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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 10.02.1999
Aktenzeichen: IV ZR 60/98
Rechtsgebiete: VHB 84, VVG, ZPO, AGBG


Vorschriften:

VHB 84 § 9 Nr. 1 a
VHB 84 § 21 Abs. 1 b
VHB 84 § 21 Abs. 1 d
VHB 84 § 21 Nr. 1 a
VHB 84 § 21 Nr. 1 e
VVG § 6 Abs. 3 Satz 1
VVG § 6 Abs. 3 Satz 2
VVG § 62 Abs. 2 Satz 1
VVG § 66 Abs. 2
ZPO § 139 Abs. 1
ZPO § 563
ZPO § 565 Abs. 1
ZPO § 565 Abs. 3 Nr. 1
AGBG § 9 Abs. 1
AGBG § 9 Abs. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 60/98

Verkündet am: 10. Februar 1999

Schick Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Dr. Schlichting, Terno, Seiffert und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 10. Februar 1999

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 16. Januar 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten, ihrem Hausratversicherer, Entschädigung in Höhe von 76.670,38 DM wegen eines Einbruchdiebstahls. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Hausratversicherungsbedingungen von 1984 (VHB 84) zugrunde. Die Beklagte beruft sich auf Leistungsfreiheit, weil der Sohn der Klägerin durch das Nichtabschließen der Haustür den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe, weil die Klägerin in ihrer Schadensanzeige die Frage nach dem Verschlossensein der Haustür falsch beantwortet habe und weil sie nicht unverzüglich Stehlgutlisten bei der Polizei und bei ihr, der Beklagten, eingereicht habe.

Wegen der letztgenannten Obliegenheitsverletzung hat das Landgericht die Klage abgewiesen und hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Beklagte sei wegen des Verstoßes der Klägerin gegen ihre Obliegenheiten, unverzüglich bei der Polizei und bei der Beklagten Stehlgutlisten einzureichen, leistungsfrei. Die Beklagte habe nicht auf die unverzügliche Einreichung der Stehlgutlisten verzichtet. Die Klägerin habe bei ihrer persönlichen Anhörung in der Berufungsverhandlung ihr schriftsätzliches Vorbringen nicht bestätigt, nämlich nicht angegeben, in den von ihr behaupteten Telefongesprächen mit einem unbekannten Bediensteten der Beklagten sei die Stehlgutliste zur Sprache gekommen, sondern sie habe lediglich zu verstehen gegeben, man habe sich über die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen unterhalten und dazu die Auskunft erhalten, dafür habe man ein Jahr Zeit. Die Klägerin habe die Obliegenheiten zwar nicht vorsätzlich, aber grob fahrlässig verletzt. Der längere Auslandsaufenthalt ihres Sohnes H. und die dadurch bedingte Unkenntnis, welche diesem gehörenden Sachen entwendet worden waren, könnten die Klägerin nicht entschuldigen, da sie an einer Aufstellung der anderen entwendeten Gegenstände nicht gehindert gewesen sei und ihr auch ein vorläufiges Verzeichnis der H. gestohlenen Sachen möglich gewesen wäre, das sie gleich nach H.s Rückkehr hätte vervollständigen können. Es lasse sich auch nicht feststellen, daß die Obliegenheitsverletzung der Klägerin folgenlos geblieben sei. Die unverzügliche Einreichung einer Stehlgutliste diene der polizeilichen Aufklärung eines Schadensfalles und der Verhinderung von Falschangaben des Versicherungsnehmers. Die Klägerin habe durch die einjährige Verzögerung zeitnahe und daher zuverlässige Ermittlungen der Polizei und/oder der Beklagten unmöglich gemacht und dadurch die Interessen der Beklagten erheblich gefährdet.

