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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 26.11.2007
Aktenzeichen: II ZR 227/06
Rechtsgebiete: AktG, HGB


Vorschriften:

AktG § 120
AktG § 174
AktG § 175
HGB § 264
HGB § 267
HGB § 289
HGB § 315
a) Eine Regelung in der Satzung einer AG, welche uneingeschränkt die Aufstellung eines Lageberichts vorsieht, derogiert das fakultative Privileg des § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB. Die faktische Handhabung der Satzung im vorherigen Stadium einer Vorratsgesellschaft ist kein maßgebliches Kriterium für eine vom objektiven Sinngehalt abweichende Satzungsauslegung.

b) Das satzungswidrige Fehlen eines Lageberichts, dessen Vorlage in der Einladung zur Hauptversammlung irreführend angekündigt worden ist, kann die Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse (§ 120 Abs. 1 AktG) sowie des Gewinnverwendungsbeschlusses (§ 174 AktG) begründen.

c) Ein Konzernlagebericht (§ 315 HGB) kann den daneben vorgeschriebenen Lagebericht (§ 264 Abs. 1 Satz 1 HGB) grundsätzlich nicht ersetzen.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

II ZR 227/06

vom 26. November 2007

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 26. November 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly, Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten durch Beschluss gemäß § 552 a ZPO zurückzuweisen.

Gründe:

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht vor; die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552 a ZPO).

1. Soweit die Parteien darüber streiten, ob die Beklagte gemäß § 14 ihrer Satzung zur Aufstellung eines Lageberichts verpflichtet war, ist das keine verallgemeinerungsfähige Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; BGHZ 152, 182, 191), sondern eine Frage der Satzungsauslegung, für die neben dem Wortlaut, Sinn und Zweck der Regelung ggf. ihr systematischer Bezug zu anderen Satzungsvorschriften oder auch aus den Registerakten ersichtliche Sachzusammenhänge heranzuziehen sind (vgl. BGHZ 123, 347, 350 f.) und von dem Berufungsgericht herangezogen wurden. Aus dem Umstand, dass im Schrifttum vereinzelt eine § 14 aaO entsprechende Satzungsregelung für "kleine" Aktiengesellschaften (§ 267 Abs. 1 HGB) - wie die Beklagte - vorgeschlagen wird (so Hölters in: Münchener Vertragshandbuch, Bd. 1 Gesellschaftsrecht 6. Aufl. S. 759), obwohl diese der gesetzlichen Verpflichtung zur Aufstellung eines Lageberichts nicht unterliegen (§ 264 Abs. 1 Satz 3 HGB), lässt sich eine Typizität der genannten Regelung bei kleinen Aktiengesellschaften nicht folgern, zumal von anderen Autoren vorgeschlagene Satzungsregelungen über den Lagebericht den (einschränkenden) Zusatz "soweit gesetzlich vorgeschrieben" o.ä. enthalten (vgl. Schüppen, Die Satzung der kleinen AG S. 57 Rdn. 134; Heidel/Terbrack/Lohr, Aktienrecht, 2. Aufl. § 23 Rdn. 59).

2. Im Ergebnis zutreffend meint das Berufungsgericht, dass der Vorstand der Beklagten gemäß § 14 ihrer Satzung zur Aufstellung eines Lageberichts und zu dessen Vorlage an den Aufsichtsrat verpflichtet war. § 14 aaO lautet: "Der Vorstand hat in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahres den Jahresabschluss sowie den Lagebericht für das vergangene Geschäftsjahr aufzustellen und dem Aufsichtsrat vorzulegen ...". Diese Bestimmung begründet nach ihrem Wortlaut eine entsprechende Verpflichtung in Anlehnung an § 170 Abs. 1 AktG i.V.m. § 264 Abs. 1 Satz 1 und 2 HGB, ohne indes eine § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB entsprechende Ausnahme für den Fall zu statuieren, dass die Beklagte in dem jeweiligen Geschäftsjahr die Merkmale einer "kleinen Kapitalgesellschaft" i.S. von § 267 Abs. 1, 4 HGB aufweist. Ebenso wenig enthält § 14 aaO lediglich eine - in Anbetracht des § 264 Abs. 1 Satz 2 HGB überflüssige - Fristenregelung für den Fall des Fehlens der Ausnahmevoraussetzungen gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 267 Abs. 1 HGB.

