Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 03.12.1997
Aktenzeichen: IV ZR 43/97
Rechtsgebiete: AVB


Vorschriften:

AVB f. Unfallvers. (AUB 61) § 1
AVB f. Unfallvers. (AUB 61) § 8 II Abs. 1 Satz 1
AVB f. Unfallvers. (AUB 61) § 13 Abs. 3a
WürttFischereiG Art. 1 v. 27. November 1865 (RegBl 1865, 499)
WürttWasserG Art. 1 v. l. Dezember 1900 (RegBl 1900, 921)
WürttWasserG Art. 30 v. l. Dezember 1900 (RegBl 1900, 921)
WürttWasserG Art. 31 ff v. l. Dezember 1900 (RegBl 1900, 921)
BadWürttWasserG § 2 v. 25. Februar 1960 (GBl 1960, 17)
BadWürttFischereiG § 4 v. 14. November 1979 (GBl 1979, 466)
BadWürttFischereiG § 6 v. 14. November 1979 (GBl 1979, 466)
ZPO § 549 Abs. 1
AVB f. Unfallvers. (AUB 61) §§ 1, 8 II Abs. 1 Satz 1, 13 Abs. 3a

1. In einer Unfallversicherung, der die AUB 61 zugrundeliegen, sind Verschlimmerungen der innerhalb der Fristen des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 eingetretenen, ärztlich festgestellten und geltend gemachten gesundheitlichen Dauerfolgen eines Unfalls diesem auch dann zuzurechnen, wenn sie auf einem weiteren Unfallereignis beruhen, soweit und solange für den Erstunfall die Möglichkeit der Neufeststellung des Invaliditätsgrades nach § 13 Abs. 3a AUB 61 besteht.

2. Wird dagegen der erste Unfall - mag er zu Dauerschäden oder nur zu vorübergehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen des Versicherten geführt haben - adäquat kausal für ein weiteres Unfallereignis, so hat der für den ersten Unfall einstandspflichtige Versicherer eine aus dem Zweitunfall herrührende Invalidität nur dann zu entschädigen, wenn für sie die Fristen des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 (gerechnet ab dem ersten Unfallereignis) gewahrt sind.

BGH, Urteil vom 3. Dezember 1997 - IV ZR 43/97 OLG Köln LG Aachen


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 43/97

Verkündet am: 3. Dezember 1997

Luttkus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, den Richter Dr. Zopfs, die Richterin Dr. Ritter und die Richter Dr. Schlichting und Seiffert auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 1997 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 20. Januar 1997 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Unfallversicherung, der die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen von 1961 (AUB 61) zugrunde lagen.

Am 3. November 1990 erlitt er bei einem Unfall eine Distorsion des linken Sprunggelenks. Als deren Folge stellte sich ein ausgeprägtes postthrombotisches Syndrom im ganzen linken Bein ein. Dies führte zu einer dauernden Minderung der Gebrauchsfähigkeit des linken Beins von 3/7 des Beinwerts nach § 8 II Abs. 2b, 3 AUB 61. Zur Thromboseprophylaxe mußte der Kläger dauerhaft mit dem blutgerinnungshemmenden Medikament Marcumar behandelt werden. Die Beklagte kündigte den Versicherungsvertrag mit Wirkung vom 19. April 1991 und zahlte Ende September 1992 die der teilweisen Gebrauchsunfähigkeit des Beins entsprechende Invaliditätsentschädigung.

Am 14. Oktober 1992 stürzte der Kläger in der Dusche. Dadurch kam es zu einem Riß des Wadenmuskels mit massiver Einblutung unter Marcumartherapie mit Ausbildung eines Kompartmentsyndroms im rechten Unterschenkel. Der Kläger wurde wegen der Verletzung mehrfach operiert und zwei Monate im Krankenhaus behandelt. Aufgrund des Kompartmentsyndroms ist die Gebrauchsfähigkeit des rechten Beins um 50% dauernd beeinträchtigt. Der Umfang des Dauerschadens beruht aus medizinischer Sicht zur Hälfte auf der durch die Marcumarbehandlung hervorgerufenen Blutgerinnungsstörung.

