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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 22.02.2006
Aktenzeichen: IV ZR 56/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 296
ZPO § 531 Abs. 1
Das Verbot, Präklusionsgründe in der nächsten Instanz auszuwechseln, gilt unterschiedslos, ob den Gerichten bei der Entscheidung über die Zurückweisung ein Ermessen eingeräumt oder sie bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend ist.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES VERSÄUMNIS-URTEIL

IV ZR 56/05

Verkündet am: 22. Februar 2006

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, Wendt und Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 22. Februar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 16. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 20. Januar 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der klagende Feuerversicherungsverein begehrt Rückzahlung von Versicherungsleistungen, die er aus einer von der Beklagten bei ihm gehaltenen Versicherung anlässlich eines Brandes in ihrem Mehrfamilienhaus erbracht hat. In der Revisionsinstanz streiten die Parteien nur darüber, ob die Zurückweisung eines Zeugenbeweisantritts als verspätet verfahrensfehlerfrei erfolgt ist.

Das Landgericht hat der auf Zahlung von 18.135,17 € nebst Zinsen gerichteten Klage nach Vernehmung von zwei Zeugen im ersten und einzigen Termin zur mündlichen Verhandlung am 15. Januar 2004 in Höhe von 10.980,58 € nebst Zinsen aus Kondiktions- und gemäß § 67 VVG übergegangenen Deliktsansprüchen stattgegeben. Der Kläger sei insoweit wegen grob fahrlässiger Verursachung des Brandes gemäß § 61 VVG von der Leistungspflicht befreit gewesen, weil der Ehemann der Beklagten als ihr Repräsentant Elektroleitungen in einem Versorgungsschacht selbst unsachgemäß installiert habe und die Elektroanlage im Anschluss nicht durch einen autorisierten Elektromeister habe überprüfen lassen. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat es der Aussage des Ehemannes über die von der Beklagten behauptete Einschaltung eines Elektromeisters bei Installation und Abschlussprüfung nicht, der gegenteiligen des Elektromeisters dagegen weitgehend geglaubt. Das auf die Beurteilung der Glaubhaftigkeit abzielende Zeugenbeweisangebot der Beklagten über eine Zahlung von 10.000 DM an den Elektromeister für Installation und Überprüfung der Elektroanlage hat es gemäß §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückgewiesen, weil es grob nachlässig erst nach über zweijähriger Prozessdauer in der mündlichen Verhandlung erfolgt sei und seine Berücksichtigung zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt hätte.

Die Berufung, mit der die Beklagte die volle Klagabweisung begehrt hat, ist erfolglos geblieben. Die Revision, die sich allein gegen die unterbliebene Zeugenvernehmung wendet, erstrebt die Aufhebung des Berufungsurteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Entscheidungsgründe:

Da der Kläger im Verhandlungstermin trotz dessen ordnungsgemäßer Bekanntgabe nicht erschienen ist, ist durch Versäumnisurteil zu entscheiden, das jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung beruht (vgl. BGHZ 37, 79, 81 f.).

Die Revision hat Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat insoweit ausgeführt:

Zwar sei die allein auf §§ 296 Abs. 2, 282 Abs. 1 ZPO gestützte Zurückweisung des Beweisangebotes durch das Landgericht verfahrensfehlerhaft gewesen, weil von einer Verspätung mündlichen Vorbringens bei § 282 Abs. 1 ZPO nur die Rede sein könne, wenn sich die Verhandlung durch Vertagung über mehrere Termine erstrecke und Angriffs- und Verteidigungsmittel erst in einem Folgetermin anstatt in der ersten mündlichen Verhandlung vorgebracht werden (BGH, Urteil vom 1. April 1992 - VIII ZR 86/91 - NJW 1992, 1965 unter II 1 a).

Diese verfahrensfehlerhafte Zurückweisung sei aber unbeachtlich, weil sie in eine zulässige Entscheidung nach § 296 Abs. 1 ZPO umgedeutet werden könne. Das Verteidigungsmittel "Zeugenaussage ... zu Geldübergabe" sei erst nach der gemäß § 276 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Klageerwiderung gesetzten Frist vorgebracht worden. Es habe Anlass bestanden, auf Geldzahlungen schon in der Klageerwiderung einzugehen, weil diese "ein hervorragendes Indiz für die (auf) Seite 5 der Klageerwiderung aufgestellte und unter Beweis gestellte Behauptung sind", der Elektromeister "habe die Elektroinstallation durchgeführt". Die Rechtsfolge der Nichtzulassung sei angesichts der vom Landgericht angenommenen groben Nachlässigkeit und Verzögerung bei der Erledigung des Rechtsstreits zwingend. Diesem Wechsel der Zurückweisungsbegründung zu § 296 Abs. 1 ZPO stehe auch nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entgegen. In dieser finde sich nur für den Fall eines Wechsels von § 296 Abs. 1 ZPO zu der von der ersten Instanz unterlassenen Ermessensentscheidung nach § 296 Abs. 2 ZPO, die das Berufungsgericht nicht nachholen könne, eine Begründung (Urteil vom 9. März 1981 - VIII ZR 38/80 - NJW 1981, 2255 unter 2 b), nicht aber für die hier gegebene umgekehrte Fallkonstellation (Urteil vom 1. April 1992 aaO unter 2).

