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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.06.2004
Aktenzeichen: IX ZR 201/98 (1)
Rechtsgebiete: BGB, ZK-DVO, TIR-Übk


Vorschriften:

BGB § 768
ZK-DVO
TIR-Übk
Zu möglichen Einreden des bürgenden Verbandes gegen die Inanspruchnahme aus einer Bürgschaft im Warenverkehr mit Carnet TIR.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 201/98

Verkündet am: 29. Juni 2004

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Dr. Ganter, Kayser und Vill

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten und der Streithelferin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 30. April 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, der Streithilfe und des Verfahrens vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die klagende Bundesrepublik Deutschland nimmt den beklagten Verein aus einer selbstschuldnerischen Bürgschaft für Zölle und andere Eingangsabgaben im Rahmen des Carnet TIR-Verfahrens in Anspruch.

Dieses beruht auf dem Zollübereinkommen vom 14. November 1975 über den internationalen Warentransport mit Carnet TIR ("Transport International des Marchandises par la Route"), dem die Klägerin aufgrund Gesetzes vom 21. Mai 1979 (BGBl. II S. 455) beigetreten ist. Dem Abkommen sind weiterhin die Europäische Gemeinschaft (fortan: EG) als Zollunion und deren Mitgliedstaaten beigetreten. Es soll das Zollverfahren für internationale Warentransporte mit Hilfe eines einheitlichen Versanddokuments (Carnet TIR) vereinfachen, indem die Entrichtung oder Hinterlegung von Abgaben für die beförderten Waren an den Durchgangszollstellen grundsätzlich entfallen (Art. 4, 5 TIR-Übereinkommen). Das Carnet wird einem Transportunternehmer von der "International Road Transport Union" (auch "Union Internationale des Transports Routiers"; künftig: IRU) - dem Dachverband (Verein nach Schweizer Recht) der nationalen Transportverbände - über einen in seinem Heimatstaat zugelassenen "bürgenden Verband" erteilt. Dieser Verband haftet für die Zollabgaben demjenigen Staat, in dem eine Unregelmäßigkeit im Zusammenhang mit einem TIR-Transport festgestellt wird, als Gesamtschuldner neben anderen Abgabenschuldnern (Art. 8 Abs. 1 TIR-Übereinkommen). Zur näheren Regelung des Warenverkehrs zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Drittländern sind Verordnungen des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 12. Oktober 1992 (EWG-Nr. 2913/92, ABl. Nr. L 302) zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (fortan auch: ZK) sowie der Kommission vom 2. Juli 1993 (EWG-Nr. 2454/93, ABl. Nr. L 253) mit Durchführungsvorschriften - Zollkodex-Durchführungsverordnung (künftig: ZK-DVO) ergangen.

Der Beklagte ist der von der Klägerin zugelassene "bürgende Verband" im Sinne des TIR-Übereinkommens. Die "Bürgschaftserklärung" des Beklagten vom 23. Oktober 1961 wurde ersetzt durch die "Bürgschaftsurkunde" vom 3. August 1993 mit "Nachtrag" vom 31. August 1993, wonach der Bürgschaftshöchstbetrag bei Beförderung mit dem Carnet TIR für Tabak der Gegenwert von 175.000 ECU ist. Bei einer Inanspruchnahme hat der Beklagte ein Rückgriffsrecht aus einem Garantievertrag mit der IRU, die ihrerseits einen Versicherungsvertrag mit einem internationalen Versichererpool abgeschlossen hat, dem die Streithelferin des Beklagten angehört.

Nach Einführung des Europäischen Binnenmarktes am 1. Januar 1992 und der Liberalisierung des Warenverkehrs mit Osteuropa nahm der Mißbrauch des Carnet TIR-Verfahrens - insbesondere beim Transport hochsteuerbarer Waren wie Zigaretten - zu. Nach der Behauptung des Beklagten stiegen die Bürgschaftsforderungen von etwa 260.000 Schweizer Franken 1993 auf mehr als 18. Mio. Schweizer Franken 1994 und mehr als 34 Mio. Schweizer Franken 1995.

Das britische Transportunternehmen F. (künftig: F. ) ließ am 23. März 1994 unter Vorlage des Carnet TIR Nr. , ausgegeben durch den britischen, der IRU angehörenden Verband F. T. (fortan: FT. ), durch einen unbekannten Fahrer eine - aus der Schweiz kommende - Ladung von 12,5 Mio. Zigaretten beim H. (künftig: H. ) abfertigen, die über die Bestimmungszollstelle A. (Spanien) - Ausgangszollstelle der EG - nach Marokko befördert werden sollte. Zur Durchführung dieses Versandverfahrens innerhalb der EG wurde eine Frist bis zum 28. März 1994 gesetzt. Eine Erledigungsbestätigung ging beim H. nicht ein. Auf dessen Suchanfrage teilte die Bestimmungszollstelle am 13. Juli 1994 mit, daß die Ware dort nicht gestellt worden sei. In dem inzwischen aufgefundenen Original-Carnet befindet sich ein Stempel mit dem Abdruck dieser Zollstelle nebst Datum des 28. März 1994, der nach unbeanstandeter Feststellung des Berufungsgerichts gefälscht wurde. Die Klägerin teilte dem Beklagten mit Schreiben vom 16. August 1994 die Nichterledigung des Carnet mit. Sie übersandte der F. auf dem Postweg durch Einschreiben mit Rückschein einen Steuerbescheid vom 16. August 1994 über Abgaben von 3.197.500 DM wegen des streitgegenständlichen Transports. Die F. zahlte nicht.

Mit der im Februar 1996 erhobenen Klage hat die Klägerin vom Beklagten wegen der Abgabenforderung aus dem unerledigten Carnet den Höchstbetrag der Bürgschaft von 334.132,75 DM nebst Zinsen verlangt. Land- und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstreben der Beklagte und seine Streithelferin weiterhin die Abweisung der Klage.

