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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.01.2006
Aktenzeichen: IX ZA 26/05
Rechtsgebiete: InsO, ZPO


Vorschriften:

InsO § 4
ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 574 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZA 26/05

vom 19. Januar 2006

in dem Insolvenzverfahren

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Dr. Detlev Fischer

am 19. Januar 2006

beschlossen:

Tenor:

Dem Antragsteller wird die zur Durchführung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der Zivilkammer 26 des Landgerichts Hamburg vom 4. Oktober 2005 nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt.

Gründe:

I.

Auf Antrag vom 15. Februar 2000 wurde am 7. März 2000 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers (i.F.: Schuldner) eröffnet. Mit schriftlicher Erklärung vom 15. Mai 2000 beantragte dieser die Erteilung der Restschuldbefreiung; zugleich trat er seine pfändbaren Forderungen aus einem Dienstverhältnis oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge für die Zeit von sieben Jahren nach der Aufhebung oder Einstellung des Insolvenzverfahrens an den vom Insolvenzgericht zu bestimmenden Treuhänder ab. Mit Beschluss vom 14. Juli 2005 kündigte das Insolvenzgericht dem Schuldner die Restschuldbefreiung an. In dem Beschluss, der dem Schuldner persönlich am 16. Juli 2005 und seinem Verfahrensbevollmächtigten am 20. Juli 2005 zugestellt wurde, ist ausgeführt, dass die Laufzeit der Abtretung mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens beginne und sieben Jahre betrage.

Gegen diesen Beschluss hat der Schuldner am 5. September 2005 sofortige Beschwerde eingelegt und zugleich die Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist beantragt. In der Sache selbst will er erreichen, dass ihm die Restschuldbefreiung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen bereits nach sechs, spätestens aber nach sieben Jahren ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewährt wird. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat er vorgetragen, sein Verfahrensbevollmächtigter teile bei der Zustellung gerichtlicher Entscheidungen vor Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses regelmäßig einer zuverlässigen Büroangestellten die Rechtsmittelfristen mit. Diese trage die Fristen sowohl in das entsprechende EDV-Programm als auch in die Handakte ein. Dabei würden sowohl der Fristablauf als auch eine vierzehntätige Vorfrist vermerkt. Nach Ablauf der Vorfrist und dann noch einmal am Tag des Fristablaufs selbst werde die Handakte dem anwaltlichen Sachbearbeiter mit deutlichen Hinweisen in Form farbiger Zettel vorgelegt. Die Fristen würden erst nach Bearbeitung von der Büroangestellten gelöscht. Es handele sich dabei um eine geschulte, erfahrene und sehr zuverlässige Mitarbeiterin, die den Fristenkalender seit mehr als eineinhalb Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt habe, was sich durch regelmäßige anwaltliche Kontrollen bestätigt habe. Auch in diesem Fall habe der Rechtsanwalt der Büroangestellten die Fristen mündlich mitgeteilt. Diese habe aber leider die Eintragung der Fristen in die Handakte und in die EDV vergessen, weshalb die rechtzeitige Wiedervorlage unterblieben sei.

Das Landgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers ein Organisationsverschulden an der Versäumung der Rechtsmittelfrist treffe. Die sofortige Beschwerde hat es dementsprechend als unzulässig verworfen. Dagegen möchte sich der Antragsteller mit einer Rechtsbeschwerde wenden, für die er vorab um Prozesskostenhilfe nachsucht.

II.

Prozesskostenhilfe kann dem Antragsteller nicht gewährt werden, weil das beabsichtigte Rechtsmittel keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§ 114 ZPO).