II. Diese Auffassung des Berufungsgerichts hält rechtlicher Überprüfung im entscheidenden Punkt nicht stand.

Zutreffend hat das Berufungsgericht die Zurückweisung des Beweisangebots durch das Landgericht als verfahrensfehlerhaft beurteilt. Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung kann nach § 282 Abs. 1 ZPO nie verspätet sein (BGH, Urteil vom 4. Mai 2005 - XII ZR 23/03 - NJW-RR 2005, 1007 unter 2 b aa und ständig).

Ob das Unterbleiben der für die Frage grob fahrlässiger Verursachung des Brandes an sich bedeutsamen Zeugenvernehmung im Ergebnis verfahrensrechtlich Bestand haben kann, hängt dann - wie das Berufungsgericht ebenfalls noch richtig sieht - entscheidend davon ab, ob es die Zurückweisung auf eine andere vom Vordergericht nicht herangezogene rechtliche Grundlage stellen durfte. Das ist zu verneinen.

1. Nach ständiger, seit langem gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf das im Rechtszug übergeordnete Gericht weder eine von der Vorinstanz unterlassene Zurückweisung nachholen noch die Zurückweisung auf eine andere als die von der Vorinstanz angewandte Vorschrift stützen; das gilt unterschiedslos, ob den Gerichten bei der Entscheidung über die Präklusion ein Ermessen eingeräumt ist oder nicht, sie also bei Vorliegen der Voraussetzungen zwingend ist. Ein Wechsel der Präklusionsbegründung durch das Rechtsmittelgericht kommt grundsätzlich nicht in Betracht (BGH, Urteile vom 4. Mai 2005 aaO unter 2 b bb; vom 4. Mai 1999 - XI ZR 137/98 - NJW 1999, 2269 unter II 2 c; vom 1. April 1992 aaO; vom 13. Dezember 1989 - VIII ZR 204/82 - NJW 1990, 1302 unter II 2 b bb; vom 9. März 1981 aaO; vom 12. Februar 1981 - VII ZR 112/80 - NJW 1981, 1217 unter II 3 und vom 17. Oktober 1979 - VIII ZR 221/78 - NJW 1980, 343 unter 1 b).

Dem haben sich die obergerichtliche Rechtsprechung und die Literatur uneingeschränkt angeschlossen (vgl. OLGR Koblenz 2003, 115 f.; SchlHOLG SchlHA 1980, 161; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 27. Aufl. § 531 Rdn. 10; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO 25. Aufl. § 531 Rdn. 8; Musielak/Ball, ZPO 4. Aufl. § 531 Rdn. 8 und 13; Stein/Jonas/Leipold, ZPO 21. Aufl. § 296 Rdn. 114; HK-ZPO/Wöstmann, § 531 Rdn. 3 und 4; abweichend noch KG MDR 1981, 853).

2. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.

Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, sie habe ihre alleinige Grundlage darin, dass es dem Rechtsmittelgericht nicht erlaubt sei, das Ermessen anstelle des Vordergerichts auszuüben, weswegen es für den vom Bundesgerichtshof ebenfalls für unzulässig gehaltenen Wechsel von der in der Vorinstanz angenommenen Präklusion gemäß § 296 Abs. 2 ZPO zu einer gemäß § 296 Abs. 1 ZPO in der Rechtsmittelinstanz an einer tragfähigen Begründung fehle.

a) § 528 Abs. 3 ZPO a.F. - wortgleich mit § 531 Abs. 1 ZPO - erlaubt es nach seinem klaren Wortlaut dem Berufungsgericht lediglich zu überprüfen, ob eine Zurückweisung von Vorbringen in erster Instanz - wie etwa eines Beweisantrages - zu Recht vorgenommen worden ist (so bereits BGH, Urteil vom 17. Oktober 1979 aaO; Stein/Jonas/Grunsky, aaO § 528 Rdn. 12). Die Entscheidung darüber, ob im ersten Rechtszug vorgetragene Angriffs- und Verteidigungsmittel als verspätet zurückgewiesen werden können, obliegt - auch insoweit ist der Wortlaut des Gesetzes eindeutig - allein dem Richter dieses Rechtszuges und kann deswegen nicht vom Rechtsmittelgericht nachträglich vorgenommen werden (BGH, Urteil vom 12. Februar 1981 aaO).