Der Senat hat mit Beschluß vom 11. Januar 2001 eine Vorabentscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften zu den Fragen eingeholt, ob die Frist in Art. 454 Abs. 3 Unterabsatz 1 ZK-DVO auch für den Fall gilt, daß ein Mitgliedstaat unter Berufung auf Art. 454 Abs. 2, 3 Unterabsatz 1, 2 ZK-DVO eine Abgabenforderung gegen den bürgenden Verband einklagt und dieser im Rechtsstreit nachweisen will, daß der Ort, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, in einem anderen Mitgliedstaat liegt, und ob nach Art. 454, 455 ZK-DVO derjenige Mitgliedstaat, der eine Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit einem Transport mit Carnet TIR feststellt, über die Mitteilungen gemäß Art. 455 Abs. 1 der Verordnung und eine Suchanzeige an die Bestimmungszollstelle hinaus zu ermitteln hat, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde und wer die Zollschuldner im Sinne des Art. 203 Abs. 3 der Verordnung sind. Für den Fall, daß der Gerichtshof die Fragen bejaht, hat der Senat um die Beantwortung jeweils weiterer Fragen gebeten. Auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 23. September 2003 (Rechtssache C-78/01) - unter anderem abgedruckt in HFR 2004, 73 und ZfZ 2004, 13 - wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

I.

Das Berufungsgericht hat den Klageanspruch auf Punkt I. Nr. 2 der selbstschuldnerischen Bürgschaft des Beklagten vom 3. August 1993 in Verbindung mit dem "Nachtrag" vom 31. August 1993 gestützt. Diese Bürgschaft hat ein privatrechtliches Verhältnis der Parteien im Sinne der §§ 765 ff BGB begründet, obwohl sie eine öffentlich-rechtliche Abgabenforderung der Klägerin gegen den Hauptschuldner sichert (vgl. BGHZ 90, 187, 190 ff für die Verbürgung von Sozialversicherungsbeiträgen; BFH BStBl. III 1964, 217, 219 und FG Karlsruhe EfG 1962, 239 für eine Steuerbürgschaft - § 241 Abs. 1 Nr. 7, § 244 AO; vgl. für eine Ausfuhrbürgschaft der Klägerin: BGH, Beschl. v. 7. November 1996 - IX ZB 15/96, WM 1996, 2299, 2300).

Aufgrund seiner unbeanstandeten Feststellung, daß die beförderte Ware nicht an einer zuständigen Zollstelle (wieder-)"gestellt" worden ist (Art. 4 Nr. 19, Art. 92 ZK), hat das Berufungsgericht angenommen, daß im Sinne der vorstehenden Bürgschaftsklausel eine verbürgte Zollschuld der F. als Carnet-Inhaber gegenüber der Klägerin entstanden sei (Art. 203, 204 ZK). Dagegen macht die Revision geltend, die Klägerin sei nicht nach Art. 454, 455 ZK-DVO Gläubigerin der Abgabenforderung geworden und habe deswegen auch keinen Anspruch aus der Bürgschaft. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand kann dies nicht ausgeschlossen werden.

1. Die Bürgschaft sichert nach ihrer Ziff. I 2 einen Anspruch der Klägerin gegen einen "Carnet-Inhaber" auf "den Zoll und die sonstigen Eingangsabgaben", der "nach den Vorschriften des Zollrechts und der Verbrauchsteuergesetze" entstanden ist, weil "das Zollgut nicht oder nicht ordnungsgemäß wiedergestellt wird". Diese Sicherungszweckerklärung ist gemäß dem Verständnis der Parteien und unter Einschränkung ihres Wortlauts dahin auszulegen, daß der verbürgte Anspruch der Klägerin nach dem - in der Bürgschaftsurkunde (Ziff. I 1, 3, 5, 8) mehrfach genannten - "TIR-Übereinkommen 1975" i.V.m. dem Zollkodex (ZK) und der Durchführungsverordnung (ZK-DVO) der EU gegen den Inhaber eines Carnets zustehen muß.

Aus Ziff. I 7 der Urkunde ergibt sich nicht hinreichend deutlich eine Bürgschaft auf erstes Anfordern, die den Beklagten mit seinen Einwänden auf einen späteren Erstattungsprozeß verweisen könnte. Eine solche Verschärfung der Bürgschaftshaftung hätte eindeutig gefaßt werden müssen, wie dies für die Mitbürgschaft einer Bank in Ziff. II der Urkunde geschehen ist.

2. Danach kann der Beklagte grundsätzlich einwenden, die Klägerin gelte nicht gemäß Art. 454 Abs. 3 ZK-DVO als Abgabengläubigerin, weil sie die gebotenen Ermittlungsmaßnahmen nicht vorgenommen habe.

Die Revision entnimmt Art. 454 Abs. 2, 3 i.V.m. Art. 455 Abs. 1 ZK-DVO eine Pflicht der Klägerin und ihrer Zollbehörden, über die ergriffenen Maßnahmen hinaus zu ermitteln, in welchem Mitgliedstaat der EG die von der Klägerin festgestellte Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit einem Transport mit Carnet TIR begangen worden ist und wer tatbeteiligter Fahrer und Warenempfänger - beide neben F. Zollschuldner (Art. 203 Abs. 3 ZK) - sind. Nach Ansicht der Revision greift die Fiktion des Art. 454 Abs. 3 ZK-DVO erst dann ein, wenn eine ordnungsmäßige Erfüllung einer solchen Ermittlungspflicht erfolglos geblieben ist. Nach dieser Bestimmung gilt die Zuwiderhandlung als in dem Mitgliedstaat begangen, in dem sie festgestellt worden ist. Die - weitergehende - Ermittlungspflicht hat die Klägerin nach Auffassung der Revision verletzt.

