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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.07.2009
Aktenzeichen: IX ZR 126/08
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 91 Abs. 1
InsO § 114
InsO § 189
InsO § 190 Abs. 1
InsO § 292 Abs. 1
InsO § 304 Abs. 1
Der Absonderungsberechtigte wird in der Wohlverhaltensphase eines Verbraucherinsolvenzverfahrens nur dann bei der Verteilung berücksichtigt, wenn er innerhalb von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Schlussverzeichnisses eine Erklärung gemäß § 190 Abs. 1 InsO abgegeben hat.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und

die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, Dr. Fischer und Grupp

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. Mai 2008 wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen sind, die ihr dadurch entstanden sind, dass der Beklagte innerhalb der Frist des § 189 Abs. 1 InsO keine Erklärung gemäß § 190 InsO abgegeben hat.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Im Zusammenhang mit der Aufnahme gemeinsamer Kredite traf die Klägerin am 1. Januar 1997 mit ihrem damaligen Lebensgefährten eine Vereinbarung, wonach er sich verpflichtete, an die Klägerin monatlich 1.140 DM zu zahlen, und sein pfändbares monatliches Einkommen an sie abtrat. Mit Beschluss vom 24. Juli 2003 eröffnete das Insolvenzgericht auf den mit dem Antrag auf Restschuldbefreiung verbundenen Eigenantrag des Lebensgefährten das Verbraucherinsolvenzverfahren. Gleichzeitig wurde ein Treuhänder bestellt.

Die Klägerin meldete ihre Forderung in Höhe von 92.113,50 EUR im Insolvenzverfahren an. Als der Treuhänder Nachweise verlangte, beauftragte die Klägerin den verklagten Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung ihrer Interessen im Insolvenzverfahren. Dieser übersandte dem Treuhänder die Vereinbarung vom 1. Januar 1997. Im Prüftermin vom 20. Oktober 2003, an dem der Beklagte nicht teilnahm, wurde die für die Klägerin angemeldete Forderung als vorläufig bestritten festgestellt. In der Sitzungsniederschrift wurde vermerkt, dass die "Schlussunterlagen" in etwa drei Monaten eingereicht würden.

Am 16. Januar 2004 legte der Treuhänder dem Insolvenzgericht seinen Schlussbericht und das Schlussverzeichnis vor. Danach wurde die Forderung der Klägerin "für den Ausfall" festgestellt. Der Bericht und das Schlussverzeichnis wurden am 22. Januar 2004 im Internet veröffentlicht. Mit Schreiben vom 19. April 2004 erkundigte sich der Beklagte erstmals beim Treuhänder nach dem Stand des Verfahrens. Mit Beschluss vom 19. Juli 2004 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben und die Restschuldbefreiung für den Schuldner angekündigt.

Die Klägerin erhielt aus der Abtretung des Schuldners bis Juli 2005 Zahlungen. Danach wurde sie von dem Treuhänder nicht mehr berücksichtigt, weil binnen der Zweiwochenfrist des § 190 Abs. 1 in Verbindung mit § 189 InsO nicht nachgewiesen worden sei, dass und für welchen Betrag die Klägerin bei der abgesonderten Befriedigung ausgefallen sei.

Die Klägerin macht geltend, bei ordnungsgemäßem Verhalten des Beklagten hätte der Treuhänder aus dem Gehalt des Schuldners bis 2010 Beträge an sie ausgekehrt. Ihre auf die Feststellung der Schadensersatzpflicht des Beklagten gerichtete Klage hat das Landgericht für begründet erachtet. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Beklagten sei anzulasten, dass er dem Treuhänder nicht innerhalb der auch für das Verbraucherinsolvenzverfahren geltenden Ausschlussfrist des § 190 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 189 InsO nachgewiesen habe, in welcher Höhe die Klägerin mit ihrer Forderung ausgefallen sei. Zu Recht habe der Treuhänder nach Auslaufen der zweijährigen Frist des § 114 InsO weitere Zahlungen an die Klägerin abgelehnt. Gläubiger mit der Berechtigung zur abgesonderten Befriedigung, wie die Klägerin, könnten bei der Verteilung in der Wohlverhaltensphase nur mit ihrem Ausfall berücksichtigt werden. Diesen fristgerecht nachzuweisen - erforderlichenfalls zu schätzen -, sei der Beklagte nach den Grundsätzen des sichersten Weges verpflichtet gewesen.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

1. Der Beklagte hat schuldhaft seine anwaltlichen Pflichten verletzt, indem er die Ausschlussfrist des § 190 Abs. 1 in Verbindung mit § 189 InsO hat verstreichen lassen.

a) Diese Ausschlussfrist war im Interesse der Klägerin zu beachten, weil diese nur bei fristgerechtem Nachweis des Ausfalls als Absonderungsberechtigte erwarten konnte, nach dem Unwirksamwerden der Vorauszession (§ 114 Abs. 1 InsO) auf ihre Insolvenzforderung Zahlungen zu erhalten.

