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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 04.03.2004
Aktenzeichen: IX ZB 587/02
Rechtsgebiete: BGB, BEG


Vorschriften:

BGB § 242
BGB § 779
BEG § 35
BEG § 206 Abs. 2
BEG § 219 Abs. 2
BEG § 219 Abs. 2 Nr. 2
BEG § 219 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 587/02

vom 4. März 2004

in dem Entschädigungsrechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Raebel, Vill und Cierniak

am 4. März 2004

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Juli 2002 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Gründe:

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision (§ 219 Abs. 2 BEG) liegt nicht vor.

1. Die in der Beschwerdebegründung bezeichnete Frage zur Auslegung von § 779 BGB bei fehlender Ungewißheit der Vergleichsparteien über das Ausgangsrechtsverhältnis ("unechter Vergleich") stellt sich nicht. Denn dem Berufungsurteil ist eine solche Grundlage für den Abschluß des Prozeßvergleichs im Jahre 1964 tatbestandlich nicht zu entnehmen. Insbesondere ist offen, ob der Beklagte ein hierdurch erweitertes Irrtumsrisiko hätte übernehmen wollen. Das Berufungsgericht hat die Wirksamkeit des Vergleiches im übrigen auch nicht bejaht, weil die Parteien nur innerhalb des Vergleichsgegenstandes von falschen Voraussetzungen ausgegangen sind, sondern weil es an der zweiten Voraussetzung des § 779 BGB - der streitverursachenden Unkenntnis - fehlt. Die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Die Rechtsfrage, daß es für die Anwendung von § 779 BGB nicht genügt, wenn es bei Kenntnis der Sachlage (so wie sie sich nach der weiteren Aufklärung in diesem Rechtsstreit darstellt) zwischen den Parteien möglicherweise zu einem anderen Vergleich gekommen wäre, ist auch durch die zitierte Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 149, 140, 142) zutreffend im Sinne des Berufungsurteils geklärt.

2. Die freilich mißverständlich formulierte tatrichterliche Würdigung des Berufungsgerichts, daß der Vergleich des Jahres 1964 auf keiner Geschäftsgrundlage aufbaue, die ein psychisches Leiden des Erblassers, wie nach jetzigem Erkenntnisstand naheliegend, ausschließe, entzieht sich einer revisionsrechtlichen Überprüfung. Rechtsgrundsätzliche Verfahrensrügen hiergegen erhebt die Beschwerde nicht. Eine Abweichung des Berufungsurteils von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs liegt insoweit nicht vor. Auch für § 219 Abs. 2 Nr. 2 BEG gilt der allgemeine enge Divergenzbegriff. Eine Abweichung in diesem Sinne setzt voraus, daß die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als eine Vergleichsentscheidung, mithin einen Rechtssatz aufstellt, der sich mit einem in der Vergleichsentscheidung aufgestellten und diesen tragenden Rechtssatz nicht deckt (vgl. letzthin etwa BGHZ 151, 42, 45; BGH, Beschl. v. 27. März 2003 - V ZR 291/02, WM 2003, 987, 989 m.w.N.). Daran fehlt es.

Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für die rechtlichen Anforderungen an eine Geschäftsgrundlage (vgl. jetzt § 313 BGB) erfordert das Berufungsurteil gleichfalls keine Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Selbst wenn das Berufungsgericht in diesem Punkt unabsichtlich von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abgewichen wäre, der es hat folgen wollen, würde ein solcher Rechtsfehler die Zulassung der Revision nach § 219 Abs. 2 Nr. 3 BEG nicht rechtfertigen (vgl. BGH, Beschl. v. 27. März 1963 - IV ZB 461/62, RzW 1963, 424 m.w.N. zu § 219 Abs. 2 Nr. 2 BEG a.F. = § 219 Abs. 2 Nr. 3 BEG n.F.). Vorliegend ist bereits nicht erkennbar, daß das Berufungsurteil auf einem rechtsfehlerhaften Verständnis des Begriffs der Geschäftsgrundlage beruht.

Soweit sich der Kläger auf § 242 BGB beruft, fällt ihm außerdem zur Last, daß der Erblasser bis zu seinem Ableben Ende 1994 mit dem Verlangen nach Abänderung des Vergleichs nicht hervorgetreten ist, obwohl er nach der zweiten Depression im Jahre 1979 und der anschließenden Behandlung durch Prof. Dr. K. in W. mit der Möglichkeit eines phasenhaft verlaufenden psychasthenischen Verfolgungssyndroms rechnen mußte, welches in dieser Eigenart bei der Bemessung der Entschädigungsrente 1964 noch nicht erkannt worden war. Dieser Umstand kann einer Anpassung des Vergleichs aus dem Jahre 1964 unter allen vom Kläger geltend gemachten Gesichtspunkten entgegenstehen (vgl. BGH, Urt. v. 20. Februar 1975 - IX ZR 142/73, LM BEG § 177 Nr. 7 = RzW 1975, 153, 154 m.w.N.; Beschl. v. 20. Januar 2000 - IX ZB 34/99, BGHR BEG § 177 Geschäftsgrundlage 1). Dies gilt nicht nur dann, wie die Beschwerde meint, wenn infolge des Zeitablaufs die Ermittlung der Anspruchsvoraussetzungen erschwert wird. In dieser Hinsicht ist aber ohnehin - entgegen den Ausführungen der Beschwerde - daran zu erinnern, daß der Kläger eine erhöhte Kapitalentschädigung und Rente für die Zeit ab 1. Januar 1943 begehrt, mithin auch für die Zeit vor 1964 von den Tatsacheninstanzen im Erfolgsfalle zusätzliche Feststellungen hätten getroffen werden müssen.