Im September 1993 bat der Kläger die Beklagte unter anderem unter Hinweis auf das Ereignis vom 14. Oktober 1992 um eine Neubewertung des Grades der infolge des Unfalls vom 3. November 1990 eingetretenen Invalidität. Der von der Beklagten daraufhin beauftragte Sachverständige Prof. P. untersuchte den Kläger am 21. Oktober 1993 und kam zu dem Ergebnis, daß sich beim linken Bein keine Veränderung ergeben habe und beim rechten Unterschenkel ein Dauerschaden als Folge der am 14. Oktober 1992 unter Marcumartherapie eingetretenen massiven Einblutung mit Ausbildung eines Kompartmentsyndroms verblieben sei.

Der Kläger Verlangt wegen des Dauerschadens am rechten Bein eine weitere Invaliditätsentschädigung, weil dieser Dauerschaden zur Hälfte auf die durch den Unfall vom 3. November 1990 notwendig gewordene dauernde Marcumartherapie zurückzuführen und insoweit eine Folge dieses Unfalls sei. Die Beklagte räumt ein, daß die Folgen des Unfalls vom 14. Oktober 1992 durch die Folgen des Unfalls vom 3. November 1990 verschlimmert worden sind. Sie ist aber der Ansicht, nach den Grundsätzen der AUB 61 dürften die Folgen eines neuen Versicherungsfalls nicht den Folgen eines alten Versicherungsfalls zugeordnet werden, vielmehr seien die versicherten Folgen eines Unfalls ohne die Folgen weiterer Unfälle zu bewerten. Außerdem habe der Kläger hinsichtlich des Unfalls vom 14. Oktober 1992 die Fristen des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 für die Geltendmachung und die ärztliche Feststellung der Invalidität versäumt.

Das Landgericht hat der auf Zahlung von 20.250 DM gerichteten Klage in Höhe von 15.750 DM nebst Zinsen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit ihrer zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.

I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist es unerheblich, ob der Kläger wegen des Unfalls vom 14. Oktober 1992 die Fristen des § 8 II Abs. 1 AUB 61 eingehalten hat. Auf diesen nach Beendigung des Vertrags mit der Beklagten eingetretenen Unfall stütze der Kläger seinen Anspruch nicht. Der Kläger mache vielmehr nach § 13 Abs. 3a AUB 61 geltend, der Grad der auf den Unfall vom 3. November 1990 zurückzuführenden Invalidität habe sich innerhalb der Dreijahresfrist aufgrund des Unfalls vom 14. Oktober 1992 erhöht.

Diese Neufeststellung habe eine weitere Invalidität von 1/2 Beinwert rechts ergeben, die zur Hälfte Folge des Unfalls vom November 1990 und somit als dessen Folge bedingungsgemäß zu entschädigen sei. Die durch den Unfall vom November 1990 notwendig gewordene ständige Marcumarbehandlung habe zu einer erhöhten Blutungsneigung geführt, die im gleichen Ausmaß wie der Muskelriß vom Oktober 1992 zu dem Kompartmentsyndrom geführt habe. Auch für diese adäquat kausale Folge des Unfalls vom November 1990, die innerhalb der Fristen des § 13 Abs. 3a AUB 61 eingetreten sei, habe die Beklagte Versicherungsschutz zu gewähren. Da die auf der Marcumarisierung beruhende Blutungsneigung für den Umfang des Schadens nicht völlig unerheblich sei, sei der Zurechnungszusammenhang nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Schaden unmittelbar erst durch den Sturz und den Muskelriß ausgelöst worden sei. Nach dem System der privaten Unfallversicherung sei eine mehrfache Entschädigung wegen desselben Unfalls möglich, etwa wenn eine Unfallversicherung noch bei einem anderen Versicherer unterhalten werde. Dabei sei allerdings § 8 AUB 88 bzw. § 10 AUB 61 zu berücksichtigen. Bestehe für einen Folgeunfall kein Versicherungsschutz, würden Abrechnungsschwierigkeiten nicht auftreten. Komme es unter der Geltung eines einheitlichen, fortbestehenden Unfallversicherungsvertrags zu mehreren Unfällen, die adäquat kausal auf einem Erstunfall beruhten oder die weitere, in adäquat kausalem Zusammenhang mit dem Erstunfall stehende Gesundheitsschäden auslösten und diesem zuzuordnen seien, werde der Versicherte nicht doppelt zu entschädigen sein. Denn die Folgen der weiteren Unfälle seien im Rahmen der Regulierung des Erstschadens bereits berücksichtigt. Sei allerdings die Versicherungssumme zwischenzeitlich erhöht worden, werde dies entsprechend bei der Feststellung der aus den Folgeunfällen resultierenden Invalidität zu berücksichtigen sein.

