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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.05.2004
Aktenzeichen: II ZB 14/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233 Fe
a) Eine Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, weil ein Prozeßbevollmächtigter erst am Tage ihres Ablaufs das Fehlen einer an das Berufungsgericht "mit der Bitte um Rückgabe" übersandten Abschrift des angefochtenen Urteils bemerkt hat, ist regelmäßig nicht unverschuldet i.S. von § 233 ZPO.

b) Zum Umfang der Darlegungslast bei einem auf Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten gestützten Wiedereinsetzungsantrag.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

II ZB 14/03

vom

17. Mai 2004

in der Rechtsbeschwerdesache

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. Mai 2004 durch die Richter Prof. Dr. Goette, Kraemer, Münke, Dr. Strohn und Caliebe

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 11. April 2003 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.

Beschwerdewert: 75.000,00 €

Gründe:

I. Der Kläger hat gegen das am 12. Dezember 2002 zugestellte Urteil des Landgerichts, durch das seine Klage in einer gesellschaftsrechtlichen Streitigkeit abgewiesen worden ist, rechtzeitig Berufung eingelegt und eine Ausfertigung des erstinstanzlichen Urteils "mit der Bitte um Rückgabe" beigefügt. Mit Schriftsatz vom 10. Februar 2003 beantragte er durch seinen - bereits in 1. Instanz mit der Sache befaßten - Prozeßbevollmächtigten, RA Prof. Dr. S., eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12. März 2003 mit der Begründung: "Wegen Arbeitsüberlastung war es bisher leider nicht möglich, die schwierige Angelegenheit mit der nötigen Sorgfalt zu durchdenken". Nach antragsgemäßer Fristverlängerung beantragte er mit Telefax vom 12. März 2003 eine erneute Verlängerung bis 12. April 2003 mit der Begründung, bei Vorlage der Akte am 12. März sei festgestellt worden, daß sich darin kein Exemplar des erstinstanzlichen Urteils mehr befunden habe, weil die mit der Berufungsschrift übersandte Ausfertigung entgegen seiner Bitte von dem Berufungsgericht nicht zurückgesandt worden sei. Mit gleicher Begründung beantragte RA Prof. Dr. S. am 13. März 2003 "vorsorglich" Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, nachdem er zuvor - auf telefonischen Hinweis der Senatsvorsitzenden des Berufungsgerichts - die Beklagten erfolglos um Zustimmung zu der primär beantragten Fristverlängerung ersucht hatte. Am 25. März 2003 beantragte der (in A. ansässige) RA Prof. Dr. S. erneut Wiedereinsetzung, wobei er nunmehr anwaltlich versicherte, es sei ihm wegen einer Augenerkrankung in den Tagen vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist unmöglich gewesen, Akten zu bearbeiten. Er habe sich deshalb an einen Spezialisten von der C. in B. gewandt, der ihn mit einer - zur Glaubhaftmachung vorgelegten - E-Mail vom 12. März 2003 unter dem Betreff "Re: Hornhautdystrophie" zu einer eventuell in Frage kommenden Laser-Behandlung in seine Privatsprechstunde gebeten habe. Durch Beschluß vom 11. April 2003 hat das Berufungsgericht - nach vorheriger Ablehnung der beantragten Fristverlängerung - die Berufung des Klägers unter Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrages als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II. Die gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

Es handelt sich um eine der Verallgemeinerung nicht zugängliche Einzelfallentscheidung. Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Kläger habe nicht dargetan oder jedenfalls nicht glaubhaft gemacht, daß sein Prozeßbevollmächtigter, dessen Verschulden er sich zurechnen lassen müsse (§ 85 Abs. 2 ZPO), an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist unverschuldet gehindert gewesen sei (§§ 233, 236 Abs. 2 Satz 1, 294 ZPO), überspannt unter den vorliegenden Umständen auch nicht die an einen Wiedereinsetzungsgrund zu stellenden Anforderungen.

