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Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.07.2004
Aktenzeichen: IX ZB 209/03
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 20 Abs. 2
InsO § 287 Abs. 1
a) Ein Antrag auf Restschuldbefreiung setzt im Verbraucherinsolvenzverfahren und im Regelinsolvenzverfahren einen Eigenantrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus.

b) Der Lauf der Frist nach § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO beginnt nicht, bevor der Schuldner einen Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat.

c) Der Hinweis nach § 20 Abs. 2 InsO löst die Rechtsfolgen des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO nur aus, wenn er dem Schuldner tatsächlich zugegangen ist; eine bestimmte Form ist hierfür nicht erforderlich.


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 209/03

vom 8. Juli 2004

in dem Insolvenzverfahren

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Kayser, Vill und Cierniak

am 8. Juli 2004

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel des Schuldners werden der Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Tübingen vom 14. Juli 2003 und der Beschluß des Amtsgerichts Tübingen vom 5. September 2002 aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 25.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Am 21. November 2001 beantragte die Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Am 26. Februar 2002 stellte dieser Antrag auf Restschuldbefreiung. Am 26. April und 17. Mai 2002 sandte das Amtsgericht an die Anschrift des Schuldners zwei Hinweisschreiben, daß eine Restschuldbefreiung nur in Verbindung mit einem Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens möglich sei. Durch Beschluß vom 16. Juli 2002 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren. Mit Beschluß vom 5. September 2002 verwarf es den Antrag des Beschwerdeführers auf Restschuldbefreiung mit der Begründung, daß auch bei der Regelinsolvenz von natürlichen Personen ein Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Restschuldbefreiungsantrag sei.

Am 19. September 2002 hat der Beschwerdeführer Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt und gegen den Beschluß vom 5. September 2002 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der Schuldner die Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, §§ 7, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Sie ist auch im übrigen zulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen vor. An die Zulassungsentscheidung des Beschwerdegerichts ist der Senat allerdings nicht gebunden, weil § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO, der eine solche Bindung bestimmt, auf Rechtsbeschwerden, die kraft Gesetzes statthaft sind, nicht anwendbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 20. Februar 2003 - V ZB 59/02, NJW-RR 2003, 784, 785; v. 25. September 2003 - IX ZB 24/03, ZVI 2003, 606; v. 7. April 2004 - XII ZB 51/02). Die Rechtsbeschwerdebegründung hat sich mit der nach dem Beschwerdegericht für die Zulassung der Rechtsbeschwerde erheblichen Frage eingehend auseinandergesetzt und hält sie für entscheidungserheblich. Sie hat sich damit die Begründung des Zulassungsausspruchs zu eigen gemacht (vgl. BGH, Beschl. v. 18. September 2003 - V ZB 9/03, NJW 2003, 3765).

III.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Zutreffend hat das Beschwerdegericht ausgeführt, daß ein Restschuldbefreiungsantrag nach der Neufassung des § 287 Abs. 1 InsO durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710) - fortan InsOÄndG - einen eigenen Insolvenzantrag des Schuldners voraussetzt (BGH, Beschl. v. 25. September 2003 - IX ZB 24/03, ZVI 2003, 606, 607). § 287 Abs. 1 InsO ist in der Fassung des InsOÄndG anwendbar, weil das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners am 16. Juli 2002 eröffnet worden ist, Art. 103a EGInsO.

a) Schon der Wortlaut des § 287 Abs. 1 InsO legt das Verständnis nahe, daß der Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung einen eigenen Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt. Denn der Antrag auf Restschuldbefreiung soll mit seinem (eigenen) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden werden. Wird der Antrag auf Restschuldbefreiung nicht bereits mit dem eigenen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbunden, ist er gemäß Satz 2 innerhalb zwei Wochen nachzuholen. Danach liegt dem § 287 Abs. 1 InsO die Konzeption zweier miteinander zu verbindender Anträge des Schuldners zugrunde. Da der Gläubiger keinen Antrag auf Restschuldbefreiung des Schuldners stellen kann, kann es sich bei dem von § 287 Abs. 1 InsO vorausgesetzten Insolvenzantrag nur um denjenigen des Schuldners handeln.

b) Die Entstehungsgeschichte des § 287 Abs. 1 InsO n.F. zeigt, daß die Norm einen Eigenantrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt.

