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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 14.12.2006
Aktenzeichen: III ZR 74/06
Rechtsgebiete: GG, VermG, InVorG, ThürKO


Vorschriften:

GG Art. 34 Satz 1
VermG § 28
InVorG § 4 Abs. 2 Satz 2
ThürKO § 111
Zur Frage der haftpflichtigen Körperschaft bei Wahrnehmung einer Aufgabe im übertragenen Wirkungskreis durch das Landratsamt (hier: Erlass eines Investitionsvorrangbescheids).
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

III ZR 74/06

Verkündet am: 14. Dezember 2006

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Dr. Herrmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Kläger und ihres Streithelfers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 8. März 2006 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger sind hinsichtlich der Flurstücke 1721/1 und 1721/2 der Flur 30 der Gemarkung E. Berechtigte nach dem Vermögensgesetz. Verfügungsberechtigte über diesen Grundbesitz war im Jahre 1995 die T. S. - und D. GmbH in E. . Zu deren Gunsten erließ das Landratsamt des beklagten Kreises am 24. April 1995 einen Investitionsvorrangbescheid. Darin wurde der Verfügungsberechtigten unter anderem aufgegeben, eine Sicherheit in Höhe des Verkehrswerts von 900.000 DM zu erbringen. Das Landratsamt akzeptierte als Sicherheitsleistung eine selbstschuldnerische Bürgschaft der F. Bau AG bis zum Betrag von 900.000 DM. Die Verfügungsberechtigte belastete das Flurstück 1721/1 mit einer Grundschuld zugunsten der Sparkasse E. in Höhe von 1,1 Mio. DM, die nach Angaben der Kläger noch in Höhe von ca. 600.000 DM valutiert ist. Sowohl die Bürgin als auch die Verfügungsberechtigte sind inzwischen insolvent.

Die Kläger sind der Ansicht, der Beklagte habe durch die Entgegennahme der selbstschuldnerischen Bürgschaft der F. Bau AG seine Amtspflicht verletzt, da diese Sicherheitsleistung weder dem Investitionsvorrangbescheid vom 24. April 1995 noch den Anforderungen des Investitionsvorranggesetzes entsprochen habe. Dadurch sei ihnen ein Schaden in der Form entstanden, dass sie nunmehr weder eine ausreichende Sicherheit für den Verkehrswert besäßen noch ihnen ein lastenfreies Grundstück zur Verfügung stehe. Mit der vorliegenden Amts- und Staatshaftungsklage begehren sie die Feststellung, dass der Beklagte ihnen zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet sei.

Der Beklagte hat eine Pflichtverletzung bestritten und außerdem geltend gemacht, das Landratsamt habe nicht als Behörde des Beklagten, sondern als untere staatliche Verwaltungsbehörde des Freistaats Thüringen gehandelt, so dass dieser für eine etwaige Pflichtverletzung einstehen müsse.

Das Landgericht hat die von den Klägern begehrte Feststellung getroffen; das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das Berufungsurteil haben sowohl der Freistaat Thüringen, der den Klägern auf Streitverkündung beigetreten ist, als auch die Kläger selbst die vom Berufungsgericht zugelassene Revision eingelegt.

Entscheidungsgründe:

Die Rechtsmittel der Kläger und ihres Streithelfers, die im Rechtssinn eine einheitliche Revision darstellen, sind zulässig und begründet. Sie führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, während des hier in Rede stehenden Zeitraums (1995) habe das Landratsamt die ihm nach dem Vermögensgesetz und nach dem Investitionsvorranggesetz zugewiesenen Aufgaben nicht als Kreisbehörde im Sinne des § 111 Abs. 1 der Thüringer Gemeinde- und Landkreisordnung (Thüringer Kommunalordnung - ThürKO -) in der hier maßgeblichen Fassung vom 16. August 1993 (GVBl. S. 501), sondern als untere staatliche Verwaltungsbehörde im Sinne des § 111 Abs. 2 ThürKO wahrgenommen. Die haftungsrechtliche Verantwortung treffe daher nach § 111 Abs. 2 Satz 2 ThürKO das Land.

2. Darin kann dem Berufungsgericht nicht gefolgt werden. Haftpflichtige Körperschaft im Sinne des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG und im Sinne des § 1 DDR-StHG ist vielmehr der beklagte Landkreis.

