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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.11.2008
Aktenzeichen: II ZB 4/08
Rechtsgebiete: ZPO, GG


Vorschriften:

ZPO § 46 Abs. 2
ZPO § 567 Abs. 1
ZPO § 574 Abs. 1
GG Art. 103
a) Im Kapitalanleger-Musterverfahren ist eine sofortige Beschwerde ( § 46 Abs. 2 ZPO) gegen die ein Ablehnungsgesuch zurückweisende Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht statthaft (vgl. § 567 Abs. 1 ZPO).

b) Im Kapitalanleger-Musterverfahren ist eine Rechtsbeschwerde gegen die ein Ablehnungsgesuch zurückweisende Zwischenentscheidung des Oberlandesgerichts nicht aufgrund ausdrücklicher Bestimmung im Gesetz ( § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO) statthaft. § 15 Abs. 1 Satz 1 KapMuG eröffnet die Rechtsbeschwerde von Gesetzes wegen ausdrücklich nur "gegen den Musterentscheid" selbst.


Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat

am 24. November

durch

den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und

die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2 gegen den Beschluss des Senats für Kapitalanleger-Musterverfahren des Oberlandesgerichts München vom 12. Februar 2008 wird auf deren Kosten als unzulässig verworfen.

Streitwert: 100.000,00 EUR

Gründe:

I.

Die Kläger nehmen im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der F. GmbH & Co. KG die Beklagten wegen angeblich unzutreffender Angaben in einem Emissionsprospekt in Anspruch. Aufgrund des Vorlagebeschlusses des Landgerichts gemäß § 4 Kap-MuG vom 15. November 2007 ist die Sache bei dem Senat des Oberlandesgerichts für Kapitalanleger-Musterverfahren anhängig (Az.: KAP 1/07).

Der Vorsitzende dieses Senats ist zugleich Vorsitzender des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts. In dieser Eigenschaft gab er in dem - denselben Tatsachenkomplex betreffenden, jedoch zwischen anderen Parteien anhängigen - Berufungsverfahren 5 U 3007/07 in der mündlichen Verhandlung vom 18. Dezember 2007 Äußerungen ab, aus denen die Beklagten des vorliegenden Kapitalanleger-Musterverfahrens eine Voreingenommenheit gegen sich ableiten. Sie haben deshalb - die Beklagte zu 2 auch wegen der Behandlung eines Terminsverlegungsantrags - mit Schriftsätzen vom 21. Dezember 2007 den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

Durch Beschluss vom 12. Februar 2008 hat das Oberlandesgericht die Ablehnungsgesuche zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Dagegen hat die Beklagte zu 2 unter Hinweis auf § 15 KapMuG Rechtsbeschwerde eingelegt.

II.

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 2 ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht statthaft ist ( §§ 577 Abs. 1, 574 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

1.

Eine Rechtsbeschwerde gegen die das Ablehnungsgesuch der Beklagten zurückweisende Entscheidung des Oberlandesgerichts im Kapitalanleger-Musterverfahren ist nicht durch Gesetz zugelassen ( § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

a)

§ 46 Abs. 2 ZPO sieht als Rechtsmittel gegen einen Beschluss, durch den ein Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, nur die sofortige Beschwerde vor. Auch diese ist jedoch gemäß § 567 Abs. 1 ZPO gegen Beschlüsse des Oberlandesgerichts - unter Einschluss solcher gemäß § 46 ZPO -nicht statthaft (Sen. Beschl. v. 8. November 2004 - II ZB 24/03, NJW-RR 2005, 294). Die Verweisung des § 9 Abs. 1 Satz 1 KapMuG auf die im ersten Rechtszug für das Verfahren vor den Landgerichten geltenden Vorschriften der Zivilprozessordnung stellt den Beschluss des Oberlandesgerichts nicht einer im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidung eines Landgerichts im Sinne des § 567 Abs. 1 ZPO gleich.

b)

§ 15 Abs. 1 Satz 1 KapMuG eröffnet die Rechtsbeschwerde ausdrücklich nur "gegen den Musterentscheid" selbst. Nur insoweit wird auch kraft gesetzlicher Anordnung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ("grundsätzliche Bedeutung") unwiderleglich vermutet, um eine umfassende Rechtskontrolle des Musterentscheids zu ermöglichen. Der Bestimmung des § 15 Abs. 1 KapMuG lässt sich entgegen der Auffassung der Beklagten zu 2 nicht entnehmen, sie eröffne das gegenüber § 46 Abs. 2 ZPO vorrangige Rechtsbeschwerdeverfahren auch ohne Zulassung durch das Oberlandesgericht.

