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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.12.1998
Aktenzeichen: IX ZR 1/98
Rechtsgebiete: ZPO, GesO


Vorschriften:

ZPO § 775
GesO § 2 Abs. 4
GesO § 7 Abs. 3 Satz 1
ZPO § 775; GesO § 2 Abs. 4, § 7 Abs. 3 Satz 1

a) Nach vorläufiger Einstellung der Zwangsvollstreckung darf der Drittschuldner nicht mehr an den Pfändungsgläubiger allein, sondern, solange der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß besteht, nur noch an den Gläubiger und den Vollstreckungsschuldner gemeinsam leisten oder die geschuldete Leistung zugunsten beider hinterlegen.

b) Eine Forderungspfändung ist bis zur Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens auch dann nicht beendet, sondern lediglich "eingeleitet" im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 GesO, wenn der Drittschuldner trotz vorläufiger Einstellung anderweitiger Vollstreckungsmaßnahmen an den Pfändungsgläubiger leistet.

BGH, Urt. v. 17. Dezember 198 - IX ZR 1/98 - OLG Stuttgart LG Ulm


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 1/98

Verkündet am: 17. Dezember 1998

Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof und Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. Dezember 1997 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Zivilkammmer des Landgerichts Ulm/Donau vom 5. Mai 1997 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelinstanzen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Der Kläger ist Verwalter in der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Firma W., Inhaber W. W. (im folgenden: Schuldner). Auch die jetzige Beklagte, eine GmbH, befand sich in der Gesamtvollstreckung; sie besteht, nachdem das Verfahren während des Rechtsstreits eingestellt worden ist, als Liquidationsgesellschaft fort. Gesamtvollstreckungsverwalter war der frühere Beklagte. Dieser erwirkte gegen den Schuldner W. W. aufgrund eines gegen ihn ergangenen Versäumnisurteils zwei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 30. Januar 1992 und 26. März 1992, durch die Forderungen des Schuldners gegen die S. GmbH gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurden. Diese zahlte aufgrund jener Beschlüsse an den Rechtsvorgänger der Beklagten - also den damaligen Gesamtvollstreckungsverwalter - 75.027,93 DM am 17. Juni 1992, 30.230,76 DM am 15. Juli 1992 und 9.337,16 DM am 18. August 1992. Bereits am 25. Mai 1992 waren nach Stellung des Antrags auf Gesamtvollstreckung über das Vermögen des Schuldners Sequestration angeordnet, ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen und anderweitige Vollstreckungsmaßnahmen vorläufig eingestellt worden. Am 11. August 1992 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet.

Der Kläger hat die Beklagte auf Erstattung der von der S. Fleischmarkt GmbH gezahlten Gelder an die Masse in Anspruch genommen. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht hat sie hinsichtlich der Zahlungen vom 17. Juni und 15. Juli 1992 abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

I.

Die Beklagte ist nach § 816 Abs. 2 BGB verpflichtet, auch diejenigen Geldbeträge, die sie in dem Zeitraum zwischen der vorläufigen Einstellung anderweitiger Vollstreckungsmaßnahmen und der Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens erhalten hat, an die vom Kläger verwaltete Gesamtvollstreckungsmasse herauszugeben.

1. Das Berufungsgericht hat darauf abgestellt, daß die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse vom 30. Januar 1992 und 26. März 1992 in ihrer Wirksamkeit durch die später auf der Grundlage des § 2 Abs. 3 und 4 GesO angeordneten Sicherungsmaßnahmen nicht berührt worden seien. Deshalb, so hat es gemeint, habe die Drittschuldnerin in der Zeit zwischen dem Sequestrationsbeschluß und der Eröffnung der Gesamtvollstreckung zu Recht an den damaligen Gesamtvollstreckungsverwalter der Beklagten gezahlt; dieser sei aufgrund der Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse formell und materiell empfangsberechtigt gewesen.

Dem kann aus Rechtsgründen nicht zugestimmt werden. Es trifft zwar zu, daß die Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse als solche durch die vorläufige Einstellung nach § 2 Abs. 4 GesO nicht aufgehoben worden, sondern bestehengeblieben sind (vgl. § 775 Nr. 2, § 776 ZPO). Infolge der Einstellung durfte die Zwangsvollstreckung jedoch nicht fortgeführt werden. Die - erst - zur Befriedigung des Pfändungsgläubigers führende Leistung des Drittschuldners ist noch Teil der Vollstreckung (vgl. BGH, Urt. v. 20. November 1997 - IX ZR 136/97, ZIP 1998, 303, 305, z. Abdr. in BGHZ 137, 193 best.). Deshalb darf nach vorläufiger Einstellung der Zwangsvollstreckung der Drittschuldner nicht mehr an den Pfändungsgläubiger allein, sondern, solange der Pfändungs- und Überweisungsbeschluß andererseits nicht aufgehoben ist, nur noch an den Gläubiger und den Vollstreckungsschuldner gemeinsam leisten oder die geschuldete Leistung zugunsten beider hinterlegen (RGZ 128, 81, 83 f; KG OLGE 35, 122 f). Der Gesamtvollstreckungsverwalter der Beklagten war somit nach Erlaß der Sicherungsmaßnahmen vom 25. Mai 1992 für die von der S. GmbH geschuldeten Zahlungen allein nicht mehr empfangsbefugt.

2. Trotzdem waren die Zahlungen der S. GmbH vom 17. Juni 1992 und 15. Juli 1992 deren Gläubiger - also dem Schuldner und damit der jetzigen vom Kläger verwalteten Gesamtvollstreckungsmasse - gegenüber wirksam; die Drittschuldnerin ist dadurch in diesem Umfang von ihrer Schuld freigeworden. Nach der von der Revision nicht angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts hatte sie von der nach § 2 Abs. 4 GesO angeordneten vorläufigen Einstellung anderweitiger Vollstreckungsmaßnahmen keine Kenntnis.