aa) Bis zur Änderung durch das InsOÄndG war im Regelinsolvenzverfahren ein isolierterer Restschuldbefreiungsantrag für zulässig gehalten worden. Beim Verbraucherinsolvenzverfahren war die Frage umstritten (zum Diskussionsstand vgl. OLG Köln ZIP 2000, 1628; Frankfurter Kommentar/Ahrens, InsO 3. Aufl. 2002 § 287 Rn. 6a; Fuchs NZI 2002, 298, 299; Schmahl ZInsO 2002, 212, 213). Stellte der Schuldner keinen eigenen Insolvenzantrag, war fraglich, ob er, wenn er Verbraucher im Sinne des § 304 InsO war, aufgrund eines Gläubigerantrags ohne Durchführung eines Schuldenbereinigungsplanverfahrens Restschuldbefreiung erlangen konnte. Dies wurde vom Gesetzgeber für nicht gerechtfertigt angesehen, weil eine solche Handhabung zu einer erheblichen Entwertung des Schuldenbereinigungsplanverfahrens geführt hätte, wenn der Schuldner durch den Insolvenzantrag eines ihm wohlgesonnenen Gläubigers den außergerichtlichen und den gerichtlichen Einigungsversuch hätte umgehen können. Das Schuldenbereinigungsplanverfahren soll die gütliche Bereinigung der Insolvenzsituation fördern und der Entlastung der Insolvenzgerichte dienen. Denn in diesen Verfahren werden oft erstmals die Verschuldensgeschichte des Schuldners aufgearbeitet, seine Unterlagen geordnet und ein Status seiner Vermögenssituation erstellt. Deshalb sollte es nicht in das Belieben des Schuldners gestellt werden, ob dieser Verfahrensabschnitt durchgeführt wird. Die Fassung des § 287 Abs. 1 InsO wurde deshalb novelliert mit dem erklärten Ziel, künftig eine Restschuldbefreiung ausschließlich aufgrund eines eigenen Insolvenzantrags des Schuldners zuzulassen (Amtliche Begründung zum Entwurf der Neufassung des § 287 Abs. 1 InsO durch das InsOÄndG, BT-Drucks. 14/5860 zu § 287 Abs. 1 InsO und zu § 20 Abs. 2 InsO).

Dieses Regelungsziel der Reform des § 287 Abs. 1 InsO würde verfehlt, wenn nach der Neufassung auf einen eigenen Insolvenzantrag des Schuldners verzichtet würde (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Stephan, § 287 Rn. 13; MünchKomm-InsO/Schmahl § 20 Rn. 89; Frankfurter Kommentar/Ahrens, aaO § 287 Rn. 6a; Frankfurter Kommentar/Schmerbach, aaO § 20 Rn. 15; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 20 Rn. 10; Schmahl ZInsO 2002, 212, 214 f.; Vallender NZI 2001, 561, 566; Hess, InsOÄndG § 20 Rn. 2 und § 287 Rn. 7; Berliner Kommentar/Goetsch, InsO § 287 Rn. 3; LG Bonn ZInsO 2003, 189).

bb) Die Gegenmeinung (vgl. Kübler/Prütting/Wenzel, InsO § 287 Rn. 3a; HK-InsO/Landfermann, 3. Aufl. § 287 Rn. 2c; Pape ZVI 2002, 235, 231 und NZI 2002, 186, 187; Heyer ZInsO 2002, 59; Fuchs NZI 2002, 299; AG Hamburg ZVI 2002, 475, 476; AG Köln ZVI 2002, 414, 415) stellt darauf ab, daß sich die Argumentation der amtlichen Begründung zur Änderung des § 287 Abs. 1 InsO nur auf das im Rahmen des Verbraucherinsolvenzverfahrens durchzuführende außergerichtliche und gerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren beziehe. Deshalb könne im Regelinsolvenzverfahren, in dem dieses Schuldenbereinigungsplanverfahren nicht durchzuführen sei, ein Eigeninsolvenzantrag des Schuldners nicht verlangt werden. Außerdem handele es sich bei § 287 Abs. 1 Satz 1 InsO lediglich um eine Sollvorschrift, eine Verbindung des Eigeninsolvenzantrags mit dem Restschuldbefreiungsantrag sei deshalb nicht zwingend erforderlich.

Diese Argumente greifen im Ergebnis nicht durch. Zutreffend ist zwar, daß das für die Reform maßgebliche Schuldenbereinigungsplanverfahren im Regelinsolvenzverfahren nicht stattfindet. Eine unterschiedliche Handhabung von Verbraucherinsolvenzverfahren und Regelinsolvenzverfahren ist insoweit nicht gerechtfertigt. Die Regelungen in § 20 Abs. 2, § 287 Abs. 1 InsO finden nach ihrer systematischen Stellung im Gesetz auf Regelinsolvenzverfahren und Verbraucherinsolvenzverfahren gleichermaßen Anwendung. Hätte die Regelung nur für das Verbraucherinsolvenzverfahren Anwendung finden sollen, hätte es nahegelegen, die Vorschrift in den Neunten Teil der InsO einzustellen. Auch aus der Begründung zu der Neuregelung ergibt sich, daß zwischen beiden Fällen nicht unterschieden werden sollte. Grund hierfür ist der Gleichheitssatz. Die vom Gesetz vorgesehene Verknüpfung zwischen Eigeninsolvenzantrag und Restschuldbefreiungsantrag hat seinen Sinn darin, daß der Schuldner in seinem Eigenantrag den Eröffnungsgrund einräumt und sich bereit erklärt, sein verbleibendes Vermögen den Gläubigern zur gemeinschaftlichen Befriedigung zur Verfügung zu stellen. Dies gebietet dem Schuldner im Zusammenhang mit einer beantragten Restschuldbefreiung die Redlichkeit. Im Regelinsolvenzverfahren wird dem Schuldner insoweit nicht weniger abverlangt als im Verbraucherinsolvenzverfahren (vgl. Schmahl, ZInsO 2002, 212, 214).

