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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.03.2008
Aktenzeichen: IV ZR 330/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, VVG


Vorschriften:

ZPO § 539 Abs. 2
ZPO § 544 Abs. 7
BGB § 123
BGB § 123 Abs. 2 Satz 1
BGB § 242
VVG § 43 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IV ZR 330/06

vom 12. März 2008

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke

am 12. März 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 26. Zivilsenats des Kammergerichts vom 11. Januar 2006 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 45.897,64 €

Gründe:

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten, ihren früheren Prozessbevollmächtigten, wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten auf Schadensersatz in Anspruch.

1. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin ohne das behauptete Fehlverhalten ihres Bevollmächtigten in einem gegen ihren Hausratversicherer wegen Entschädigungsleistungen geführten Rechtsstreit obsiegt hätte. Der Beklagte bestreitet sein Verschulden und macht geltend, der Klägerin sei mangels Deckungsanspruchs gegen ihren Versicherer kein Schaden entstanden. Dieser hatte sich im Ausgangsrechtsstreit unter anderem damit verteidigt, dass ihm bei Antragstellung Vorschäden verschwiegen worden seien, weshalb er zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und zum Rücktritt vom Versicherungsvertrag berechtigt gewesen sei.

2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Kammergericht hat die Berufung der Klägerin durch unechtes Versäumnisurteil zurückgewiesen. Die Klage gegen den Hausratversicherer hätte, so das Berufungsgericht, auch ohne die anwaltliche Pflichtverletzung keinen Erfolg gehabt. Obwohl das tatsächliche Vorbringen der Klägerin, wonach sie die bei Abschluss des Versicherungsvertrages eingeschaltete Vermittlerin vollständig über die Vorschäden unterrichtet habe, wegen der Säumnis des Beklagten gemäß § 539 Abs. 2 ZPO als zugestanden anzusehen sei, rechtfertige dies den Berufungsantrag nicht. Zwar sei das Wissen, über das ein mündlich vollständig informierter Versicherungsagent, im vorliegenden Fall die stellvertretend für den damaligen Versicherer tätig gewordene E. GmbH, im Hinblick auf gefahrerhebliche Umstände verfüge, dem Versicherer regelmäßig auch dann zuzurechnen, wenn diese Umstände nicht in das Antragsformular aufgenommen worden seien. Darauf könne sich die Klägerin jedoch im vorliegenden Fall gemäß § 242 BGB nicht berufen, da ein evidenter Missbrauch der Vollmacht des Versicherungsagenten anzunehmen sei. Die Klägerin habe die Unvollständigkeit der Eintragungen in dem Formular gekannt und auch keinen Anlass gehabt anzunehmen, Mitarbeiter der E. GmbH würden diese vor Weitergabe an den Versicherer noch vervollständigen.

II. Die zulässige Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, indem es ohne einen Hinweis auf die Unschlüssigkeit ihres Vortrags ein unechtes Versäumnisurteil erlassen hat.

Die Erteilung eines solchen rechtlichen Hinweises (§ 139 Abs. 2 ZPO), die sich aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung nicht ergibt (vgl. dazu BGHZ 164, 166, 172 f.) vermisst die Beschwerde zu Recht. Dabei kann dahinstehen, ob das Gericht vor Erlass eines unechten Versäumnisurteils regelmäßig verpflichtet ist, auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit des klägerischen Vortrags hinzuweisen (so Zöller/Herget, ZPO 26. Aufl. § 331 Rdn. 15; MünchKomm-ZPO/Prütting, 4. Aufl. § 331 Rdn. 50; Hk-Pukall, ZPO § 331 Rdn. 8). Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin zu den näheren Umständen der Offenlegung von Vorschäden bei der Antragstellung bereits in erster Instanz vorgetragen. Diesen Vortrag hatte sie, nachdem das Landgericht sie insoweit als beweisfällig angesehen hatte, im Berufungsrechtszug - unter erneutem Beweisantritt - ergänzt. Im Hinblick darauf, dass gemäß § 539 Abs. 2 ZPO das zulässige tatsächliche Vorbringen der Klagepartei als zugestanden anzusehen, also der Entscheidung ohne weitere Beweisaufnahme zugrunde zu legen ist, wenn der Berufungsbeklagte nicht erscheint und daraufhin gegen ihn der Erlass eines Versäumnisurteils beantragt wird, konnte die Klägerin darauf vertrauen, das Berufungsgericht werde sie auf die fehlende Schlüssigkeit ihres Vortrages vor Erlass des unechten Versäumnisurteils hinweisen.