b) Das bezieht sich nicht etwa nur auf Präklusionsentscheidungen mit Ermessensspielraum. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr ausdrücklich betont, es gelte "auch" in Fällen, in denen eine auf § 296 Abs. 1 ZPO gestützte Zurückweisung nicht rechtmäßig gewesen war und eine Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO nicht stattgefunden hatte (Urteil vom 9. März 1981 aaO). Die insbesondere untersagte Ersetzung der Ermessensausübung durch das Rechtsmittelgericht anstelle des Vordergerichts bildet demzufolge keineswegs - wie das Berufungsgericht angenommen hat - die allein tragende Grundlage der dargelegten ganz herrschenden Ansicht über das Verbot, Präklusionsgründe in der nächsten Instanz auszuwechseln. Entscheidend ist, dass die Präklusionsvorschriften der §§ 296, 531 ZPO die säumige Partei erheblich beschweren. Sie erlauben daher keine ausdehnende Anwendung. Ihre nachteiligen Folgen können der säumigen Partei nur zugemutet werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausschließung strikt erfüllt sind (vgl. BGH, Urteile vom 12. Februar 1981 aaO und 10. Juli 1979 - VI ZR 223/78 - NJW 1979, 2109 unter II; BGHZ 76, 236, 239 f.).

c) Dazu gehört nicht nur, dass der zuerst und allein berufene Richter ein ihm vom Gesetz aufgegebenes Ermessen ausübt, sondern auch - ganz allgemein -, dass er die Bewertung des Parteivortrages in Bezug auf die Erfüllung von Präklusionsvorschriften vornimmt. Unterbleibt danach rechtsfehlerhaft eine Zurückweisung, wird mithin ein der Rechtslage nach als verspätet zurückzuweisendes Vorbringen rechtswidrig zugelassen, so ist dieser Verfahrensfehler überholt und das Vorbringen zu berücksichtigen, weil auch die verfahrensfehlerhafte Zulassung die Zurückweisungsvoraussetzung der drohenden Verzögerung beseitigt, sie sich gleichsam selbst heilt (Deubner, NJW 1981, 929 f.; MünchKomm-ZPO/Prütting, 2. Aufl. § 296 Rdn. 181; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl. Aktualisierungsband § 529 Rdn. 12). Eine zu Unrecht erfolgte Zulassung verspäteten Vorbringens erster Instanz kann nach allgemeiner Ansicht wegen der damit verbundenen definitiven Einführung in das Verfahren ebenso wenig vom Berufungsgericht korrigiert werden, wie ein entgegen § 528 Abs. 3 ZPO a.F. vom Berufungsgericht zugelassenes Vorbringen durch das Revisionsgericht, weil dies keinen Revisionsgrund darstellt (BGH, Beschluss vom 26. Februar 1991 - XI ZR 163/90 - NJW 1991, 1896 f.; Stein/Jonas/Grunsky, aaO Rdn. 16).

d) Nichts anderes kann gelten, wenn eine Zurückweisung aufgrund fehlerhafter Anwendung der dafür herangezogenen Vorschrift vom Rechtsmittelgericht aufzuheben und die Anwendung einer an sich eingreifenden Präklusionsnorm fehlerhaft unterblieben ist. Unter letzterem Gesichtspunkt ist das Vorbringen nicht zurückgewiesen worden, mithin unter diesem Blickwinkel als zugelassen zu betrachten. Die demgegenüber zusätzliche verfahrensfehlerhafte Behandlung der anderen Präklusionsvorschrift vermag eine Korrektur durch das Rechtsmittelgericht zu Lasten der säumigen Partei nicht zu rechtfertigen. Auch in diesen Fällen ist insoweit die notwendige Voraussetzung der Verzögerung infolge des zu späten Vorbringens entfallen; dieses muss jetzt beachtet werden, es sei denn, andere Vorschriften wie etwa § 527 ZPO a.F. bzw. § 530 ZPO gebieten unabhängig davon die Zurückweisung (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, aaO; HK-ZPO/Wöstmann, aaO Rdn. 4). Eine nachträgliche Zurückweisung erstinstanzlich bereits vorgetragener Angriffs- und Verteidigungsmittel als verspätet durch das Rechtsmittelgericht scheidet nach der insofern unmissverständlichen gesetzlichen Regelung aus (BGH, Urteil vom 12. Februar 1981 aaO).

Ende der Entscheidung

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