Dieser Einwand ist im Streitfall unbegründet.

a) Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Urteil vom 23. September 2003 (aaO Rn. 80 bis 84) entschieden hat, verpflichten Art. 454 und 455 ZK-DVO den Mitgliedstaat, der eine Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit einem Transport mit Carnet TIR feststellt, nicht, über die Mitteilungen gemäß Art. 455 Abs. 1 ZK-DVO und eine Suchanzeige an die Bestimmungszollstelle hinaus zu ermitteln, wo die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde und wer die Zollschuldner sind, indem er einen anderen Mitgliedstaat um Rechtshilfe bei der Aufklärung des Sachverhalts ersucht.

b) Das in Art. 454 und 455 ZK-DVO geregelte Verfahren hat die Klägerin beachtet.

aa) Unstreitig hat das H. der Klägerin mit Schreiben vom 16. August 1994 dem beklagten bürgenden Verband innerhalb eines Jahres nach der Annahme des streitgegenständlichen Carnet TIR durch die Zollbehörde mitgeteilt, daß im Verlauf oder anläßlich einer Beförderung mit diesem Carnet eine Zuwiderhandlung begangen worden sei (Art. 455 Abs. 1 ZK-DVO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen).

bb) Nach den rechtsfehlerfreien tatrichterlichen Feststellungen hat das H. eine entsprechende fristgerechte und ordnungsmäßige Mitteilung auch F. als dem Inhaber des streitgegenständlichen Carnet TIR mit dem Steuerbescheid vom 16. August 1994 (GA I 19 - Anlage) zugeleitet (Art. 454 Abs. 1 ZK-DVO i.V.m. Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen).

Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsirrtum festgestellt, daß die eingehende Schilderung der festgestellten Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Carnet in dem Bescheid den Zweck der vorgeschriebenen Mitteilung erreicht hat, den Inhaber des Carnet in die Lage zu versetzen, die Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens oder den tatsächlichen Ort der Zuwiderhandlung nachzuweisen (Art. 455 Abs. 1 i.V.m. Art. 454 Abs. 3 Unterabsatz 1 ZK-DVO; in diesem Sinne auch BFH ZfZ 1998, 416, 418; FG München ZfZ 1997, 58, 59). Es hat weiterhin rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Steuerbescheid F. gemäß Art. 221 Abs. 1 ZK spätestens am 21. September 1994 zugestellt worden ist.

(1) Entgegen der Ansicht der Revision ist die Bekanntgabe des Steuerbescheids im vorliegenden Falle nicht nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO zu beurteilen. Da die Zollbehörde die Bekanntgabe des Steuerbescheids durch Einschreiben mit Rückschein angeordnet hat, richtet sich diese Zustellung nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes - VwZG - (§ 122 Abs. 5 AO; BFH BStBl. II 1994, 603, 606).

(2) Die postalische Zustellung des Steuerbescheids durch Einschreiben mit Rückschein gemäß §§ 1, 2, 4, 7 Abs. 2 VwZG hat das Berufungsgericht dahin gewertet, daß der Adressat den Steuerbescheid erhalten hat.

Die tatrichterliche Feststellung, die Zusendung des Steuerbescheids durch Einschreiben mit Rückschein in Großbritannien sei zulässig gewesen, wird von den Parteien nicht beanstandet. Bei einer solchen Zustellung gilt die Sendung mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, daß das zuzustellende Schriftstück nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Schriftstücks und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen (§ 4 Abs. 1 VwZG). Die Fiktion des Zugangs greift nicht ein, wenn das Schriftstück - wie hier - nach tatrichterlicher Feststellung später als drei Tage nach Aufgabe zur Post zugegangen ist.

Die Revision stellt darauf ab, daß auf dem - im übrigen ausgefüllten - Rückschein das Feld

"Die vorgenannte Sendung wurde vorschriftsmäßig ausgehändigt"

nebst der entsprechenden französischen Fassung dieses Satzes durch den britischen Zusteller nicht ausgefüllt worden ist. Die Revision meint, deswegen dürfe der Zugang nicht angenommen werden mit Rücksicht auf Art. 11 Abs. 3 des Weltpostvertrages (BGBl. II 1992 S. 785, 792, mit Zustimmungsgesetz vom 31. August 1992, BGBl. II 1992 S. 749); danach müssen Formblätter für den Verkehr zwischen Postverwaltungen so ausgefüllt sein, daß "die Eintragungen sehr gut zu lesen sind". Diese Ansicht ist unzutreffend. Die genannte Bestimmung des Weltpostvertrages regelt nur die Benutzung von Formblättern im Verkehr der Postverwaltungen. Sie besagt nichts darüber, ob und gegebenenfalls wann eine Zustellung erfolgt ist; das regeln Art. 55, 56 des Weltpostvertrages (BGBl. II 1992 S. 816 f) betreffend eine Einschreibsendung und eine Sendung mit Zustellnachweis.

