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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.10.1999
Aktenzeichen: II ZR 120/98
Rechtsgebiete: AktG 1965


Vorschriften:

AktG 1965 § 302
AktG 1965 § 302

Der sich aus einem Unternehmensvertrag ergebende Anspruch auf Ausgleich eines Jahresfehlbetrages entsteht am Stichtag der Jahresbilanz der beherrschten Gesellschaft. Er wird mit seiner Entstehung fällig.

Die Höhe des Ausgleichsanspruchs wird nicht durch den festgestellten Jahresabschluß rechtsverbindlich festgelegt, sondern durch den zum Bilanzstichtag zutreffend ausgewiesenen Fehlbetrag bestimmt.

BGH, Urt. v. 11. Oktober 1999 - II ZR 120/98 - OLG Düsseldorf LG Kleve


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

II ZR 120/98

Verkündet am: 11. Oktober 1999

Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht, die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. März 1998 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Zahlung von 271.241,60 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 1. Januar 1994 verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger, Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der L. Vertriebs-GmbH mit Sitz in W., nimmt die Beklagte, eine GmbH, aufgrund des zwischen beiden Gesellschaften am 28. Dezember 1992 geschlossenen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages als herrschendes Unternehmen auf Ausgleich des Verlustes in Anspruch, den die Gesamtvollstreckungsschuldnerin im Geschäftsjahr 1993 erwirtschaftet hat und der nach seiner Behauptung 1.493.049,69 DM beträgt.

Nachdem die Beklagte ihre Geschäftsanteile an der Gesamtvollstreckungsschuldnerin im März 1994 an den Mitgesellschafter Lo. veräußert hatte, haben beide Gesellschaften den Unternehmensvertrag durch Vereinbarung vom 6. Juni 1994 mit Zustimmung ihrer Gesellschafterversammlungen aufgehoben. Die Beklagte hält sich aus mehreren Gründen nicht für verpflichtet, den von dem Kläger geltend gemachten Jahresfehlbetrag zu übernehmen: Die am 20. Dezember 1995 durch den Alleingesellschafter Lo. vorgenommene Feststellung des Jahresabschlusses der Gesamtvollstreckungsschuldnerin sei nicht wirksam, weil er nicht um einen Anhang erweitert worden sei. Aus einem nichtigen Jahresabschluß könne keine Verlustausgleichspflicht hergeleitet werden. Auch wenn man davon ausgehe, daß ein Ausgleichsanspruch bestehe, sei er mangels ordnungsgemäßer Feststellung des Jahresabschlusses nicht fällig. Auf jeden Fall sei der Klagebetrag um 271.241,60 DM zu kürzen, weil der Betriebsteil M. nicht am 31. Dezember 1993, sondern erst am 1. Januar 1994 veräußert worden sei. Der auf den Kaufpreis in dieser Höhe gewährte Nachlaß dürfe daher erst in der Bilanz des Jahres 1994 berücksichtigt werden. Für 1993 sei der Berechnung der ungeschmälerte Wert der veräußerten Gegenstände zugrunde zu legen.

Landgericht und Berufungsgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten führt zur Zurückverweisung, soweit die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von 271.241,60 DM nebst 5 % Zinsen seit dem 1. Januar 1994 verurteilt worden ist. Im übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

I. Die Revision ist unbegründet, soweit die Beklagte zur Zahlung von 1.221.808,09 DM (1.493.049,69 DM - 271.241,60 DM) nebst 5 % Zinsen ab 1. Januar 1994 verurteilt worden ist. Die Beklagte ist in dieser Höhe zum Ausgleich des von der Gemeinschuldnerin im Wirtschaftsjahr 1993 erwirtschafteten Verlustes verpflichtet.

Nach § 302 Abs. 1 AktG hat das herrschende Unternehmen bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages grundsätzlich jeden während der Vertragsdauer entstehenden Jahresfehlbetrag auszugleichen. Der Rechtsgedanke dieser für den Aktienrechtskonzern maßgebenden Vorschrift findet auch auf den GmbH-Konzern Anwendung.

1. Ob und in welcher Höhe die Gesamtvollstreckungsschuldnerin für das Jahr 1993 einen Verlust erwirtschaftet hat, kann jedoch nicht aus der von dem Alleingesellschafter zum 31. Dezember 1993 festgestellten Bilanz hergeleitet werden. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist diese Feststellung nicht wirksam erfolgt. Da die Bilanz nicht um einen Anhang (§§ 264 Abs. 1 Satz 1, 284 ff. HGB) erweitert worden ist, ist die Bilanzfeststellung entsprechend § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG nichtig (vgl. BGHZ 124, 111, 121).

