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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.04.1998
Aktenzeichen: IV ZR 21/97
Rechtsgebiete: ARB


Vorschriften:

ARB § 4 Abs. 2 Buchst. c
ARB § 4 Abs. 2 Buchst. c

§ 4 Abs. 2 Buchst. c ARB 75, wonach die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Ansprüchen Dritter, die vom Versicherungsnehmer im eigenen Namen geltend gemacht werden, vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist, erfaßt nicht den Fall einer Fremdversicherung, bei der es von vornherein Sache des Versicherungsnehmers ist, die Rechte des Mitversicherten geltend zu machen.

BGH, Urteil vom 29. April 1998 - IV ZR 21/97 - OLG Frankfurt am Main LG Hanau

LG Hanau Entsch. v. 21.9.95 - 7 0 897/95

OLG Frankfurt Entsch. v. 18.12.96 - 7 U 312/95

IV ZR 21/97


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 21/97

Verkündet am: 29. April 1998

Wermes Justizhauptsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, den Richter Dr. Zopfs, die Richterin Dr. Ritter und die Richter Römer und Dr. Schlichting auf die mündliche Verhandlung vom 18. März 1998

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Dezember 1996 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Rechtsschutzversicherung in Anspruch. Er unterhält bei der Beklagten unter Einbeziehung der Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) eine Familien-Rechtsschutzversicherung, bei der die Wahrung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen eingeschlossen ist.

Der Kläger schloß mit Wirkung vom 1. März 1971 bei einem anderen Versicherungsunternehmen für sich, seine Ehefrau und seine am 7. August 1961 geborene Tochter eine Unfallversicherung ab, die mehrfach geändert wurde, wobei auch die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 1988 (AUB 88) in den Vertrag einbezogen worden sind.

Am Morgen des 8. Juni 1994 versuchte seine Tochter sich das Leben zu nehmen. Sie legte sich kurz vor dem Herannahen eines Zuges quer zur Fahrtrichtung auf die Gleise der Bundesbahn. Sie überlebte, die Lokomotive trennte jedoch beide Beine im Bereich der Schienbeinknochen ab.

Der Kläger meldete bei dem Unfallversicherer Ansprüche seiner Tochter an und bat gleichzeitig die Beklagte um die Zusage kostendeckenden Rechtsschutzes. Diese lehnte Versicherungsschutz ab, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Auf Veranlassung des Klägers traf sein Rechtsanwalt den Stichentscheid, daß die Wahrung der rechtlichen Interessen des Klägers im Zusammenhang mit dem Unfall seiner Tochter hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihm Versicherungsschutz für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen gegenüber dem Unfallversicherer zu gewähren. Die Beklagte hat unter Hinweis auf § 4 Abs. 2 c ARB geltend gemacht, bei der Unfallversicherung für seine Tochter handele es sich um eine Versicherung für fremde Rechnung, bei der nicht er, sondern seine Tochter Inhaberin des Anspruchs sei. Die Klage gegen den Unfallversicherer biete auch keine Aussicht auf Erfolg. Es liege kein Unfall im Sinne der AUB vor. Der Stichentscheid sei nicht bindend.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel auf Kostendeckung aus der Rechtsschutzversicherung weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Deckung der Kosten aus dem Prozeß gegen den Unfallversicherer verneint, weil Versicherungsschutz für Ansprüche Dritter nach § 4 Abs. 2 c ARB ausgeschlossen sei. Diese Vorschrift lautet:

"Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz ist die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus Ansprüchen Dritter, die vom Versicherungsnehmer im eigenen Namen geltend gemacht werden."

Der Begriff eines Anspruchs Dritter, so führt das Berufungsgericht weiter aus, sei nach der juristischen Fachsprache auszulegen. Es handele sich auch um einen Anspruch Dritter, denn die Mitversicherung der Tochter des Klägers sei eine Fremdversicherung. Bei dieser müsse zwar der Kläger als Versicherungsnehmer den Anspruch prozessual geltend machen, der Anspruch aus der Unfallversicherung stehe aber dem Mitversicherten zu. Das Berufungsgericht übersieht nicht, daß der Kläger ein erhebliches persönliches und wegen seiner Unterhaltspflicht auch ein wirtschaftliches Interesse daran hat, den etwaigen Anspruch seiner Tochter gegenüber dem Unfallversicherer durchzusetzen. Dies rechtfertige aber keine Ausnahme von der Regelung des § 4 Abs. 2 c ARB. Der Kläger könne sich die Kosten von seiner Tochter erstatten lassen oder diese darauf verweisen, den Anspruch selbst durchzusetzen. Es sei anerkannt, daß sich der Versicherer nicht auf das Fehlen der Klagebefugnis des Mitversicherten berufen dürfe, wenn der Versicherungsnehmer den Anspruch nicht weiterverfolgen wolle.

2. Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

a) Im Ausgangspunkt ist dem Berufungsgericht darin zuzustimmen, daß es sich bei dem in § 4 Abs. 2 c ARB verwendeten Ausdruck "Ansprüche Dritter" um einen - auch für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar - juristischen Begriff handelt. Zwar sind nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats allgemeine Versicherungsbedingungen grundsätzlich so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse die allgemeinen Bedingungen verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85). Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Ausnahme, wenn die Rechtssprache - wie hier - mit dem verwendeten Ausdruck einen fest umrissenen Begriff verbindet. In diesen Fällen ist im Zweifel anzunehmen, daß auch die allgemeinen Versicherungsbedingungen darunter nichts anderes verstehen wollen (Senatsurteil vom 5. Juli 1995 - IV ZR 133/94 - VersR 1995, 951 unter 2 b = NJW-RR 1995, 1303).

Ebenso, wie der durchschnittliche Versicherungsnehmer auch versicherungsrechtliche Überlegungen bei seinem Verständnis einer Bestimmung mit heranzuziehen hat, soweit sie sich ihm aus dem Wortlaut erschließen (vgl. Senatsurteil vom 6. März 1996 - IV ZR 275/95 - VersR 1996, 622 unter 3 b m.w.N.), muß bei Rechtsbegriffen auch der juristisch geschulte Leser den ihm erkennbaren Zweck der Regelung bei seiner Auslegung berücksichtigen. Der Zweck des § 4 Abs. 2 c ARB geht erkennbar dahin zu verhindern, daß der nichtversicherte eigentliche Rechtsinhaber in den Genuß der Versicherungsleistung kommt, indem an seine Stelle eine versicherte Person tritt, die den Anspruch geltend macht (Harbauer, ARB-Kommentar 6. Aufl. § 4 Rdn. 174; vgl. auch Böhme, ARB-Kommentar 10. Aufl. § 4 Rdn. 53). Die Klausel will ausschließen, daß ein nicht rechtsschutzversicherter Rechtsinhaber durch rechtliche Gestaltung seine Klagebefugnis auf einen Rechtsschutzversicherten verlagert. Diesem Zweck entspricht auch die Ausschlußklausel des § 4 Abs. 2 b ARB, wonach Ansprüche vom Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, die nach Eintritt des Versicherungsfalls auf den Versicherungsnehmer übertragen worden sind. In beiden Fällen (vgl. Senatsurteil vom 29. März 1995 - IV ZR 207/94 - VersR 1995, 698 unter I 1 e aa = NJW 1995, 2284), sei es durch eine Verlagerung der Prozeßführungsbefugnis auf den Rechtsschutzversicherten, etwa durch gewillkürte Prozeßstandschaft, oder sei es durch eine Übertragung des Anspruchs nach Eintritt des Versicherungsfalls, würde der Rechtsschutzversicherer durch nachträgliche Nutzung rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten mit einem Kostenrisiko belastet, für das er keine Prämien erhalten hat.

b) So liegt der Fall der hier gegebenen Fremdversicherung aber nicht. Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, daß die Mitversicherung der Tochter des Klägers bei der von ihm abgeschlossenen Unfallversicherung als Fremdversicherung ausgestaltet ist. Nach § 179 Abs. 2 VVG, § 12 Abs. 1 Satz 1 AUB 88 (vgl. auch § 16 Abs. 1 Satz 2 AUB 61) steht die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag von vornherein dem Versicherungsnehmer zu. Zwar ist die Tochter des Klägers Inhaberin des etwaigen Anspruchs, aber allein der Kläger kann diesen Anspruch gerichtlich geltend machen. Er ist damit auch Schuldner der Kosten, die im Zusammenhang mit einem Prozeß gegen den Unfallversicherer entstehen. Diese Rechtslage bestand von Anfang an seit Abschluß des Unfallversicherungsvertrages.

