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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.09.2001
Aktenzeichen: IX ZB 104/00
Rechtsgebiete: EuGVÜ


Vorschriften:

EuGVÜ Art. 27 Nr. 1
Erhält der Beklagte die Terminsladung eines ausländischen Gerichts zusammen mit einer deutschen Übersetzung, in der ein so nicht existierender Tag - abweichend vom zutreffenden fremdsprachigen Original - als Verhandlungsdatum bezeichnet ist, obliegt es regelmäßig dem Beklagten, sich beim ausländischen Gericht nach dem richtigen Verhandlungstag zu erkundigen. Die Beweislast dafür, daß ein solcher Aufklärungsversuch keinen Erfolg gehabt hätte, trägt der Beklagte, der die Anerkennung des ausländischen Urteils verhindern will.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 104/00

vom

18. September 2001

in dem Rechtsbeschwerdeverfahren

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft sowie die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Ganter und Kayser

am 18. September 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Gläubigerin werden der Beschluß des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 28. August 2000 sowie der Beschluß des Vorsitzenden der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg vom 20. April 2000 aufgehoben.

Der Vorsitzende der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg wird angewiesen, das Urteil der Arrondissementsrechtsbank 's-Gravenhage vom 28. September 1999 (Rollennummer: 98.3769), das zwischen den Parteien ergangen ist, mit der Vollstreckungsklausel versehen zu lassen.

Die Kosten beider Rechtsmittelinstanzen werden der Schuldnerin auferlegt.

Gründe:

I.

Die Gläubigerin mit Sitz in den Niederlanden handelt mit Modeartikeln. Die Schuldnerin betreibt ein Modegeschäft in Deutschland. Wegen einer Rechnung für Warenlieferungen erhob die Gläubigerin Klage vor der Arrondissementsrechtsbank 's-Gravenhage/Niederlande. Die Klage mit der Ladung zu einem Termin am 27. Oktober 1998 wurde der Schuldnerin erst am 31. Oktober 1998 zugestellt. Daraufhin beraumte das Gericht einen neuen Verhandlungstermin auf den 22. Juni 1999 ("dinsdag, de twee?ntwintigste juni 1900 negen en negentig") an. Die Ladung zu diesem Termin wurde der Schuldnerin am 29. April 1999 zugestellt. Die beigefügte deutsche Übersetzung dieser Ladung nannte als Termin "Dienstag, den 22. Oktober 1900 neunundneunzig".

Am 28. September 1999 erließ das Gericht gegen die Schuldnerin ein gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbares Versäumnisurteil auf Zahlung von 9.808 DM nebst Zinsen und Kosten. Die Gläubigerin beantragt, dieses Urteil in Deutschland mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Ihr Antrag blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts hat die Gläubigerin die von diesem zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt:

Die Entscheidung des niederländischen Gerichts sei gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ nicht anzuerkennen. Denn die beigefügte Übersetzung sei hinsichtlich des Verhandlungstermins falsch gewesen. Ob sie hätte beigefügt werden müssen, sei unerheblich; werde sie zugestellt, dann müsse sie in jedem Falle richtig sein.

Hilfsweise widerspräche aber auch eine Anerkennung des ausländischen Urteils der deutschen öffentlichen Ordnung (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ). Der Schuldnerin sei nämlich in dem in den Niederlanden durchgeführten Urteilsverfahren das rechtliche Gehör verweigert worden. Der in der Übersetzung mitgeteilte Termin habe nach der Entscheidung des niederländischen Gerichts gelegen. Ob die Schuldnerin überhaupt hätte Stellung nehmen wollen, sei unerheblich.

2. Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ steht der Anerkennung des niederländischen Urteils - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - nicht entgegen. Denn diese Vorschrift betrifft nur die Zustellung desjenigen Schriftstücks, das die Klage einleitet (Senatsbeschl. v. 21. März 1990 - IX ZB 71/89, NJW 1990, 2201, 2202), hier also der Klageschrift vom 28. August 1998. Diese ist der Schuldnerin unstreitig am 31. Oktober 1998 ordnungsgemäß und rechtzeitig zugestellt worden.

3. Spätere Beeinträchtigungen der Verteidigungsmöglichkeit eines Beklagten können nur aufgrund des Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ einer Anerkennung in Deutschland entgegenstehen, nämlich wenn die Anerkennung gegen die deutsche öffentliche Ordnung in verfahrensrechtlicher Hinsicht verstoßen würde. Das wäre insbesondere bei einer Verletzung des Grundrechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der Fall. Eine solche liegt hier jedoch nicht vor.

