Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.07.2003
Aktenzeichen: IV AR(VZ) 1/03
Rechtsgebiete: EGGVG, VwGO


Vorschriften:

EGGVG § 23 Abs. 1
VwGO § 40 Abs. 1
Gegen Justizverwaltungsakte aus der Arbeitsgerichtsbarkeit ist der Rechtsweg nach § 23 Abs. 1 EGGVG nicht eröffnet.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IV AR(VZ) 1/03

vom

16. Juli 2003

in dem Verfahren

über die Anfechtung eines Justizverwaltungsaktes

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch

am 16. Juli 2003

beschlossen:

Tenor:

Der von der Antragstellerin zu den ordentlichen Gerichten beschrittene Rechtsweg ist unzulässig.

Die Sache wird an das Gericht des zulässigen Rechtsweges - das Verwaltungsgericht Stuttgart - verwiesen.

Gründe:

1. Die Antragstellerin führt mit ihrem Arbeitgeber eine rechtliche Auseinandersetzung, die die Gewährung einer Altersversorgung zum Gegenstand hat. In einem von einem anderen Arbeitnehmer angestrengten Parallelverfahren überreichte der Zeuge H. in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg dem Vorsitzenden eine mit "Betriebliche Rentenversorgung" überschriebene Urkunde, die von diesem zu den Akten genommen wurde. Später erklärte sich der Zeuge damit einverstanden, der Antragstellerin die Urkunde zur Beweisführung in ihrem eigenen Prozeß zu überlassen. Bei Einsichtnahme in die Gerichtsakten des Parallelverfahrens stellte der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin fest, daß die Urkunde nicht Bestandteil der Akten war. Sie war auch nachfolgend nicht mehr auffindbar. Die Antragstellerin begehrte daraufhin vom Präsidenten des Landesarbeitsgerichts die Wiederherstellung der im Gerichtsbetrieb verlorengegangenen Urkunde. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2002 erklärte dieser, sofern es von der Urkunde kein Doppel gebe, scheide eine Wiederherstellung aus. Er werde aber weitere Nachforschungen nach dem Verbleib der Urkunde unternehmen und die Antragstellerin über deren Ergebnis unterrichten. Am 22. Januar 2003 teilte er der Antragstellerin abschließend mit, eine Wiederherstellung der Urkunde sei nicht möglich.

Mit einem gegen den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts gerichteten Antrag vom 14. Februar 2003 hat die Antragstellerin gemäß § 23 EGGVG beim Oberlandesgericht Stuttgart beantragt, diesen zu verpflichten, die ihrem Inhalt nach näher beschriebene Urkunde wiederherzustellen und ihr auszuhändigen; hilfsweise hat sie Verweisung an das Verwaltungsgericht Stuttgart beantragt.

2. Das Oberlandesgericht Stuttgart hält den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für nicht eröffnet und möchte die Sache an das zuständige Verwaltungsgericht verweisen (§ 17a Abs. 2 GVG). Die Verweigerung der Wiederherstellung einer verlorengegangenen Urkunde, die Bestandteil der Akten eines abgeschlossenen arbeitsgerichtlichen Verfahrens gewesen sei, stelle einen Justizverwaltungsakt auf dem Gebiet der Arbeitsgerichtsbarkeit dar. Dessen Rechtmäßigkeit sei gemäß § 40 Abs. 1 VwGO durch die Verwaltungsgerichte zu überprüfen. An einer eigenen Entscheidung über den zulässigen Rechtsweg sieht sich das Oberlandesgericht durch eine abweichende Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 26. September 1988 (NJW 1989, 110) gehindert. Es hat die Sache daher gemäß § 29 Abs. 1 EGGVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

3. Die Vorlage ist zulässig. Ob in Fällen wie dem vorliegenden der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten oder zu den Verwaltungsgerichten eröffnet ist, stellt eine von zwei Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilte Rechtsfrage dar, ohne deren Beantwortung das weitere Verfahren nicht geführt werden kann; sie ist in dem Beschluß des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts, von dem das Oberlandesgericht Stuttgart abweichen möchte, Grundlage der Entscheidung gewesen (vgl. Senatsbeschluß vom 18. Februar 1998 - IV AR(VZ) 2/97 - ZIP 1998, 961 unter II 1; vom 22. September 1993 - IV ARZ(VZ) 1/93 - VersR 1994, 73; vom 8. November 1989 - IVa ARZ(VZ) 2/89 - NJW 1990, 841 unter 3).

