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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.09.1999
Aktenzeichen: IV ZR 172/98
Rechtsgebiete: AVB f. Kraftfahrtvers. AKB


Vorschriften:

AVB f. Kraftfahrtvers. (AKB) § 12
AVB f. Kraftfahrtvers. (AKB) § 12

a) Hat der Versicherungsnehmer die zum äußeren Bild der Entwendung gehörenden Tatsachen durch Zeugen bewiesen, kommt es in diesem Stadium der Anspruchsprüfung auf seine Glaubwürdigkeit nicht an.

b) Arglistig falscher Prozeßvortrag des Versicherungsnehmers führt nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers, solange dieser an seiner Leistungsablehnung festhält.

BGH, Urteil vom 22. September 1999 - IV ZR 172/98 - KG Berlin LG Berlin


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 172/98

Verkündet am: 22. September 1999

Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Römer, Dr. Schlichting, Seiffert und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 22. September 1999

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 3. April 1998 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 17 des Landgerichts Berlin vom 15. Januar 1996 wird zurückgewiesen. Auf die Anschlußberufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils vom 17. Juli 1995 verurteilt, an die Klägerin 106.950 DM nebst 5% Zinsen seit 21. August 1994 zu zahlen.

Das Versäumnisurteil bleibt aufrechterhalten, soweit der 119.350 DM übersteigende Klageanspruch (30.572,40 DM nebst Zinsen) abgewiesen worden ist.

Wegen eines Betrages von 12.400 DM, des weitergehenden Zinsanspruchs aus 100.000 DM und der Kosten des gesamten Rechtsstreits wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin macht gegen die Beklagte als Kaskoversicherer einen Anspruch auf Ersatz des Wiederbeschaffungswerts für ihren PKW Mercedes 500 SL geltend, der zwischen dem 24. und dem 27. Dezember 1993 aus einer Garage in Z. gestohlen worden sei. Die Beklagte verweigert die Leistung, weil der Diebstahl vorgetäuscht sei und die Klägerin falsche Angaben zur Laufleistung gemacht habe.

Die ursprünglich auf Zahlung von 149.922,40 DM nebst 4% Zinsen seit dem 21. August 1994 gerichtete Klage hatte das Landgericht zunächst durch Versäumnisurteil abgewiesen. Nach zulässigem Einspruch hat es die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Versäumnisurteils zur Zahlung von 102.507,89 DM und den beantragten Zinsen verurteilt. Dagegen hat die Beklagte Berufung und die Klägerin Anschlußberufung eingelegt. Auf der Grundlage eines Wiederbeschaffungswerts von 120.000 DM abzüglich der Selbstbeteiligung von 650 DM hat die Klägerin weitere 16.842,11 DM verlangt und den Zinsanspruch wegen behaupteter Darlehensaufnahme für den Kauf des Fahrzeugs auf 15% aus 100.000 DM und im übrigen auf 5% erhöht. Die Beklagte hat den Wiederbeschaffungswert im Berufungsverfahren mit 107.600 DM angegeben.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das klagabweisende Versäumnisurteil wiederhergestellt, die Anschlußberufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin die im Berufungsverfahren gestellten Anträge weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin führt zur Verurteilung der Beklagten in Höhe von 106.950 DM nebst 5% Zinsen seit 21. August 1994 und wegen der Restforderung von 12.400 DM und des weitergehenden Zinsanspruchs aus 100.000 DM zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.

I. 1. Das Berufungsgericht hat ebenso wie das Landgericht festgestellt, die Klägerin habe mit Hilfe des Zeugen H. das äußere Bild eines versicherten Fahrzeugdiebstahls bewiesen. Der Nachweis des äußeren Diebstahlsbildes reiche hier aber nicht aus, um die Beklagte zu verurteilen. Denn der Schluß vom äußeren Diebstahlsbild auf das Vorliegen eines tatsächlich begangenen Diebstahls könne nur gezogen werden, wenn der Versicherungsnehmer redlich sei. Lägen hingegen unstreitige oder erwiesene konkrete Tatsachen vor, die den Versicherungsnehmer unglaubwürdig erscheinen ließen oder die geeignet seien, schwerwiegende Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit aufzudrängen, so sei von seiner Redlichkeit nicht mehr auszugehen und die versicherungsrechtliche Beweiserleichterung komme ihm nicht zugute. Solche schwerwiegenden Zweifel ergäben sich zwar nicht aus dem Vortrag der Beklagten zur erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls, aber daraus, daß die Klägerin im Rechtsstreit falsche Angaben zur Zinshöhe gemacht habe und nicht bereit gewesen sei, sich von der Polizei zur Diebstahlsanzeige vernehmen zu lassen.