Selbst wenn sich die formgerechte Zustellung des Bescheids nicht nachweisen läßt oder dieser unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, so gilt er als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem ihn der Empfangsberechtigte nachweislich erhalten hat (§ 9 Abs. 1 VwZG). Aufgrund der Indizwirkung des im übrigen ausgefüllten Rückscheins haben die Tatrichter rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Geschäftsführer der F. den Bescheid und die darin enthaltene Mitteilung gemäß Art. 455 Abs. 1 ZK-DVO spätestens am 21. September 1994 erhalten hat (vgl. BFH BStBl. II 1994, 603, 605).

cc) Das Berufungsgericht hat ferner rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die Klägerin das Suchverfahren, das nach ihrer unbestrittenen Behauptung zwischen den Mitgliedstaaten der EU vereinbart und gängige Praxis ist, - gemäß ihrer damals geltenden Dienstanweisung - durchgeführt hat. Das H. hat, nachdem ihm der entsprechende Kontrollabschnitt durch die Bestimmungszollstelle nicht übersandt worden war, an diese am 7. Juni 1994 eine Suchanzeige gerichtet und daraufhin am 13. Juli 1994 die Nachricht erhalten, daß die Ladung mit dem streitgegenständlichen Carnet dort nicht gestellt worden sei. Nach ihrem unbestrittenen Vorbringen hat die Klägerin im Mai 1994 die Zollbehörde in M. um Amtshilfe gebeten; auch dadurch konnte der Verbleib der Zigaretten nicht geklärt werden.

3. Die Revision rügt mit Erfolg die tatrichterliche Feststellung, es stehe nicht fest, daß die Ware Deutschland verlassen habe. Insoweit hat das Berufungsgericht die vom Beklagten angebotenen Beweise unter Verstoß gegen § 286 ZPO nicht erhoben.

a) Der Beklagte hat behauptet, im Zusammenhang mit einem Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der F. habe der Fahrer Ho. ausgesagt, er habe an demselben Tage, an dem das streitgegenständliche Carnet TIR abgefertigt worden sei, unter einem Carnet TIR mit der nächsten Nummer einen weiteren Transport über Fr. eingeführt; die beiden Transporte hätten im Konvoi Deutschland verlassen und seien in Spanien entladen worden. Zum Beweis für die Richtigkeit dieses Vorbringens hat der Beklagte drei Zeugen - darunter den Fahrer Ho. - benannt. Sollte dieser Vortrag zutreffen, so hat die Klägerin keine verbürgte Zollforderung im Sinne der Ziffer I 2 der Bürgschaftsurkunde gegen den Beklagten erworben. Das Berufungsgericht hat die Vernehmung des Fahrers Ho. aufgrund einer unzulässigen vorweggenommenen Beweiswürdigung, diejenige der übrigen benannten Zeugen ohne Begründung zu Unrecht für entbehrlich gehalten (vgl. BGH, Urt. v. 10. Oktober 1998 - II ZR 164/97, ZIP 1999, 84). Für seine Erwägung, es sei jedenfalls nicht auszuschließen, daß die Zigaretten in Deutschland geblieben seien, weil es damals in B. einen Schwarzmarkt für unverzollte und unversteuerte Zigaretten gegeben habe, hat das Berufungsgericht keinen tragfähigen Anhaltspunkt festgestellt.

b) Die unter Beweis gestellte Behauptung ist auch erheblich. Mit Rücksicht auf den ermittelten Sicherungszweck der Bürgschaft kann der Beklagte grundsätzlich den - der F. als Carnet-Inhaberin und Hauptschuldnerin zustehenden - Einwand erheben (§ 768 BGB), die Klägerin sei nicht Abgabengläubigerin, weil - gemäß der durch Zeugen unter Beweis gestellten Behauptung des Beklagten - der streitgegenständliche Transport in Spanien entladen worden sei. Gegebenenfalls wäre nachgewiesen, daß nicht die Klägerin, sondern der spanische Staat Abgabengläubiger wäre (vgl. Art. 454 Abs. 3 Unterabsatz 1, 3 ZK-DVO), so daß der beklagte Bürge der Klägerin die eingeklagte Forderung nicht schuldete. Der bestandskräftige Steuerbescheid der Klägerin gegen den Hauptschuldner bindet den beklagten Bürgen nicht (vgl. BGHZ 76, 222, 230).

Dennoch konnte der Verfahrensrüge der Revision nicht ohne weiteres stattgegeben werden, nachdem das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (5. Kammer) vom 23. März 2000 in den verbundenen Rechtssachen C-310/98 und C-406/98 ergangen war (vgl. EuGHE I 2000, 1797 = HFR 2000/457 = ZfZ 2000, 196). Zwar ergibt sich daraus, daß der Nachweis gemäß Art. 454 Abs. 3, 455 Abs. 2, 3 ZK-DVO nicht nur durch Urkunden geführt werden kann. Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof war aber notwendig, weil die genannten Bestimmungen den Nachweis an eine Frist binden und insoweit eine Unklarheit bestand.

aa) Nach Art. 454 Abs. 3 Unterabs. 1 ZK-DVO i.V.m. Art. 455 Abs. 1 ZK-DVO, Art. 11 Abs. 1 TIR-Übereinkommen gilt für den Nachweis der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens und des Ortes, an dem die Zuwiderhandlung tatsächlich begangen wurde, grundsätzlich eine Frist von einem Jahr; diese beginnt mit der Mitteilung der Zollbehörden an den Inhaber des Carnet TIR und an den bürgenden Verband, daß eine Zuwiderhandlung begangen worden ist. Die Frist beträgt zwei Jahre, wenn die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist (Art. 11 Abs. 1 Satz 2 TIR-Übereinkommen). Eine solche Fristverlängerung scheidet im vorliegenden Fall aus, weil hier keine "Erledigungsbescheinigung ... erwirkt worden ist". Eine solche Bescheinigung der Bestimmungszollstelle ist dem H. der Klägerin nicht zugegangen, weil die Ladung dort nicht gestellt worden ist; vielmehr ist lediglich nachträglich das gefälschte Original-Carnet aufgefunden worden.

