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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 28.09.2006
Aktenzeichen: IX ZR 136/05
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3
InsO § 146 Abs. 1 a. F.
a) § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasst auch die von einem Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärte Aufrechnung.

b) Ist eine Aufrechnung unzulässig, weil die Aufrechnungslage anfechtbar geschaffen worden ist, bestehen die ursprünglichen Ansprüche für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens fort.

c) Eine Hauptforderung, gegen die gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO insolvenzrechtlich unwirksam aufgerechnet worden ist, unterliegt der Verjährung analog § 146 Abs. 1 InsO a. F.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 136/05

Verkündet am: 28. September 2006

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2006 durch die Richter Dr. Ganter, Raebel, Dr. Kayser, Cierniak und Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 6. Juli 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Spedition B. KG (fortan: Schuldnerin) erbrachte für die Beklagte Transportleistungen. Am 13. September 2001 überwies die Beklagte der Schuldnerin die am 15. September 2001 fällige Transportvergütung in Höhe von 132.642,69 € versehentlich doppelt. Der Geschäftsführer der Schuldnerin beantragte am 20. September 2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 24. September 2001 nahm die Schuldnerin die vorübergehend eingestellten Transporte für die Beklagte wieder auf. Am nächsten Tag wurde der Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.

Am 21. November 2001 erstellte die Beklagte eine Abrechnung für die Transportleistungen der Insolvenzschuldnerin vom 16. Juli bis zum 16. Oktober 2001 in Höhe von 167.885,51 €. Hiervon zog die Beklagte den irrtümlich doppelt überwiesenen Betrag ab und zahlte nur den Unterschiedsbetrag von 35.242,82 € an die Insolvenzschuldnerin aus. Mit Beschluss vom 12. Februar 2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger, der die Verrechnung der Beklagten für unwirksam hält und die Aufrechnungserklärung sowie hilfsweise die nach dem 24. September 2001 abgeschlossenen neuen Frachtverträge angefochten hat, verlangt Zahlung restlicher Vergütung in Höhe von 132.642,69 €. Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in NZI 2006, 39 ff veröffentlicht ist, hat dahin stehen lassen, ob die Beklagte die Aufrechnungslage in insolvenzrechtlich anfechtbarer Weise hergestellt hat. Sei dies nicht der Fall, so seien die Frachtlohnansprüche der Insolvenzschuldnerin durch Aufrechnung erloschen. Andernfalls stehe ihrer Durchsetzbarkeit die von der Beklagten erhobene Verjährungseinrede entgegen. Unterstelle man mit dem Kläger, die Beklagte habe die Aufrechnungslage durch eine anfechtbare Rechtshandlung hergestellt, so finde § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO Anwendung mit der Folge, dass die Aufrechnung mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückwirkend auf den Zeitpunkt der Begründung des Gegenseitigkeitsverhältnisses kraft Gesetzes unwirksam werde. Die Forderung der Insolvenzschuldnerin unterliege jedoch der einjährigen Verjährung nach § 439 HGB und wandele sich nicht in einen insolvenzrechtlichen Anspruch um. Auch wenn der Kläger bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 206 BGB aus Rechtsgründen an der Geltendmachung der Frachtlohnansprüche gehindert gewesen sei, habe die erst am 12. Januar 2004 bei Gericht eingegangene Klageschrift die Verjährungsfrist nicht gewahrt. Die Vorschrift des § 146 InsO (a.F.) gelte ausschließlich für den Rückgewähranspruch nach § 143 InsO. Dieser ginge - wenn § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht eingriffe - nur dahin, dass die Beklagte sich auf die Tilgungswirkung ihrer Aufrechnung nicht berufen könne; auf eine Erfüllung der durch die Aufrechnung getilgten Forderung sei er nicht gerichtet. Dem Kläger stehe auch kein Wahlrecht zu, ob er die Rechtsfolgen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO für sich reklamiere oder die Herstellung der Aufrechnungslage anfechte.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Die Frachtlohnansprüche der Schuldnerin sind nicht verjährt, weshalb nicht offen bleiben kann, ob die Beklagte die Aufrechnungslage in insolvenzrechtlich anfechtbarer Weise hergestellt hat.

