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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.01.2002
Aktenzeichen: III ZR 13/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 839 E
BGB § 839 Fe

Entscheidung wurde am 28.02.2002 korrigiert: "Veröffentlichung" durch "Verfahrensgang" ersetzt
Zu den Anforderungen an die Darlegung der Unmöglichkeit, anderweiten Ersatz zu erlangen, bei einer rechtswidrigen Baugenehmigung (hier: durch Inanspruchnahme der Baufirma wegen Planungsfehlers).
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

III ZR 13/01

Verkündet am: 10. Januar 2002

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers und die Anschlußrevision des beklagten Landes wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 13. Dezember 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger erwarb im Januar 1991 ein Grundstück, um es mit einem Mehrfamilienhaus zu bebauen. Den Bauvertrag hatte er zuvor mit einer H. G. M. GmbH abgeschlossen. Am 20. Juni 1991 erteilte ihm die Kreisverwaltung die Baugenehmigung. Auf Widerspruch zweier Nachbarn wurde diese jedoch mit Bescheid der Kreisverwaltung vom 24. März 1992 aufgehoben, nachdem das Verwaltungsgericht zuvor die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs angeordnet hatte. Die gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage des Klägers blieb vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht erfolglos.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kreisverwaltung habe - insoweit als Behörde des beklagten Landes - mit der Erteilung der ursprünglichen Baugenehmigung eine Amtspflichtverletzung zu seinen Lasten begangen. Er verlangt von dem beklagten Land Ersatz des ihm dadurch entstandenen Schadens. Das Landgericht hat die Schadensberechnung des Klägers um diejenigen Aufwendungen bereinigt, die er nicht im Vertrauen auf die Baugenehmigung getätigt hatte, und hat ihm von dem danach verbleibenden Betrag von 377.283,28 DM unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote von einem Drittel 251.522,19 DM nebst Zinsen zugesprochen. Auf die Berufung des beklagten Landes hat das Oberlandesgericht die Klage als "zur Zeit unbegründet" abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt, der sich das beklagte Land angeschlossen hat. Der Kläger erstrebt die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, das beklagte Land die Umwandlung der vorläufigen Klageabweisung in eine endgültige.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers und die Anschlußrevision des beklagten Landes führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der Kläger und das beklagte Land machen übereinstimmend und zutreffend geltend, daß die Abweisung der Klage als "zur Zeit unbegründet" keinen Bestand haben kann.

I.

Die Revision des Klägers:

1. Das Berufungsgericht läßt den Amtshaftungsanspruch (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) daran scheitern, daß der Kläger das Bestehen einer anderweitigen Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB in Form eines Schadensersatzanspruchs gegen seine seinerzeitige Vertragspartnerin des Bauvertrages, die G. M. GmbH., wegen einer möglicherweise fehlerhaften Planung des Bauvorhabens nicht ausgeräumt habe. Daran ist richtig, daß die Unmöglichkeit, anderweit Ersatz zu erlangen, einen Teil des Tatbestandes bildet, aus dem der Amtshaftungsanspruch hergeleitet wird. Dementsprechend hat der Verletzte das Vorliegen dieser zur Klagebegründung gehörenden (negativen) Voraussetzung des Amtshaftungsanspruchs darzulegen und im Streitfall zu beweisen (Senatsurteil BGHZ 113, 164, 167). Bestand eine Ersatzmöglichkeit vor der Klageerhebung, ist sie aber bei Klageerhebung nicht mehr vorhanden, so muß der Geschädigte - entsprechend dem Grundsatz des § 254 Abs. 2 BGB - nachweisen, daß er die frühere Ersatzmöglichkeit nicht schuldhaft versäumt hat (Staudinger/Schäfer BGB 12. Aufl. 1986 § 839 Rn. 415 m.zahlr.w.N.).

2. Mit Recht rügen jedoch sowohl die Revision als auch die Anschlußrevision, daß die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe die Möglichkeit des Bestehens einer derartigen anderweitigen Ersatzmöglichkeit nicht ausgeräumt, die Grenzen des dem Tatrichter bei der freien Beweiswürdigung zustehenden Beurteilungsspielraums überschreitet und § 286 ZPO verletzt.