aa) Soweit sich - wie im vorliegenden Fall - Sicherungsabtretungen auf einen Zeitraum nach Ablauf der Zwei-Jahres-Frist des § 114 Abs. 1 InsO erstrecken, sind sie nach § 91 Abs. 1 InsO absolut unwirksam (vgl. BGHZ 167, 363, 368 Rn. 12). Der Zessionar hat nur noch die Stellung als Insolvenzgläubiger der Forderung, die der Abtretung zugrunde liegt (MünchKomm-InsO/Löwisch/Caspers, 2. Aufl. § 114 Rn. 24; Moll in Kübler/Prütting/Bork, InsO § 114 Rn. 22; HK-InsO/Linck, 5. Aufl. § 114 Rn. 10).

bb) Als Insolvenzgläubiger wird der vormals Absonderungsberechtigte bei der Verteilung im Regelinsolvenzverfahren nur berücksichtigt, soweit er bei der abgesonderten Befriedigung ausgefallen ist ( § 52 Satz 2, § 190 Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO). Der Nachweis des Ausfalls ist innerhalb der in § 189 Abs. 1 InsO - dort für die Berücksichtigung bestrittener Forderungen - vorgesehenen Ausschlussfrist zu führen, also innerhalb von zwei Wochen nach der öffentlichen Bekanntmachung des Schlussverzeichnisses.

Allerdings steht der Ausfall zu diesem Zeitpunkt noch nicht endgültig fest, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Zwei-Jahres-Frist des § 114 Abs. 1 InsO noch offen ist, das Absonderungsrecht also weiter bedient wird. "Für welchen Betrag" er bei der abgesonderten Befriedigung ausfallen wird, kann der Absonderungsberechtigte nicht sicher beurteilen. Entgegen der Ansicht der Revison hat dies aber nicht zur Folge, dass der Absonderungsberechtigte überhaupt keine Erklärung gemäß § 190 Abs. 1 InsO abgeben muss. Über deren Inhalt herrscht im Schrifttum Uneinigkeit. Die eine Auffassung geht dahin, der absonderungsberechtigte Sicherungszessionar müsse schätzen, in welcher Höhe die gesicherte Forderung nach Auslaufen der Sicherungsabtretung ( § 114 Abs. 1 InsO) noch nicht getilgt sein werde (Wenzel in Kübler/Prütting/Bork, aaO § 292 Rn. 9b; FK-InsO/Grote, 5. Aufl. § 292 Rn. 12; Grote ZInsO 1999, 31, 33; vgl. auch Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 190 Rn. 10). Nach anderer Meinung ist die Quotenermittlung auf der Grundlage der Forderungen vorzunehmen, die nach Auslaufen der Forderungsabtretung im Sinne des § 114 Abs. 1 InsO noch offen ist (Uhlenbruck/Vallender, aaO § 292 Rn. 36). Auch nach der zuletzt genannten Auffassung kann aber die Erstellung des Schlussverzeichnisses nicht so lange aufgeschoben werden, bis die Sicherungsabtretung ausgelaufen ist. Vielmehr ist danach der gesamte zum Ende der Frist des § 189 InsO noch ausstehende Betrag als vorläufiger Ausfall anzugeben und das Schlussverzeichnis, genauer: die auf den vormaligen Absonderungsberechtigten entfallende Quote, später zu berichtigen, wenn der endgültige Ausfall feststeht. Welcher Ansicht zu folgen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Damit der Verwalter das Schlussverzeichnis erstellen kann, muss der Absonderungsberechtigte ihm zumindest - rechtzeitig - die Informationen liefern, die der Verwalter zur wenigstens vorläufigen Bemessung der Quote benötigt. Das ergibt sich aus dem Zweck des § 190 InsO, die Befriedigung der Insolvenzgläubiger nicht durch Schwierigkeiten bei der Verwertung von Gegenständen, an denen Absonderungsrechte bestehen, zu verzögern (MünchKomm-InsO/Füchsl/Weishäupl, aaO § 190 Rn. 1). Entgegen der Auffassung der Revision in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat verfügt der Treuhänder über diese Informationen schon deshalb nicht, weil die Einziehung der sicherungszedierten Forderung dem Gläubiger selbst obliegt.

cc) Die Ausschlusswirkung besteht - entgegen der Auffassung der Revision - auch im Verbraucherinsolvenzverfahren. Für dieses Verfahren gelten nach § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO die allgemeinen Vorschriften, soweit im neunten Teil der Insolvenzordnung nichts anderes bestimmt ist. Dies ist nicht der Fall.

dd) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass die Ausschlusswirkung nach § 190 Abs. 1 in Verbindung mit § 189 InsO auch im Restschuldbefreiungsverfahren - also nach Eintritt in die Wohlverhaltensphase - gilt.

Nach § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO hat der Treuhänder die Verteilung der durch die Abtretung erlangten Bezüge des Schuldners aufgrund des Schlussverzeichnisses vorzunehmen. Dieses bleibt somit auch in der Wohlverhaltensphase maßgeblich. Ist eine Forderung nur für den Ausfall festgestellt und der Ausfall nicht rechtzeitig nachgewiesen, darf der Treuhänder sie bei der jährlichen Verteilung nicht berücksichtigen.