II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht entschieden, daß die Klägerin ihre Obliegenheiten, bei Eintritt des Versicherungsfalles unverzüglich der Polizei ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen einzureichen (§ 21 Abs. 1 b VHB 84) und der Beklagten ein Verzeichnis aller abhanden gekommenen, zerstörten oder beschädigten Sachen unter Angabe des Versicherungswertes oder des Anschaffungspreises und des Anschaffungsjahres vorzulegen (§ 21 Abs. 1 d VHB 84), verletzt hat. Sie hat der Beklagten ein Schadensverzeichnis erst am 19. Dezember 1995 und der Polizei eine Stehlgutliste erst am 18. Januar 1996 vorgelegt; beides ist somit nicht unverzüglich bei Eintritt des Versicherungsfalles geschehen. Desgleichen geht das Berufungsgericht mit Recht davon aus, daß dann, wenn der Versicherungsnehmer den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung erfüllt hat, der Versicherer grundsätzlich leistungsfrei ist und seine Leistungsfreiheit nur dann ausscheidet, wenn das Verschulden des Versicherungsnehmers geringer war als Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit (§§ 6 Abs. 3 Satz 1, 62 Abs. 2 Satz 1 VVG). Dabei besteht eine gesetzliche Vermutung für den Vorsatz des Versicherungsnehmers - den das Berufungsgericht hier jedoch verneint hat - oder seine grobe Fahrlässigkeit, so daß hier die Klägerin hinsichtlich letzterer den Gegenbeweis erbringen muß (vgl. Senatsurteil vom 2. Juni 1993 - IV ZR 72/93 - VersR 1993, 960 unter I 2).

2. Soweit das Berufungsgericht ihren Entschuldigungsbeweis als gescheitert angesehen und sogar positiv die grobe Fahrlässigkeit der Klägerin angenommen hat, ist seine Entscheidung durch Rechtsfehler beeinflußt.

Ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt oder nicht, ist keine reine Tatsachenfrage, sondern unterliegt der revisionsrechtlichen Nachprüfung, soweit das Berufungsgericht entweder den Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder nicht alle festgestellten Umstände des Geschehens in seine Wertung einbezogen hat (BGH, Urteil vom 9. Mai 1984 - IVa ZR 176/82 - VersR 1984, 830 unter II 2; Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. § 6 Rdn. 119). Letzteres ist hier der Fall. Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Klägerin zu den von ihr behaupteten Telefongesprächen mit einem Sachbearbeiter der Beklagten nur unvollständig berücksichtigt.

Soweit das Berufungsgericht festgestellt hat, daß die Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung ihr schriftsätzliches Vorbringen nicht bestätigt, sondern lediglich zu verstehen gegeben habe, man habe sich über die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen unterhalten und dazu die Auskunft bekommen, das sei nicht so eilig, dafür habe man ein Jahr Zeit, könnte dieser Feststellung ein Verfahrensfehler zugrunde liegen. Denn es bleibt unklar, ob die Klägerin bei ihrer Anhörung von ihrem schriftsätzlichen Vortrag bewußt abgerückt ist oder aber dessen Bestätigung etwa nur deshalb unterlassen hat, weil ihr die Einzelheiten der Gespräche momentan entfallen oder von ihr nicht für wichtig gehalten wurden. Das Berufungsgericht hätte diese Zweifelsfrage aufgrund der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 139 Abs. 1 ZPO) aufklären und dazu der Klägerin ihre schriftsätzlichen Darstellungen vorhalten müssen. Ob es dieser prozessualen Pflicht nachgekommen ist, wird weder aus dem Protokoll der Berufungsverhandlung noch aus dem Berufungsurteil ersichtlich. Dies hat die Revision auch gerügt. Falls aber die Klägerin an ihrem schriftsätzlichen Vortrag festhalten wollte, hätte das Berufungsgericht darüber Beweis erheben müssen.

