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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: IV ZB 32/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, BRAGO


Vorschriften:

BGB § 247
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2
ZPO § 104 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 78 Abs. 1
BRAGO § 28 Abs. 2 Nr. 1
BRAGO § 28 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IV ZB 32/03

vom

21. Januar 2004

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert und Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch

am 21. Januar 2004

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin werden

a) der Beschluß der 9. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund vom 2. Mai 2003 aufgehoben,

b) der Kostenfestsetzungsbeschluß des Amtsgerichts Dortmund vom 31. Juli 2002 auf die sofortige Beschwerde der Klägerin dahingehend abgeändert, daß der Beklagte der Klägerin weitere 66,13 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 17. Juli 2002 zu erstatten hat.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

Gegenstandswert : 46,13 €

Gründe:

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin wendet sich dagegen, daß ihr im Kostenfestsetzungsverfahren die Erstattung von Reisekosten, Tage- und Abwesenheitsgeld für ihren Rechtsanwalt in Höhe von insgesamt 57,01 € zuzüglich 16% Mehrwertsteuer und Zinsen versagt worden ist.

Die Klägerin, ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in K. , hat durch ihre in D. ansässigen Prozeßbevollmächtigten, welche als "Hausanwälte" in ständiger Geschäftsbeziehung zu ihr stehen, den Beklagten an dessen Wohnsitz, beim Amtsgericht Dortmund, auf Zahlung rückständiger Versicherungsprämien aus einem Krankenversicherungsvertrag verklagt. Der vom Beklagten erhobene Einwand, er sei von dem Vertrag wirksam zurückgetreten, war nach der vom Amtsgericht am 14. Juni 2002 durchgeführten Beweisaufnahme, zu der ein Prozeßbevollmächtigter der Klägerin aus D. angereist war, nicht erfolgreich. Mit Urteil vom 14. Juni 2002 wurde der Beklagte zur Prämienzahlung und Kostentragung verurteilt.

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Klägerin unter anderem beantragt, den Beklagten zur Erstattung der Fahrtkosten (42,01 €), sowie des Tage- und Abwesenheitsgeldes (15,- €) für ihren Rechtsanwalt (zuzüglich 16% Mehrwertsteuer und Zinsen gem. § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO) zu verpflichten. Das Amtsgericht hat die Kostenfestsetzung insoweit abgelehnt, weil diese Kosten nicht angefallen wären, wenn die Klägerin einen Dortmunder Rechtsanwalt beauftragt hätte. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin hat das Landgericht ihr neben den vom Amtsgericht festgesetzten Kosten lediglich weitere 20 € zugesprochen, die bei Einschaltung eines Dortmunder Rechtsanwalts als angemessene Informationskosten entstanden wären.

Demgegenüber verfolgt die Klägerin mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde ihr ursprüngliches Festsetzungsbegehren weiter. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

II. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt:

Im Rahmen ihrer Verpflichtung, die Verfahrenskosten möglichst niedrig zu halten, habe die Klägerin von vornherein einen beim Prozeßgericht in Dortmund ansässigen Rechtsanwalt beauftragen müssen. Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO anzusehen sei (BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898 unter B II 2 b, bb (1) m.w.N.), ergebe sich nichts anderes. Der Bundesgerichtshof mache nämlich von dem vorgenannten Grundsatz dann eine Ausnahme, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts ein eingehendes Mandantengespräch erkennbar entbehrlich sei. Das komme insbesondere dann in Betracht, wenn ein gewerbliches Unternehmen eine eigene Rechtsabteilung unterhalte, die den Streitfall bearbeitet habe. Die Klägerin verfüge nach eigenem Vortrag über eine Rechtsabteilung. Daß in ihr - wie die Klägerin weiter behauptet - keine juristisch ausgebildeten Mitarbeiter beschäftigt seien, sei für das Ergebnis ohne Bedeutung. Denn der Klägerin als großem Versicherungsunternehmen sei die Einrichtung einer ausreichend qualifizierten Rechtsabteilung jedenfalls zuzumuten. Es könne ihr nicht erlaubt werden, statt dessen den ersparten Personalaufwand auf ihre jeweiligen Prozeßgegner abzuwälzen, indem sie sich sogenannter Hausanwälte bediene und deren Kosten als Verkehrsanwaltskosten erstattet verlange. Die Hinzuziehung eines Verkehrsanwalts sei hier ebensowenig notwendig gewesen wie die Heranziehung eines Unterbevollmächtigten, dessen Kosten nur dann erstattungsfähig seien, wenn anderenfalls dem Hauptbevollmächtigten Reisekosten zu erstatten gewesen wären. Das sei hier aber gerade nicht der Fall.

