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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.03.1999
Aktenzeichen: IV ZR 218/97
Rechtsgebiete: AGBG


Vorschriften:

AGBG § 9 Bk
AGBG § 10 A ARB 94
AGBG § 9 Bk, § 10 A ARB 94

Die Bedingungsanpassungsklausel des § 10 A ARB 94 ist unwirksam.

BGH, Urteil vom 17. März 1999 - IV ZR 218/97 - OLG Düsseldorf LG Düsseldorf


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 218/97

Verkündet am: 17. März 1999

Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Römer, Terno, Seiffert und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 1999

für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. September 1997 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der nach seiner Satzung die Interessen der Verbraucher durch Aufklärung und Beratung wahrnimmt. Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen. Sie schließt unter anderem Versicherungsverträge über Rechtsschutzversicherungen mit privaten Endverbrauchern ab. Dabei verwendet sie in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Rechtsschutzversicherung aus dem Jahre 1994 (ARB 94) folgende Klausel:

"§ 10 Bedingungs- und Beitragsanpassung

A. Bedingungsanpassung

(1) Der Versicherer ist berechtigt,

- bei Änderung von Gesetzen, auf denen die Bestimmungen des Versicherungsvertrages beruhen,

- bei unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der Verwaltungspraxis des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen oder der Kartellbehörden,

- im Fall der Unwirksamkeit von Bedingungen sowie

- zur Abwendung einer kartell- oder aufsichtsbehördlichen Beanstandung

einzelne Bedingungen mit Wirkung für bestehende Verträge zu ergänzen oder zu ersetzen. Die neuen Bedingungen sollen den ersetzten rechtlich und wirtschaftlich weitestgehend entsprechen. Sie dürfen die Versicherten auch unter Berücksichtigung der bisherigen Auslegung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht nicht unzumutbar benachteiligen.

(2) Die geänderten Bedingungen werden dem Versicherungsnehmer schriftlich bekanntgegeben und erläutert. Sie gelten als genehmigt, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich widerspricht. Hierauf wird er bei der Bekanntgabe besonders hingewiesen. Zur Fristwahrung ist die Absendung ausreichend. Bei fristgerechtem Widerspruch laufen die Verträge mit den ursprünglichen Bedingungen weiter.

(3) Zur Beseitigung von Auslegungszweifeln kann der Versicherer den Wortlaut von Bedingungen ändern, wenn diese Anpassung vom bisherigen Bedingungstext gedeckt ist und den objektiven Willen sowie die Interessen beider Parteien berücksichtigt. Das Verfahren nach Absatz 2 ist zu beachten.

B. Beitragsanpassung

..."

Der Kläger hält diese Klausel nach dem AGB-Gesetz für unwirksam. Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft, zu unterlassen, die beanstandete Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu verwenden, ausgenommen gegenüber einem Kaufmann im Rahmen seines Handelsgewerbes, und sich bei der Abwicklung bereits geschlossener Verträge auf diese Klausel zu berufen.

Das Landgericht (VersR 1996, 874) hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht (VersR 1997, 1272) hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klagabweisung weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht hat § 10 A der von der Beklagten verwendeten ARB 94 wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG für unwirksam erklärt. Das ist jedenfalls im Ergebnis richtig.

1. Die Regelung des § 10 A Abs. 1 ARB 94 ist schon deshalb nach § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam, weil sich die Beklagte mit ihr das Recht vorbehält, den Versicherungsnehmer nach Vertragsschluß durch Änderung vereinbarter Bedingungen schlechter zu stellen, als er bei Abschluß des Vertrages stand. Nach dem Wortlaut der Regelung soll der Versicherungsnehmer benachteiligt werden können; nur soll die Benachteiligung die Grenze der Zumutbarkeit nicht überschreiten dürfen. Mit der grundsätzlichen Möglichkeit einer Schlechterstellung ihres Vertragspartners verkennt die Beklagte die Voraussetzungen, die eine nachträgliche Anpassung des Vertragsinhalts an veränderte Umstände erst legitimieren.