2. Das Berufungsgericht hat die vom Senat in ständiger Rechtsprechung angewendeten Grundsätze zur Beweiserleichterung für den Versicherungsnehmer beim Entwendungsbeweis verkannt und das zitierte Senatsurteil vom 21. Februar 1996 (IV ZR 300/94 - BGHZ 132, 79 = VersR 1996, 575) mißverstanden.

Diese Beweiserleichterung beruht auf einer dem Versicherungsvertrag innewohnenden Verschiebung des Eintrittsrisikos im Wege der materiell-rechtlichen Risikozuweisung (BGHZ 123, 217, 220 f.; BGHZ 130, 1, 3). Danach muß der Versicherungsnehmer nicht den vollen Nachweis des Diebstahls führen, sondern nur das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweisen, nämlich ein Mindestmaß von Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluß auf die Entwendung zulassen. Diese materiell-rechtliche Risikoverteilung ist dem Vertrag als solchem immanent und hängt nicht von der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers ab, denn auch einem unglaubwürdigen Versicherungsnehmer kann das Fahrzeug gestohlen werden (vgl. Knappmann in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. AKB § 12 Rdn. 29 und VersR 1996, 448 unter 2; Römer in Römer/Langheid, VVG § 49 Rdn. 24, 29 und NJW 1996, 2329 unter IV 1 a).

Von der materiell-rechtlichen Risikoverteilung zu unterscheiden ist die Frage, ob der Versicherungsnehmer die zum äußeren Bild gehörenden Tatsachen bewiesen hat. Dafür ist der Vollbeweis nach den allgemeinen Grundsätzen des Zivilverfahrensrechts erforderlich (BGH, Urteil vom 17. März 1993 - IV ZR 11/92 - VersR 1993, 571 unter 1 a und Urteil vom 26. März 1997 - IV ZR 91/96 - VersR 1997, 733 unter 2 m.w.N.; Römer in Römer/Langheid, VVG § 49 Rdn. 23, 24). Ist dieser Beweis - wie hier - durch Zeugen geführt, dann hat der Versicherungsnehmer den ihm obliegenden Beweis einer bedingungsgemäßen Entwendung erbracht. Zweifel an seiner Glaubwürdigkeit sind dann erst bei der Frage von Bedeutung, ob der Versicherer Tatsachen bewiesen hat, die die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls nahelegen (Knappmann, aaO und Römer, NJW 1996, 2329 unter IV 1 b m.w.N.; vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Juni 1995 - IV ZR 116/94 - VersR 1995, 956 unter 3 d). Für den Beweis des äußeren Bildes kommt es auf vom Versicherer zu beweisende schwerwiegende Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers nur dann an, wenn der Versicherungsnehmer den Beweis sonst nicht, also nicht mit den in der Zivilprozeßordnung vorgesehenen Beweismitteln führen kann (BGH, Urteil vom 26. März 1997 aaO unter I 2 und II 1 m.w.N. und Urteil vom 19. Februar 1997 - IV ZR 12/96 - VersR 1997, 691 unter 1 b). Dies ist auch in dem vom Berufungsgericht zitierten Senatsurteil vom 21. Februar 1996 aaO so zum Ausdruck gekommen (BGHZ 132, 79, 82 = VersR 1996, 575 unter 2).