1. Die Revision rügt allerdings zu Unrecht, das Berufungsgericht habe über den jedenfalls auch zum Streitgegenstand gehörenden insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruch nicht befunden. Nach der in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannten prozessrechtlichen Auffassung vom Streitgegenstand im Zivilprozess wird mit der Klage nicht ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch geltend gemacht; vielmehr ist Gegenstand des Rechtsstreits der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung aufgefasste eigenständige prozessuale Anspruch, der bestimmt wird durch den Klageantrag und den Lebenssachverhalt (Anspruchs- oder Klagegrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGHZ 117, 1, 5; 153, 173, 175). Das Berufungsgericht hat über Antrag und Grund insgesamt entschieden, indem es zur Begründung der Klageabweisung ausgeführt hat, ein sich aus der Anfechtung der Herstellung der Aufrechnungslage ergebender Rückgewähranspruch sei zur Rechtfertigung des Zahlungsantrags nicht geeignet, die Vorschriften der §§ 143 ff InsO seien neben § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht anwendbar und auch die Anfechtung der den Frachtlohnansprüchen zu Grunde liegenden Rechtsgeschäfte scheide aus Rechtsgründen aus.

2. Mit Recht hat das Berufungsgericht die Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO für anwendbar gehalten.

a) Der Einwand der Revisionserwiderung, die Beklagte habe am 21. November 2001 keine Aufrechnung erklärt, verfängt nicht. Nach den von der Revisionserwiderung nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte in ihrer Abrechnung den streitgegenständlichen Betrag abgesetzt und nur den sich daraus ergebenden Saldo bezahlt. Dies stellt eine konkludente Aufrechnung dar (vgl. Gottwald in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch 3. Aufl. § 45 Rn. 29); ausdrücklich muss sie nicht erfolgen (BGHZ 26, 241, 244).

b) § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfasst auch die von einem künftigen Insolvenzgläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgegebene Aufrechnungserklärung. Liegen die Anfechtungsvoraussetzungen vor, so wird die Aufrechnungserklärung mit der Eröffnung insolvenzrechtlich unwirksam (BGH, Urt. v. 9. Oktober 2003 - IX ZR 28/03, NZI 2004, 82; v. 22. Juli 2004 - IX ZR 270/03, NZI 2004, 620; Beschl. v. 2. Juni 2005 - IX ZB 235/04, NZI 2005, 499, 500). Daran hält der Senat auch unter Berücksichtigung vereinzelter Kritik im Schrifttum (Kübler/Prütting/Paulus, aaO § 143 Rn. 25; Gerhardt KTS 2004, 195, 199; Ries ZInsO 2005, 848, 849; Zenker NZI 2006, 16, 18 f) fest.

aa) Bereits unter der Geltung der Konkursordnung war anerkannt, dass eine vor Konkurseröffnung erklärte Aufrechnung gemäß § 55 Satz 1 Nr. 3 KO für die Dauer des Konkursverfahrens unwirksam ist (RGZ 85, 38, 40; RG LZ 1914, Sp. 1909, 1910; BGHZ 81, 15, 19; Jaeger/Lent, KO 8. Aufl. § 55 Rn. 2; Kuhn/Uhlenbruck, KO 11. Aufl., § 55 Rn. 3, 15a; Kilger/K. Schmidt, Insolvenzgesetze 17. Aufl. § 55 KO Anm. 7). Dem Vorschlag der Insolvenzrechtskommission (Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht 1985 S. 338 f), wonach eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgegebene Aufrechnungserklärung nicht kraft Gesetzes unwirksam sein, sondern gegebenenfalls den allgemeinen Regeln der Insolvenzanfechtung unterliegen sollte, ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Die Bestimmungen des § 96 InsO sollten nach der Begründung zum Regierungsentwurf der Insolvenzordnung in redaktionell erheblich vereinfachter Weise die Vorschriften des § 55 KO übernehmen und sie inhaltlich ergänzen. Ein Rückschritt hinter den Stand der Rechtsprechung zur Konkursordnung kommt angesichts dessen nicht in Betracht (BGH, Urt. v. 2. Juni 2005 aaO). Außerdem heißt es in der Begründung ausdrücklich: "Ist die Aufrechnung schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erklärt worden, so wird die Erklärung mit der Eröffnung rückwirkend unwirksam" (BT-Drucks. 12/2443, S. 141 zu § 108 InsO-E).

Die Vorstellung, dass eine Aufrechnungserklärung mit Eröffnung rückwirkend unwirksam wird und es hierzu keiner Geltendmachung der Insolvenzanfechtung bedarf (BT-Drucks. aaO), hat auch in § 96 Abs. 1 InsO selbst Ausdruck gefunden. Im Falle der Nummer 1 ist die Hauptforderung erst nach Verfahrenseröffnung entstanden. Im Falle der Nummer 2 ist die Gegenforderung erst nach diesem Zeitpunkt erworben worden. Nach Nummer 3 ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Gläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat. Endlich ist nach Nummer 4 die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Gläubiger, dessen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu erfüllen ist, etwas zur Insolvenzmasse schuldet. Die sich auf alle vier Fälle beziehende Anordnung, dass die Aufrechnung unzulässig "ist", darf nicht dahin missverstanden werden, die Aufrechnungserklärung könne im dritten Fall zulässig (wirksam) bleiben, wenn sie noch vor Verfahrenseröffnung abgegeben wurde. Die Gleichstellung der Nummer 3 mit Nummer 2 kann vielmehr nur bedeuten, dass die Erlangung der Aufrechnungsmöglichkeit durch anfechtbare Rechtshandlung genauso beurteilt wird, wie wenn das Insolvenzverfahren im Zeitpunkt des Erwerbs der Forderung bereits eröffnet gewesen wäre (vgl. zu § 55 Nr. 2 und 3 KO RGZ 85, 38, 42). Bei § 55 KO entzündete sich der Meinungsstreit über den Anwendungsbereich an der Formulierung "Eine Aufrechnung im Konkursverfahren ist unzulässig" (vgl. RGZ aaO). Demgegenüber bringt die Einleitung "Die Aufrechnung (weggelassen wurde: "im Insolvenzverfahren") ist unzulässig" in § 96 Abs. 1 InsO zum Ausdruck, dass die Vorschrift nicht auf nach Verfahrenseröffnung erklärte Aufrechnungen beschränkt ist, sondern im Falle der Nummer 3 auch bereits erklärten Aufrechnungen die Wirkung für das eröffnete Verfahren absprechen will (Bork, in Festschrift für Ishikawa (2001), S. 31, 37; vgl. ferner v. Olshausen ZIP 2003, 893).

bb) Die Anwendbarkeit der Vorschrift des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO auf vor Verfahrenseröffnung erklärte Aufrechnungen wird darüber hinaus in dem durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. b) des Gesetzes zur Änderung insolvenzrechtlicher und kreditwesenrechtlicher Vorschriften vom 7. September 1999 (BGBl I 1999, S. 2384) eingefügten § 96 Abs. 2 InsO vorausgesetzt. Danach steht Absatz 1 der Verrechnung von bestimmten Ansprüchen und Leistungen aus Überweisungs-, Zahlungs- oder Übertragungsverträgen nicht entgegen, sofern die Verrechnung spätestens am Tage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Da in den Fällen des Absatz 1 Nummer 1 und 2 nach dem Wortlaut und im Falle der Nummer 4 nach dem Sinnzusammenhang die Aufrechnung nach Verfahrenseröffnung erklärt wird, kann die in Absatz 2 für bestimmte Verrechnungen bis zum Tage der Eröffnung normierte Ausnahme nur bedeuten, dass Nummer 3 grundsätzlich die Aufrechnung vor Eröffnung einschließt. Das Argument der Gegenauffassung, Absatz 2 behielte unabhängig von der Auslegung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO seinen Sinn in der Privilegierung von Aufrechnungen im Laufe des Tages der Verfahrenseröffnung (so Zenker aaO S. 16), überzeugt angesichts des in Absatz 2 enthaltenen Zusatzes "spätestens" nicht. Die Einfügung des Absatz 2 wurde überdies in der Begründung des Regierungsentwurfs zum Gesetz vom 7. September 1999 ausdrücklich damit gerechtfertigt, nach Absatz 1 Nummer 3 werde eine vor Verfahrenseröffnung abgegebene Aufrechnungserklärung mit Eröffnung rückwirkend unwirksam (BT-Drucks. 14/1539, S. 10).