a) Die Anpassung durch neue, allein vom Versicherer aufgestellte Regelungen stellt einen Eingriff in ein bestehendes Vertragsverhältnis dar. Dieser läßt sich nach den gemäß § 9 Abs. 1 AGBG zu berücksichtigenden Interessen beider Vertragsparteien nur rechtfertigen, wenn durch unvorhersehbare Änderungen, die der Versicherer nicht veranlaßt und auf die er auch keinen Einfluß hat, das bei Vertragsschluß vorhandene Äquivalenzverhältnis in nicht unbedeutendem Maße gestört wurde. Bei Versicherungsverträgen mit einer nicht nur kurzen Laufzeit kann die Störung des Äquivalenzverhältnisses eine Anpassung erforderlich machen, wenn die Parteien ohne sie nicht oder nur mit Schwierigkeiten in der Lage sind, den Vertrag fortzusetzen und durchzuführen. Ebenso kann eine im Regelungswerk entstandene Lücke - etwa wenn die Rechtsprechung eine Klausel für unwirksam erklärt - Schwierigkeiten bei der Durchführung des Vertrages entstehen lassen, die nur durch Anpassung oder Ergänzung zu beseitigen sind. Nur unter diesen Voraussetzungen der Vertragslücke und der Störung des Äquivalenzverhältnisses ist eine nachträgliche Anpassung des Vertragsinhalts gerechtfertigt, die durch eine Anpassungsklausel geregelt werden kann (für die Zulässigkeit einer Anpassungsklausel vgl. Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. Vorbem. I Rdn. 28; Präve, Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz 1998 Rdn. 446 ff.; Entzian, NVersZ 1998, 65; Schimikowski, r+s 1998, 27; Schwintowski, VuR 1998, 128; Matusche-Beckmann, NJW 1998, 112; K. Johannsen, DZWir 1998, 115, die eine Anpassungsbefugnis aber nur auf Fälle unwirksamer Klauseln beschränkt; a.A. Reiff, EWiR 1997, 961).

Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Anpassungsklausel in Versicherungsverträgen wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Gesetzgeber nur in zwei Fällen, §§ 172 und 178 g VVG, eine Anpassung an veränderte Umstände geregelt hat. Daraus läßt sich nicht der Umkehrschluß ziehen, in allen anderen Fällen sei eine Bedingungsanpassung ausgeschlossen und der Versicherer sei nur auf eine Änderungskündigung verwiesen (a.A. Reiff, aaO). In vielen, wenn nicht in den meisten Fällen, wird eine Kündigung durch den Versicherer auch nicht dem Interesse des Versicherungsnehmers entsprechen. Es tritt die Gefahr hinzu, daß der Versicherungsnehmer, der nicht sofort für einen Neuabschluß sorgt, eine geraume Zeit unversichert ist, ein Zustand, den das Gesetz in anderen Fällen zu vermeiden sucht (vgl. §§ 69 ff. VVG). Vor allem aber handelt es sich bei den §§ 172 und 178g VVG um vom Gesetzgeber geregelte Sonderfälle der Lebens- und Krankenversicherung, die keine Rückschlüsse auf andere Versicherungsarten zulassen (vgl. auch Entzian, aaO).

b) Mit der vorbehaltenen Möglichkeit, den Versicherungsnehmer schlechter als bei Vertragsschluß zu stellen, geht die Beklagte weiter, als es die Notwendigkeit zur Wiederherstellung des ursprünglichen Äquivalenzverhältnisses oder die Füllung entstandener Vertragslücken fordert. Damit benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen i.S. des § 9 Abs. 1 AGBG. Denn soweit sich die Beklagte das Recht einräumt, über die Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses oder das Füllen von Lücken hinaus die vertragliche Position des Versicherungsnehmers zu verschlechtern, sucht sie entgegen den Geboten von Treu und Glauben einseitig ihre eigenen Interessen zu Lasten des Versicherungsnehmers durchzusetzen.