4. In der Sache tritt der Senat der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts bei.

Für die Überprüfung des von der Antragstellerin beanstandeten Justizverwaltungsaktes ist der Rechtsweg nach § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG nicht eröffnet. Gemäß der genannten Vorschrift entscheiden über die Rechtmäßigkeit von Anordnungen, Verfügungen oder sonstigen Maßnahmen, die von den Justizbehörden zur Regelung einzelner Angelegenheiten auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts einschließlich des Handelsrechts, des Zivilprozesses, der freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege getroffen werden, auf Antrag die ordentlichen Gerichte. Dieser besonderen Rechtswegregelung liegt die Annahme zugrunde, daß die ordentlichen Gerichte den Verwaltungsmaßnahmen in den aufgeführten Gebieten sachlich näher stehen als die Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. BVerwGE 47, 255, 260; BVerwG NStZ 1988, 513 unter 2 a) und über die zur Nachprüfung justizmäßiger Verwaltungsakte erforderlichen zivil- und strafrechtlichen Erkenntnisse und Erfahrungen verfügen. Die Bestimmung ist als Ausnahme zu § 40 Abs. 1 VwGO eng auszulegen (BVerwGE 40, 112, 115; Kissel, GVG 3. Aufl. § 23 EGGVG Rdn. 6; Zöller/Gummer, ZPO 23. Aufl. § 23 EGGVG Rdn. 2; Jansen, FGG 2. Aufl. § 23 EGGVG Rdn. 1; Keidel/Kuntze/Winkler/Kahl, FGG 15. Aufl. Vorb. §§ 19-30 Rdn. 38; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 61. Aufl. § 23 EGGVG Rdn. 2; MünchKomm-ZPO/Wolf, 2. Aufl. § 23 EGGVG Rdn. 2; Kopp/Schenke, VwGO 13. Aufl. § 179 Rdn. 1; Oetker, MDR 1989, 600, 601).

Die Voraussetzungen des § 23 EGGVG liegen hier nicht vor. Die Bestimmung bezieht sich auf Justizverwaltungsakte, die innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ergehen (Kissel aaO Rdn. 12; Jansen aaO; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 299 Rdn. 36), denn nur bei diesen ist die vom Gesetz vorausgesetzte Sachnähe der zur Überprüfung berufenen ordentlichen Gerichte zu den Angelegenheiten der Justizverwaltung gegeben (Zöller/Gummer aaO). Arbeitsgerichte sind nicht Teil der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Art. 95 I GG; § 12 GVG). Nach der durch das Gesetz zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl I 2809) bewirkten Neufassung der §§ 17 ff. GVG, 48 ArbGG ist das Verhältnis zwischen ordentlicher Gerichtsbarkeit und Arbeitsgerichtsbarkeit zudem kein solches der sachlichen Zuständigkeit mehr, sondern der Zulässigkeit des Rechtsweges (BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1996 - III ZB 105/96 - NJW 1998, 909 unter II 2). Auch das spricht dafür, von den Justizbehörden der Arbeitsgerichtsbarkeit getroffene Maßnahmen nicht der Überprüfung der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu unterstellen, es vielmehr bei der allgemeinen Zuweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit gemäß § 40 Abs. 1 VwGO zu belassen, zumal die Rechtmäßigkeitskontrolle von Justizverwaltungsakten den ordentlichen Gerichten - wie erwähnt - nur ausnahmsweise obliegen soll.

Die von der Antragstellerin angestrebte Verpflichtung des Präsidenten des Landesarbeitsgerichts, die in Verstoß geratene Urkunde wiederherzustellen, gehört auch zu keinem der Rechtsgebiete, die in § 23 Abs. 1 EGGVG aufgeführt werden. Insbesondere wird das Gebiet des zivilen Prozeßrechts nicht berührt. Die besonderen Regelungen des in der Vorschrift nicht bezeichneten Arbeitsgerichtsgesetzes gehen den allgemeinen Bestimmungen der Zivilprozeßordnung vor. Mit Recht ist das vorlegende Oberlandesgericht davon ausgegangen, daß die in § 46 Abs. 2 ArbGG angeordnete entsprechende Anwendung von Vorschriften der Zivilprozeßordnung für sich allein das arbeitsgerichtliche Verfahren nicht zu einem Zivilprozeß ausgestaltet (Oetker, aaO S. 600; Willikonsky, BB 1987, 2013, 2014). Ohnehin hat eine solche Anordnung nicht ohne weiteres die entsprechende Geltung auch der §§ 23 ff. EGGVG zur Folge; es fehlt insoweit an einer ausdrücklichen anderweitigen Begründung der Rechtswegzuständigkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 VwGO (vgl. BVerwGE 40, 112, 114 f.).

Das Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG kommt nach alledem - entgegen der vom Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht eingenommenen Auffassung - für Justizverwaltungsakte, die sich auf einen arbeitsgerichtlichen, nicht aber auf einen zivilprozessualen Rechtsstreit beziehen, nicht in Betracht (vgl. Willikonksy, aaO; Jansen, aaO; Kissel, aaO Rdn. 12 und § 13 GVG Rdn. 141; Stein/Jonas/Leipold, aaO; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann aaO; MünchKomm-ZPO/Wolf, aaO; Zöller/Gummer, aaO).

5. Gemäß § 29 Abs. 1 Satz 3 EGGVG entscheidet der Bundesgerichtshof anstelle des Oberlandesgerichts. Der Senat hatte daher auszusprechen, daß der von der Antragstellerin beschrittene Rechtsweg unzulässig ist. Zugleich hatte er von Amts wegen, ohne daß es des Hilfsantrages der Antragstellerin bedurft hätte, den Rechtsstreit an das gemäß § 52 Nr. 3 Satz 2, 5 VwGO zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs zu verweisen (§ 17a Abs. 2 Satz 2, 4 GVG).

Ende der Entscheidung

Zurück