Das Grundrecht auf rechtliches Gehör gewährt dem Beklagten nur die zumutbare Möglichkeit, am Gerichtsverfahren teilzunehmen. Es schließt jedoch eigene Mitwirkungsobliegenheiten nicht aus, sobald der Beklagte von dem im Ausland gegen ihn eingeleiteten Gerichtsverfahren Kenntnis erlangt hat. Über die ordnungsmäßige Zustellung der Klageschrift hinaus gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG nur die - von Staats wegen ungehinderte - zumutbare Gelegenheit, sich am Gerichtsverfahren zu beteiligen. Nimmt der Berechtigte sie nicht wahr, so hindert das nicht die Anerkennung des ausländischen Urteils. Für ihre eigene ordnungsmäßige Vertretung in einem ihr bekannten Gerichtsverfahren hat in erster Linie jede Partei selbst nach besten Kräften zu sorgen. Durch Untätigkeit vermag sie sich dieser Obliegenheit nicht wirksam zu entziehen (BGHZ 141, 286, 297 f).

Hätte die Schuldnerin ihre Obliegenheit im vorliegenden Falle ordnungsgemäß erfüllt, hätte sie den Erlaß eines Versäumnisurteils gegen sich voraussichtlich verhindern können. Ihr oblag es jedenfalls, den in der deutschen Übersetzung angegebenen Verhandlungstermin "Dienstag, 22. Oktober" 1999 alsbald zu erfassen. Dabei hätte ihr auffallen müssen, daß es einen solchen Tag nicht gab; denn der 22. Oktober 1999 war - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend rügt - ein Freitag. Die Schuldnerin legt selbst nicht dar, daß sie sich in irgendeiner anderen, bestimmten Weise bemüht hätte, den Verhandlungstag vorzumerken, ohne ihn in einen Kalender einzutragen. Insbesondere behauptet sie nicht etwa gesicherte Vorkehrungen für einen bis nach Mitte Juni 1999 zurückgestellten Kalendereintrag.

Bei einer Vormerkung kurz nach Zugang der Ladung hätte es wegen der sich aufdrängenden Zweifel nahegelegen, daß die Schuldnerin sich das ebenfalls zugestellte niederländische Original der Ladung angesehen hätte. Der vorgesehene Verhandlungstag war dort - genau wie in der deutschen Übersetzung - im letzten, verhältnismäßig kurzen Absatz der ersten Seite der Ladung in der ersten Zeile wiedergegeben. Die Schreibweise bis zur Jahreszahl "1900" wich nur unwesentlich davon ab, abgesehen gerade davon, daß statt des Monats "juni" in der deutschen Übersetzung "Oktober" angegeben war. Diese Abweichung mußte auf den ersten Blick auffallen. Eine weitere, daran sinnvollerweise anknüpfende Überprüfung hätte zudem ergeben, daß der 22. Juni 1999 in der Tat ein Dienstag war.

Aufgrund dieser ohne weiteres erkennbaren Unklarheit hätte die Schuldnerin beim niederländischen Gericht um Aufklärung über den zutreffenden Verhandlungstermin nachsuchen müssen. Zeit genug blieb ihr dafür nach der Zustellung am 29. April 1999 bis zum vorgesehenen Terminsdatum (22. Juni 1999).

Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Schuldnerin den zutreffenden Verhandlungstermin nicht rechtzeitig erfahren hätte, wenn sie sich alsbald nach Empfang der Ladung darum bemüht hätte. Dies gereicht der Schuldnerin zum Nachteil. Denn die Darlegungs- und Beweislast für eine Anwendbarkeit des Anerkennungshindernisses nach Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ trägt derjenige, der damit die Anerkennung verhindern möchte.

3. Danach liegt kein Grund im Sinne von Art. 34 Abs. 2 EuGVÜ vor, den Antrag der Gläubigerin zurückzuweisen. Von einer eigenen Anordnung, den Schuldtitel mit der Vollstreckungsklausel zu versehen (§ 7 AVAG a.F./§ 8 Abs. 1 Satz 1 AVAG n.F.), sieht der Senat ab. Denn das niederländische Urteil ist nach seinem Inhalt nur vorläufig und gegen eine Kaution in Höhe der insgesamt zugewiesenen Beträge vollstreckbar (§ 6 Abs. 1 AVAG a.F./§ 7 Abs. 1 AVAG n.F.; vgl. § 751 Abs. 2 ZPO). Andererseits liegt es wegen der inzwischen vergangenen Zeit nahe, daß das Urteil nunmehr rechtskräftig und uneingeschränkt vollstreckbar ist. Die Gläubigerin erhält hiermit Gelegenheit, dies gegebenenfalls durch Urkunden im Sinne von Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ nachzuweisen.

Ende der Entscheidung

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