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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.11.2008
Aktenzeichen: IV ZB 38/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch

den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch

am 19. November 2008

beschlossen:

Tenor:

1. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 17. März 2008 gewährt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der vorgenannte Beschluss zu den Nummern 1, 2 und 4 des Beschlusstenors aufgehoben.

Beschwerdewert: 10.802,42 EUR.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat in erster Instanz die Klage, mit der der Kläger von seiner Schwester Pflichtteilsergänzung begehrt, abgewiesen. Das Urteil ist dem damaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. Dezember 2007 zugestellt worden. Am 17. Januar 2008 hat er für den Kläger beim Berufungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt. Diesem Antrag lag eine mittels des amtlichen Vordrucks verfasste Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des seit langem in Sicherungsverwahrung einsitzenden Klägers bei. Darin hatte er im Teil E lediglich monatliche Bruttoeinkünfte von 116 EUR aus im Maßregelvollzug verrichteter nichtselbständiger Arbeit angegeben und bei den nachfolgenden Fragen nach weiteren Einkünften keine Eintragungen vorgenommen. Im Teil G des Vordrucks sind alle Fragen nach vorhandenem Vermögen durch Ankreuzen der "nein"-Kästchen beantwortet. Während diese Form der Beantwortung in erster Instanz zur Bewilligung von Prozesskostenhilfe geführt hatte, hat das Berufungsgericht den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 29. Januar 2008 zurückgewiesen.

Am 12. Februar 2008 hat der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der inzwischen abgelaufenen Frist zur Einlegung der Berufung beantragt.

Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch mit Beschluss vom 17. März 2008 zurückgewiesen und die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

Dem Kläger, dem der Senat im Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt hat, war zunächst auf seine form- und fristgerechten Anträge Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren.

III.

Die danach zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Wiedereinsetzung des Klägers in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Berufung und damit zur Fortsetzung des Berufungsverfahrens.

1.

Das Berufungsgericht meint, der Kläger habe kein ordnungsgemäßes Prozesskostenhilfegesuch eingereicht. Damit sei die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung nicht entschuldigt i.S. von § 233 ZPO, denn der Kläger habe nicht erwarten können, dass ihm auf der Grundlage unvollständiger Angaben zu seiner Bedürftigkeit Prozesskostenhilfe für die zweite Instanz bewilligt werde. Der amtliche Vordruck für die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sei deshalb nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, weil nur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit angegeben und die nachfolgenden Fragen nach sonstigen Einkünften weder bejaht noch verneint worden seien. Das lasse in unzulässiger Weise offen, ob der Kläger noch über weitere Einkünfte, etwa aus Kapitalvermögen, verfüge. Er habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass das Gericht seine Angaben im Teil E des Vordrucks als Verneinung der Fragen nach weiteren Einkünften interpretieren würde. In einem gesonderten Hinweisblatt, dessen Erhalt der Kläger quittiert habe, sei er auf die Notwendigkeit vollständigen Ausfüllens, insbesondere auch der "nein"-Kästchen zur Verneinung einer Frage, hingewiesen worden.

Eines gerichtlichen Hinweises auf die Unvollständigkeit der Angaben habe es nicht mehr bedurft, weil dem Kläger eine Ergänzung vor Ablauf der Berufungsfrist nicht mehr möglich gewesen sei. Dass in der Vorinstanz und auch in einem weiteren Rechtsstreit des Klägers gegen seine andere Schwester jeweils auf der Grundlage ähnlich ausgefüllter Formulare Prozesskostenhilfe bewilligt worden sei, führe zu keinem anderen Ergebnis.

2.

Das hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Kläger war ohne sein Verschulden gehindert, die Frist zur Einlegung der Berufung zu wahren (§ 233 ZPO).

a)