II. Dem Kläger ist mit Recht eine weitere Invaliditätsentschädigung für die Folgen des Unfalls vom 3. November 1990 zugesprochen worden.

1. Die Vorinstanzen haben zutreffend gesehen, daß es auf die Fristen für die ärztliche Feststellung und die Geltendmachung der Invalidität in § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 für den Unfall vom 14. Oktober 1992 nicht ankommt. Hier geht es um die Neufeststellung des Grades der auf den Unfall vom 3. November 1990 zurückzuführenden, unter Beachtung von § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 dem Grunde nach festgestellten Invalidität gemäß § 13 Abs. 3a AUB 61. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwendungen.

2. Die von der Revision gegen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erhobenen Verfahrensrügen sind nicht begründet. Das Berufungsgericht brauchte keinen weiteren Sachverständigenbeweis zu erheben, weil der Sachverhalt unstreitig ist. Die Beklagte hatte schon in erster Instanz ausdrücklich eingeräumt, die Folgen des Unfalls vom 14. Oktober 1992 seien durch die als Folge des Unfalls vom 4. November 1990 erforderlich gewordene, mit einem erhöhten Einblutungsrisiko verbundene Marcumartherapie verschlimmert worden. Der vom Landgericht hinzugezogene Sachverständige Prof. Sch. hat diesen Verursachungsanteil auf 50% bemessen. Das hat die Beklagte im Berufungsverfahren hingenommen. Sie hat um weitere sachverständige Aufklärung nur wegen der Behauptung gebeten, ohne das Unfallereignis vom 14. Oktober 1992, bei dem der Kläger sich einen Muskelriß im rechten Unterschenkel zugezogen habe, hätte es die danach aufgetretenen Dauerfolgen des Kompartmentsyndroms nicht gegeben. Das hat der Kläger nicht bestritten. Die von der Revision erörterte Frage, ob die Folgen des Unfalls vom 3. November 1990 für den Sturz, also das Unfallereignis vom 14. Oktober 1992 ursächlich waren, bedurfte ebenfalls keiner weiteren Aufklärung. Daß dies nicht der Fall ist, war stets unstreitig und ist auch vom Sachverständigen so gesehen worden. Wie die Beklagte in den Vorinstanzen hervorgehoben hat, geht es allein um die Rechtsfrage, ob die durch die Folgen des Erstunfalls adäquat mitverursachte Verschlimmerung der Folgen des Zweitunfalls nach den Grundsätzen der AUB 61 nicht mehr dem Erstunfall, sondern allein dem Zweitunfall zuzurechnen ist, weil der Zurechnungszusammenhang durch den neuen Versicherungsfall unterbrochen worden ist.

3. Das ist hier nicht der Fall.

a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Senats. sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.). Bei Anwendung dieses Auslegungsmaßstabs wird der Anspruch auf Invaliditätsentschädigung nach den AUB 61 nicht schon durch den Eintritt eines weiteren Unfalls eingeschränkt. Eine solche Begrenzung der Leistungspflicht des Versicherers im Sinne einer Unterbrechung der vom ersten Unfall ausgehenden Kausalkette kann dem Bedingungswerk nicht entnommen werden.

aa) Nach § 1 AUB 61 wird Versicherungsschutz gegen die Folgen der dem Versicherten während der Vertragsdauer zustoßenden Unfälle gewährt. Daraus ist zu entnehmen, daß alle im ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall stehenden Folgen vom Versicherungsschutz umfaßt sind. Zweifelhaft könnte dies allenfalls dann sein, wenn die Unfallfolgen nur durch besonders eigenartige, ganz unwahrscheinliche und nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassende Umstände herbeigeführt worden sind, es also am adäquaten Ursachenzusammenhang fehlt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. November 1990 - I ZR 254/88 - NJW 1991, 1109 unter II 2 a). Um solche besonderen Umstände handelt es sich hier aber nicht. Vielmehr hat sich das typische, auf der Marcumarisierung beruhende und schon bei Bagatelltraumen bestehende erhöhte Blutungsrisiko verwirklicht. Auch ein Sturz in der Dusche mit Verletzungsfolgen kann nicht als ganz ungewöhnlicher, nach der Lebenserfahrung außer Betracht zu lassender Vorgang angesehen werden.