Eine historische Auslegung des § 15 KapMuG ergibt keine Anhaltspunkte für die Auffassung der Beklagten zu 2, sämtliche Zwischenentscheidungen des Oberlandesgerichts im Kapitalanleger-Musterverfahren seien von Gesetzes wegen der Rechtsbeschwerde zugänglich. Ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren (BT-Drucks. 15/5091 S. 29) dient die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG, die durch den Rechtsausschuss des Bundestages im Gesetzgebungsverfahren nicht verändert wurde (BT-Drucks. 15/5695 S. 11), dem Zweck, den Beteiligten des Kapitalanleger-Musterverfahrens auch "einfachrechtliche" Verfahrensrügen zu eröffnen (Reuschle, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz - KapMuG 2005 S. 42 f.; Assmann, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz in Festschrift für Vollkommer, 2006 S. 119, 142 ff.). Damit wird das Maß der Überprüfung des Musterentscheids als Endentscheidung umschrieben, nicht aber weitergehend die Überprüfung einer dieser vorgelagerten Zwischenentscheidung ohne Rücksicht auf § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO eröffnet.

c)

Soweit demgegenüber in der Literatur (vgl. Rimmelspacher in: Kölner Kommentar zum KapMuG § 15 Rdn. 250 f. m.w.Nachw.) die Ansicht vertreten wird, Zwischenentscheidungen über ein Ablehnungsgesuch seien ohne eine Zulassungsentscheidung des Oberlandesgerichts mit der Rechtsbeschwerde anfechtbar, wegen der unwiderleglichen Vermutung des § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG sei eine Prüfung der Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO durch den iudex a quo bloße Förmelei, vermag der Senat dem nicht zu folgen.

Zwar soll § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG Defizite kompensieren, die sich aus der Verschiebung des Instanzenzugs durch das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz ergeben (Rimmelspacher aaO Rdn. 94 und 251). Daraus folgt aber nicht, dass die Rechtsbeschwerde ohne weiteres gegen jede Zwischenentscheidung zuzulassen ist. Der Beschluss, der das Gesuch um Ablehnung eines Richters am Oberlandesgericht wegen der Besorgnis der Befangenheit für unbegründet erklärt, ist auch dann, wenn das Oberlandesgericht im Berufungsrechtszug (d.h. im zivilprozessualen "Regelfall") mit einem Rechtsstreit befasst wird, generell nur aufgrund einer Zulassung im Wege der Rechtsbeschwerde überprüfbar. Auch in dieser Regelkonstellation steht der Partei nur eine Instanz zur Entscheidung über ihr Ablehnungsgesuch zur Verfügung. Anlass dafür, die Verfahrensbeteiligten in Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz gegenüber den Parteien anderer bei den Oberlandesgerichten anhängiger Verfahren durch Einräumung weitergehender Rechtsbehelfe besser zu stellen, besteht nicht. Dass § 567 Abs. 1 ZPO die sofortige Beschwerde nach § 46 Abs. 2 ZPO gegen Entscheidungen des Oberlandesgerichts ausschließt und deren Überprüfung nur nach Maßgabe des § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO ermöglicht (Sen. Beschl. v. 8. November 2004 aaO), beruht auf der verbindlichen Entscheidung des Gesetzgebers, den schon nach früherem Recht geltenden Ausschluss der Beschwerde gegen Entscheidungen der Oberlandesgerichte (vgl. § 567 Abs. 4 Satz 1 ZPO a.F.) aufrechtzuerhalten und stattdessen nunmehr den Zugang zum Bundesgerichtshof in dem auf eine Rechtsprüfung beschränkten Rechtsbeschwerdeverfahren nur aufgrund einer am Maßstab der Grundsätzlichkeit im weiteren Sinne ( § 574 Abs. 2 ZPO) orientierten Zulassungsentscheidung des Oberlandesgerichts zu eröffnen.

2.

Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft, da das Oberlandesgericht sie ausdrücklich nicht zugelassen hat.

Soweit die Beklagte zu 2 diese Entscheidung unter Hinweis auf das Rechtsstaatsprinzip und das Willkürverbot für verfassungswidrig erachtet, beruht dies auf ihrer - wie oben ausgeführt - verfehlten Interpretation des § 15 Abs. 1 Satz 2 KapMuG als verbindlicher Vorgabe der Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auch für Zwischenentscheidungen.

Abgesehen davon ist ein Rechtsmittel ("Nichtzulassungsbeschwerde") gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde durch das Oberlandesgericht im Gesetz nicht vorgesehen und von Verfassungs wegen auch nicht geboten (Sen. Beschl. v. 8. November 2004 aaO S. 294 f.; BGHZ 150, 133).

3.

Schließlich verkennt die Beklagte zu 2 bei ihrer an Art. 103 GG anknüpfenden Argumentation, dass die von ihr - durchaus nachvollziehbar - als ungewöhnlich bezeichneten Äußerungen des VRiOLG K. für das Kapitalanleger-Musterverfahren ebenso wenig wie für die noch bei verschiedenen Kammern des Landgerichts anhängigen Verfahren bindend sein konnten, zumal die Beweisaufnahme in erster Instanz noch nicht abgeschlossen war und sich die Besetzung des Senats des Oberlandesgerichts für Kapitalanleger-Musterverfahren inzwischen geändert hat.

Ende der Entscheidung

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