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist einer Partei, die vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zur Durchführung des Rechtsmittels Prozesskostenhilfe beantragt hat, auch nach Ablehnung ihres Prozesskostenhilfegesuchs wegen der Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung nach § 233 ZPO zu gewähren, wenn sie vernünftigerweise nicht mit der Verweigerung der Prozesskostenhilfe wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen musste, sich also für bedürftig halten und davon ausgehen durfte, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Prozesskostenhilfe ordnungsgemäß dargetan zu haben (vgl. u.a. BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2008 - XII ZB 83/07 -FamRZ 2008, 868 Tz. 9 m.w.N.;27. November 2007 - VI ZB 81/06 -FamRZ 2008, 400 Tz.14 m.w.N.;21. September 2005 - IV ZB 21/05 -FamRZ 2005, 2062 unter II 2 a;27. November 1996 - XII ZB 84/96 -VersR 1997, 383 unter II;15. Mai 1990 - XI ZB 1/90 - NJW-RR 1990, 1212 unter 2 a). Das kann sie allerdings regelmäßig nur dann annehmen, wenn sie rechtzeitig (also vor Ablauf der Rechtsmittelfrist) auch den durch die Verordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I 3001) eingeführten amtlichen Vordruck ordnungsgemäß ausgefüllt zu den Akten gereicht hat (BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2008 aaO Tz. 10; 21. September 2005 aaO; 27. November 1996 aaO; BVerfG NJW 2000, 3344), denn § 117 Abs. 4 ZPO schreibt die Benutzung dieses Vordrucks zwingend vor.

b)

Die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit dürfen andererseits aber (ebenso wie die Anforderungen an die Erfolgsaussicht, vgl. BVerfG NJW-RR 2002, 1069 ) nicht überspannt werden, weil dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, verfehlt würde. Der Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes verbietet es, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfG NJW-RR 2002, 1005). Demgemäß dürfen bei der Auslegung der Vorschriften über die Wiedereinsetzung die Anforderungen daran, was der Betroffene veranlasst haben muss, um Wiedereinsetzung zu erlangen, insbesondere beim "ersten Zugang", aber auch beim Zugang zu einer weiteren Instanz, nicht überspannt werden (BGHZ 151, 221, 227 f. m.w.N.; Senatsbeschluss vom 21. September 2005 aaO).

Deshalb ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass selbst dann, wenn die Antworten im amtlichen Vordruck einzelne Lücken aufweisen, die Partei unter Umständen gleichwohl darauf vertrauen kann, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe genügend dargetan zu haben. Das kommt in Betracht, wenn die Lücken auf andere Weise geschlossen oder Zweifel beseitigt werden können, etwa durch beigefügte Unterlagen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 1985 - IVb ZB 47/85 - NJW 1986, 62 unter I;11. November 1992 - XII ZB 118/92 - NJW 1993, 732 unter II 2;17. März 1998 - XI ZB 39/97 - VersR 1998, 1397 unter 2; 20. Februar 2008 aaO Tz. 11) oder Angaben zu früheren Prozesskostenhilfe-Anträgen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2000 - XII ZB 21/00 - NJW-RR 2000, 1520 f.). Vollständigkeit der Angaben kann ausnahmsweise auch dann anzunehmen sein, wenn es sich bei einzelnen nicht beantworteten Fragen nach Einnahmen aufgrund der sonstigen Angaben und Belege aufdrängt, dass solche Einnahmen nicht vorhanden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 aaO; 3. Mai 2000 aaO;18. Februar 1992 - VI ZB 49/91 - VersR 1992, 897 unter 2).

c)

So liegt der Fall hier. Bei einer Gesamtschau sämtlicher Formular-Einträge des seit etwa 35 Jahren überwiegend in Justizvollzugsanstalten untergebrachten Klägers ergibt sich ein ausreichendes Bild von seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen. Denn nachdem im Teil G des Vordrucks sämtliche Fragen nach vorhandenem Vermögen durch Ankreuzen der "nein"-Kästchen ordnungsgemäß verneint sind, gibt es keinen Anhalt dafür, dass - wie das Berufungsgericht erwogen hat -der Kläger neben seinem angegebenen Arbeitslohn über Einkünfte aus Kapitalvermögen verfügt. Vielmehr kann die Nichtbeantwortung der übrigen Fragen im Teil E des amtlichen Vordrucks, auch das Nichtankreuzen der "nein"-Kästchen, nur als Verneinung der betreffenden Fragen verstanden werden.

3.

Der Kläger war nicht nur in die versäumte Frist zur Einlegung der Berufung wieder einzusetzen; der Senat hat ihm vielmehr, da sich auch insoweit die Voraussetzungen aus dem Akteninhalt ergeben, auf Antrag seines Prozessbevollmächtigten vom 20. Oktober 2008 zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 22. September 1992 - VI ZB 22/92 - VersR 1993, 500 unter II 1; 20. Februar 2008 aaO Tz. 14).

Ende der Entscheidung

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