3. Endlich kann, soweit die Beschwerde rügt, daß das Berufungsgericht § 206 Abs. 2, § 35 BEG verletzt habe, ein solcher Rechtsfehler die Zulassung der Revision nach § 219 Abs. 2 Nr. 3 BEG gleichfalls nicht rechtfertigen.

Das Berufungsgericht hat zu diesem hilfsweisen Anspruchsgrund, der allenfalls eine Rentenanpassung vom Jahre 1979 ab tragen könnte, wie im übrigen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgen wollen, die es zitiert (BGH, Urt. v. 8. Mai 1980 - IX ZR 34/79, RzW 1980, 158, 159; ebenso seither noch Urt. v. 10. Mai 1990 - IX ZR 222/89, BGHR BEG § 206 Abs. 2 Vergleich 1 = LM BEG § 206 Nr. 50). Danach gelten, wenn in einem Vergleich nur bestimmte Leiden als verfolgungsbedingt anerkannt worden sind, andere zu dieser Zeit schon vorhandene, die Leistungsfähigkeit des Verfolgten beeinträchtigende Leiden als verfolgungsunabhängig. Ihre spätere Verschlimmerung könnte unter dieser Voraussetzung nicht zu einer Rentenanpassung führen.

Das Berufungsgericht hat tatrichterlich festgestellt, daß zwischen der anerkannten vegetativen Dystonie und der hier nicht anerkannten endogenen Depression im Rahmen eines psychasthenischen Syndroms, möglicherweise einer Dysthymie, kein Zusammenhang bestehe, es sich mithin um zwei verschiedene Erkrankungen handelt. So ist auch die Darstellung der Beschwerde S. 7 unter III. 1. zu verstehen. Dagegen versucht die Beschwerde mit der weiteren Behauptung, das psychische Leiden des Erblassers sei in dem Vergleich von 1964, wenn auch unter der falschen Bezeichnung einer vegetativen Dystonie, anerkannt worden (so auf S. 9 unter III. 4. a.E.), an die Stelle der bindenden tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts einen anderen Sachverhalt zu setzen. Das ist revisionsrechtlich unzulässig.

Das Berufungsgericht hat des weiteren angenommen, daß die nach der ersten Phase der endogenen Depression 1959 verbliebenen Beschwerden und Ausfälle die Leistungsfähigkeit des Erblassers zur Zeit des Vergleichsschlusses auch beeinträchtigt haben (BU 11 oben). Mit dem Bezug auf die Leistungsfähigkeit hat es sich hierbei entgegen der Beschwerde (S. 7 unter III. 1.) ersichtlich auch von dem entschädigungsrechtlichen Krankheitsbegriff (BGH, Urt. v. 6. November 1969 - IX ZR 137/67, RzW 1970, 216, 218 m.w.N.; v. 13. Juli 1972 - IX ZR 103/70, RzW 1972, 346, 347; v. 18. Januar 1973 - IX ZR 75/70, RzW 1973, 171, 172) leiten lassen. Die tatsächliche Annahme des Berufungsgerichts deckt sich mit dem Vorbringen des Klägers zu einem höheren Bewertungsrahmen der VMdE (vgl. S. 4 f der Beschwerde unter II., 3.), der nach dem hauptsächlichen Klageziel eine Anhebung der Entschädigung schon ab 1943 rechtfertigen soll. Auch der Beklagte hat in seinem Schriftsatz vom 12. April 1999 S. 2 Mitte krankheitswertige psychische Beschwerden des Erblassers bereits zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses behauptet.

Im Berufungsurteil findet sich an anderer Stelle freilich auch die Feststellung, daß der Erblasser zwischen 1960 und 1979 - somit zur Zeit des Vergleichsschlusses - im Grundsatz psychisch unauffällig war (BU 10 unten) und hierin kann möglicherweise ein gewisser Widerspruch in den tatrichterlichen Annahmen gesehen werden, die dem Berufungsurteil zugrunde liegen. Dieser Widerspruch findet sich noch deutlicher in dem Vorbringen der Beschwerde selbst, die einerseits behauptet, die endogene Depression des Erblassers sei zur Zeit des Vergleichsschlusses vollständig abgeklungen gewesen, so daß entschädigungsrechtlich keine fortbestehende Krankheit vorgelegen habe, andererseits aber geltend macht, das psychische Verfolgungsleiden des Erblassers habe mit Auswirkung auf seine Erwerbsfähigkeit seit 1943 bestanden und sei 1964 in ihrem Krankheitsbild dem Vergleich zutreffend zugrundegelegt, lediglich in ihrer medizinischen Eigenart und damit der weiteren Gewichtung verkannt worden. Für eine Zulassung der Revision nach § 219 Abs. 2 BEG gibt der vorgenannte Umstand nichts her, weil er sich in der tatrichterlichen Würdigung des Einzelfalls erschöpft.

4. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde schließlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Nichtberücksichtigung des nachgelassenen Schriftsatzes vom 27. Juni 2002 durch das Berufungsgericht.

Der behauptete Verfahrensfehler ist aus der Gerichtsakte nicht ersichtlich. Ihm braucht auch nicht nachgegangen zu werden, weil das Berufungsurteil auf der - wie unterstellt - Außerachtlassung des Schriftsatzes nicht beruht.

Ende der Entscheidung

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