1. Die Rechtsbeschwerde wäre zwar nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 7 InsO statthaft. Einer in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen gegenteiligen Auffassung (OLG Brandenburg ZInsO 2001, 75; OLG Zweibrücken ZInsO 2001, 811; HK-InsO/Kirchhof, 4. Aufl. § 7 Rn. 8; FK-InsO/Schmerbach, 4. Aufl. § 7 Rn. 3b), wonach hier nur eine Erstbeschwerde nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in Verbindung mit § 4 InsO statthaft sei, folgt der Senat nicht. Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung kann nur zusammen mit der Hauptsacheentscheidung angefochten werden, sofern diese bereits ergangen ist. Soweit sich der Beschwerdeführer nicht nur gegen die Verwerfung der Erstbeschwerde, sondern zugleich gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung wendet, ist der Rechtsbehelf gegeben, der für die Anfechtung der Entscheidung über die nachgeholte Verfahrenshandlung eröffnet wäre (§ 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Im Falle der Verwerfung einer sofortigen Beschwerde ist dies die Rechtsbeschwerde (vgl. Stein/Jonas/Roth, ZPO 22. Aufl. § 238 Rn. 11; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 238 Rn. 7; Musielak/Grandel, ZPO 4. Aufl. § 238 Rn. 6; Saenger, ZPO § 238 Rn. 8).

2. Die Rechtsbeschwerde wäre indes nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordern.

a) Die Frage, welche Sorgfaltspflichten ein Rechtsanwalt zu erfüllen hat, der bei der Eintragung und Überwachung von Rechtsmittelfristen Hilfskräfte einsetzt, ist höchstrichterlich geklärt. Grundsätzlich muss ein Rechtsanwalt nicht die Erledigung jeder konkreten Einzelanweisung überwachen. Im Allgemeinen darf er darauf vertrauen, dass eine zuverlässige Büroangestellte auch mündliche Anweisungen richtig befolgt (st. Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 4. November 2003 - VI ZB 50/03, NJW 2004, 688, 689; v. 5. November 2002 - VI ZR 399/01, NJW 2003, 435, 436; v. 20. April 2000 - VII ZB 11/00, VersR 2001, 214; v. 23. November 2000 - IX ZB 83/00, NJW 2001, 1578, 1579). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt jedoch, wenn die Anweisung einen so wichtigen Vorgang wie die Eintragung einer Rechtsmittelfrist betrifft und sie nur mündlich erteilt wird. In diesem Fall müssen in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen sein, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unterbleibt. Das Fehlen jeder Sicherung bedeutet einen Organisationsmangel (vgl. BGH, Beschl. v. 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04, NJW-RR 2004, 1361; v. 4. November 2003 aaO; v. 5. November 2002 aaO; v. 17. September 2002 - VI ZR 419/01, NJW 2002, 3782 f; v. 10. Oktober 1991 - VII ZB 4/91, NJW 1992, 574; BAG, NZA 1996, 555; 1995, 494). Bei der Zustellung gerichtlicher Entscheidungen, die mit fristgebundenen Rechtsmitteln anfechtbar sind, darf der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis grundsätzlich erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert wurde (vgl. BGH, Beschl. v. 5. November 2002 aaO; v. 17. September 2002 aaO; v. 26. März 1996 - VI ZB 2/96, NJW 1996, 1900, 1901; v. 25. März 1992 - XII ZB 268/91, VersR 1992, 1536).

b) Die im Rechtsbeschwerdeentwurf gestellte Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Art. 103a InsO ist nicht entscheidungserheblich; ob sie rechtsgrundsätzlich wäre, kann dahinstehen. Das Landgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung mit Recht versagt und deshalb zutreffend die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen. Den Verfahrensbevollmächtigten des Schuldners trifft hier nach den genannten Maßstäben ein Organisationsverschulden. Es fehlte an Vorkehrungen dagegen, dass die Ausführung einer mündlich erteilten anwaltlichen Anweisung an die Mitarbeiterin, die Rechtsmittelfristen im elektronisch geführten Fristenkalender und in der Handakte zu notieren, unterblieb. Eine solche Vorkehrung hätte zweckmäßigerweise darin bestehen können, dass der Rechtsanwalt das Empfangsbekenntnis stets erst nach Vorlage der Handakte, in der die Rechtsmittelfrist und die Erledigung der Fristeintragung zu vermerken gewesen wäre, unterzeichnet. Es widerspricht dem in Fristangelegenheiten anzuwendenden strengen Sorgfaltsmaßstab, wenn ein Erledigungsvermerk in den Handakten nicht vorgesehen ist, weil dadurch von vornherein eine Kontrolle, ob die Eintragung tatsächlich erfolgt ist, ohne Einsicht in den Fristenkalender unmöglich gemacht wird (vgl. BGH, Beschl. v. 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, NJW 2003, 1815, 1816).

Ende der Entscheidung

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