bb) § 2 Abs. 3 und § 3 AUB 61 schließen den Versicherungsschutz zwar in bestimmten Fällen aus. Einschränkungen des Versicherungsschutzes für die Folgen eines Erstunfalls durch einen weiteren Unfall sind unter diesen Ausnahmen aber nicht erwähnt.

cc) Aus § 8 II Abs. 1 Satz 1 und § 13 Abs. 3a AUB 61 geht hervor, daß der Anspruch auf Invaliditätsentschädigung inhaltlichen und zeitlichen Beschränkungen unterliegt.

Unfallbedingte Invalidität muß innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb weiterer drei Monate festgestellt und geltend gemacht sein. Damit wird zugleich der für die Invaliditätsentschädigung maßgebliche Sachverhalt inhaltlich auf die dem Grunde nach gemäß § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 zu berücksichtigenden Dauerschäden begrenzt (vgl. Senatsurteil vom 21. Dezember 1973 - IV ZR 70/70 - VersR 1974, 234 unter I). Nur diese Dauerschäden sind die Grundlage für eine Neufeststellung des Invaliditätsgrades nach § 13 Abs. 3a AUB 61. Dabei dürfen der abschließenden Bemessung des Invaliditätsgrades keine Tatsachen zugrundegelegt werden, die innerhalb von drei Jahren nach dem Unfall noch nicht erkennbar waren (vgl. Senatsurteile vom 8. Juli 1981 - IVa ZR 192/80 - VersR 1981, 1151 unter II 2 und vom 28. Februar 1990 - IV ZR 36/89 - VersR 1990, 478 unter 2).

Dagegen ergibt sich aus den genannten Bestimmungen nicht, daß innerhalb der Dreijahresfrist eingetretene Verschlimmerungen der Dauerschäden dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn sie durch einen weiteren Unfall hervorgerufen worden sind. Für solche Verschlimmerungen gilt nichts anderes als für sonstige Verschlechterungen des Gesundheitszustandes. Ein Anhaltspunkt für eine Differenzierung nach den Ursachen der Veränderung ist nicht erkennbar.

dd) Weitere Einschränkungen der Leistungspflicht sind in § 10 AUB 61 enthalten.

Aus Abs. 1 und Abs. 4 dieser Bestimmung wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer schließen, daß unfallfremde Krankheiten und Gebrechen sowie eine Vorinvalidität grundsätzlich zu seinen Lasten gehen, nämlich zu einer Kürzung des Anspruchs oder einem Abzug von der Gesamtinvalidität führen (vgl. Senatsurteile vom 19. April 1972 - IV ZR 50/71 - VersR 1972, 582 unter I 2; vom 24. Februar 1988 - IVa ZR 220/86 - VersR 1988, 461 unter 2; vom 7. Juni 1989 - IVa ZR 137/88 - VersR 1989, 902 f.). Er muß daraus weiter entnehmen, daß Krankheiten, Gebrechen und eine Vorinvalidität, wenn sie Folge eines früheren Unfalls sind, diesem zuzurechnen sind und nicht dem neuen Unfall. Daß Vorschädigungen keinem der beiden Unfälle zugerechnet werden und deshalb entschädigungslos bleiben sollen, auch wenn sie sich durch den Zweitunfall verschlimmert haben, wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer in seine Überlegungen mit Recht nicht einbeziehen.