2. Die Nichtigkeit der Feststellung des Jahresabschlusses hat jedoch, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, keine Auswirkungen auf die Pflicht der Beklagten, einen bei der Gemeinschuldnerin im Geschäftsjahr 1993 entstandenen Jahresfehlbetrag entsprechend § 302 Abs. 1 AktG auszugleichen.

Allerdings wird in Rechtsprechung und Schrifttum die Ansicht vertreten, die Forderung der abhängigen Gesellschaft auf Ausgleich des Verlustes durch das herrschende Unternehmen entstehe erst mit der Feststellung der Bilanz (OLG Schleswig AG 1988, 382, 383; Geßler in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG § 302 Rdn. 41 f.; Würdinger in Großkomm. z. AktG, 3. Aufl. § 302 Rdn. 6, 14). Dem kann jedoch mit der weit überwiegenden Ansicht (LG Bochum GmbHR 1987, 24, 26; Hüffer, AktG 4. Aufl. § 302 Rdn. 15; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht 1997, § 16 VI 2 a m.w.N. in Rdn. 41; Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 302 Rdn. 40 m.w.N. in Fn. 64) nicht gefolgt werden. Der Anspruch auf Verlustausgleich entsteht am Bilanzstichtag; denn zu diesem Zeitpunkt steht fest, ob die abhängige Gesellschaft ein positives Jahresergebnis erzielt oder ob sie einen Jahresfehlbetrag erwirtschaftet hat. Der Vorschrift des § 302 Abs. 1 AktG kann nicht entnommen werden, daß von dieser bilanziellen Betrachtungsweise für den Verlustausgleich abgewichen werden soll. Die Gegenansicht kann zudem zu einer erheblichen Gefährdung der Interessen der außenstehenden Gesellschafter und der Gesellschaftsgläubiger führen, deren Schutz die Regelung des § 302 AktG dient. Denn dem herrschenden Unternehmen würde die Möglichkeit eröffnet, auf die Entstehung des Ausgleichsanspruchs dadurch Einfluß zu nehmen, daß es die Feststellung der Bilanz hinauszögert. Dadurch könnte - wie der vorliegende Fall zeigt - bewirkt werden, daß die Verpflichtung zum Verlustausgleich entfällt, wenn der Unternehmensvertrag vor der Bilanzfeststellung beendet wird. Ein solches Verständnis der gesetzlichen Regelung wäre mit dem Gläubigerschutz, wie er in § 303 AktG seinen Niederschlag gefunden hat, nicht zu vereinbaren.

3. Zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen, daß die Höhe der Ausgleichsforderung nicht durch den festgestellten Jahresabschluß rechtsverbindlich festgelegt wird, sondern allein der zum Bilanzstichtag zutreffend ausgewiesene Fehlbetrag maßgebend ist, und daß die Forderung bereits mit ihrer Entstehung, nicht jedoch erst mit der (wirksamen) Bilanzfeststellung fällig wird (vgl. zu den unterschiedlichen Ansichten im Schrifttum Kölner Komm./Koppensteiner, 2. Aufl. § 302 Rdn. 27 sowie Krieger, Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 4 Aktiengesellschaft § 70 Rdn. 36 einerseits und Hüffer, AktG 4. Aufl. § 312 Rdn. 15 sowie Emmerich/Habersack, Aktienkonzernrecht § 302 Rdn. 40 andererseits, jeweils m.w.N.).

a) Bei verbindlicher Feststellung der Höhe des Jahresfehlbetrages durch die Bilanz könnte der Mehrheitsgesellschafter die Regelung des § 302 AktG ohne weiteres dadurch unterlaufen, daß er eine ihm günstige unzutreffende Bilanz feststellt und diese entweder nicht nach §§ 257, 243 AktG angefochten oder sie trotz Nichtigkeit im Sinne des § 256 AktG verbindlich wird, weil die Nichtigkeit nach Abs. 6 dieser Vorschrift nicht mehr geltend gemacht werden kann. Ein solches Vorgehen würde die Interessen der außenstehenden Aktionäre erhöhten Gefahren aussetzen und die Durchsetzbarkeit der Gläubigerforderungen zumindest teilweise in Frage stellen. Der Einwand, es sei mit der abschließenden Regelung des § 256 AktG nicht vereinbar, wenn nicht der in der Bilanz festgestellte, sondern ein davon abweichender Jahresfehlbetrag als maßgeblich angesehen werde, ist nicht stichhaltig. Der Regelung des § 302 Abs. 1 AktG gebührt insoweit Vorrang vor der Vorschrift des § 256 AktG. Denn der Zweck des § 302 AktG, die Interessen der außenstehenden Aktionäre und der Gesellschaftsgläubiger zu schützen, kann nur dann erreicht werden, wenn der zutreffende Fehlbetrag ermittelt und ausgeglichen wird.

b) Dieser Schutzzweck gebietet auch, die Fälligkeit der Ausgleichsforderung mit ihrer Entstehung am Bilanzstichtag als dem frühestmöglichen Zeitpunkt eintreten zu lassen. Anderenfalls hätte der Mehrheitsgesellschafter die Möglichkeit, durch tatsächliche Einflußnahme den Verlustausgleich zum Nachteil der außenstehenden Aktionäre und der Gläubiger zu verschleppen. Werden Aufstellung und Feststellung der Jahresbilanz verzögert, ist der Fehlbetrag anhand der Ansätze einer Zwischenbilanz zu ermitteln. Ergibt sich aus der später festgestellten Jahresbilanz bei Richtigkeit der darin enthaltenen Ansätze, daß der Ausgleichsbetrag niedriger ist, steht dem herrschenden Unternehmen ein Anspruch auf Rückzahlung des überzahlten Betrages zu.

4. Einwendungen zur Höhe der Einzelpositionen, die zu dem hier zugrunde gelegten Jahresfehlbetrag von 1.221.808,09 DM geführt haben, sind nicht erhoben worden. Die Zuerkennung der Zinsen beruht auf §§ 352, 353 HGB.

II. Das Berufungsurteil ist hingegen aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, soweit es das Berufungsgericht abgelehnt hat, von dem mit der Klage geltend gemachten Jahresfehlbetrag den Preisnachlaß von 271.241,60 DM abzuziehen, der dem Erwerber We. auf den Kaufpreis für die von ihm erworbenen, aus dem Betriebsteil M. stammenden Vorräte gewährt worden ist. Die Revision rügt insoweit zu Recht, daß das Berufungsgericht diese Entscheidung nicht ohne Erhebung des von der Beklagten angebotenen Beweises hätte treffen dürfen.

Der Steuerberater G. hat in der von ihm zum 31. Dezember 1993 aufgestellten Bilanz als Wert für die Betriebsstoffe des Betriebsteils M. den mit dem Erwerber We. vereinbarten Kaufpreis zugrunde gelegt. Dabei ist er offensichtlich von den im Betrieb der Gesamtvollstreckungsschuldnerin gefertigten Aufstellungen "Warenbestände per 31.12.1993" und "Betrieb M. - Inventur per 31.12.1993" ausgegangen. Von dieser Bewertung durfte das Berufungsgericht ohne Beweiserhebung nur dann ausgehen, wenn der Kaufvertrag noch im Jahre 1993 abgeschlossen worden ist. Denn allein unter dieser Voraussetzung stand fest, daß ein höherer Preis nicht mehr erzielt werden konnte. Das war bei der Bewertung der Betriebsstoffe zum 31. Dezember 1993 zu berücksichtigen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Behauptung der Beklagten erheblich, der Vertrag sei erst am 1. Januar 1994 abgeschlossen worden. Denn trifft diese Behauptung zu, kann auch unter Berücksichtigung des in § 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB niedergelegten Vorsichtsprinzips nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß der - unter Berücksichtigung des gewährten Preisnachlasses - erzielte Kaufpreis auch dem am 31. Dezember 1993 bestehenden Marktwert der Betriebsstoffe entsprach. Wie die Revision zutreffend darlegt, spiegelt ein Preisnachlaß nicht notwendigerweise einen Wertverlust der Ware wider; er kann z.B. auch darauf beruhen, daß der Verkäufer günstige Zahlungsbedingungen für sich ausgehandelt hat. Dazu kann bei der Größenordnung des vorliegenden Geschäftes auch der Umstand zählen, daß bar gezahlt wird. Ob der Kaufpreis dem Marktwert zum 31. Dezember 1993 entsprach, soweit der Kaufvertrag erst am 1. Januar 1994 geschlossen worden war, hätte das Berufungsgericht grundsätzlich unter Zugrundelegung einer von Amts wegen einzuholenden Stellungnahme eines Sachverständigen entscheiden müssen (§ 144 Abs. 1 ZPO; zu den Voraussetzungen einer Beweislastentscheidung vgl. Musielak/Stadler, ZPO § 144 Rdn. 4). Es hätte daher den von der Beklagten benannten Zeugen vernehmen müssen, um die für seine Entscheidung erforderlichen Feststellungen treffen zu können.

Aufgrund der Zurückverweisung der Sache erhält das Berufungsgericht die Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen - gegebenenfalls nach ergänzendem Vortrag der Parteien - zu treffen.

Ende der Entscheidung

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