Aber auch wenn das Urteil dahin zu verstehen wäre, daß das Berufungsgericht aufgrund ausreichender Vorhalte an die Klägerin zu dem Ergebnis gelangt ist, diese wolle ihre schriftsätzliche Darstellung der Gespräche mit dem Sachbearbeiter nunmehr widerrufen und durch die weniger aussagekräftige Behauptung ersetzen, sie und ihr Sohn hätten sich telefonisch mit einem Sachbearbeiter der Beklagten über die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen unterhalten und die Auskunft bekommen, dafür habe man ein Jahr Zeit, hat das Berufungsgericht diesen besonderen Umstand des Falles nur unvollständig berücksichtigt. Es hätte sich nicht auf die Feststellung beschränken dürfen, daß in dieser angeblichen Auskunft des Sachbearbeiters kein Verzicht auf die unverzügliche Vorlage der Stehlgutliste lag, sondern hätte prüfen müssen, ob die behauptete Auskunft des Sachbearbeiters die Gefahr eines Mißverständnisses dahin heraufbeschwor, die Klägerin brauche bis zum Ablauf der ihr genannten Jahresfrist überhaupt nichts zu unternehmen, also auch keine Stehlgutliste und kein Schadensverzeichnis vorzulegen, und ob es gegebenenfalls nicht nur einfache Fahrlässigkeit war, wenn die Klägerin einem solchen Mißverständnis unterlag. Ob diese Fragen zu bejahen oder zu verneinen sind, läßt sich nicht ohne den Versuch entscheiden, Aufschluß über die näheren Umstände der von der Klägerin behaupteten Telefongespräche zu gewinnen. Denn es könnte beispielsweise auf Einzelheiten der Fragestellung der Klägerin und ihres Sohnes und der Antworten des Sachbearbeiters, aber auch auf den Zeitpunkt der Gespräche ankommen. Aus dem angefochtenen Urteil ist nicht ersichtlich, daß das Berufungsgericht die Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung zu solchen Einzelheiten befragt und von ihr Auskünfte erhalten hätte, welche ihm die Feststellung grober Fahrlässigkeit erlaubt hätten. Grobe Fahrlässigkeit setzt voraus, daß der Versicherungsnehmer die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet hat, was in seiner Lage jedem hätte einleuchten müssen (Senatsurteile vom 27. Mai 1992 - IV ZR 42/91 - VersR 1992, 1087 unter II 2 und vom 8. Februar 1989 - IVa ZR 57/88 - NJW 1989, 1354 unter 2). Das Berufungsgericht hätte deshalb den von der Klägerin als Zeugen für die Telefongespräche benannten Sohn F. vernehmen müssen, wenn es die Klageabweisung darauf stützen wollte, daß die Klägerin ihre Obliegenheiten zur unverzüglichen Vorlage einer Stehlgutliste und eines Schadensverzeichnisses grob fahrlässig verletzt habe.