a) Mit der Abweisung der Amtshaftungsklage als "zur Zeit unbegründet" wird dem Kläger praktisch zugemutet, noch jetzt eine vorrangige anderweitige Schadensersatzklage gegen die G. M. GmbH zu erheben. Nach dem Ergebnis der vom Berufungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme hat eine solche Klage indessen keinerlei Erfolgsaussichten, insbesondere hinsichtlich der Vollstreckung eines etwaigen obsiegenden Urteils. Aus der Aussage des Zeugen H. H. G., des Geschäftsführers der GmbH, ergibt sich, daß diese mit der G. O. GmbH hatte verschmolzen werden sollen. Der Geschäftsführer war daraufhin der Meinung gewesen, daß sie im Sog des Konkursverfahrens jener anderen Firma untergegangen sei. Erst Jahre später erfuhr er, daß dies nicht der Fall gewesen sei und die G. M. GmbH immer noch existiere und er deren Geschäftsführer geblieben sei. Allerdings hat die G. M. GmbH unstreitig schon seit 1994 keine Geschäfte mehr getätigt. Als Stichzeitpunkt, von dem ab eine Inanspruchnahme der G. M. GmbH wegen eines möglichen Planungsfehlers in Betracht kam, ist indessen frühestens der Eintritt der Rechtskraft des im Verwaltungsprozeß ergangenen Berufungsurteils vom 3. März 1994 einzusetzen. Denn erst durch dieses Urteil hatte sich endgültig entschieden, daß die ursprüngliche Baugenehmigung rechtswidrig gewesen war und die im Vertrauen auf sie getätigten Aufwendungen des Klägers unrentierlich gewesen waren. Dementsprechend kann aus dem Umstand, daß die G. M. GmbH in den Jahren 1992 und 1993 noch tätig gewesen war und Außenstände einzuziehen versucht hatte, kein Rückschluß auf eine anderweitige Ersatzmöglichkeit gezogen werden.

b) Die Revision führt hierzu eingehend und zutreffend folgendes aus: Das wesentliche Vermögen der H. G. M. GmbH bestand in einer Forderung von 1 Mio. DM gegen die D.-P. GbR. Der Prozeß der G. M. GmbH gegen jene Firma konnte nicht zu Ende geführt werden, weil die notwendigen Anwaltsvorschüsse nicht aufgebracht werden konnten. Das Verfahren wurde durch einen Vergleich beendet, aufgrund dessen die G. M. GmbH 50.000 DM erhielt. Dieser Betrag war zur Schuldentilgung der G. M. GmbH verwendet worden. Mit Recht weist die Revision darauf hin, daß eine Beweiswürdigung, welche bei dieser Sachlage eine realistische Vollstreckungsmöglichkeit bei der G. M. GmbH annimmt, wirklichkeitsfremd und mit § 286 ZPO nicht zu vereinbaren ist. Wenn ein Schuldner die notwendigen Anwaltsvorschüsse für einen erfolgversprechenden Prozeß nicht aufbringen kann, ist erst recht nicht anzunehmen, daß ein Gläubiger, welcher die Einzelheiten der Vermögenslage des Schuldners nicht kennt, erfolgreich vollstrecken kann. Darüber hinaus ist die Inanspruchnahme einer Schuldnerin, die nicht einmal mehr Anwaltsvorschüsse für erfolgversprechende Prozesse leisten kann, keine zumutbare Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB.

Das Berufungsgericht entnimmt der Aussage des Zeugen G. ferner, daß gegen eine Familie L. ein Außenstand von 150.000 DM erfolgreich eingeklagt worden sei. Zugleich stellt das Berufungsgericht aber auch fest, daß der gezahlte Betrag nie in das Vermögen der Schuldnerin gelangt ist. Es ist deshalb nicht anzunehmen, daß dem Kläger der Zugriff auf diesen Betrag gelungen wäre. Die Realisierung dieser Forderung fiel zudem, ebenso wie diejenige aus einer Bürgschaft, in den Zeitraum vor Erlaß des verwaltungsgerichtlichen Berufungsurteils.

Schließlich hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß die G. M. GmbH bei der R. E.-B. erheblich verschuldet war. Es kann dahingestellt bleiben, ob ihre Außenstände an die R. abgetreten waren, was naheliegend erscheint. Jedenfalls ist anzunehmen, daß eventuell eingehende Beträge zur Rückführung dieser Verbindlichkeiten verwendet worden wären, so daß ein Vollstreckungszugriff des Klägers gescheitert wäre.

c) Rechtsfehlerhaft ist schließlich die Annahme des Berufungsgerichts, gegen die Zahlungsunfähigkeit der G. M. GmbH spreche der Umstand, daß kein Konkurs- oder Insolvenzantrag gestellt worden sei. Der Zeuge G. konnte schon deshalb keinen Konkurs- oder Insolvenzantrag stellen, weil er davon ausging, die G. M. GmbH sei mit der G. O. GmbH verschmolzen worden. Weiter hat der Zeuge G. angegeben, daß die vermeintliche Verschmelzung der Firmen nach außen hin kundgemacht wurde. Wenn aber nach außen hin nur noch die G. O. GmbH tätig war, bestand für die Gläubiger kein Grund, gegen die (in Vergessenheit geratene) G. M. GmbH Konkurs- oder Insolvenzantrag zu stellen. Der Umstand, daß die R. E.-B. trotz der Kontokorrentverbindlichkeit von 450.000 DM einen Konkurs- oder Insolvenzantrag nicht gestellt hat, ist bei realistischer Betrachtung ein aussagekräftiges Indiz dafür, daß die M. GmbH vermögenslos war. Die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht angedeutete Vermutung, daß die im Jahr 1993 eingezogenen Beträge noch im Jahre 1995 vorhanden gewesen seien, ist ebenfalls wirklichkeitsfremd.

d) Das beklagte Land erkennt diese Erwägungen ausdrücklich als zutreffend an und fügt hinzu, daß etwaige werkvertragliche Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die G. M. GmbH inzwischen auch verjährt sein dürften (§ 638 BGB).