Gegenteiliges ergibt sich - entgegen der Ansicht der Revision - insbesondere nicht daraus, dass die im September 1998 als Vorratsgesellschaft gegründete Beklagte nach ihrem Vortrag auch für die Geschäftsjahre vor ihrer wirtschaftlichen Neugründung keinen Lagebericht aufgestellt hat, obwohl bereits ihre damalige Satzung in § 10 eine mit dem jetzigen § 14 identische Regelung enthielt. Zwar können außerhalb der (aktuellen) Satzung liegende Sachzusammenhänge bei ihrer Auslegung u.U. dann berücksichtigt werden, wenn deren Kenntnis bei den Mitgliedern und Organen allgemein vorausgesetzt werden kann (BGHZ 123, 347, 350 f. m.w.Nachw.). Aus der Handhabung der Satzung in einer Vorratsgesellschaft lässt sich aber kein entscheidendes Argument für eine vom objektiven Sinngehalt abweichende Auslegung gewinnen, weil die Gründer sich hier für die beschränkten Zwecke der Vorratsgesellschaft innerhalb der gesetzlichen Grenzen problemlos über die Satzung hinwegsetzen können. Demgegenüber bildet die "wirtschaftliche Neugründung" eine Zäsur, in deren Rahmen die neuen Gesellschafter - ausgehend vom objektiven Sinngehalt der bisherigen Satzung - über die für den nunmehrigen Gesellschaftszweck gewünschten Änderungen (mit Wirkung auch für künftige Aktionäre) zu entscheiden haben. Da im vorliegenden Fall eine Angleichung der streitigen Klausel an das - bereits durch Gesetz vom 25. Juli 1994 (BGBl. I S. 1682) eingeführte - fakultative Privileg für kleine Kapitalgesellschaften gemäß § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB weder vor noch nach der wirtschaftlichen Neugründung im Zuge anderweitiger Satzungsänderungen erfolgt ist, vielmehr der frühere § 10 wortgleich in § 14 übernommen wurde, ist objektiv sowie aus der Sicht späterer Gesellschafter (unter Einschluss der Klägerinnen) davon auszugehen, dass die Regelung über den Lagebericht uneingeschränkt und nicht nur, "soweit gesetzlich vorgeschrieben" Geltung hat, was durchaus sinnvoll sein kann und größenabhängige Differenzierungen in einzelnen Geschäftsjahren (vgl. § 267 Abs. 4 HGB) vermeidet. Aus dieser Sicht stellt sich der "Verzicht" der Beklagten auf einen Lagebericht auch für die Jahre vor 2002 als satzungswidrig dar. Ein "satzungsdurchbrechender" Hauptversammlungsbeschluss (vgl. dazu BGHZ 123, 15, 19 f.) über einen Verzicht auf den Lagebericht ist niemals gefasst oder auch nur vorgeschlagen (§ 124 Abs. 3 Satz 1 AktG) worden und hätte im Übrigen auch keine satzungsändernde Dauerwirkung (BGHZ aaO).

3. Im Ergebnis zu Recht sieht das Berufungsgericht in dem satzungswidrigen Fehlen eines Lageberichts trotz Ankündigung seiner Vorlage in der Einladung zur Hauptversammlung einen eindeutigen und gravierenden Satzungsverstoß des Vorstands der Beklagten, der zur Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses (§ 120 AktG) führt (vgl. BGHZ 153, 47, 51). Da für die in der Satzung vorgeschriebene Rechnungslegung mangels abweichender Bestimmung die gesetzlichen Vorschriften gelten (vgl. Sen.Urt. v. 23. September 1991 - II ZR 189/90, ZIP 1991, 1427 zur "freiwilligen" Abschlussprüfung), liegen hier überdies auch Verstöße gegen § 175 Abs. 2 AktG sowie gegen § 120 Abs. 3 Satz 2 AktG vor, welche schon für sich allein geeignet sind, die Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses zu begründen (vgl. BGHZ 62, 193 f.; OLG Stuttgart AG 2003, 527, 530; Hüffer, AktG 7. Aufl. § 175 Rdn. 5).

a) Entgegen der Ansicht der Revision kann den genannten Verstößen die für eine Anfechtbarkeit des Entlastungsbeschlusses erforderliche "Relevanz" (vgl. dazu BGHZ 149, 158, 164 f.; 160, 385, 391 f.) nicht mit der Begründung abgesprochen werden, dass die Beklagte einen Konzernlagebericht (§ 315 HGB) aufgestellt und vorgelegt habe und ein verständiger Durchschnittsaktionär diesen als ausreichend für seine Beurteilung der Entlastungsentscheidung angesehen hätte. Denn es geht hier nicht nur um die Vorenthaltung der für eine Entlastungsentscheidung satzungsgemäß erforderlichen Informationen über das abgelaufene Geschäftsjahr, sondern darum, ob dem Vorstand mit Rücksicht auf sein satzungswidriges und darüber hinaus irreführendes Verhalten im Vorfeld der Hauptversammlung das in der Entlastung enthaltene Vertrauensvotum zu verweigern war (vgl. BGHZ 153, 47, 50 f.; 160, 385, 390 f.). Insoweit fällt hier erschwerend ins Gewicht, dass das Fehlen eines Lageberichts in der Einladung zur Hauptversammlung verdeckt wurde, indem dort die Vorlage eines Lageberichts neben einem Konzernlagebericht angekündigt worden ist. Dies war durchaus geeignet, unliebsame Nachforschungen von Aktionären zu verhindern, und wurde nicht dadurch ungeschehen gemacht, dass das Fehlen des Lageberichts in der Hauptversammlung auf Nachfrage eines Aktionärs aufgedeckt wurde.