Die Revision schließt aus § 9 Abs. 1 AGBG, daß der Versicherungsnehmer lediglich nicht unangemessen benachteiligt werden dürfe. Das ist verfehlt, denn das Gesetz hat Allgemeine Geschäftsbedingungen im Blick, die die Vertragsparteien erst noch in den Vertrag einbeziehen. Der Versicherungsnehmer hat also Gelegenheit, vor Vertragsschluß zu entscheiden, ob er Benachteiligungen in Kauf nehmen will. Das Gesetz bezweckt lediglich, den Vertragspartner vor solchen Benachteiligungen zu schützen, die entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen sind. Mit der Bedingungsanpassungsklausel zielt der Versicherer aber auf die Zeit nach Vertragsschluß ab, nachdem sich der Versicherungsnehmer bereits entschieden hat, ob und gegebenenfalls welche Nachteile er hinnehmen will. Von dem so durch übereinstimmenden Willen beider Parteien zustande gekommenen Vertragsinhalt kann sich der Versicherer nicht durch eine Anpassungsklausel zum Nachteil des Versicherungsnehmers lösen. Sollten veränderte Umstände eine weitergehende Anpassung erforderlich erscheinen lassen, wäre sie nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage zu suchen.

Soweit die Revision ihre Auffassung auch auf § 10 Nr. 4 AGBG stützt, bezieht sich diese Vorschrift nur auf Leistungen, während die Bedingungsanpassungsklausel sämtliche Regelungen erfassen will. Im übrigen zieht das Verbot des § 10 Nr. 4 AGBG nur eine äußerste Grenze, die der Klauselverwender nicht überschreiten darf. Die Vorschrift schließt nicht aus, daß der Verwender aus anderen Gründen hinter dieser Grenze zurückbleiben muß.

c) Die Klausel krankt auch daran, daß sie undifferenziert von der Notwendigkeit einer vom Versicherer vorzunehmenden Bedingungsanpassung ausgeht. Diese ist aber dann nicht notwendig, wenn das Gesetz eine Regelung bereit hält, die eine entstandene Lücke im Bedingungswerk füllt oder ein später entstandenes Ungleichgewicht ausgleicht. In diesen Fällen greift § 6 Abs. 2 AGBG ein, wenn die Anpassung erforderlich wurde, weil eine Regelung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder für unwirksam erklärt worden ist. Von § 6 Abs. 2 AGBG abzuweichen, besteht kein Anlaß. Darin läge ein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Satz 1 AGBG. Nur soweit gesetzliche Vorschriften die Anpassung nicht leisten, ist Raum für eine Bedingungsanpassungsklausel.

2. Zu den bereits erörterten Gründen der Unwirksamkeit von § 10 A Abs. 1 ARB 94 treten weitere Bedenken hinzu.

a) Nach Satz 1 dieser Klausel soll die Beklagte "im Falle der Unwirksamkeit von Bedingungen" zur Anpassung berechtigt sein. Aus dieser Formulierung geht nicht hervor, wem die Kompetenz zugewiesen ist, eine Bedingung für unwirksam zu erklären. Insoweit ist dieser Teil der Klausel unklar. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer kann darunter verstehen, daß die Beklagte den Vertragsinhalt auch dann schon ändern dürfe, wenn sie selbst eine Bedingung für unwirksam hält. Dies aber wäre mit den oben (unter 1. a) dargestellten Voraussetzungen einer notwendigen Anpassung nicht vereinbar.

b) Die Anpassungsbefugnis schon "zur Abwendung einer kartell- oder aufsichtsbehördlichen Beanstandung" benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen. Damit wird die Schwelle einer notwendigen Anpassung zu sehr vorverlegt. Nach dieser Regelung wäre der Versicherer schon im Vorfeld behördlicher Maßnahmen zur Änderung der vereinbarten Bedingungen berechtigt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die Behörde nicht einmal einen Verwaltungsakt erlassen hat. Dem Versicherer, der die Verantwortung für die Zulässigkeit seiner Allgemeinen Versicherungsbedingungen trägt, kann aber zugemutet werden, zumindest die konkrete Entschließung der Behörde abzuwarten, um dann deren Begründung bei nachträglichen Anpassungen der Bedingungen auch zu berücksichtigen.

c) Der generelle Vorbehalt, "einzelne Bedingungen" ergänzen oder ersetzen zu dürfen, bedarf in seinen Gestaltungsmöglichkeiten der Konkretisierung (vgl. BGHZ 136, 394, 402; Entzian, aaO unter III). Der Versicherungsnehmer muß vorhersehen können, in welchen Bereichen er mit Änderungen zu rechnen hat.