II. Nach Ansicht des Berufungsgerichts entfällt ein Leistungsanspruch der Klägerin unabhängig davon in jedem Falle im Hinblick auf die von ihr im Berufungsverfahren begangene arglistige Täuschung über die Höhe der Verzugszinsen. Auch dem kann nicht gefolgt werden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs führt ein arglistig falscher Prozeßvortrag des Versicherungsnehmers nicht zur Leistungsfreiheit des Versicherers, solange dieser an seiner Leistungsablehnung festhält (BGHZ 107, 368, 370 ff.; Urteil vom 8. Juli 1991 - II ZR 65/90 - VersR 1991, 1129 unter 2 a; zuletzt Urteil vom 23. Juni 1999 - IV ZR 211/98 - unter 4 a.E.; Römer in Römer/Langheid, VVG § 6 Rdn. 112, 113). Die Sanktion der Leistungsfreiheit hat ihre Berechtigung im Schutzbedürfnis des prüfungs- und verhandlungsbereiten Versicherers, weil dieser für eine sachgerechte Regulierung auf die wahrheitsgemäßen Angaben eines redlichen Versicherungsnehmers angewiesen ist. Diese Schutzbedürftigkeit fehlt, solange der Versicherer im Prozeß von seiner Leistungsablehnung nicht erkennbar abrückt. Seine Entscheidung kann nicht länger vom Versicherungsnehmer beeinflußt werden. Durch bewußt unwahren Prozeßvortrag und Beweismittelmanipulationen soll vielmehr die Entscheidung des Gerichts beeinflußt werden. Dies verbietet die für beide Parteien gleichermaßen geltende prozessuale Wahrheitspflicht. Wenn ein bewußter Verstoß dagegen durch den Versicherungsnehmer zum Anspruchsverlust führen soll, müßte ein solcher Verstoß durch den Versicherer konsequenterweise ohne weiteres zu seiner Verurteilung führen. Das ist, soweit ersichtlich, bisher nicht vertreten und auch im Senatsurteil in BGHZ 107, 368 nicht erwogen worden, in dem es um den Vorwurf der Zeugenbestechung durch den Versicherer ging.

III. Die Sache ist bis auf einen Teil der Hauptforderung und den überwiegenden Teil der Zinsen entscheidungsreif.

1. a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin bei zutreffender rechtlicher Würdigung (s.o. I. 2.) das äußere Bild des Diebstahls bewiesen. Die Revisionsgegenrüge hat der Senat geprüft, sie greift nicht durch (§ 565a ZPO).

b) Das Berufungsgericht hat weiter im Rahmen seiner Ausführungen zur Glaubwürdigkeit der Geschäftsführerin der Klägerin mit Recht festgestellt, daß der Vortrag der Beklagten zur erheblichen Wahrscheinlichkeit der Vortäuschung des Diebstahls nicht ausreichend ist.

Die Tatsachen, aus denen das Berufungsgericht schwerwiegende Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Geschäftsführerin der Klägerin herleitet, genügen ebenfalls nicht für den der Beklagten obliegenden Beweis der erheblichen Vortäuschungswahrscheinlichkeit. Die teilweise falschen Angaben zur Höhe der Verzugszinsen haben mit dem Versicherungsfall und der Versicherungsleistung als solcher nichts zu tun. Das Berufungsgericht hat daraus auch nicht die erhebliche Vortäuschungswahrscheinlichkeit abgeleitet. Es hat zutreffend unter Bezugnahme auf das Senatsurteil vom 18. November 1986 (IVa ZR 100/85 - VersR 1987, 61 unter 6) erkannt, daß sogar bewußt falsche Angaben zur Höhe der eigentlichen Versicherungsleistung nicht ohne weiteres eine erhebliche Wahrscheinlichkeit für die Vortäuschung des Diebstahls begründen.

Das vom Berufungsgericht zumindest für auffällig gehaltene Nichterscheinen der Geschäftsführerin der Klägerin zur Vernehmung bei der Polizei ist von ihr gegenüber der Polizei zum Teil mit Ortsabwesenheit entschuldigt worden und zum Teil auf Rat ihres Anwalts erfolgt. Es ist schon deshalb kein Indiz für eine Vortäuschung des Diebstahls.

Im übrigen hat das Berufungsgericht auch sonst keine Anhaltspunkte dafür gesehen, daß die Geschäftsführerin der Klägerin an einer Verschiebung des Fahrzeugs beteiligt gewesen ist.

c) Leistungsfreiheit wegen falscher Angaben zur Laufleistung ist nicht eingetreten. Die Beklagte konnte nicht beweisen, daß die Laufleistung höher war als die angegebenen circa 20.000 km. Vielmehr ist nach der Aussage des Zeugen H. wahrscheinlich, daß die Angabe der Größenordnung nach richtig ist. Außerdem hat die Beklagte die Klägerin nicht über die Rechtsfolgen einer vorsätzlich falschen folgenlos gebliebenen Verletzung der Aufklärungsobliegenheit belehrt.

2. Auf der Grundlage des von der Beklagten eingeräumten Wiederbeschaffungswerts von 107.600 DM und einer Selbstbeteiligung von 650 DM hat sie an die Klägerin 106.950 DM nebst 5% Zinsen zu zahlen. Wegen der weitergehenden Ansprüche ist die Sache zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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