3. Substanzhaltige Feststellungen, daß der Kläger eine frühere erfolgversprechende Inanspruchnahme der G. M. GmbH schuldhaft versäumt hat, trifft das Berufungsgericht ebenfalls nicht. Denn dann hätte es die Amtshaftungsklage als endgültig unbegründet abweisen müssen. Außerdem relativiert es seine Ausführungen zur Haftung der G. M. GmbH, wenn letztlich in der Schwebe bleibt, ob die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Schäden durch Planungsfehler jener Firma verursacht worden sind.

4. Im übrigen ist der Sachverhalt nicht so weit aufgeklärt, daß der Senat die Klageabweisung aus anderen Gründen aufrechterhalten könnte (§ 563 ZPO). Insbesondere kann der Senat nicht von sich aus das vom Berufungsgericht angezweifelte Verschulden der handelnden Amtsträger verneinen. Immerhin hatte das Landgericht nämlich ein solches Verschulden unter Anlegung des objektivierten Sorgfaltsmaßstabs bejaht und ist auch das Berufungsgericht noch in seinem Beschluß vom 24. Mai 2000 davon ausgegangen, daß die Kreisverwaltung die - nach zutreffender Auffassung des OVG Rheinland-Pfalz rechtswidrige - Baugenehmigung vom 20. Juni 1991 unter schuldhaftem Verstoß gegen ihre Amtspflichten erteilt habe.

5. Soweit das Berufungsgericht meint, gegen die dem Kläger vom Landgericht unter Berücksichtigung des Mitverschuldensanteils zuerkannten Schadenspositionen bestünden erhebliche Kausalitätsbedenken, weil der Kläger jedenfalls keinen Ersatz für die Schäden beanspruchen könne, die er in Kenntnis des Nachbarwiderspruchs gegen die Baugenehmigung selbst verursacht habe, ist auf die Grundsätze der Senatsrechtsprechung zum Mitverschulden im Falle einer Drittanfechtung zu verweisen: Wenn und soweit eine Genehmigung geeignet ist, schutzwürdiges Vertrauen des Adressaten in ihren Bestand zu begründen, so kommt diese Vertrauensgrundlage im Falle der Anfechtung des Bescheids durch Dritte jedenfalls dann nicht ohne weiteres völlig in Wegfall (vorbehaltlich einer Risikoüberwälzung auf den Genehmigungsinhaber nach § 254 BGB), wenn und solange der Verwaltungsakt sofort vollziehbar ist. Aus § 50 VwVfG, der in Fällen, in denen bereits ein Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist, den Widerruf oder die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts erleichtert, kann nicht der generelle Rückschluß gezogen werden, daß mit der Anfechtung das in den Bestand des Verwaltungsakts gesetzte Vertrauen nunmehr auch haftungsrechtlich in vollem Umfang entfällt und daher nachfolgende Investitionen sich nicht mehr im Schutzbereich der Amtspflicht halten. Allerdings wird doch ab dem Vorliegen von Drittanfechtungen grundsätzlich eine größere Eigenverantwortung des Bauherrn oder des Unternehmers unter dem Gesichtspunkt des § 254 BGB anzunehmen sein. Ist zulässigerweise Widerspruch eingelegt oder Klage erhoben, verbunden mit dem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, so hat der Unternehmer die Rechtswidrigkeit der ihm erteilten Genehmigung jedenfalls dann ernsthaft in Betracht zu ziehen, wenn Anfechtungsgründe vorgebracht werden, deren Richtigkeit nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen ist. Setzt der Unternehmer in einer solchen Situation sein Vorhaben entsprechend der Genehmigung fort, ohne die Entscheidung des Gerichts der Hauptsache über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwarten, so nimmt er das in der Drittanfechtung liegende Risiko bewußt auf sich. Lehnt das Gericht der Hauptsache die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ab, so können sich aus der Begründung der gerichtlichen Entscheidung Anhaltspunkte dafür ergeben, ob der Unternehmer noch davon ausgehen kann, sein Vorhaben ohne übermäßiges Risiko ausführen zu können (Schlick in Schlick/Rinne NVwZ-Beilage II/2000 S. 21, 28; Senatsurteile vom 16. Januar 1997 - III ZR 117/95 = WM 1997, 375, 393, insoweit in BGHZ 134, 268 nicht abgedruckt; vom 21. Juni 2001 - III ZR 313/99 = BauR 2001, 1566; vom 5. Juli 2001 - III ZR 11/00 = BauR 2001, 1570).

II.

Die Anschlußrevision des beklagten Landes:

Der Erfolg der Anschlußrevision liegt darin, daß auch sie mit Recht geltend machen kann, daß die Klage nicht als "zur Zeit unbegründet" hätte abgewiesen werden dürfen. Die Aufhebung des Berufungsurteils eröffnet daher dem beklagten Land den Weg, seine Einwände gegen den Amtshaftungsanspruch, die diesen endgültig zu Fall bringen sollen, weiterzuverfolgen.

Ende der Entscheidung

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