b) Im Übrigen liegen aber auch informationsrelevante Verstöße gegen § 175 Abs. 2 und § 120 Abs. 3 Satz 2 AktG vor. Ein Konzernlagebericht kann den daneben vorgeschriebenen (Einzel-)Lagebericht grundsätzlich nicht ersetzen. Eine Zusammenfassung beider gemäß § 315 Abs. 3, § 298 Abs. 3 HGB ist hier nicht ersichtlich (vgl. dazu unten 4).

c) Ein zusätzlicher Anfechtungsgrund gemäß § 243 Abs. 1, 4 a.F. i.V.m. § 131 Abs. 1, 2 AktG liegt überdies, worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist, auch noch darin, dass die Aktionäre in der Hauptversammlung vor der Beschlussfassung unrichtig dahin informiert worden sind, ein Lagebericht sei nicht erforderlich.

3. Zu Recht hält das Berufungsgericht auch die Entlastung des Aufsichtsrats für anfechtbar. Er hat unter Verstoß gegen seine allgemeine Überwachungspflicht (§ 111 Abs. 1 AktG) sowie gegen seine spezielle Pflicht zur Prüfung der Rechnungslegung (§ 171 Abs. 1 AktG) das Fehlen des satzungsgemäß erforderlichen Lageberichts unbeanstandet gelassen und darüber hinaus dessen Fehlen dadurch verschleiert, dass er in seinem - gemäß § 175 Abs. 2 Satz 1 AktG zur Einsicht auszulegenden und gemäß § 120 Abs. 3 Satz 1 AktG der Hauptversammlung vorzulegenden - Prüfbericht (§ 171 Abs. 2 Satz 1 AktG) erklärt hat, den "Lagebericht" geprüft zu haben und seinem Ergebnis beizutreten. Für die "Entlastungsrelevanz" dieser Pflichtverletzungen gilt Entsprechendes wie für diejenigen des Vorstands (oben 2). Soweit die Revision ein bloßes "Versehen" des Aufsichtsrats behauptet, ändert dies an einer gravierenden Pflichtverletzung nichts (vgl. auch BGHZ 160, 385, 392 f.).

4. Im Ergebnis zu Recht hält das Berufungsgericht auch den Gewinnverwendungsbeschluss der Beklagten wegen Fehlens des Lageberichts für anfechtbar gemäß § 243 Abs. 1 AktG. Wie sich aus § 14 der Satzung der Beklagten sowie aus § 175 Abs. 1 Satz 1 AktG ergibt, ist die Vorlage des Jahresabschlusses nebst Lagebericht Voraussetzung für die Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns (vgl. MünchKommAktG/Kubis 2. Aufl. § 120 Rdn. 40). Der Lagebericht ist selbständige Informationsquelle neben dem Jahresabschluss (Hüffer, AktG 7. Aufl. § 257 Rdn. 6). Während der Jahresabschluss als Rechenwerk dem sachverständigen Leser einen Überblick über die Lage des Unternehmens verschaffen soll (vgl. auch § 238 Abs. 1 HGB), soll der Lagebericht (§ 289 HGB) einem sonstigen verständigen Leser anhand einer "verbalen Darstellung" ein entsprechendes Bild unter Einschluss der Risiken der künftigen Entwicklung vermitteln (vgl. GroßkommHGB/Hommelhoff 4. Aufl. § 289 Rdn. 32 bis 35). Der Lagebericht ist damit neben dem Jahresabschluss Grundlage für die Entscheidung der Aktionäre, ob und wie viel Gewinn ausgeschüttet oder (wie hier) thesauriert werden soll. Dementsprechend ist das Fehlen eines Lageberichts ein "relevanter" Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht der Aktionäre (vgl. BGHZ 160, 385, 392).

Entgegen der Ansicht der Revision kommt es dabei nicht entscheidend darauf an, ob und inwieweit der Konzernlagebericht (§ 315 HGB) der Beklagten entsprechende Informationen enthält. Das Gesetz gestattet einem Mutterunternehmen (wie der Beklagten) nicht den beliebigen Verzicht auf einen der beiden Berichte (vgl. Hommelhoff aaO Rdn. 64), sondern nur eine "Zusammenfassung" des Konzernlageberichts mit dem Lagebericht (§§ 315 Abs. 3, 298 Abs. 3 HGB), soweit die Inhalte übereinstimmen, wobei aber dann beide auch gemeinsam offengelegt werden müssen (§ 298 Abs. 3 Satz 2 HGB; vgl. MünchKommHGB/Fülbier/Pellens § 315 Rdn. 41 f.). Auf die Zusammenlegung muss ausdrücklich hingewiesen werden (vgl. GroßkommHGB/Kindler aaO § 315 Rdn. 28). Ohne solchen Hinweis ist es einem Aktionär nicht zuzumuten, Nachforschungen darüber anzustellen, ob die in einen Lagebericht gehörenden Informationen sich in anderen Unterlagen finden. Der erst in der Hauptversammlung erteilte Hinweis auf den Konzernlagebericht (BU 6) kam in Anbetracht des § 175 Abs. 2 AktG zu spät.

Ende der Entscheidung

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