Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.10.2003
Aktenzeichen: III ZB 11/03
Rechtsgebiete: ZPO, GKG


Vorschriften:

ZPO § 123
GKG § 54 Nr. 2
GKG § 58 Abs. 2 Satz 2
Der Gegner einer Partei, der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, kann von ihm verauslagte Gerichtskosten gegen die bedürftige Partei festsetzen lassen, wenn und soweit diese in einem Vergleich die Kosten des Rechtsstreits übernommen hat. § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG ist nicht anwendbar.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

III ZB 11/03

vom

23. Oktober 2003

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Dr. Wurm, Streck, Schlick und Dörr

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Beschluß der 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 9. Januar 2003 wird zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 121,50 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der klagende Verein, Hauptpächter einer Kleingartenanlage, kündigte den mit den beklagten Eheleuten geschlossenen Unterpachtvertrag über eine Kleingartenparzelle aus wichtigem Grunde. Die vom Kläger erhobene Klage auf Räumung und Herausgabe der Kleingartenparzelle hat das Amtsgericht abgewiesen. Im Berufungsverfahren schlossen die Parteien auf den "dringenden Vorschlag" der Berufungskammer einen Vergleich, in dem sich die Beklagten (im wesentlichen) zur Räumung und Herausgabe des Pachtgrundstücks verpflichteten und der Kläger sich im Gegenzuge dazu bereit erklärte, an die Beklagten "zum Ausgleich der von diesen erbrachten Investitionen in das Grundstück und die Hütte" 2.500 € zu zahlen. Die Nummer 6 des Vergleichs enthält folgende Kostenregelung:

"Der Kläger trägt die Kosten, die den Beklagten durch die Einschaltung der Korrespondenzanwälte entstanden sind. Im übrigen werden die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen gegeneinander aufgehoben."

Auf Antrag des Klägers hat das Amtsgericht die von den Beklagten, denen in beiden Instanzen Prozeßkostenhilfe bewilligt worden war, als Gesamtschuldner aufgrund des geschlossenen Vergleichs zu erstattenden Kosten auf 121.50 € - diese Summe entspricht dem hälftigen Betrag der von dem Kläger vorgeschossenen Gerichtskosten - nebst Zinsen festgesetzt. In den Gründen des Kostenfestsetzungsbeschlusses wird ausgeführt, daß die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe einer anteiligen Erstattungspflicht der Gerichtskosten nicht entgegenstehe, da die Beklagten in einem Vergleich die Hälfte der Gerichtskosten übernommen hätten.

Die von den Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die - vom Beschwerdegericht zugelassene - Rechtsbeschwerde der Beklagten.

II.

Die zulässige (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) Rechtsbeschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Die im gerichtlichen Vergleich getroffene Regelung, wonach die Kosten des Rechtsstreits (im übrigen) in beiden Rechtszügen gegeneinander aufgehoben werden, ist dahin auszulegen, daß jede Partei die Gerichtskosten zur Hälfte und ihre eigenen (Anwalts-)Kosten selbst trägt (vgl. BGH, Beschluß vom 3. April 2003 - V ZB 44/02 - NJW 2003, 1948, 1949, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).

Die Frage, ob gegen eine Partei, der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, die von der Gegenpartei verauslagten Gerichtskosten festgesetzt werden können, wenn sich die bedürftige Partei in einem gerichtlichen Vergleich zur Übernahme dieser Kosten bereit erklärt hat, ist in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte streitig. Sie ist in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung zu bejahen (OLG Zweibrücken Rpfleger 2002, 33 f; OLG Dresden, 5. Zivilsenat, NJW-RR 2002, 144 [nur Leitsatz]; OLG München, NJW-RR 2001, 1578 und MDR 1999, 957; OLG Stuttgart, FamRZ 2001, 926 f; OLG Düsseldorf, Rpfleger 2001, 87 f; OLG Nürnberg, MDR 2000, 1034 und JurBüro 2000, 88; OLG Koblenz, NJW 2000, 1122; OLG Karlsruhe, NJW 2000, 1121 f; OLG Bamberg, FamRZ 2001, 241, 242 f und JurBüro 2000, 88 f; zustimmend: Zöller/Philippi, ZPO, 23. Aufl., § 123 Rn. 6; Musielak/Fischer, ZPO, 3. Aufl., § 123 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Wax, 2. Aufl., § 123 Rn. 6; Hartmann, Kostengesetze, 32. Aufl., § 58 GKG Rn. 23; a.A. OLG Dresden, 11. Zivilsenat, Rpfleger 2002, 213, 214; OLG Frankfurt a.M., NJW 2000, 1120, 1121; OLG Hamm, Rpfleger 2000, 553 f).