1. Soweit der Kläger sich darauf beruft, daß sein Prozeßbevollmächtigter wegen des ihm fehlenden erstinstanzlichen Urteils an der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist gehindert gewesen sei, führt das nicht zum Erfolg. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, versteht es sich von selbst, daß ein pflichtbewußter Anwalt sich nicht der Unterlagen begibt, die er zur Fertigung einer Berufungsbegründung benötigt. Unverständlich ist daher schon, daß RA Prof. Dr. S. von den beiden in seinem Besitz befindlichen Urteilsabschriften eine an den Kläger und die andere an das Gericht übersandte, ohne sich eine Kopie für seine Handakten zu fertigen. Das gilt um so mehr, als seine gegenüber dem Gericht geäußerte floskelhafte "Bitte um Rückgabe" nicht erkennen ließ, daß er unverzügliche Rückgabe erwartete und hierauf zur Fertigung der Berufungsbegründung angewiesen sei, zumal er in der Berufungsschrift die Durchführung der Berufung ausdrücklich noch als offen bezeichnet hat. Ob unter diesen Umständen überhaupt ein Mitverschulden des Gerichts an der Fristversäumung anzunehmen ist, erscheint mehr als fraglich, kann aber dahinstehen, weil ein Verschulden des RA Prof. Dr. S. an der Fristversäumung dadurch weder ausgeschlossen würde (vgl. BGH, Urt. v. 5. April 1990 - VII ZR 215/89, BGHR ZPO § 233 - Verschulden 5; Beschl. v. 4. Februar 1992 - X ZB 18/91, NJW 1992, 1700; Beschl. v. 16. Juni 1994 - V ZB 12/94, NJW 1994, 2299; Beschl. v. 19. Oktober 1994 - I ZB 7/94, NJW-RR 1995, 574, 575; Urt. v. 6. Mai 1999 - VII ZR 396/98, VersR 2000, 515 f.) noch bei wertender Betrachtung in den Hintergrund träte (vgl. Sen.Beschl. v. 26. April 2004 - II ZB 6/03 z.V.b.). Die bisher fehlende Rücksendung der an das Berufungsgericht übersandten Urteilsausfertigung hätte RA Prof. Dr. S. bereits auffallen und ihn zu einem "Nachhaken" veranlassen müssen, als er seinen ersten - mit der Schwierigkeit der Sache begründeten - Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vom 10. Februar 2003 stellte und ihm die Akten zu diesem Zweck vorgelegt wurden. Er konnte sich unter den gegebenen Umständen nicht ohne eigenes Zutun darauf verlassen, daß ihm die Urteilsausfertigung irgendwann doch noch rechtzeitig vor Ablauf der ggf. verlängerten Berufungsbegründungsfrist zugehen werde. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers handelt es sich hier nicht um die Perpetuierung eines anwaltlichen Fehlers durch rechtsfehlerhaftes Unterlassen eines Gerichts (dazu BVerfG, Beschl. v. 12. August 2002 - 1 BvR 399/02, NJW 2002, 2937), sondern umgekehrt um die Perpetuierung eines Unterlassens des Gerichts durch einen anwaltlichen Fehler. Nach allem hat es der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zumindest überwiegend selbst zu vertreten, daß ihm bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist keine Urteilsabschrift zur Verfügung stand.

2. Das von RA Prof. Dr. S. zu vertretende Fehlen der Urteilsabschrift stünde einer Wiedereinsetzung gemäß § 233 ZPO allerdings dann nicht entgegen, wenn er ohnehin aus einem anderen Grund, nämlich wegen der von ihm angegebenen Augenerkrankung (Hornhautdystrophie), unverschuldet gehindert war, die Frist einzuhalten (vgl. Zöller/Greger, ZPO 24. Aufl. § 233 Rdn. 22 a m.w.N.).

a) Das Berufungsgericht hat dies nicht für hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht erachtet. Dabei hat es - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - nicht die Erkrankung als solche, sondern die mit ihr begründete "Unmöglichkeit der Aktenbearbeitung" deshalb in Zweifel gezogen, weil der Klägervertreter sich weder in seinem Fristverlängerungsantrag vom 12. März 2003 noch in seinem ersten Wiedereinsetzungsantrag vom 13. März 2003 noch in der verspätet eingereichten Berufungsbegründung vom 17. März 2003 hierauf berufen, sondern diesen angeblichen Hinderungsgrund erst nachträglich - nach Stellungnahmen der Gegenseite - mit seinem erneuten Wiedereinsetzungsgesuch vom 25. März 2003 geltend gemacht hat, obwohl in Anbetracht des drohenden Rechtsmittelverlustes aller Anlaß bestanden hätte, den angeblich zwingenden Hinderungsgrund, hätte er vorgelegen, sogleich vorzutragen. Weiter hat das Berufungsgericht zu Recht substantiierte Angaben über die Art und das Ausmaß der behaupteten Sehstörungen vermißt und darauf hingewiesen, daß die in der E-Mail des B. Arztes verwendete Bezeichnung "Hornhautdystrophie" (erbliche Hornhauttrübung; vgl. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl.) eine gravierende, zur Unmöglichkeit der Aktenbearbeitung führende Sehstörung nicht belege, zumal Prof. Dr. S. im weiteren Verlauf zur Fertigung von Schriftsätzen durchaus in der Lage gewesen sei.

Insgesamt handelt es sich insoweit nicht um Fragen i.S. von § 574 Abs. 2 ZPO, sondern um die richterliche Würdigung des Klägervorbringens im Rahmen von § 294 ZPO, bei der dem Berufungsgericht keine grundrechtsrelevanten Fehler unterlaufen sind. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers muß das Gericht eine anwaltliche Versicherung nicht ungeprüft hinnehmen, sondern hat sie daraufhin zu prüfen und zu würdigen, ob ihr Inhalt in Anbetracht der sonstigen Umstände des Einzelfalls überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. BGH, Beschl. v. 5. Mai 1976 - IV ZB 49/75, VersR 1976, 928; Zöller/Greger aaO § 294 Rdn. 6).

b) Davon abgesehen bliebe selbst unter Zugrundelegung des Klägervorbringens unklar, ob die angebliche Unfähigkeit des RA Prof. Dr. S. zur Aktenbearbeitung "in den Tagen vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist" auch noch am Tage ihres Ablaufs (12. März 2003) anhielt. Dagegen spricht sein - (nur) auf das Fehlen der Urteilsabschrift gestützter - Fristverlängerungsantrag von diesem Tage. Mit einem Erfolg dieses Antrags ohne Zustimmung der Gegenseite konnte er gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht rechnen. Daß er an diesem Tag gesundheitlich (noch) nicht in der Lage gewesen wäre, statt des erwartbar erfolglosen Fristverlängerungsantrages die verspätet eingereichte, dreiseitige Berufungsbegründung zu fertigen, ist nicht dargetan. Offen ist weiter, ob die anscheinend in den Tagen davor akut aufgetretene Krankheitsphase vorhersehbar zum ersten oder aber zum wiederholten Mal (rezidivierend) aufgetreten ist und RA Prof. Dr. S. es versäumt hat, rechtzeitig für einen Vertreter zu sorgen (vgl. Sen.Beschl. v. 26. Februar 1996 - II ZB 7/95, NJW 1996, 1540). Gegen eine erstmalige Krankheitsphase spricht, daß Prof. Dr. S. sich nicht an einen ortsansässigen Augenarzt in A., sondern an einen Professor für Augenheilkunde in B. gewandt hat und diesem die Diagnose des Grundleidens offenbar bekannt war. Offen ist schließlich, ob Prof. Dr. S. die Zustimmung der Beklagten zu einer nochmaligen Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte erreichen können, wenn er sich mit deren Anwälten bei Beginn seiner Krankheitsphase unter Hinweis auf diese ins Benehmen gesetzt hätte. All diese Unklarheiten gehen zu Lasten des Klägers, weil er gemäß § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO das Fehlen eines (ihm zuzurechnenden) Verschuldens seines Anwalts an der Fristversäumung darzulegen und glaubhaft zu machen hat. Bleibt die Möglichkeit einer verschuldeten Fristversäumung offen, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden (BGH, Beschl. v. 18. Oktober 1995 - I ZB 15/95, NJW 1996, 319; Zöller/Greger aaO § 233 Rdn. 22 c m.w.N.).

Ende der Entscheidung

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