a) Nach Art. 34 GG trifft die Haftung grundsätzlich diejenige Körperschaft, in deren Diensten der pflichtwidrig handelnde Amtsträger steht. Hieraus hat der Senat für Amtspflichtverletzungen eines kreiskommunalen Bediensteten in Hessen, gleichgültig, ob diese bei kreiskommunalen Aufgaben oder bei staatlichen Aufgaben des Landrats als unterer Behörde der allgemeinen Landesverwaltung eintreten, die Folgerung gezogen, dass der Kreis haftet; andererseits haftet für Amtspflichtverletzungen von staatlichen Bediensteten beim Landrat das Land, ebenfalls unabhängig davon, ob die Amtspflichtverletzung bei kreiskommunalen oder bei staatlichen Aufgaben erfolgt (Senatsurteil BGHZ 99, 326, 332). Dieser Grundsatz schließt es indessen nicht aus, dass die Länder die Haftungsfragen im kreiskommunalen Bereich abweichend regeln. Dies ist in Thüringen durch § 111 Abs. 1 und Abs. 2 ThürKO geschehen. Das Landratsamt ist Behörde des Landkreises zur Erfüllung seiner Aufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungskreis (Kreisbehörde). Für die ordnungsgemäße und rechtmäßige Aufgabenerfüllung haftet der Landkreis (§ 111 Abs. 1). Die Aufgaben der unteren staatlichen Verwaltungsbehörde im Landkreisgebiet nimmt das Landratsamt wahr. Verletzt der Landrat oder ein von ihm beauftragter Bediensteter in Ausübung der staatlichen Aufgaben schuldhaft die ihm einem anderen gegenüber obliegenden Amtspflichten, so haftet für die Folgen das Land (§ 111 Abs. 2 ThürKO).

b) Die Zuständigkeit für den Erlass des hier in Rede stehenden Investitionsvorrangbescheides beurteilt sich nach § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über den Vorrang für Investitionen bei Rückübertragungsansprüchen nach dem Vermögensgesetz (Investitionsvorranggesetz - InVorG) vom 14. Juli 1992 (BGBl. I S. 1268). Danach wird dann, wenn der Verfügungsberechtigte eine Privatperson ist - hier: die T. S. - und D. GmbH als juristische Person des Privatrechts -, der Bescheid von dem Landkreis oder der kreisfreien Stadt erteilt, in dessen oder in deren Gebiet der Vermögenswert liegt.

c) Das Berufungsgericht will dagegen die Entscheidungszuständigkeit des Landratsamts unter anderem aus § 1 Abs. 1, § 2 Abs. 2 InVorG herleiten. Diese Bestimmungen enthalten indessen keine Zuständigkeitsregelungen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Mai 1995 (7 C 3/94 = VIZ 1995, 527, 528), aus dem das Berufungsgericht einen Hinweis auf diese Rechtsnormen entnimmt, betrifft insoweit nicht das Investitionsvorranggesetz, sondern §§ 1, 2 des Gesetzes über besondere Investitionen in der Deutschen Demokratischen Republik (InvG) in der Ursprungsfassung der Anlage II zum Einigungsvertrag Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt I Nr. 4 (BGBl. 1990 II S. 885, 1157). In § 2 dieses Gesetzes war vorgesehen, dass das Landratsamt oder die Stadtverwaltung für die Erteilung einer Bescheinigung über das Vorliegen eines besonderen Investitionszwecks zuständig war, womit eine Kongruenz mit der Zuständigkeit dieser Behörden nach dem Vermögensgesetz (§ 28 VermG in der hier einschlägigen Fassung vom 2. Dezember 1994, BGBl. I S. 3610) geschaffen wurde. Diese Regelungen mochten Anlass zu der Fragestellung geben, ob das Landratsamt diese Aufgaben als Kreisbehörde oder als untere staatliche Verwaltungsbehörde - mit jeweils unterschiedlicher Bestimmung der haftpflichtigen Körperschaft im Amts- oder Staatshaftungsrecht - wahrnahm.

d) Diese Frage stellt sich indessen für den Anwendungsbereich des Investitionsvorranggesetzes aufgrund der nunmehrigen ausdrücklichen Regelung in § 4 Abs. 2 Satz 2 so nicht mehr. Bereits der Gesetzeswortlaut belegt, dass die Landkreise und die kreisfreien Städte als Gebietskörperschaften zuständig sind. Es handelt sich somit um Aufgaben aus dem ihnen - unmittelbar durch (uneingeschränkt revisibles) Bundesgesetz - übertragenen Wirkungskreis im Sinne des § 111 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ThürKO. Nicht geklärt zu werden braucht, ob diese Neuregelung konstitutive Wirkung hat oder - was nach Auffassung des Senats wesentlich näher liegt - der schon vorher bestehende Rechtszustand lediglich deklaratorisch bestätigt wurde. Immerhin war in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schon zuvor anerkannt, dass die zuständigen Landratsämter und Stadtverwaltungen bei der Wahrnehmung der ihnen durch das seinerzeitige Investitionsgesetz (s. oben) und das Vermögensgesetz zugewiesenen Aufgaben im Rahmen des übertragenen Wirkungskreises der jeweiligen kommunalen Körperschaft handelten (BVerwG VIZ 1995, 527, 528 und 654, 655; vgl. auch Senatsurteil BGHZ 143, 18, 26).

3. Das Berufungsurteil kann daher keinen Bestand haben. Da zu den weiteren - im Berufungsrechtszug umstrittenen - Tatbestandsvoraussetzungen eines Amts- oder Staatshaftungsanspruchs keine Feststellungen getroffen worden sind, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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