3. Auch soweit das Berufungsgericht den Kausalitätsgegenbeweis (§ 6 Abs. 3 Satz 2 VVG) als nicht geführt angesehen hat, ist seine Entscheidung nicht rechtsfehlerfrei. Die Begründung des Berufungsgerichts, das auf den Schadensminderungszweck der verletzten Obliegenheiten abgestellt und hierzu ausgeführt hat, daß die unverzügliche Vorlage von Stehlgutlisten der polizeilichen Aufklärung diene und daß die Klägerin durch die einjährige Verzögerung zeitnahe und daher zuverlässige Ermittlungen der Polizei unmöglich gemacht habe, trifft nur für die gestohlenen Sachen zu, die in die Stehlgutliste aufzunehmen sind. Sie gilt nicht für die darüber hinaus im Schadensverzeichnis für den Versicherer anzugebenden zerstörten und beschädigten Sachen. Insoweit soll das Schadensverzeichnis nur Falschangaben des Versicherungsnehmers zum Schadensumfang, also eine nachträgliche Aufbauschung des Schadens verhindern. Hinsichtlich der zerstörten und beschädigten Sachen - und anderer nicht in die Liste der gestohlenen Gegenstände gehörenden Schäden - kann die Klägerin deshalb den Kausalitätsgegenbeweis durch den Nachweis führen, daß ihr die geltend gemachten Schäden trotz der verspäteten Auflistung tatsächlich entstanden sind. Für die Sperrung der Konten (200 DM, versichert nach § 21 Nr. 1 c VHB 84), die Aufräumarbeiten (450 DM, versichert nach § 21 Nr. 1 a VHB 84) und die Reparatur der Haustür (6.509 DM, versichert nach § 21 Nr. 1 e VHB 84) braucht sie diesen Beweis nicht einmal zu erbringen. Denn daß ein Einbruch stattgefunden hat, der die Sperrung der Konten und Aufräumarbeiten erforderlich machte und bei dem die Haustür beschädigt wurde, geht schon aus dem Tatortbericht der Polizei hervor und wird von der Beklagten ebensowenig bestritten wie die Höhe der hierfür geltend gemachten Kosten. Dies gilt nicht für die Fensterreparatur. Auch deren Kosten sind zwar unstreitig, jedoch bestreitet die Beklagte, daß das Fenster bei dem Einbruch beschädigt wurde. Hinsichtlich der Telefongebühren und Sachverständigenkosten (deren Höhe ebenfalls unstreitig ist), stellt sich die Frage des Kausalitätsgegenbeweises nicht, weil eine Versicherung des Ferngesprächsaufwandes nicht ersichtlich und die Erstattung von Sachverständigenkosten ausdrücklich ausgeschlossen ist (§ 66 Abs. 2 VVG) und somit die Anspruchsgrundlage fehlt.

4. Abgesehen von den beiden letztgenannten nicht versicherten Schadenspositionen, hinsichtlich derer die Klage unschlüssig ist, ist die Klageabweisung auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis richtig (§ 563 ZPO).

a) Die vom Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - offengelassene Frage, ob der Umstand, daß der Sohn H. der Klägerin die Haustür nicht abgeschlossen hatte, zur Leistungsfreiheit der Beklagten führt, ist zu verneinen. Nach § 9 Nr. 1 a VHB 84 sind nicht versichert Schäden, die der Versicherungsnehmer oder eine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende volljährige Person vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt. Diese Bestimmung ist jedoch gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam (Senatsurteil vom 21. April 1993 - IV ZR 33/92 - VersR 1993, 830 unter I 3 c). Der Versicherungsnehmer haftet lediglich für das Fehlverhalten seiner Repräsentanten. Repräsentant des Versicherungsnehmers ist, wem dieser die alleinige Obhut für die versicherte Sache nicht bloß vorübergehend übertragen hat (Senatsurteil vom 16. Juni 1993 - IV ZR 145/92 - VersR 1994, 45 unter III). H. hingegen sollte das Haus nur einen Tag lang hüten.

b) Gleichermaßen zu verneinen ist für das Revisionsverfahren die vom Berufungsgericht ebenfalls offengelassene weitere Frage, ob die Beklagte wegen der unstreitig falschen Angabe der Klägerin in ihrer Schadensanzeige, die Haustür sei umgeschlossen gewesen, Leistungsfreiheit in Anspruch nehmen kann. Nach § 21 Nr. 2 b VHB 84 hat der Versicherungsnehmer die Obliegenheit, dem Versicherer jede zur Untersuchung der Ursache des Schadens dienliche Auskunft zu erteilen. Diese Obliegenheit hat die Klägerin verletzt. Das Berufungsgericht hat aber keine abschließenden Feststellungen dazu getroffen, ob ihr der Entschuldigungsbeweis des fehlenden Vorsatzes gelungen ist. Für die Revisionsinstanz ist daher zu unterstellen, daß der Klägerin kein höherer Verschuldensgrad als grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt. Dann steht ihr aber der Kausalitätsgegenbeweis offen, den sie nicht einmal zu führen braucht, weil die Beklagte zugesteht, daß die Falschauskunft folgenlos geblieben ist.

5. Nach alledem kann das angefochtene Urteil nicht bestehen bleiben. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil es hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 ZPO).



Ende der Entscheidung

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