III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin:

1. Die Annahme des Berufungsgerichts, die E. GmbH sei als Versicherungsagent für die Beklagte des Ausgangsverfahrens tätig geworden, begegnet nach den dazu getroffenen Feststellungen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Voraussetzung einer Stellung als Agent mit der Folge einer Wissenszurechnung nach den Grundsätzen der vom Senat entwickelten sog. Auge-und-Ohr-Rechtsprechung ist, dass der Vermittler vom Versicherer zur Entgegennahme von Erklärungen bevollmächtigt, zumindest aber von ihm im Sinne von § 43 Nr. 1 VVG betraut ist (BGHZ 102, 194, 197 f. und ständig). Daran fehlt es in der Regel, wenn der Vermittler dem Versicherer als rechtsgeschäftlicher Vertreter des Versicherungsinteressenten gegenübertritt, also im Lager des Antragstellers und nicht in dem des Versicherers steht (Senatsurteil vom 19. September 2001 - IV ZR 235/00 - VersR 2001, 1498 unter II 2). Gemessen daran wurde die E. GmbH hier als selbstständige Versicherungsmaklerin tätig. Sie war von der Klägerin beauftragt, einen neuen Hausratversicherer zu finden, ein möglichst günstiges Angebot für einen Versicherungsvertrag einzuholen und den Vertrag dann nach ihren Weisungen abzuschließen. Damit nahm sie ausschließlich Interessen der Klägerin wahr, die mit ihr zu diesem Zweck einen "Versicherungsmaklervertrag" abgeschlossen hatte. Besondere Umstände, die es rechtfertigen könnten, die E. GmbH der Sphäre des damaligen Versicherers zuzurechnen, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht vorgetragen. Solche Umstände ergeben sich insbesondere nicht daraus, dass die Beschäftigten der GmbH Antragsformulare des Versicherers zur Verfügung hatten und von ihnen bei der Vermittlung des Vertrages Gebrauch machten (vgl. dazu Senatsurteil vom 22. September 1999 - IV ZR 15/99 - VersR 1999, 1481 unter 2 c).

2. Ob der Versicherer berechtigt war, den mit der Klägerin geschlossenen Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, bedarf daher unter Berücksichtigung der Maklereigenschaft der E. GmbH erneuter Prüfung. Diese Prüfung wird sich - nach ergänzendem Parteivortrag - auf die genauen Umstände des Vertragsschlusses und insbesondere darauf erstrecken müssen, was hinsichtlich der Angabe von Vorschäden im Versicherungsantrag zwischen der Klägerin und der von ihr eingeschalteten Maklerin abgesprochen war. Will der Versicherer den ihm nach § 123 BGB obliegenden Nachweis führen, der Versicherungsnehmer habe bei Anbahnung des Versicherungsvertrages arglistig falsche Angaben gemacht, so trifft, wenn objektiv falsche Angaben vorliegen, den Versicherungsnehmer eine sekundäre Darlegungslast (Senatsurteil vom 7. November 2007 - IV ZR 103/06 - VersR 2008, 242 Tz. 1 m.w.N.). Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats genügen jedoch falsche Angaben in einem Versicherungsantrag allein nicht, um den Schluss auf eine arglistige Täuschung zu rechtfertigen. Die Annahme von Arglist setzt in subjektiver Hinsicht vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen werde (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05 - VersR 2007, 785 unter II 1 a m.w.N.). Eine arglistige Täuschung des Versicherers allein durch die Maklerin - die nicht Dritte i.S. von § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB ist - wäre der Klägerin zuzurechnen (§ 166 Abs. 1 BGB).

Ende der Entscheidung

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