1. Eine Partei, der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, ist nach § 122 Abs. 1 ZPO insbesondere von der Zahlung der rückständigen und entstehenden Gerichtskosten sowie der Gebühren und Auslagen des ihr beigeordneten Rechtsanwalts befreit. Unbeschadet dieser Kostenbefreiung bleibt nach § 123 ZPO die Verpflichtung bestehen, die dem obsiegenden Gegner entstandenen Kosten zu erstatten, zu denen auch etwaige von diesem verauslagte Gerichtskosten gehören.

2. Einer Festsetzung der vom Kläger verauslagten Gerichtskosten steht vorliegend auch nicht § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG entgegen.

a) Nach dieser Vorschrift soll dann, wenn der Partei, der durch gerichtliche Entscheidung die Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind (§ 54 Nr. 1 GKG; Entscheidungsschuldner), Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, die Haftung eines anderen Kostenschuldners - also insbesondere desjenigen, der das Verfahren der Instanz beantragt hat (§ 49 Satz 1 GKG; Veranlassungsschuldner) - nicht geltend gemacht werden. Diese Bestimmung soll die bedürftige Partei vor allem vor der Unbilligkeit bewahren, daß der andere Kostenschuldner die gegen ihn geltend gemachten und von ihm bezahlten Kosten umgehend von der armen Partei erstattet verlangt (BT-Drucks. 7/2016 S. 79 zu § 103 GKG in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. August 1975, BGBl. I S. 2189). Ungeachtet dieses Schutzzwecks der Norm ist jedoch zu beachten, daß die Bestimmung gerade nicht den - hier einschlägigen - Fall betrifft, daß die Partei, der Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist, deshalb Kostenschuldner ist, weil sie diese Kosten in einem vor Gericht abgeschlossenen Vergleich übernommen hat (vgl. § 54 Nr. 2 GKG; Übernahmeschuldner). Dabei beruht die Nichterwähnung des Übernahmeschuldners in § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG auf einer bewußt getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers, so daß nicht von einer planwidrigen, durch Analogieschluß zu beseitigenden Regelungslücke gesprochen werden kann. Dies wird schon daran deutlich, daß § 58 Abs. 2 Satz 1 GKG (= § 103 Abs. 2 Satz 1 GKG a.F.), der das Rangverhältnis unter mehreren Kostenschuldnern regelt, durch das Gesetz vom 20. August 1975 ebenfalls geändert worden ist. Nunmehr werden im Text dieser Vorschrift die gegenüber anderen Kostenschuldnern, zu denen insbesondere der Veranlassungsschuldner nach § 49 Satz 1 GKG gehört, vorrangig haftenden Entscheidungs- und Übernahmeschuldner nicht mehr durch die Wiederholung des Gesetzeswortlauts der die Haftung begründenden Norm, sondern durch die Angabe der einschlägigen Bestimmung (§ 54 Nr. 1 und 2 GKG = § 99 Nr. 1 und 2 GKG a.F.) gekennzeichnet (vgl. BT-Drucks. 7/2016 aaO). Angesichts dieser Zusammenhänge kann ausgeschlossen werden, daß der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG (= § 103 Abs. 2 Satz 2 GKG a.F.) den Übernahmeschuldner nur versehentlich nicht genannt hat.

b) Auch von Verfassungs wegen ist es nicht geboten, die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung zwischen Entscheidungs- und Übernahmeschuldner zu überspielen.

aa) § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG betrifft bei wortlautgetreuer Auslegung nur die Gerichtskosten, die bei Erlaß der gerichtlichen Entscheidung noch ausstehen, nicht aber die Kosten, die vor Erlaß der Entscheidung im Vorschußweg bezahlt worden sind. Durch Beschluß vom 23. Juni 1999 (NJW 1999, 3186 f) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG sei so auszulegen, daß der gesetzliche Haftungsausschluß sämtliche Gerichtskosten einschließlich schon gezahlter Vorschüsse erfasse; nur so sei eine grundrechtsverletzende Ungleichbehandlung der bedürftigen Partei je nach Parteirolle zu vermeiden: Während nämlich der unbemittelte unterlegene Kläger wegen der durch § 122 Abs. 2 ZPO (auch) für den Gegner angeordneten einstweiligen Befreiung von den Gerichtskosten insoweit keinem Erstattungsanspruch nach § 123 ZPO ausgesetzt sei, hätte bei wörtlicher Anwendung der Vorschrift ein mittelloser unterlegener Beklagter - ohne ersichtlichen sachlichen Grund - dem obsiegenden Kläger die von diesem verauslagten Gerichtskosten voll zu erstatten. Einer den Verstoß gegen den Gleichheitssatz behebenden verfassungskonformen Auslegung stehe auch nicht entgegen, daß sie eine im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehene Rückerstattungspflicht der Staatskasse hinsichtlich schon verauslagter Gerichtskostenvorschüsse gegenüber einem durch gerichtliche Entscheidung obsiegenden Kläger bedinge, dessen Gegner Prozeßkostenhilfe bewilligt worden ist.

Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht schon vor dieser Entscheidung ausgesprochen, daß die in § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG angelegte Ungleichbehandlung des (bedürftigen) Entscheidungs- und Übernahmeschuldners mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei (BVerfGE 51, 295), und dies nach der zum Umfang der Erstattungspflicht des Entscheidungsschuldners ergangenen Entscheidung vom 23. Juni 1999 durch Beschluß vom 28. Juni 2000 nochmals bestätigt (NJW 2000, 3271).

Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, daß bei Anwendung des § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG auf den Übernahmeschuldner zum einen bei einer Beendigung des Rechtsstreits durch gerichtlichen Vergleich die Gefahr einer Manipulation der Prozeßparteien hinsichtlich der Gerichtskosten zu Lasten der Staatskasse bestehe. Zum anderen beruhe die Haftung der bedürftigen Partei für die von der Gegenseite verauslagten Gerichtskosten im Falle des § 54 Nr. 2 GKG auf ihrer privatautonomen Entscheidung zum Abschluß eines Prozeßvergleichs; deshalb handele es sich bei einer derartigen Kostentragungspflicht qualitativ um etwas anderes als eine gerichtliche Entscheidung, auch wenn sich die im Vergleich getroffene Kostenregelung möglicherweise an dem verhältnismäßigen Obsiegen und Unterlegen nach dem Erkenntnisstand des Gerichts zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses orientiere (BVerfG NJW 2000, 3271).

bb) Angesichts dieser Rechtsprechung steht es den Fachgerichten nicht zu, die nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut in § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG angelegte, vom Gesetzgeber auch gesehene bzw. gewollte und vom Bundesverfassungsgericht als mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar beurteilte differenzierte Behandlung von Entscheidungs- und Übernahmeschuldner unter Berufung auf eine gleichwohl noch (vermeintlich) feststellbare sachwidrige Ungleichbehandlung dieser beiden Kostenschuldner auszuhebeln (so zutreffend OLG Bamberg, FamRZ aaO; Schütt, MDR 2000, 668). Dies gilt unabhängig davon, ob § 58 Abs. 2 Satz 2 GKG allgemein oder nur mit bestimmten Einschränkungen (auch) für den Übernahmeschuldner gelten soll (vgl. OLG Frankfurt am Main aaO: dann nicht anwendbar, wenn die Kostenregelung im Vergleich einen klaren Mißbrauch zu Lasten der Staatskasse erkennen lasse; OLG Hamm aaO; OLG Dresden, Rpfleger aaO: insbesondere dann anwendbar, wenn der Vergleich auf Anraten des Gerichts abgeschlossen worden sei).

3. Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, die Vorstellungen der Parteien seien bei Abschluß des Vergleichs dahin gegangen, daß die Beklagten wegen der bewilligten Prozeßkostenhilfe überhaupt keine Kosten treffen würden, und deswegen der im Vergleich enthaltenen Kostenregelung von vornherein die Geschäftsgrundlage fehlen würde, kann sie schon deshalb nicht gehört werden, weil es sich hierbei um neues Vorbringen handelt (vgl. § 577 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 559 Abs. 1 ZPO). Im übrigen ist festzuhalten, daß der Streit darüber, ob ein Prozeßvergleich in Anwendung der Grundsätze über den Wegfall oder das Fehlen der Geschäftsgrundlage anzupassen ist, im Prozeßwege zu klären ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 1986 - VIII ZR 72/85 - NJW 1986, 1348, 1349). Im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff ZPO, das nur das Ziel verfolgt, die Kostengrundentscheidung der Höhe nach zu beziffern, ist hierüber nicht zu befinden (Zöller/Herget aaO § 104 Rn. 21, Stichwort: materiell-rechtliche Einwendungen).

4. Im übrigen geht die Rüge der Beschwerde fehl, bei der Festsetzung der Kosten sei § 9 der Kostenverfügung (KostVfG; abgedruckt bei Hartmann aaO Abschnitt VII A) in Verbindung mit Nummer 3.3.1 der Durchführungsbestimmungen zum Gesetz über die Prozeßkostenhilfe (abgedruckt bei Hartmann, Kostengesetze aaO Abschnitt VII B Nr. 5) nicht beachtet worden, wonach außer Ansatz gelassene Beträge nur aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung angesetzt werden dürfen, durch die die Bewilligung nach § 124 ZPO aufgehoben worden ist. Die Kostenverfügung betrifft nur das Verfahren, das die Geltendmachung der Gerichtskosten durch die Staatskasse gegenüber dem Kostenschuldner zum Gegenstand hat (vgl. § 4 KostVfG), nicht aber das Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück