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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: IX ZR 158/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 203 Satz 1
Eine Hemmung der Verjährung durch Aufnahme von Verhandlungen endet auch dann, wenn die Verhandlungen der Parteien "einschlafen"; die von der Rechtsprechung zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. entwickelten Grundsätze sind auf das neue Verjährungsrecht zu übertragen.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 158/07

Verkündet am: 6. November 2008

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2008 durch die Richter Prof. Dr. Kayser, Raebel, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape und Grupp

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 16. August 2007 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger war Eigentümer einer Sattelzugmaschine mit Auflieger. Er führte als selbständiger Unternehmer Transporte für verschiedene Auftraggeber durch. Zu diesen gehörte bis Juli 2003 die A. mbH A. Transportgesellschaft (im Folgenden ATG). Im Juli 2003 beauftragte er die Beklagte, offene Frachtforderungen in Höhe von insgesamt 4.211,38 € gegen die ATG gerichtlich geltend zu machen. Die ATG hatte die Frachten wegen nicht zurückgegebener Paletten um 3.523,96 € und wegen abhanden gekommenen Transportgutes um 687,42 € gekürzt. Die Beklagte beantragte am 31. März 2004 den Erlass eines Mahnbescheids, welcher der ATG am 10. Mai 2004 zugestellt wurde. Diese legte am 14. Mai 2004 Widerspruch ein. Nach Einzahlung des weiteren Gerichtskostenvorschusses am 19. Mai 2004 erörterte die Beklagte den Anspruch des Klägers am 25. Mai 2004 mit dem Steuerbevollmächtigten B. der ATG. Dieser nahm am 28. Mai 2004 schriftlich zu den Vertragsbedingungen der ATG Stellung. Danach brachen die Gespräche ab. Am 30. Juni 2005 ging die von der Beklagten gefertigte Anspruchsbegründung beim Mahngericht ein. Nach Abgabe des Mahnverfahrens an das zuständige Amtsgericht erhob die ATG die Einrede der Verjährung. Das Amtsgericht wies die Klage wegen Verjährung der Fracht ab. Das Urteil wurde rechtskräftig.

Der Kläger hat die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe der nach Auffassung des Amtsgerichts verjährten Fracht (4.211,38 €) und der im Vorprozess angefallenen Kosten (1.932,33 €) - insgesamt 6.143,71 € - in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die Beklagte auf Zahlung von 5.146,54 € verurteilt, weil sie den Anspruch auf Zahlung der Fracht in Höhe des für die nicht zurückgegebenen Euro-Paletten einbehaltenen Betrags habe verjähren lassen. Im Übrigen ist die Klage erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in TranspR 2008, 167 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, das Landgericht habe die Beklagte mit Recht gemäß § 280 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 675 BGB verurteilt, Schadensersatz zu leisten. Gegenansprüche wegen nicht zurückgegebener Paletten hätten der ATG nicht zugestanden. Auf die zwischen dem Kläger und der ATG geschlossenen Frachtverträge sei die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB anzuwenden gewesen. Der Auffassung des Landgerichts, für die Beendigung der Hemmung der Verjährung nach § 203 Satz 1 BGB könne auf die Rechtsprechung zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. zurückgegriffen werden, sei zu folgen. Für die Beendigung der Hemmung der Verjährung genüge ein "Einschlafenlassen" der Verhandlungen. Die im Mai 2004 aufgrund der Verhandlungen mit dem Steuerbevollmächtigten der ATG eingetretene Hemmung der Verjährung sei deshalb sechs Monate nach Zugang des Schreibens des Steuerbevollmächtigen vom 28. Mai 2004 am 1. Dezember 2004 beendet gewesen. Damit sei der Anspruch Anfang April 2005 verjährt.

II.

Das rechtliche Ergebnis des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat ihre Vertragspflichten schuldhaft verletzt (§ 675 Abs. 1, § 280 Abs. 1 BGB), weil sie begründete Ansprüche des Klägers auf Fracht, welche sie gerichtlich geltend machen sollte, hat verjähren lassen.

