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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.03.1999
Aktenzeichen: IV ZR 89/98
Rechtsgebiete: AHB, VVG


Vorschriften:

AHB § 4 I Nr. 6 b
AHB § 1 Nr. 1
VVG § 59
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 89/98

Verkündet am: 17. März 1999

Bartelmus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Römer, Terno, Seiffert und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 1999

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 11. März 1998 insoweit aufgehoben, als die Berufung der Klägerin wegen des weitergehenden Zahlungsantrags zurückgewiesen worden ist.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 12. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juli 1996 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefaßt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 340.448,04 DM nebst 5% Zinsen aus 258.888,55 DM seit dem 1. Mai 1995 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt Ersatz von Nutzungsausfall aus gepfändeten und überwiesenen Versicherungsansprüchen der Schiffswerft O. GmbH (im folgenden: S.) von der Beklagten als deren Haftpflichtversicherer.

Am 17. Oktober 1990 wurde ein Tankleichter der Klägerin bei einer Explosion auf dem Werftgelände der S. schwer beschädigt, als ein Arbeiter im Zuge von Reparaturarbeiten an den Heizschlangen des Schiffes einen angezündeten Schweißbrenner in einen nach Gas riechenden Tank hinunterließ, um festzustellen, ob sich dort noch Gas befinde. Die S., die bald darauf in Vermögensverfall geriet, wurde rechtskräftig zum Schadensersatz verurteilt. Während der Sachschaden durch einen Kaskoversicherer ersetzt wurde, ist der durch den Ausfall des Schiffes entstandene Schaden in Höhe von 258.888,55 DM nebst rückständiger und laufender Zinsen noch offen.

Dem Versicherungsvertrag zwischen der S. und der Beklagten lagen neben den Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB) Besondere Vereinbarungen zur Spezial-Haftpflicht-Versicherung (BV) zugrunde. Diese enthalten unter Ziffer 2 "Deckungserweiterungen". Nach Ziffer 2.9 BV ist abweichend von § 4 I Nr. 6 b AHB eingeschlossen die gesetzliche Haftpflicht aus Schäden, die an fremden Sachen durch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen entstanden sind. Die Deckungssummen je Schadenereignis betragen für Personen- und Sachschäden 2 Mio. DM und für Bearbeitungsschäden 50.000 DM.

Die Beklagte hat die Leistung verweigert, weil ein nicht versicherter Bearbeitungsschaden i.S. von § 4 I Nr. 6 b AHB vorliege. Dem Anspruch auf Zahlung von 50.000 DM nach Ziffer 2.9 BV stehe der Gesichtspunkt der Doppelversicherung (§ 59 VVG) entgegen, weil der Sachschaden vom Kaskoversicherer reguliert worden sei.

Der auf Zahlung von 340.448,04 DM nebst 5% Zinsen aus 258.888,55 DM seit 1. Mai 1995 und Feststellung der Teilerledigung des Rechtsstreits in Höhe von 5.570,60 DM gerichteten Klage hat das Landgericht nur in Höhe von 50.000 DM nebst Zinsen stattgegeben. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt sie den Zahlungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Die Beklagte hat an die Klägerin 340.448,04 DM (258.888,55 DM Hauptsumme zuzüglich rückständiger Zinsen) und 5% laufende Zinsen aus der Hauptsumme seit 1. Mai 1995 zu zahlen. Der von der Klägerin gepfändete und ihr zur Einziehung überwiesene Deckungsschutzanspruch der S. aus dem Haftpflichtversicherungsvertrag mit der Beklagten umfaßt nach § 1 Nr. 1 AHB auch den durch den Ausfall des Schiffes entstandenen Sachfolgeschaden.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, es liege ein Bearbeitungsschaden i.S. von § 4 I Nr. 6 b AHB vor. Auf die vom Landgericht verneinte Frage, ob der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHZ 88, 228, 231 zu folgen sei, wonach diese Ausschlußklausel sich auf unmittelbare Sachschäden beschränke, komme es nicht an. Da der Leistungsausschluß nach § 4 I Nr. 6 b AHB durch Ziffer 2.9 BV abbedungen sei, beurteile sich die Deckungspflicht für den Sachfolgeschaden nach dieser Bestimmung und der für Bearbeitungsschäden vereinbarten Leistungsbeschränkung auf 50.000 DM je Schadenereignis.