Gemäß Art. 455 Abs. 2 ZK-DVO i.V.m. Art. 11 Abs. 2 TIR-Übereinkommen ist der Nachweis für die ordnungsmäßige Durchführung der Beförderng mit Carnet TIR grundsätzlich innerhalb von zwei Jahren nach Mitteilung der Zuwiderhandlung zu erbringen. Ist innerhalb dieser Frist die Sache zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens gemacht worden, so gilt eine Frist von einem Jahr nach dem Tage, an dem die gerichtliche Entscheidung rechtskräftig geworden ist (Art. 11 Abs. 2 Satz 2 TIR-Übereinkommen).

Der Generalanwalt hat in seinen Schlußanträgen in der genannten EuGH-Sache ausgeführt, sowohl für den Nachweis der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens als auch des Ortes der Zuwiderhandlung gelte die zweijährige Frist (EuGH aaO Rn. 31-44). Dem ist das Gericht jedoch nicht gefolgt (EuGH aaO Rn. 43-49, 3 der abschließenden Urteilsformel). Sollte die Nachweisfrist nach Art. 454 Abs. 3 Unterabsatz 1 ZK-DVO eine Ausschlußfrist sein und auch für den vorliegenden Fall des Bürgenprozesses in der Weise gelten, daß der Beklagte sein Verteidigungsmittel, die Ware sei in Spanien entladen worden, innerhalb dieser Frist in den Rechtsstreit hätte einführen müssen, so wäre der Beklagte mit seinem Einwand ausgeschlossen. Denn er hat sich erst kurz vor Ablauf der zweijährigen Frist, die mit dem Zugang des Schreibens der Klägerin vom 16. August 1994 begonnen hat, im vorliegenden Rechtsstreit auf sein Verteidigungsmittel mit dem am 8. Mai 1996 überreichten Schriftsatz von demselben Tage berufen.

bb) Der Europäische Gerichtshof hat diese Unklarheit in der vom Senat herbeigeführten Vorabentscheidung vom 23. September 2003 nunmehr zugunsten des bürgenden Verbandes entschieden: Art. 454 Abs. 3 Unterabsatz 1 ZK-DVO hindert einen bürgenden Verband, gegen den ein Mitgliedstaat eine Abgabenforderung auf der Grundlage des Bürgschaftsvertrags einklagt, nicht, den Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung zu führen, sofern dieser Nachweis innerhalb der in dieser Bestimmung vorgesehenen Frist, bei der es sich um eine Ausschlußfrist handelt, geführt wird. Die Art. 454 Abs. 3 Unterabsatz 1 und 455 Abs. 1 ZK-DVO sind hierbei dahin auszulegen, daß der bürgende Verband für den Nachweis des Ortes der Zuwiderhandlung über eine Frist von zwei Jahren ab dem Tag der an ihn gerichteten Zahlungsaufforderung (Schreiben des H. v. 21. Dezember 1994) verfügt (vgl. EuGH, aaO Rn. 58, 72, 73 und 2, 3 der abschließenden Urteilsformel).

Das Berufungsurteil kann daher nicht bestehen bleiben; es ist aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.).

II.

Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden. Die Klage ist nicht abweisungsreif.

1. Falls der Klägerin die verbürgte Abgabenforderung zusteht, braucht sie nicht die Zollschuldner vor dem Beklagten als selbstschuldnerische Bürgen in Anspruch zu nehmen.

a) Nach Art. 8 Abs. 1 TIR-Übereinkommen haftet der bürgende Verband mit den Personen, welche die Abgaben schulden, gesamtschuldnerisch für die Entrichtung dieser Beträge. Gemäß Art. 8 Abs. 7 dieses Übereinkommens haben die zuständigen Behörden "soweit möglich" die fälligen Beträge zunächst von den unmittelbaren Schuldnern zu verlangen, bevor der bürgende Verband zur Entrichtung dieser Beträge aufgefordert wird. Selbst wenn diese Regelung unter Gesamtschuldnern im vorliegenden Fall anzuwenden sein sollte, so hat der Beklagte auf eine vorrangige Inanspruchnahme der Zollschuldner verzichtet, indem er sich gegenüber der Klägerin selbstschuldnerisch verbürgt hat.

b) Diese Wertung wird durch das von der Revision angeführte Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung des deutschen Rechts nicht ausgeschlossen (vgl. dazu Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts - Bd. VII - 1992 § 172 Rn. 27 ff). Danach soll bei einem Spielraum möglicher Deutungen einer Rechtsregel diejenige bevorzugt werden, die gleichzeitig den Anforderungen des Völkerrechts gerecht wird (Tomuschat, aaO Rn. 27). Die Anwendung dieses Gebots im Verhältnis von Art. 8 Abs. 7 TIR-Übereinkommen und § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB ergibt entgegen der Ansicht der Revision nicht, daß die selbstschuldnerische Verbürgung gegenstandslos ist.

2. Die Geltendmachung der Bürgschaftsforderung stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar.

a) Hierzu haben die Beklagte und ihre Streithelferin geltend gemacht, die deutschen Zollbehörden hätten schon im Februar 1994, spätestens seit dem 15. März 1994 gewußt, daß F. mindestens fünf Carnets für Zigarettentransporte von der Schweiz nach Marokko mißbräuchlich verwendet und die entsprechenden Kontrollabschnitte mit gefälschten Stempeln an die deutsche Eingangszollstelle zurückgeschickt habe. Darüber hätte die Klägerin sogleich ihre Zollämter im deutsch/schweizerischen Grenzgebiet und den Beklagten unterrichten müssen. Außerdem hätte die Klägerin die F. vom Carnet TIR-Verfahren nach Art. 38 TIR-Übereinkommen ausschließen oder deren Transporte gemäß Art. 23 dieses Abkommens begleiten lassen müssen. Dann wäre der vorliegende Bürgschaftsfall wegen des Transports der F. vom 23. März 1994 nicht eingetreten.

b) Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann ausnahmsweise dazu führen, daß ein Vertragspartner wegen eigener Pflichtverletzungen nicht nur dem anderen Vertragsteil haftet, sondern einen eigenen vertraglichen Anspruch nicht durchsetzen kann, weil die Geltendmachung des Anspruchs unter besonderen Umständen als unzulässige Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens erscheint.

aa) Für einen solchen Rechtsmißbrauch mit Anspruchsverlust genügt aber nicht jede Pflichtverletzung; vielmehr ist dafür regelmäßig eine besonders schwerwiegende, grobe Pflichtverletzung des treuwidrig handelnden Berechtigten erforderlich (BGHZ 55, 274, 279 f; BGH, Urt. v. 19. Oktober 1987 - II ZR 97/87, NJW-RR 1988, 352, 353; v. 25. November 1996 - II ZR 118/95, NJW-RR 1997, 348, 349). Das ist auch für Pflichtverletzungen des Bürgschaftsgläubigers angenommen worden. Dem Bürgschaftsanspruch kann - auch mit Rücksicht auf den Rechtsgedanken des § 162 BGB - der Einwand der Arglist entgegengehalten werden, wenn der Gläubiger treuwidrig den Bürgschaftsfall selbst herbeigeführt hat, indem er den Hauptschuldner veranlaßt hat, seine Leistung nicht zu erbringen (BGH, Urt. v. 7. Februar 1966 - VIII ZR 40/64, WM 1966, 317, 319), einen dem Hauptschuldner gewährten Kredit fällig gestellt hat, um dem Bürgen einen Rückgriff bei einem Rückbürgen zu ermöglichen (BGH, Urt. v. 20. März 1968 - VIII ZR 153/65, BB 1968, 853), oder den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners verschuldet und dadurch einen Rückgriff des Bürgen vereitelt hat (BGH, Beschl. v. 23. Februar 1984 - III ZR 159/83, WM 1984, 586). Der Einwand unzulässiger Rechtsausübung wird vom Aufrechnungsausschluß in Ziffer I 2 der Bürgschaftsurkunde nicht umfaßt (vgl. BGH, Urt. v. 28. Mai 1991 - XI ZR 214/90, WM 1991, 1294, 1296).

bb) Eine solche rechtsmißbräuchliche, zum Verlust des Bürgschaftsanspruchs führende Auslösung des Bürgschaftsfalles im März 1994 ergibt sich nicht aus den Pflichtverletzungen, die die Revision der Klägerin vorwirft. Eine schwere, grobe Pflichtverletzung unter Verstoß gegen Treu und Glauben entfällt schon deswegen, weil sowohl die Einführung eines zweckgerechten Informations- und Kontrollverfahrens nach Öffnung der Binnengrenzen Anfang 1992 als auch Maßnahmen zur Abwehr der Mißbrauchsgefahr nach den Erkenntnissen im Februar und März 1994 eine gewisse Zeit benötigten. Dabei ist zu berücksichtigen, daß nach dem eigenen Vorbringen des Beklagten die Zahlungsanforderungen der Klägerin an den Beklagten 1992 noch etwa 149.000 Schweizer Franken und 1993 etwa 261.000 Schweizer Franken betragen haben; erst 1994 sind diese Anforderungen auf mehr als 18 Mio. Schweizer Franken gestiegen. Danach hat sich erst im Laufe des Jahres 1994 ein triftiger Anlaß zu Vorkehrungen ergeben, so daß ein treuwidriges Verhalten der Klägerin bis zum Eintritt des vorliegenden Bürgschaftsfalles nicht dargelegt ist.

Daran ändert nichts, daß bereits am 2. Juli 1993 die Arbeitsgruppe ECE/UNO Zollfragen/Verkehr empfohlen hat, den Höchstbetrag der bürgenden Verbände bei Beförderung von Tabak und Alkohol auf 200.000 US-Dollar anzuheben, weil "in der letzten Zeit" eine "steigende Zahl von Unregelmäßigkeiten" im TIR-Verfahren festzustellen sei. Rat und Kommission der EG haben im Jahr 1995 Maßnahmen gegen einen Mißbrauch dieses Verfahrens beschlossen. Angesichts dieser in angemessener Zeit erfolgten Reaktion kann der Klägerin ein grob pflichtwidriges Verhalten nicht vorgeworfen werden.

3. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, die Geschäftsgrundlage der Bürgschaft sei nicht weggefallen (§ 242 BGB; vgl. dazu BGHZ 128, 230, 236; BGH, Urt. v. 17. März 1994 - IX ZR 174/93, WM 1994, 1064, 1065 f).

a) Sie verweist auf das Vorbringen des Beklagten, die Parteien seien bei Übernahme der Bürgschaft übereinstimmend davon ausgegangen, daß die jährliche Inanspruchnahme aus der Bürgschaft 1 Mio. DM nicht überschreiten werde; das sei einschließlich des Jahres 1993 auch nicht der Fall gewesen. Diese Geschäftsgrundlage sei nicht dadurch aufgegeben worden, daß der Bürgschaftshöchstbetrag, der für jedes Carnet TIR nach der Ergänzung vom 9. Oktober 1985 zur Bürgschaftserklärung vom 23. Oktober 1961 von 200.000 Schweizer Franken auf den Gegenwert von 60.024 ECU herabgesetzt worden sei, durch den Nachtrag vom 31. August 1993 zur Bürgschaft vom 3. August 1993 auf den Gegenwert von 175.000 ECU je Carnet TIR "Tabak/Alkohol" erhöht worden sei. Seit 1994 sehe sich der Beklagte einer explosionsartig gestiegenen Inanspruchnahme gegenüber, die er auf insgesamt 135 Mio. DM schätze. In der "Vereinbarung" der Parteien vom 31. Juli 1996 seien die damals geltend gemachten Forderungen mit etwa 94 Mio. DM angegeben worden.