1. Die Revision zieht nicht in Zweifel, dass die von der Klägerin im Ausgangsprozess beanspruchte Fracht (§ 407 Abs. 2 HGB) nicht durch Verrechnung der ATG wegen der fehlenden Paletten erloschen und die Verjährungsfrist für die Fracht der Vorschrift des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB zu entnehmen ist. Gegen die Berechnung des Schadensersatzanspruchs durch das Berufungsgericht (insoweit gekürzte Fracht zuzüglich anteiliger Verfahrenskosten) erinnert die Revision ebenfalls nichts. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich.

2. Das Berufungsgericht ist - wie schon das Landgericht - davon ausgegangen, dass die einjährige Verjährungsfrist des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB im Mai 2004 nach Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses gemäß § 203 BGB gehemmt worden, die Hemmungswirkung aber durch "Einschlafenlassen" der Verhandlungen so frühzeitig in Wegfall geraten sei, dass Verjährung noch vor Begründung der Klage eingetreten sei. Auch das ist richtig. a) Eine Hemmung der Verjährung der Ansprüche des Klägers gegen die ATG nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB ist nicht eingetreten. Die Vorschrift ist auf Ansprüche des Frachtführers nicht anzuwenden. Sie enthält eine Sonderregelung nur für gegen diesen gerichtete Ansprüche. Eine entsprechende Anwendung der Bestimmung auf Ansprüche des Frachtführers kommt mangels einer Regelungslücke nicht in Betracht und wird nach Inkrafttreten des § 203 BGB in der Fassung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes auch nicht mehr vertreten (vgl. Koller, Transportrecht, 6. Aufl. § 439 HGB Rn. 32). b) Trotz zeitweiser Hemmung der Verjährung gemäß § 203 Satz 1 BGB sind die Ansprüche der Klägerin gegen die ATG nach § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB verjährt. Nach § 203 Satz 1 BGB ist die Verjährung im Fall schwebender Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände gehemmt, bis der eine oder andere Teil die Fortsetzung der Verhandlung verweigert. Eine entsprechende Formulierung fand sich bereits in § 852 Abs. 2 BGB a.F. aa) Zu dieser Vorschrift hat der Bundesgerichtshof mehrfach entschieden, dass es für eine Beendigung der Hemmung ausreiche, wenn der Ersatzberechtigte die Verhandlungen "einschlafen" lasse. Ein Abbruch der Verhandlungen durch ein solches "Einschlafenlassen" ist dann anzunehmen, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten fortgesetzt werden sollen (BGHZ 152, 298, 303; BGH, Urt. v. 6. März 1990 - VI ZR 44/89, VersR 1990, 755, 756; v. 1. März 2005 - VI ZR 101/04, NJW-RR 2005, 1044, 1047).

bb) Das Berufungsgericht hat richtig gesehen, dass diese Grundsätze auch im Anwendungsbereich des § 203 Satz 1 BGB Geltung haben (BGH, Urt. v. 30. Oktober 2007 - X ZR 101/06, WM 2008, 656, 659 Rn. 24; Beschl. v. 27. März 2008 - IX ZR 185/05, zitiert nach juris; ebenso OLG Düsseldorf OLGR 2006, 518; KG KGR 2008, 368; LAG Rheinland-Pfalz DB 2008, 592 [LS]; Erman/Schmidt-Räntsch, BGB 12. Aufl. § 203 Rn. 6; MünchKomm-BGB/Grothe, 5. Aufl. § 203 Rn. 8; Palandt/Heinrichs, BGB 67. Aufl. § 203 Rn. 4; Staudinger/Frank Peters, BGB Neubearbeitung 2004 § 203 Rn. 13; a. A. OLG Koblenz NJW 2006, 3150, 3152).