Sie ist, anders als bei der gewillkürten Prozeßstandschaft oder der Übertragung eines Anspruchs nach Eintritt des Versicherungsfalls, nicht erst durch nachträgliche Rechtsgestaltung zu Lasten des Rechtsschutzversicherers geschaffen worden. Da der Kläger die Prämien für die Rechtsschutzversicherung bei der Beklagten geleistet hat und auch mit den Kosten aus dem Prozeß gegen den Unfallversicherer belastet wird, weil allein er nach der Ausgestaltung dieser Versicherung klagen muß, kann von einer Verlagerung der Kosten auf den Rechtsschutzversicherer keine Rede sein. Die Ausschlußklausel des § 4 Abs. 2 c ARB erfaßt deshalb nicht den Fall einer Fremdversicherung, bei der es von vornherein Sache des Versicherungsnehmers ist, die Rechte des Mitversicherten geltend zu machen.

Dieses Auslegungsergebnis wird nicht dadurch gehindert, daß - worauf das Berufungsgericht hinweist - der Versicherungsnehmer den Mitversicherten darauf verweisen könnte, den Anspruch selbst durchzusetzen. Grundsätzlich kann der Mitversicherte den Versicherungsnehmer nicht zwingen, seine Rechte aus der Fremdversicherung für ihn, den Mitversicherten, geltend zu machen (BGHZ 64, 260). Zwar ist anerkannt, daß dem Versicherten nicht in jedem Falle verwehrt werden kann, den Anspruch selbst gerichtlich geltend zu machen, wenn der Versicherungsnehmer den Anspruch nicht weiterverfolgt. Hat der Versicherungsnehmer keine billigenswerten Gründe für sein Verhalten, handelt der Versicherer rechtsmißbräuchlich, wenn er sich auf die fehlende Klagebefugnis des Mitversicherten beruft (vgl. BGHZ 41, 327; BGH, Urteile vom 4. Mai 1983 - IVa ZR 106/81 - VersR 1983, 823; vom 11. März 1987 - IVa ZR 240/85 - NJW-RR 1987, 856 = BGHR WG § 75 Abs. 1 Satz 1 Klagebefugnis 1). Diese Rechtsprechung beruht auf den Grundsätzen von Treu und Glauben zum Schutze des Versicherten. Sie betrifft Ausnahmefälle. Als Richtlinie einer allgemeinen Auslegung des § 4 Abs. 2 c ARB ist sie deshalb nicht geeignet.

3. Die Abweisung der Klage kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt gehalten werden, daß es schon an der Voraussetzung einer hinreichenden Aussicht auf einen Erfolg der Klage gegen den Unfallversicherer fehle, § 1 Abs. 1 ARB. Der vom Kläger zu dieser Frage gemäß § 17 Abs. 2 ARB eingeholte Stichentscheid kommt zu dem Ergebnis, daß die Erfolgsaussicht nicht verneint werden könne. Es handele sich um einen bisher nicht entschiedenen Grenzfall. Diese Auffassung beruht auf einer sorgfältigen Ermittlung des Sachverhalts. Der Verfasser des Stichentscheids hat ein eingehendes persönliches Gespräch mit der Tochter des Klägers geführt und auf dieser Grundlage seine rechtliche Beurteilung abgegeben. Insgesamt genügt der Stichentscheid den an ihn zu stellenden Anforderungen (vgl. dazu Senatsurteil vom 17. Januar 1990 - IV ZR 214/88 - VersR 1990, 414). Da er nicht offenbar von der wirklichen Sach- oder Rechtslage erheblich abweicht, § 17 Abs. 2 Satz 2 ARB, ist er für beide Parteien verbindlich.

4. Die Sache muß an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Sie ist nicht entscheidungsreif. Die Beklagte hat eingewandt, sie sei gemäß § 15 Abs. 1 a, Abs. 2 ARB leistungsfrei, weil der Kläger gegen Obliegenheiten verstoßen habe. Er habe insbesondere erhebliche Unterlagen nicht rechtzeitig und unvollständig eingereicht. Ein vorsätzlicher Obliegenheitsverstoß liege auch darin, daß der Kläger keine Teilklage gegen den Unfallversicherer erhoben habe. Auch sei der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt worden, § 4 Abs. 2 a ARB. Zu alledem hat das Berufungsgericht, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, keine Tatsachen festgestellt.

Ende der Entscheidung

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