Aus der Formulierung des § 287 Abs. 1 InsO als Sollvorschrift geht nicht hervor, daß die Verbindung von Eigeninsolvenzantrag und Restschuldbefreiungsantrag nicht zwingend ist. Die Sollformulierung bezieht sich allein auf die verfahrensrechtliche Handhabung. Diese Verbindung der beiden Anträge muß nicht schon bei der Antragstellung vorliegen, sondern kann, im Falle der Belehrung des § 20 Abs. 2 InsO in der Zweiwochenfrist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO, nachgeholt werden (Schmahl ZInsO 2002 aaO; Vallender NZI 2001 aaO).

2. Das Beschwerdegericht hat jedoch § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO fehlerhaft angewandt. Es führt zwar zutreffend aus, der gerichtliche Hinweis nach § 20 Abs. 2 InsO löse nur bei einem Eigeninsolvenzantrag des Schuldners die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO aus. Gleichwohl wendet es diese Vorschrift an, obwohl es gleichzeitig feststellt, daß ein Eigeninsolvenzantrag gerade nicht vorgelegen habe. Dies ist in sich widersprüchlich.

a) § 287 Abs. 1 InsO setzt voraus, daß ein Eigeninsolvenzantrag des Schuldners vorliegt. Dies ergibt sich, wie oben ausgeführt, aus dem Wortlaut, der systematischen Stellung und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO beginnt deshalb auch nach einem Hinweis gemäß § 20 Abs. 2 InsO nicht zu laufen, solange ein Eigeninsolvenzantrag nicht gestellt ist (vgl. BGH, Beschl. v. 25. September 2003 aaO; MünchKomm-InsO/Stephan, § 287 Rn. 18; MünchKomm-InsO/Schmahl, § 20 Rn. 98; Frankfurter Kommentar/Ahrens, aaO § 287 Rn. 11a). Das Insolvenz- und das Beschwerdegericht durften deshalb nicht davon ausgehen, daß die in den Hinweisschreiben gesetzte Frist nach § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO abgelaufen ist.

b) Insolvenz- und Beschwerdegericht haben außerdem verkannt, daß die Belehrungen über die Notwendigkeit eines Eigenantrags keine Wirkungen zum Nachteil des Schuldners entfalten konnten, weil nicht festgestellt wurde, daß sie ihm zugegangen waren. Der Schuldner hat, wie das Beschwerdegericht im Sachverhalt darlegt, bestritten, die Hinweise erhalten zu haben. Aus dem Umstand, daß die formlosen Schreiben nicht zurückgekommen sind, durfte es nicht ohne weiteres schließen, daß sie der Schuldner erhalten hat. Dessen Verfahrensbevollmächtigte haben zwar zusätzlich vorgetragen, sie hätten in den Akten des Schuldners die Schreiben nicht vorgefunden. Daraus ergibt sich zwar noch nicht zwingend, daß der Schuldner die Hinweise nicht erhalten hat. Da er dies aber ausdrücklich bestritten hat, kann umgekehrt nicht von dem Zugang ausgegangen werden.

§ 20 Abs. 2, § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO schreiben zwar nicht vor, daß der Hinweis zugestellt werden muß. Er kann in unterschiedlicher Form, etwa auch mündlich in einem Anhörungstermin, erteilt werden (vgl. etwa MünchKomm-InsO/Stephan, § 287 Rn. 17; MünchKomm-InsO/Schmahl, § 20 Rn. 95). Er ist aber nur erteilt im Sinne des § 20 Abs. 2 InsO, wenn er vollständig ist - insbesondere über das Antragserfordernis belehrt und den Zeitpunkt des Ablaufs der Frist benennt - und dem Schuldner tatsächlich zugegangen ist. Dies hat das Beschwerdegericht nicht festgestellt.

3. Da der Schuldner am 18. September 2002 Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat, konnte die Frist des § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO erst ab diesem Zeitpunkt zu laufen beginnen. Da zu diesem Zeitpunkt der Antrag auf Restschuldbefreiung aber bereits vorlag, ist die Frist nicht erfolglos abgelaufen. Der Antrag auf Restschuldbefreiung kann deshalb nicht als unzulässig wegen Fristversäumnis nach § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO verworfen werden. Vielmehr ist eine Sachentscheidung erforderlich.

Ende der Entscheidung

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