(1) Dies entspricht dem im Gesetzgebungsverfahren verlautbarten Verständnis der Norm (vgl. BT-Drucks. 14/6857 S. 43). Auf die Prüfbitte des Bundesrats, ob nicht durch eine besondere Formulierung in § 203 BGB sicherzustellen sei, die Verjährung von Ansprüchen nicht auf unabsehbare Zeit dadurch zu hemmen, dass Verhandlungen nicht weiterbetrieben werden (vgl. BT-Drucks. aaO S. 7), hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass dem berechtigten Anliegen des Bundesrates durch den Entwurf sogar besser Rechnung getragen werde als durch die vorgeschlagene Ergänzung. Beim "Einschlafen" von Verhandlungen werde die Verjährungsfrist nicht auf unbestimmte Zeit gehemmt, weil für die Auslegung der (später beschlossenen) Entwurfsfassung auf die Rechtsprechung zu § 852 Abs. 2 BGB zurückgegriffen werden könne, in der diese Frage bereits geklärt sei. Danach war nicht beabsichtigt, dass von einer Verweigerung des Schuldners nur im Fall einer ausdrücklichen Ablehnung der Fortsetzung der Verhandlungen auszugehen sei. Hierfür ist auch kein berechtigtes Bedürfnis erkennbar. Anderenfalls könnte die Frage der Begründetheit des Anspruchs auf unabsehbare Zeit in der Schwebe gelassen werden, indem die Verhandlungen nicht weitergeführt werden. Dies ist mit dem Sinn und Zweck der Verjährungsvorschriften, innerhalb angemessener Fristen für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu sorgen (BGHZ 59, 72, 74; Palandt/Heinrichs, aaO Überblick vor § 194 Rn. 9), nicht zu vereinbaren.

(2) Eine andere Sichtweise ist - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht wegen der Besonderheit der Ansprüche des Klägers, die der kurzen Verjährung des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB unterliegen, geboten. Für die Frage, unter welchen Voraussetzungen von einer Verweigerung der Fortsetzung von Vergleichsverhandlungen und damit der Beendigung der Hemmung der Verjährung nach § 203 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgegangen werden muss, bedeutet es keinen Unterschied, ob der Anspruch einer kurzen - einjährigen - Verjährung unterliegt oder ob er innerhalb der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB oder einer anderen Frist geltend zu machen ist. In allen Fällen ist das Ende der Hemmung der Verjährung durch Vergleichsverhandlungen einheitlich zu bestimmen. Eine unterschiedliche Auslegung des Begriffs der "Verweigerung" in § 203 Satz 1 BGB im Blick auf die jeweilige Verjährungsfrist führt zu Rechtszersplitterung und Rechtsunsicherheit. Die Regelung könnte ihren Zweck, die verjährungsrechtlichen Folgen der Aufnahme von Verhandlungen über den Anspruch zu regeln, dann nicht mehr erfüllen.

3. Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag schuldhaft verletzt. Ein Anwalt, der von seinem Mandanten beauftragt wird, dessen Rechte gegenüber einem säumigen Schuldner wahrzunehmen, ist vertraglich verpflichtet, Vorkehrungen schon gegen eine drohende Verjährung zu treffen. Diese Pflicht setzt wesentlich früher ein als der Eintritt der Verjährung selbst. Sie entsteht in der Regel spätestens dann, wenn ein Rechtsanwalt Dispositionen trifft, die das Risiko der Verjährung erhöhen (BGH, Urt. v. 18. März 1993 - IX ZR 120/92, WM 1993, 1376, 1377; v. 28. November 1996 - IX ZR 39/96, WM 1997, 321 f). Sie kann auch nach risikoerhöhenden Unterlassungen eingreifen (BGH, Urt. v. 28. November 1996 aaO S. 322). Nach dem Gebot des "sichersten Weges" hätte die Beklagte zum einen berücksichtigen müssen, dass auf die Ansprüche des Klägers die kurze Verjährung des § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB anzuwenden war. Zum anderen durfte sie nicht auf die Anwendung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB vertrauen. Unmittelbar lagen die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Norm nicht vor. Eine entsprechende Anwendung auf Ansprüche des Frachtführers wurde nach Inkrafttreten des neu gefassten § 203 Satz 1 BGB nicht mehr ernsthaft vertreten. Die Beklagte hätte deshalb mit der Anwendung des § 203 BGB rechnen müssen. Nach dieser Regelung war sie verpflichtet, im Fall des Einschlafens der Verhandlungen das Ende der Verjährungshemmung entsprechend der zu § 852 Abs. 2 BGB a.F. ergangenen Rechtsprechung in Erwägung zu ziehen. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf § 203 Satz 1 BGB n.F. war aufgrund der Entstehungsgeschichte der Vorschrift sehr nahe liegend. Hätte die Beklagte dies beachtet, hätte sie den Anspruch des Klägers nicht erst nach Eintritt der Verjährung begründet. Die ATG wäre verurteilt worden, die noch offene Fracht zu bezahlen.

Ende der Entscheidung

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