b) Die Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage sind auf den vorliegenden Fall schon deswegen nicht anzuwenden, weil der Beklagte sich von seiner Bürgschaftsverpflichtung, die nach seiner Ansicht untragbar geworden ist, kurzfristig durch Kündigung gemäß Ziff. I 9 der Bürgschaftsurkunde lösen konnte (vgl. BGH, Urt. v. 20. Mai 1953 - II ZR 184/52, LM BGB § 242 - Bb - Nr. 15; v. 9. Oktober 1996 - VIII ZR 266/95, ZIP 1997, 257, 259). Nach dieser Klausel kann der Beklagte seine Haftung durch Kündigung, die frühestens am 15. Tage nach Aufgabe zur Post wirksam wird, auf diejenigen Ansprüche begrenzen, die bis zum Wirksamwerden der Kündigung entstanden sind. Eine solche Kündigung betreffend das mißbrauchsanfällige Carnet TIR "Tabak/Alkohol" hat der Beklagte erst am 11. November 1994 gegenüber der Klägerin zum 29. November 1994 erklärt.

4. Der von der Revision weiterverfolgte Gegenanspruch aus Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG), mit dem der Beklagte seinen durch die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft entstandenen Schaden beseitigen will, ist nicht gegeben, so daß es nicht darauf ankommt, ob es hierzu einer Aufrechnung bedarf (vgl. BGHZ 66, 302, 305) und ob einer solchen ein Aufrechnungsausschluß entgegensteht.

a) Der Beklagte und ihre Streithelferin werfen der Klägerin vor, der Bürgschaftsfall infolge des Mißbrauchs des Carnet TIR durch die F. am 23. März 1994 wäre vermieden worden, wenn die Klägerin den ab Februar 1994 erkannten Mißbrauch unverzüglich unterbunden hätte (vgl. vorstehend unter 2 a).

b) Die Untätigkeit der Klägerin begründet aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt eine für den Schaden des Beklagten ursächlich gewordene Amtspflichtverletzung.

aa) Hinsichtlich der vom Beklagten vermißten rechtzeitigen Einrichtung eines Kontroll- und Informationssystems ergeben sich gegenüber dem Beklagten keine drittgerichteten Pflichten.

Ob einem Beamten eine Amtspflicht gegenüber einem Dritten im Sinne des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB obliegt, bestimmt sich in erster Linie nach dem Zweck, dem die Amtspflicht dient. Für die Drittgerichtetheit kommt es darauf an, ob die Amtspflicht - nicht notwendig allein, aber doch auch - den Zweck hat, das im Einzelfall berührte Interesse gerade dieses Geschädigten wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den Bestimmungen, die die Amtspflicht begründen und umreißen, sowie aus der Natur des Amtsgeschäfts ergibt, daß der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Es muß also eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen; dafür ist es nicht erforderlich, daß dieser unmittelbar an dem Amtsgeschäft beteiligt ist oder einen Rechtsanspruch auf die Amtshandlung hat. Maßgeblich ist vielmehr der Schutzzweck der Amtspflicht. Ist der Betroffene danach kein Dritter im vorstehenden Sinne, so entfällt eine Amtshaftung, selbst wenn sich die Amtspflichtverletzung für ihn nachteilig ausgewirkt hat (BGHZ 93, 87, 91; 106, 323, 331; 108, 224, 227; 110, 1, 9; BGH, Urt. v. 9. Oktober 1997 - III ZR 4/97, NJW 1998, 138, 139).

Eine Amtspflicht der Beamten der Klägerin, ein Kontroll- und Informationsverfahren zur Verhinderung von Mißbräuchen des Carnet TIR-Verfahrens einzurichten, besteht nicht gegenüber dem Beklagten. Dieser bürgt als nationaler Verband des Transportgewerbes im Mißbrauchsfalle für die Zollschuld, die der Inhaber eines von ihm, dem internationalen Dachverband IRU oder den übrigen nationalen Verbänden des Transportgewerbes ausgegebenen Carnet TIR gegenüber der Klägerin ausgelöst hat. Aus der Natur der Sache ergibt sich nicht, daß das Interesse des Beklagten, dieser Haftung zu entgehen, zum Schutzzweck einer Amtspflicht der Klägerin zum Aufbau eines Kontroll- und Informationssystems gehört. Der Schutzzweck einer solchen Amtspflicht geht vielmehr ausschließlich dahin, das staatliche Abgabeninteresse gegen eine mißbräuchliche Erlangung der Abgabenbefreiung gemäß Art. 7 TIR-Übereinkommen zu sichern. Daran ändert es nichts, daß ein solches Kontroll- und Informationssystem die Bürgenhaftung des Beklagten verringern kann.

Auch Art. 454 Abs. 3 letzter Unterabsatz ZK-DVO ergibt keine entsprechende Amtspflicht gegenüber dem Beklagten. Nach dieser Bestimmung treffen die Zollverwaltungen der Mitgliedsstaaten der EU die nötigen Vorkehrungen zur Bekämpfung von Zuwiderhandlungen und zu deren wirksamer Ahndung. Auch diese Vorschrift dient - ebenso wie die übrigen Regelungen des Art. 454 ZK-DVO - allein dem staatlichen Abgabeninteresse; nach seinem Absatz 1 gilt dieser Artikel "unbeschadet der die Haftung der bürgenden Verbände betreffenden besonderen Bestimmungen des TIR-Übereinkommens" (vgl. EuGH, Urt. v. 23. September 2003, aaO Rn. 82 f).

bb) Entsprechendes trifft für die Begleitung der Transporte, den Ausschluß der F. vom TIR-Verfahren und die Unterrichtung der Zollämter im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet zu. Eine Amtspflicht der zuständigen Beamten der Klägerin, gemäß Art. 23 TIR-Übereinkommen die Transporte der F. auf deren Kosten begleiten zu lassen oder nach Art. 38 dieses Abkommens die F. zumindest vorübergehend vom TIR-Verfahren auszuschließen, bestand nicht gegenüber dem Beklagten.