III. Das hält einer Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht stand.

1. Das Beschwerdegericht hat im Ansatz zutreffend erkannt, daß die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines nicht am Prozeßgericht zugelassenen und dort auch nicht wohnenden Rechtsanwalts für Reisen zum Gerichtsort sich seit der zum 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Neufassung des § 78 Abs. 1 ZPO allein danach richtet, ob die Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig war. Maßstab ist insoweit allein die Regelung des § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO. Eine - auch nur entsprechende - Anwendung des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf diesen Fall scheidet aus (BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2002 aaO unter B II 1 und 2 b, aa; Beschluß vom 12. Dezember 2002 - I ZB 29/02 - NJW 2003, 901 unter II 2 a m.w.N.). Weiter legt das Beschwerdegericht zutreffend zugrunde, daß für eine bei einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei im Regelfall die Zuziehung eines in der Nähe ihres Wohn- oder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder -verteidigung im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO darstellt (BGH, Beschluß vom 16. Oktober 2002 aaO unter B II 2 b, bb (1); Beschluß vom 12. Dezember 2002 aaO unter II 2 b, bb; OLG Frankfurt am Main, MDR 2000, 1215, 1216; OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1000, 1001; KG NJW-RR 2001, 1002, 1003).

2. Im weiteren kann dem Beschwerdegericht aber nicht mehr gefolgt werden.

a) Zwar hat der Bundesgerichtshof (Beschluß vom 16. Oktober 2002 aaO unter B II 2 b , bb (2)) Ausnahmen von dem vorgenannten Grundsatz für möglich gehalten und als Beispiel den Fall eines gewerblichen Unternehmens genannt, dessen Rechtsabteilung einen Fall so gründlich vorbereitet hat, daß sich schon bei Beauftragung des Rechtsanwalts ein eingehendes Mandantengespräch erübrigt. In einem solchen Fall mag es der auswärtigen Partei im Einzelfall zugemutet werden können, zur Vermeidung von Reisekosten einen beim Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt zu beauftragen und ihm die nötigen Informationen mittels moderner Telekommunikationsmittel zukommen zu lassen. Gleiches kann dann gelten, wenn ein Fall keine tatsächlichen und rechtlichen Probleme aufwirft und zudem abzusehen ist, daß sich die Gegenseite nicht verteidigen wird (BGH aaO.).

Aus dieser beispielhaft angeführten Ausnahmesituationen folgt indes keine Obliegenheit oder gar Verpflichtung für gewerbliche Unternehmen, eine entsprechende Rechtsabteilung aufzubauen, um so mittels einer unternehmerischen Entscheidung, deren Kosten nicht absehbar sind und hier zu Lasten der Versichertengemeinschaft, d.h. letztlich auch des zur Prämienzahlung verpflichteten Beklagten, gehen müßten, erst die Voraussetzungen für die genannte Ausnahmesituation zu schaffen. Es hieße die Tragweite der Kostenregelungen der Zivilprozeßordnung zu überspannen, wollte man daraus einen so weitgehenden Eingriff in die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit von Unternehmen ableiten (vgl. dazu auch BGH, Beschluß vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 - zur Veröffentlichung bestimmt unter II 2 b bb (b)) Vielmehr ist davon auszugehen, daß nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin die genannte Ausnahmesituation nicht gegeben ist, weil ihre Rechtsabteilung personell und organisatorisch nicht in der Lage ist, Einzelfälle von Leistungsstörungen in Versicherungsverträgen zu bearbeiten, sie deshalb auch im vorliegenden Fall nicht vorbereitend tätig geworden ist.

b) Wegen seines anderen Lösungsansatzes hat das Beschwerdegericht konsequenterweise nicht geprüft, ob sich die Beauftragung der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin deshalb als nicht notwendige Maßnahme der Rechtsverfolgung im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO darstellt, weil die Prozeßbevollmächtigten ihren Sitz in D. , mithin nicht am Geschäftssitz der Klägerin in K. , haben. Die Frage ist aber schon deshalb zu verneinen, weil einerseits - möglicherweise infolge der regelmäßigen Befassung der Rechtsanwälte ("Hauanwälte") mit vergleichbaren Fällen - besondere Kosten für die Information der Rechtsanwälte nicht angefallen sind, während demgegenüber die Reisekosten sogar geringer ausgefallen sind als bei Beauftragung K. Anwälte, die einen deutlich weiteren Anreiseweg zum Gerichtsort in Dortmund gehabt hätten. Zwar hat es der Bundesgerichtshof abgelehnt, einem Kläger auch dann Reisekosten für auswärtige Anwälte zuzubilligen, wenn er im eigenen Gerichtsstand klagt (Beschluß vom 12. Dezember 2002 aaO unter II 2). Der dort entschiedene Fall ist aber mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, weil hier durch die Beauftragung der in D. ansässigen Prozeßbevollmächtigten keine Mehrkosten gegenüber der Beauftragung eines am Geschäftsort der Klägerin ansässigen Anwalts entstanden sind.

IV. Die geltend gemachten Geschäftsreisekosten sind auch der Höhe nach erstattungsfähig. Nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 BRAGO sind für die unstreitig vom Rechtsanwalt der Klägerin (mit dem Pkw) zurückgelegten 158 km je 0,27 € zu berechnen. Das ergibt 42,66 €, die Klägerin fordert lediglich 42,01 €. Die daneben geforderten 15 € Tage- und Abwesenheitsgeld entsprechen dem Mindestsatz des § 28 Abs. 3 BRAGO für eine Geschäftsreise von bis zu vier Stunden. Da die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, entfallen auf beide Beträge 16% Mehrwertsteuer. Die Zinsforderung ergibt sich aus § 104 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Der Kostenfestsetzungsantrag ist am 17. Juli 2002 bei Gericht eingegangen.

Ende der Entscheidung

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