2. Diese Auslegung von Ziffer 2.9 BV beanstandet die Revision zu Recht. Das Berufungsgericht durfte die Reichweite des Risikoausschlusses nach § 4 I Nr. 6 b AHB nicht offen lassen. Der Zweck des Einschlusses von Bearbeitungsschäden in den Versicherungsschutz läßt sich sachgerecht nur erfassen, wenn der Umfang des Versicherungsschutzes ohne diese Besondere Vereinbarung feststeht.

a) Der Umfang des Versicherungsschutzes wird für den vorliegenden Fall durch den Leistungsausschluß des § 4 I Nr. 6 b AHB bestimmt. Die Auslegung dieser Klausel ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, daß § 4 I Nr. 6 b AHB nur den unmittelbaren Sachschaden von der Leistungspflicht ausschließt, nicht jedoch die Folgeschäden (BGHZ 88, 228, 231). An dieser Auslegung wird trotz der an ihr geübten Kritik (vgl. Späte, Haftpflichtversicherung § 4 AHB Rdn. 161 und die dort Genannten) festgehalten. Die Kritik geht im wesentlichen von einem überholten Maßstab für die Auslegung Allgemeiner Versicherungsbedingungen aus.

Nach heute gefestigter Rechtsprechung (vgl. BGHZ 123, 83, 85 m.w.N.) und inzwischen allgemein anerkannter Auffassung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muß. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf sein Interesse an. Das Interesse des Versicherungsnehmers führt bei Risikoausschlußklauseln in der Regel dahin, daß der Versicherungsschutz nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel dies gebietet. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, daß er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne daß die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb sind Risikoausschlußklauseln nach ständiger Rechtsprechung des Senats eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert (BGH, Urteil vom 23. November 1994 - IV ZR 48/94 - VersR 1995, 162 unter 3 b). Von diesen Grundsätzen bei der Auslegung von Risikoausschlußklauseln abzuweichen und etwa zur gesetzesmäßigen Auslegung zurückzukehren (so Prölss, NVersZ 1998, 17), besteht kein Anlaß.

Der Wortlaut des § 4 I Nr. 6 b AHB spricht nur von Schäden an fremden Sachen. Folgeschäden, die in irgendeinem Zusammenhang damit stehen, werden nicht erwähnt. Daher wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer, dem die juristische Unterscheidung zwischen unmittelbaren Sachschäden und damit zusammenhängenden Folgeschäden nicht bekannt ist, die Klausel dahin verstehen, daß der Ausschluß nur auf den unmittelbaren Sachschaden beschränkt ist. An dieser schon mit dem Urteil BGHZ 88, 228, 231 erkannten Auslegung hat der Senat mit seinem Urteil vom 12. November 1997 (IV ZR 338/96 - VersR 1998, 228 unter I 2 c) festgehalten. Sie ist auch für die Entscheidung des vorliegenden Falles zugrunde zu legen.

b) Wird der hier geltend gemachte Nutzungsausfall als Sachfolgeschaden demgemäß vom Versicherungsschutz nach den AHB umfaßt, ist es rechtlich fehlerhaft, in Ziffer 2.9 BV und der darauf bezogenen Beschränkung der Deckungssumme für Bearbeitungsschäden auf 50.000 DM eine Einschränkung des nach den AHB gegebenen Versicherungsschutzes zu sehen. Dies widerspräche dem Sinn der Besonderen Vereinbarungen und ist auch von der Beklagten in den Vorinstanzen nicht so gesehen worden. Ziffer 2 BV enthält nach dem Wortlaut der Überschrift Deckungserweiterungen. Ziffer 2.9 BV schließt abweichend von § 4 I Nr. 6 b AHB Bearbeitungsschäden ein. Daraus ist zu entnehmen, daß der Deckungsschutz für Bearbeitungsschäden, wie er nach den AHB besteht, nicht eingeschränkt, sondern lediglich erweitert wird, und zwar (bis zu einer Deckungssumme von 50.000 DM) für den Bereich des durch § 4 I Nr. 6 b AHB ausgeschlossenen unmittelbaren Sachschadens.

3. Auf die Frage, ob die Beklagte den Anspruch auf Deckungsschutz uneingeschränkt anerkannt hat, kommt es danach nicht mehr an.

Da die Höhe des Anspruchs unstreitig ist, war dem Zahlungsantrag stattzugeben.

Ende der Entscheidung

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