ 284, 286, 288 BGB) als Schaden ersetzt verlangen.

1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind im Streitfall neben der CMR die Verzugsregelungen des BGB ergänzend anwendbar. Nach dem internationalen Privatrecht unterliegt die grenzüberschreitende Beförderung dem maßgeblichen nationalen Recht, soweit die CMR keine Regelung trifft. Das bedeutet, daß bei Anwendbarkeit deutschen Rechts - wovon hier gem. Art. 28 Abs. 4 Satz 1 EGBGB auszugehen ist (BU 6 unten) - auch auf die allgemeinen innerstaatlichen Anspruchsgrundlagen des Verzuges zurückzugreifen ist, sofern nicht die besonderen Anspruchsgrundlagen der CMR für Verlust eingreifen (vgl. Piper, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Speditions- und Frachtrecht, 6. Aufl., Rdn. 311). Letzteres ist nicht der Fall.

Durch Art. 27 Abs. 1 CMR werden - anders als das Berufungsgericht meint - Ansprüche auf Ersatz von Verzugsschäden nicht generell ausgeschlossen (ebenso OLG München TranspR 1991, 96, 98 = VersR 1991, 1311; OLG Hamm TranspR 1994, 62 und 1998, 459, 461 f.; Baumann, TranspR 1985, 269; de la Motte, VersR 1988, 317, 321; Koller, VersR 1992, 773, 774 sowie TranspR 1994, 53 ff. und Transportrecht, 4. Aufl., CMR Art. 27 Rdn. 6; Thume, TranspR 1993, 365, 368 sowie Kommentar zur CMR, 1995, Art. 27 Rdn. 30 und 35; a.A. Fischer, TranspR 1991, 321, 332 f.). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Berufungsgericht angeführten Senatsentscheidung BGHZ 115, 299 ff. Dort ist lediglich ausgesprochen, daß Art. 27 Abs. 1 CMR nicht nur nationale Zinsvorschriften einschließlich Verzugszinsen ausschließt, sondern auch Ansprüche wegen Verzugsschadens, der im Zinsverlust besteht; dagegen schließt Art. 27 Abs. 1 CMR andere Arten von Verzugsschäden nicht aus (so auch Herber/Piper, CMR, Art. 27 Rdn. 10 und 11). In der Senatsentscheidung ging es allein um die Frage, ob die dortige Klägerin über den in Art. 27 Abs. 1 CMR festgelegten Zinssatz von 5 % hinaus den vom Berufungsgericht gem. §§ 284, 288, 286 BGB zugesprochenen höheren Verzugszinsschaden von 8,5 % beanspruchen konnte. Nur darüber hat der Senat entschieden.

Der Entstehungsgeschichte des Übereinkommens lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, daß die Unterzeichnerstaaten eine vollständige bereichsbezogene Vereinheitlichung der weit auseinandergehenden nationalen Verzugsfolgeregelungen angestrebt haben (vgl. Loewe, ETR 1976, 503, 572). Auch die verhältnismäßig geringe Höhe der Verzinsung spricht dagegen, daß mit Art. 27 Abs. 1 CMR eine abschließende Pauschalierung von Haftungsfolgen des Entschädigungsverzuges des Frachtführers gewollt gewesen sein könnte. Denn eine solche Lösung hätte den Nachteil gehabt, die generalpräventive Funktion der Verzugshaftung des ersatzpflichtigen Frachtführers empfindlich zu schwächen und damit unnötige Rechtsstreitigkeiten zu provozieren. Will der Hauptfrachtführer, der die in der Sphäre des Unterfrachtführers gelegene Schadensursache nicht umfassend kennen kann, einen Regreßanspruch gegen den Unterfrachtführer nicht gefährden, so bleibt ihm oft nichts anderes übrig, als sich verklagen zu lassen und seinem Unterfrachtführer den Streit zu verkünden. Es kann nicht gewollt sein, daß der Hauptfrachtführer in Fällen dieser Art auf eigenes Risiko prozessiert (vgl. auch OLG München TranspR 1991, 96, 98; Koller, VersR 1992, 773, 774). Nach alledem rechtfertigt es auch der vom Berufungsgericht angeführte Vereinheitlichungszweck, den die Entschädigungsverzinsung gemäß Art. 27 Abs. 1 CMR verfolgt, nicht, die Zinspflicht als abschließende Haftungsregelung für alle Folgen des Entschädigungsverzuges anzusehen.

Auch Art. 23 CMR steht einem Rückgriff auf das nationale Recht nicht entgegen, soweit der Entschädigungsverzug nicht durch Art. 27 Abs. 1 CMR ausgeschlossen ist. Die Vorschrift des Art. 23 CMR, die die Ersatzleistung im Falle einer Haftung nach Art. 17 Abs. 1 CMR bei gänzlichem oder teilweisem Verlust des Gutes regelt, betrifft zwar auch die verspätete Ablieferung, d.h. den Beförderungsverzug als Primärpflichtverletzung. Davon ist aber die Haftung des Frachtführers für verspätete Entrichtung der Entschädigung, um die es hier geht, als Sekundärpflichtverletzung zu unterscheiden (vgl. Herber/Piper, CMR, Art. 27 Rdn. 11).

2. Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - ungeprüft gelassen, ob die Voraussetzungen des Schuldnerverzuges nach §§ 284, 288, 286 BGB gegeben sind. Insoweit bedarf es jedoch keiner Aufhebung und Zurückverweisung, da der Senat auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhalts selbst entscheiden kann (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

a) Die Beklagte ist mit Anwaltsschreiben der Hauptfrachtführerin vom 30. Oktober 1995 unter Fristsetzung bis zum 6. November 1995 wegen ihrer Schadensersatzpflicht gemäß Art. 17, 23 und 3 CMR gemahnt worden (vgl. Anl. K 5 zur Klageschrift). In der Mahnung war die Beklagte unter Hinweis auf die Inanspruchnahme durch den Versicherer des Absenders und die seinerseits angedrohte Klageerhebung ausdrücklich aufgefordert worden, den Entschädigungsbetrag entweder an die Hauptfrachtführerin oder unmittelbar an die angegebene Zahlstelle der Drittgläubigerin zu leisten. Darin ist eine den Verzug begründende Mahnung i.S. des § 284 Abs. 1 BGB zu sehen. Der Anspruch des Hauptfrachtführers auf Ersatz seines eigenen Schadens richtet sich im Unterfrachtführerregreß typischerweise auf den Ausgleich der Einbuße, die er durch seine eigene Haftpflichtverbindlichkeit gegenüber dem Absender bzw. Empfänger des Gutes erleidet. So lag es auch hier.

b) Der Ersatzanspruch der Klägerin läßt sich auch nicht mit der Erwägung verneinen (so aber Woiwodschaftsgericht Lodz TranspR 1999, 451, 453), die Vorprozeßkosten des Hauptfrachtführers stünden mit dem Handeln des Regreßschuldners nicht in Kausalzusammenhang, sondern seien durch die Nichtbefriedigung berechtigter Ansprüche des Absenders gegen den Hauptfrachtführer verursacht worden, wofür der Unterfrachtführer keine Verantwortung trage. Zunächst kann regelmäßig davon ausgegangen werden, daß ein Hauptfrachtführer seinen Ersatzgläubiger entschädigt und einen Vorprozeß vermeidet, wenn sein Unterfrachtführer rechtzeitig an ihn zahlt oder einen Regreßanspruch jedenfalls anerkennt. Das Wertersatzprinzip der Art. 23, 25 CMR für den Güterschaden schließt nicht aus, daß der Hauptfrachtführer beim Rückgriff gegen den Unterfrachtführer berechtigt ist, wie ein normaler Schadensersatzgläubiger nach § 249 Satz 1 BGB Befreiung von einer Haftpflichtverbindlichkeit gegen den Drittgläubiger zu verlangen, wenngleich der Übergang zum Geldersatz hier nicht die in § 250 BGB bezeichnete Vorgehensweise notwendig macht (vgl. Koller, Transportrecht, 4. Aufl., CMR Art. 23 Rdn. 3).

Im Streitfall war die Leistung an den Gläubiger der Hauptfrachtführerin nach § 267 BGB oder die Zahlung an die Hauptfrachtführerin selbst zur Wahl gestellt worden. Die Hauptfrachtführerin hatte auch alles getan, was erforderlich war, um der Beklagten die rechtzeitige Schuldbefreiung durch Leistung an die Drittgläubigerin zu ermöglichen; Anhaltspunkte für ein Mitverschulden sind nicht ersichtlich. Unter diesen Umständen lag es in der Hand der Beklagten, ob sie die Hauptfrachtführerin rechtzeitig aus ihrer Haftpflichtverbindlichkeit befreite oder es auf den Vorprozeß ankommen ließ, in dem die Beklagte auf seiten ihrer Gläubigerin beigetreten ist und den Anspruch der Drittgläubigerin mit ihrer Hauptpartei zusammen in vollem Umfang bekämpft hat.

Danach ist die Kostenlast aus dem verlorenen Vorprozeß hier nicht mehr nur Folge eines unabhängigen Entschlusses der Hauptfrachtführerin zur eigenen Rechtsverteidigung gegenüber dem Absender bzw. dessen Rechtsnachfolger, sondern eine der Beklagten uneingeschränkt zurechenbare Folge ihres Verzuges mit ihrer Schadensersatzpflicht gegenüber der Hauptfrachtführerin.

c) Auch die weiteren Anspruchsvoraussetzungen sind gegeben. Die Beklagte hat nicht dargetan, daß sie den Verzug nicht zu vertreten hat. Die mit der Klage als Verzugsschaden geforderten Kosten der Hauptfrachtführerin aus dem Vorprozeß, die gegen sie festgesetzten gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten sowie die Aufwendungen für den eigenen Prozeßbevollmächtigten, sind von der Beklagten nicht bestritten worden. Das Landgericht hat der Klägerin demnach diese Beträge sowie die Zinsen darauf (§§ 352, 353 HGB) im Ergebnis zu Recht zugesprochen. Infolgedessen war das landgerichtliche Urteil auf die Revision der Klägerin insoweit wiederherzustellen.

III. Die Kosten beider Rechtsmittelverfahren hat die Beklagte zu tragen (§ 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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