Entgegen der Auffassung der Revision scheitert die Anwendbarkeit der Ausschlussfrist in der Wohlverhaltensphase auch nicht an § 190 Abs. 3 InsO. Danach ist Absatz 1 dieser Vorschrift nicht anzuwenden, wenn nur der Insolvenzverwalter zur Verwertung des Gegenstandes berechtigt ist, an dem das Absonderungsrecht besteht. Der Treuhänder ist gemäß § 313 Abs. 3 InsO jedoch nicht zur Verwertung von Gegenständen berechtigt, an denen Absonderungsrechte bestehen.

ee) Der Ansicht der Revision, der Beklagte habe nicht wissen können, dass die Forderung der Klägerin nur für den Ausfall festgestellt worden war, und deswegen keine Kenntnis von dem Schlussverzeichnis nehmen müssen, ist nicht zu folgen. Nachdem der Beklagte selbst dem Treuhänder zum Nachweis der Forderung die Vereinbarung vorgelegt hatte, aus der sich das Bestehen einer Sicherungszession ergab, musste er damit rechnen, dass der Treuhänder ein Absonderungsrecht der Klägerin anerkennen würde mit der Folge, dass fortan das Ausfallprinzip galt.

Dass § 190 InsO auch für das Restschuldbefreiungsverfahren entsprechend anwendbar ist, ergibt sich aus der Systematik der maßgeblichen Verfahrensvorschriften und wurde bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Beklagten auch im insolvenzrechtlichen Schrifttum vertreten (Grote ZInsO 1999, 31, 34; Braun/Buck, InsO 1. Aufl. (2002) § 292 Rn. 7). Im Hinblick hierauf musste sich für den Beklagten der Gedanke aufdrängen, dass für das Anmeldeverfahren die Ausschlussfrist des § 189 InsO zu beachten ist. Daher war der Beklagte bei ordnungsgemäßer Wahrnehmung der Interessen der Klägerin verpflichtet, den weiteren Fortgang des Verfahrens zeitnah zu beobachten. Dies galt insbesondere für den in der Sitzungsniederschrift des Prüftermins vom 20. Oktober 2003 genannten Zeitpunkt "in etwa drei Monaten". Tatsächlich wurden der maßgebliche Bericht und das Schlussverzeichnis am 22. Januar 2004 im Internet gemäß § 9 InsO öffentlich bekannt gemacht.

b) Das Verhalten des Beklagten war schuldhaft. Dafür spricht sein objektiv fehlerhaftes Verhalten (vgl. BGHZ 129, 386, 399 ; BGH, Urt. v. 20. Juni 1996 - IX ZR 106/95, WM 1996, 1832, 1835; v. 20. Januar 2005 - IX ZR 416/00, WM 2005, 999; v. 7. Dezember 2006 - IX ZR 37/04, WM 2007, 564, 566 Rn. 20). Er trägt die Darlegungs- und Beweislast, dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (vgl. BGH, Urt. v. 18. Dezember 2008 - IX ZR 12/05, WM 2009, 369 370, Rn. 16). Ein entsprechender Nachweis ist nicht erbracht.

2. Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Pflichtverletzung des Beklagten zu einem Schaden der Klägerin geführt hat. Der Beklagte hatte zwar das Bestehen von Zahlungsansprüchen der Klägerin gegen ihren Lebensgefährten unter Beweisantritt bestritten; entgegen der Ansicht der Revision war dieser Vortrag jedoch unerheblich. Dass der Treuhänder den angemeldeten Anspruch als zur abgesonderten Befriedigung berechtigend anerkannt hatte und der Klägerin somit hierauf nach Auslaufen der Frist des § 114 Abs. 1 InsO die Quote zugefallen wäre, wenn der Beklagte den Ausfall fristgerecht nachgewiesen hätte, war freilich nicht ausschlaggebend. Denn der Verlust einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, auf welche der Betroffene nach der Rechtsordnung keinen Anspruch hatte, bedeutet keinen Schaden im normativen Sinne (BGHZ 124, 86, 95 ; 125, 27, 34 ; 145, 256, 262 ; BGH, Urt. v. 23. November 2006 - IX ZR 21/03, WM 2007, 419, 422 Rn. 37). Indessen hatte bereits das Landgericht in der Vereinbarung vom 1. Januar 1997 ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis des Lebensgefährten der Klägerin gesehen. Damit war ein nur möglicherweise bestehendes Schuldverhältnis zwischen ihm und der Klägerin als tatsächlich bestehend bestätigt worden. Der Lebensgefährte hätte gegenüber der Klägerin nicht mehr einwenden können, er schulde ihr nichts (vgl. Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB 2. Aufl. § 781 Rn. 10 f). Dieser Sicht hat sich das Berufungsgericht erkennbar angeschlossen.

Stand der Klägerin aber ein durchsetzbarer Anspruch gegen ihren Lebensgefährten zu, wurde sie durch die Pflichtverletzung des Beklagten geschädigt.



Ende der Entscheidung

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