3. Abs. 2 der Klausel hat keine eigenständige Bedeutung. Sie verliert ihren Zweck mit der Feststellung, daß Abs. 1 unwirksam ist. Sie ist im übrigen nicht frei von Bedenken.

a) Die Widerspruchsfrist von einem Monat erscheint bei Ergänzungen und Ersetzungen von Versicherungsbedingungen als zu kurz bemessen. Die Klausel vermutet die Genehmigung des Versicherungsnehmers unwiderlegbar, wenn er in der gesetzten Frist nicht widerspricht. Dem Versicherungsnehmer ist damit auferlegt, tätig zu werden, wenn er mit der Anpassung nicht einverstanden ist. Je nachdem um welche Anpassung es sich handelt, muß dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit gegeben werden, sich Rechtsrat einzuholen. Sollte sich der Versicherungsnehmer in einem - wie heute üblich - dreiwöchigen Urlaub befinden, wenn ihm die Änderung mitgeteilt wird, steht ihm keine ausreichende Zeit mehr zur Verfügung, um sich beraten zu lassen und sich zu entschließen.

b) Nach Satz 5 des Abs. 2 sollen bei fristgerechtem Widerspruch die Verträge "mit den ursprünglichen Bedingungen" weiterlaufen. Dies beschreibt die Rechtslage unzutreffend. Denn der Wortlaut schließt nicht aus, daß der Vertrag auch mit von der Rechtsprechung für unwirksam erklärten Klauseln fortgeführt werden soll (vgl. Prölss, aaO § 10 ARB 94 Rdn. 9). Auch ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die Klausel in diesem Sinne verstehen können. Durch die unzutreffende Darstellung der Rechtslage kann der Versicherungsnehmer davon abgehalten werden, seine Rechte durchzusetzen. Deshalb verstößt diese Regelung gegen das Transparenzgebot (vgl. BGHZ 128, 54, 60).

4. § 10 A Abs. 3 ARB 94 ist nach § 9 AGBG unwirksam. Bedenken bestehen schon wegen der allgemein gehaltenen Formulierung der Änderungsvoraussetzung, nämlich "zur Beseitigung von Auslegungszweifeln". Auch diese Regelung selbst dürfte Auslegungszweifeln unterliegen, weil nicht hinreichend klar ist, wessen Zweifel - auch die des Versicherers ? - ausreichen sollen, die Folge der Änderungsbefugnis auszulösen. Diese Bedenken können aber dahinstehen. Denn auch ohne sie in die Beurteilung einzubeziehen, benachteiligt die Regelung den Versicherungsnehmer unangemessen.

Mit ihr entzieht sich der Versicherer den Folgen des § 5 AGBG (vgl. Prölss, aaO § 10 ARB 94 Rdn. 12), wonach Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders gehen. Damit weicht er von einem wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung ab, § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG. Die Vorschrift des § 5 AGBG verfolgt den Zweck, denjenigen auch die Nachteile tragen zu lassen, der den Vorteil für sich in Anspruch nimmt, von ihm vorformulierte Bedingungen zum Vertragsinhalt werden zu lassen. Das entspricht seiner Verantwortung für den Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (vgl. Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz 8. Aufl. § 5 Rdn. 1 m.w.N.). Dieser Verantwortung darf sich der Versicherer zum Nachteil seines Vertragspartners nicht dadurch entziehen, daß er sich Nachbesserungen auch für bestehende Verträge vorbehält.

Ende der Entscheidung

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