Nach § 836 Abs. 2 ZPO gilt ein zu Unrecht erlassener Überweisungsbeschluß zugunsten des Drittschuldners dem Schuldner gegenüber so lange als wirksam, bis er aufgehoben wird und der Drittschuldner hiervon Kenntnis erlangt. Diese Regelung, die den Drittschuldner bei Unkenntnis schützt, gilt entsprechend auch dann, wenn der Pfändungsgläubiger die (alleinige) Empfangszuständigkeit durch einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung verloren hat (Zöller/Stöber, ZPO 20. Aufl. § 836 Rdnr. 7; vgl. für den Fall mehrfacher Pfändung auch BGHZ 66, 394, 396 f).

3. Nach § 816 Abs. 2 BGB ist die einem Nichtberechtigten erbrachte, dem Berechtigten gegenüber aber gleichwohl wirksame Leistung an diesen herauszugeben. Berechtigte in diesem Sinne waren bis zur Eröffnung der Gesamtvollstreckung der Sequester des späteren Gesamtvollstreckungsschuldners und der damals für das Vermögen der Beklagten eingesetzte Verwalter gemeinsam. Mit der Verfahrenseröffnung ging die Stellung des Berechtigten insgesamt auf den Kläger über. Das Berufungsgericht hat zwar gemeint, § 7 Abs. 3 GesO sei hier nicht anwendbar, weil mit den Zahlungen der S. GmbH vom 17. Juni 1992 und 15. Juli 1992 insoweit vollständige Befriedigung des Vollstreckungsgläubigers eingetreten und damit die Vollstreckung vor Eröffnung der Gesamtvollstreckung über das Vermögen der Schuldnerin beendet gewesen sei. Das trifft indessen nicht zu; aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 26. Januar 1995 (BGHZ 128, 365, 367) läßt sich das entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht entnehmen.

Nach § 7 Abs. 3 GesO verlieren vorher "eingeleitete" Vollstreckungsmaßnahmen mit der Verfahrenseröffnung ihre Wirksamkeit. Bei vor der Verfahrenseröffnung vollständig durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen hat es somit - vorbehaltlich eines etwaigen Anfechtungstatbestands nach § 10 GesO - sein Bewenden. Bei der Zwangsvollstreckung in eine Forderung ist, wie der Senat bereits ausgesprochen hat, die Vollstreckungsmaßnahme mit dem Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht beendet, sofern die Forderung dem Gläubiger nicht an Zahlungs Statt, sondern - wie hier - nur zur Einziehung überwiesen worden ist (BGHZ 128, 365, 366 ff). Die mit dem Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses eingeleitete Zwangsvollstreckung ist dann auf die Fortführung durch - erforderlichenfalls gerichtliche - Inanspruchnahme des Drittschuldners gerichtet (BGHZ 130, 347, 350 f). Leistet dieser an den Gläubiger, so schließt das freilich in der Regel die Zwangsvollstreckung in die Forderung ab (BGHZ 128, 365, 368). Auch das ist jedoch dann nicht der Fall, wenn zuvor die Zwangsvollstreckung vorläufig eingestellt, aber gleichwohl unzulässigerweise dadurch fortgesetzt worden ist, daß der Drittschuldner entgegen dem in der Einstellung liegenden Verbot an den Pfändungsgläubiger (allein) gezahlt hat. In diesem Fall muß, wie bereits dargelegt, der Gläubiger das, was er erhalten hat, - zunächst vorläufig - wieder herausgeben. Die Vollstreckungsmaßnahme führt nur dann noch zum Erfolg, wenn die Einstellung später wieder aufgehoben wird. Geschieht dies, so kann der Vollstreckungsgläubiger seinerseits Herausgabe des Forderungserlöses an sich (allein) verlangen. Auch dabei handelt es sich der Sache nach um eine Fortsetzung der mit dem Erlaß des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses eingeleiteten, bis dahin noch nicht beendeten Vollstreckungsmaßnahme.

Daraus folgt für den Fall einer Einstellung nach § 2 Abs. 4 GesO: Die in einer Forderungspfändung bestehende Vollstreckungsmaßnahme ist bis zur Verfahrenseröffnung auch dann nicht beendet, sondern lediglich "eingeleitet" im Sinne des § 7 Abs. 3 Satz 1 GesO, wenn der Drittschuldner trotz zwischenzeitlicher vorläufiger Einstellung anderweitiger Vollstreckungsmaßnahmen an den Gläubiger leistet. Sie wird deshalb nach dieser Vorschrift mit Eröffnung des Verfahrens unwirksam. Das entspricht dem Sinn der gegenüber § 14 KO weitergehenden Regelung des § 2 Abs. 4 GesO, die es ermöglichen soll, schon im Zeitraum zwischen der Stellung des Antrags und der Eröffnung des Verfahrens Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen zu unterbinden und damit sicherzustellen, daß die der Gesamtvollstreckung unterliegende Vermögensmasse in dieser Zeit nicht mehr durch Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung geschmälert wird (BGHZ 130, 76, 80).

II.

Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben. Da keine weiteren tatsächlichen Feststellungen zu treffen sind, hat der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in der Sache selbst zu entscheiden. Das landgerichtliche Urteil ist durch Zurückweisung der Berufung der Beklagten in vollem Umfang wiederherzustellen.



Ende der Entscheidung

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