In dieser Auffassung darf er sich ferner durch den Leistungsausschluß in § 10 Abs. 5 AUB 61 bestärkt sehen. Gäbe es diese Bestimmung nicht, so hätten die Unfallversicherer gemäß §§ 1, 2 und 8 AUB 61 auch für die Invaliditätsfälle einzutreten, in denen die dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit des Versicherten adäquat kausal auf eine unfallbedingt entstandene psychische Störung zurückgeht, die ihrerseits keine organische Hirnschädigung zur Ursache hat (Senatsurteil vom 27. September 1995 - IV ZR 283/94 - VersR 1995, 1433 unter 4 a). Das legt den Schluß nahe, daß andere adäquat kausal auf den ersten Unfall zurückzuführende Zwischenursachen, wie z.B. ein weiterer Unfall, eben nicht zur Einschränkung der Leistungspflicht führen. Der Versicherer, der nur für Unfallfolgen bestimmter Beschaffenheit einstehen will, muß sein Leistungsversprechen von Anfang an entsprechend begrenzt fassen, und zwar unmißverständlich (Senatsurteil vom 27. September 1995, aaO).

b) Diese Auslegung des Bedingungswerks führt u.a. zu folgenden rechtlichen Konsequenzen.

aa) Ist der erste Unfall - mag er zu Dauerschäden oder nur zu vorübergehenden Gesundheitsschäden des Versicherten geführt haben - adäquat kausal für ein weiteres Unfallereignis geworden, das innerhalb der seit dem ersten Unfall laufenden Jahresfrist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 zu (gegebenenfalls weiterer) Invalidität führt, so besteht (auch insoweit) Leistungspflicht des Versicherers, der für den ersten Unfall einzustehen hat, sofern auch die weiteren Fristen für die ärztliche Feststellung und Geltendmachung - gerechnet vom ersten Unfallereignis an - gewahrt sind (vgl. Martin in Prölss/Martin, WG 24. Aufl. § 10 AUB Anm. 2 a; Knappmann in Prölss/Martin, WG 25. Aufl. § 2 AUB 88 Anm. 2 C, Seite 2047; Wagner in Bruck/Möller/Wagner, WG 8. Aufl. Bd. VI 1 Anm. G 93; RG, Urteile vom 20. Dezember 1929 - VII.332/29 - JRPV 1930, 53 und vom 18. November 1932 - VII.l66/32 - JRPV 1932, 370 ff. = VA 1932, 297 Nr. 2482; vgl. zu ähnlichen Problemen im Haftungsrecht BGH, Urteil vom 22. Oktober 1963 - VI ZR 187/62 - VersR 1964, 49 unter II 3). So wäre es beispielsweise, wenn eine durch den ersten Unfall verursachte Gehbehinderung oder Bewußtseinsstörung innerhalb der Jahresfrist zu einem Sturz mit Dauerfolgen führt. Einer Zurechnung dieser Dauerfolgen zum ersten Unfall steht in solchen Fällen auch nicht der Zweck der Unfallversicherung entgegen. In dem weiteren Unfallereignis und seinen Folgen hat sich das durch den ersten Unfall geschaffene erhöhte Risiko weiterer Gesundheitsschädigungen verwirklicht.

bb) Ist als adäquate Folge des Erstunfalls innerhalb der Jahresfrist des § 8 II Abs. 1 Satz 1 AUB 61 Invalidität eingetreten und macht der Versicherte eine Erhöhung des Grades dieser Invalidität geltend, kommt es darauf an, ob die sachlichen und zeitlichen (längstens drei Jahre vom Tag des ersten Unfalls an) Voraussetzungen für eine Neufeststellung erfüllt sind. Dabei sind die Folgen eines Zweitunfalls dem Erstunfall dann zuzurechnen, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - die Dauerfolgen des Erstunfalls verschlimmern und soweit und solange für den Erstunfall die Möglichkeit der Neufeststellung des Invaliditätsgrades nach § 13 Abs. 3a AUB 61 besteht.

cc) Daraus ergibt sich, daß eine Leistungspflicht des Versicherers, der für den ersten Unfall einzustehen hat, insoweit nicht besteht, als der erste Unfall nach Ablauf der Jahresfrist einen zweiten Unfall mit neuen Dauerschäden zur Folge hat. Ferner hat er nicht für Verschlimmerungen der Folgen des Erstunfalls durch einen Zweitunfall einzustehen, wenn bei dessen Eintritt eine Neufeststellung des Invaliditätsgrades nicht mehr verlangt werden kann.

Dr. Schmitz Dr. Zopfs Dr. Ritter Dr. Schlichting Seiffert

Ende der Entscheidung

Zurück