3. Die Hauptforderung ist für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens nicht als gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB verjährt anzusehen.

a) Die Anwendung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat zur Folge, dass der Insolvenzverwalter sich unmittelbar auf die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung berufen kann (BGHZ 159, 388, 393; BGH, Urt. v. 11. November 2004 - IX ZR 237/03, NZI 2005, 164, 165). Er braucht nicht mehr die Anfechtung zu erklären, sondern kann die Forderung, gegen die anfechtbar aufgerechnet worden ist, für die Insolvenzmasse einklagen (BGH, Beschl. v. 2. Juni 2005 aaO) und den Aufrechnungseinwand mit der Gegeneinrede der Anfechtbarkeit abwehren (Kirchhof WM 2002, 2037, 2039; ebenso schon Jaeger/Henckel, KO 9. Aufl. § 37 Rn. 33).

b) Da § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO eine anfechtbar herbeigeführte Aufrechnung für insolvenzrechtlich unwirksam erklärt, besteht die Forderung, die andernfalls durch Aufrechnung erloschen wäre, für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens fort (BGH, Urt. v. 9. Februar 2006 - IX ZR 121/03, NZI 2006, 345, 347). Was dies in Bezug auf die Verjährung der Hauptforderung bedeutet, ist umstritten.

Im Schrifttum wird teilweise angenommen, die Hauptforderung verjähre innerhalb der für sie im Allgemeinen maßgeblichen Frist (Kirchhof aaO; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 143 Rn. 52; HmbKomm-InsO/Jacobs, § 96 Rn. 25; Heublein ZIP 2000, 161, 164; Henkel EWiR 2006, 53, 54).

Nach anderer Auffassung wirkt die Anfechtbarkeit der Aufrechnung im Sinne einer Novation. Der Insolvenzverwalter klage nicht die ursprüngliche Hauptforderung ein, sondern erhebe einen ausschließlich anfechtungsrechtlich begründeten Anspruch (Ries ZInsO 2005, 848, 849, 851).

Eine dritte Meinung wendet zu Gunsten des Insolvenzverwalters § 146 Abs. 1 InsO entsprechend an und unterstellt die Verjährung der anfechtungsrechtlichen Ausübungsfrist (Kreft WuB VI A. § 96 InsO 3.05).

c) Die zuletzt genannte Auffassung ist zutreffend.

aa) Der Auffassung des Klägers, die Anfechtbarkeit der Aufrechnung wirke im Sinne einer Novation, kann nicht gefolgt werden. § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist seinem Wortlaut nach als Gegenrecht zum Aufrechnungseinwand des Gläubigers konzipiert. Eine bereits vor Eröffnung erklärte, in anfechtbarer Weise herbeigeführte Aufrechnung wird mit der Eröffnung insolvenzrechtlich unwirksam. Damit werden im Interesse der Gläubigergleichbehandlung die Wirkungen des § 389 BGB ausgeschaltet und die Beteiligten zur wechselseitigen Abwicklung der Leistungsverhältnisse gezwungen (Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 96 Rn. 33; Blersch in Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO § 96 Rn. 15). Der Insolvenzgläubiger hat seine Leistung zur Insolvenzmasse zu erbringen; seine Gegenforderung kann er nur zur Tabelle anmelden (BGH, Urt. v. 22. Juli 2004 aaO; Beschl. v. 2. Juni 2005 aaO). Auch wenn durch die Aufrechnung die beiderseitigen Ansprüche erloschen sind, werden sie auf eine Anfechtungsklage hin durch gestaltendes Gerichtsurteil wieder durchsetzbar (so auch Ries ZInsO 2005, 848, 850). Dieselbe - für die Zwecke und auf die Dauer des Insolvenzverfahrens beschränkte - Rechtsfolge kann jedoch auch vom Gesetzgeber angeordnet werden (Kreft, WuB VI A. § 96 InsO 3.05). Es wird kein neues Schuldverhältnis an Stelle eines alten, das gleichzeitig aufgehoben wird, begründet.

bb) Wegen der rein insolvenzrechtlichen Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO läuft die Verjährung des Anspruchs (hier: aus § 439 HGB) nicht weiter (Kreft, aaO). § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ordnet, abweichend von § 389 BGB, den Fortbestand der Hauptforderung an, nicht denjenigen der Verjährung. Dies entspricht auch Sinn und Zweck der Neuregelung, die gegenüber dem bisherigen Recht die Masse stärken wollte (vgl. BT-Drucks. 12/2443 S. 141). Durch den Fortbestand der Hauptforderung soll der Masse Liquidität verschafft werden. Setzte man die ursprünglichen Verjährungsregeln wieder in Kraft, so könnte damit die ausdrücklich angeordnete Durchsetzbarkeit der Hauptforderung unterlaufen werden. Gegebenenfalls fiele die Masse infolge der Unzulässigkeit der Aufrechnung noch hinter den Zustand vor Verfahrenseröffnung zurück, d.h. der Anspruch des Insolvenzschuldners könnte infolge Verjährung nicht durchgesetzt werden, und eine ebenfalls fortbestehende, noch nicht verjährte Gegenforderung müsste zur Tabelle festgestellt werden. Daran hat der Gläubiger der Gegenforderung kein schützenswertes Interesse. Nachdem er sich für das Erfüllungssurrogat der Aufrechnung entschieden hat, kann er auf den Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist der Hauptforderung nicht mehr vertrauen.

In der Praxis stünde der Insolvenzverwalter zudem bei Fortbestand der für die Hauptforderung allgemein geltenden Verjährungsregeln nicht selten vor kaum zu überwindenden Schwierigkeiten. Im äußersten Falle hätte er nur einen Tag Zeit, um die fast abgelaufene Verjährung der Hauptforderung (erneut) zu hemmen. Indessen ist im Rahmen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Anfechtbarkeit inzident voll durchzuprüfen (G. Fischer ZIP 2004, 1679, 1682), und diese Prüfung ist oft mit schwierigen rechtlichen und tatsächlichen Fragen verbunden (vgl. BGH, Beschl. v. 23. März 2006 - IX ZB 130/05, NZI 2006, 341). Die praktischen Schwierigkeiten können noch dadurch verschärft werden, dass Hauptforderungen, gegen die vor Verfahrenseröffnung aufgerechnet worden ist, vielfach nicht mehr in der Buchführung des Insolvenzschuldners als Außenstände erkennbar sind. Gegebenenfalls ist eine Aufarbeitung vermeintlich abgeschlossener Vorgänge erforderlich.

Andererseits ist es nicht hinnehmbar, dass die Rechtsfolgen des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO zeitlich unbeschränkt geltend gemacht werden können. Da die insolvenzrechtliche Unwirksamkeit der Aufrechnung kraft Gesetzes eintritt und es einer Anfechtung nicht bedarf, gilt § 146 Abs. 1 InsO nicht unmittelbar. Es ist jedoch gerechtfertigt, diese Bestimmung - hier in ihrer alten Fassung - entsprechend anzuwenden. Sie trägt den Schwierigkeiten bei der Prüfung und Geltendmachung der Anfechtbarkeit Rechnung, die - wie oben ausgeführt - im Falle des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO denjenigen bei einer Insolvenzanfechtung gemäß den §§ 129 ff InsO zumindest vergleichbar sind.

cc) Die im Vorstehenden dargelegte Ansicht steht in keinem Widerspruch zu der Rechtsprechung des Senats in der Frage des Rechtsweges. Hält der Insolvenzverwalter eine Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO für unzulässig, weil der Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat, ist die Frage der Anfechtbarkeit nicht rechtswegbestimmend (BGH, Beschl. v. 2. Juni 2005 - IX ZB 235/04 aaO; Urt. v. 21. September 2006 - IX ZR 89/05). Insofern entscheidet vielmehr die Natur des Anspruchs, gegen den unwirksam aufgerechnet worden und der nunmehr Verfahrensgegenstand ist. Im vorliegenden Zusammenhang geht es demgegenüber um die insolvenzrechliche Wirkung der Unzulässigkeit der Aufrechnung.

III.

Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO); die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das nunmehr die Voraussetzungen einer insolvenzrechtlich anfechtbaren Aufrechnungslage zu prüfen haben wird.

Ende der Entscheidung

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