Daran ändert Art. 8 Abs. 7 TIR-Übereinkommen nichts. Das gilt auch für Art. 38 Abs. 2 dieses Abkommens; danach ist ein Ausschluß sofort den Zollbehörden der Vertragspartei, in deren Gebiet die betreffende Person ihren Wohn- oder Geschäftssitz hat, sowie dem dortigen Verband des Landes mitzuteilen, in dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist. Diese Bestimmungen besagen nur, daß die Zollschuldner möglichst vor dem bürgenden Verband zahlen sollen und dieser Gelegenheit erhalten soll, seine Interessen beim Ausschluß eines Carnet-Inhabers zu wahren.

Nichts anderes ergibt sich aus den von der Revision angeführten Dienstanweisungen. Nach Nr. 8 der Dienstanweisung der Klägerin vom 2. Juni 1995 können Personen, die sich einer schweren Zuwiderhandlung im Carnet TIR-Verfahren schuldig gemacht haben, von den damit verbundenen Erleichterungen vorübergehend oder dauernd ausgeschlossen werden. Aufgrund Nr. 23h derselben Dienstanweisung kann die zuständige Zollstelle, soweit die Sicherheitsleistung im einzelnen Fall das Abgabenrisiko nicht voll deckt, dem Carnet-Inhaber die Fahrtstrecke vorschreiben, die Gestellungspflicht möglichst kurz bemessen und einer deutschen Bestimmungszollstelle den Transport ankündigen; sofern der Verdacht einer beabsichtigten Zuwiderhandlung besteht, ist die zuständige Zollfahndungsstelle zu unterrichten.

Auch diese internen Dienstanweisungen dienen dem staatlichen Interesse an einer ordnungsmäßigen Amtsführung der Beamten und besagen nichts für die Frage, ob den Beamten der Klägerin gegenüber einem bürgenden Verband eine Amtspflicht zu rechtzeitigen Maßnahmen nach Art. 23, 38 TIR-Übereinkommen obliegt.

cc) Ob mögliche weitergehende Mitteilungspflichten, die über diejenigen in Art. 455 ZK-DVO hinausgehen, drittgerichteten Charakter haben (vgl. BGH, Urt. v. 7. Dezember 1995 - III ZR 141/94, WM 1996, 1015, 1017 f), kann ebenso offenbleiben wie die Frage, woraus diese Pflichten überhaupt hergeleitet werden könnten (vgl. BGHZ 87, 9, 18; 120, 184, 188). Keinesfalls reichen die aus einem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis herzuleitenden Amtspflichten weiter als Schutz- und Nebenpflichten aus einem zivilrechtlichen Bürgschaftsvertrag. Diese hat der Kläger nach dem von dem Beklagten behaupteten und unter Beweis gestellten zeitlichen Ablauf nicht verletzt.

Nach Nr. 6 der Bürgschaftserklärung vom 3. August 1993 ist der Kläger in erhöhtem Maße geschützt, wenn die Erledigungsbescheinigung mißbräuchlich oder betrügerisch erwirkt worden ist. In einem solchen Fall können die Beträge von dem Bürgen selbst dann verlangt werden, wenn ein Carnet TIR ohne Vorbehalt erledigt worden ist; im Falle der Nichterledigung oder nicht vorbehaltlosen Erledigung erhöhen sich die Fristen für die Mitteilung der Nichterledigung durch die Zollstellen von einem Jahr auf zwei Jahre (entsprechend Art. 11 Abs. 2 TIR-Übereinkommen). Die Bemessung dieser vertraglich vereinbarten Fristen - gerade auch in Mißbrauchsfällen - beeinflußt den dem Kläger bei Erfüllung vertraglicher Nebenpflichten zuzubilligenden Zeitraum in bezug auf vorausgegangene Mißbrauchsfälle. Auch dieser ist so lang zu bemessen, daß den der Klägerin nachgeordneten Zollbehörden - gerechnet von der sicheren Kenntniserlangung von dem Mißbrauchstatbestand - genügend Zeit zur Verfügung steht, um in einem geordneten Verfahren geeignete Maßnahmen vorzubereiten und umzusetzen. Müßte die Klägerin sofort handeln, liefen die der Klägerin in der Bürgschaftsurkunde eingeräumten, dem TIR-Übereinkommen entsprechenden Fristen bei wiederholtem Mißbrauch weitgehend leer. Wie lang dieser Zeitraum zu bemessen ist, kann offenbleiben. Jedenfalls war er Ende März 1994 noch nicht abgelaufen.

5. Die von der Revision nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist geltend gemachte Zahlungsverjährung (§§ 47, 228 AO), die zum Erlöschen des verbürgten Anspruchs geführt haben mag (§ 232 AO), kann im vorliegenden Fall im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden. Die Steuerschulden gegen F. wurden im Jahre 1994 festgesetzt und zugestellt. Die fünfjährige Verjährungsfrist begann somit gemäß § 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Jahres 1994 und war, falls kein Hemmungs- (§ 230 AO) oder Unterbrechungstatbestand (§ 231 AO) eingriff, Ende des Jahres 1999 vollendet. Diese neue Tatsache, die erst während des Revisionsverfahrens eingetreten ist, kann in das Revisionsurteil nur einfließen, wenn sie unstreitig ist und schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (vgl. BGHZ 104, 215, 221; 139, 214, 221; BGH, Urt. v. 10. Mai 1990 - IX ZR 246/89, WM 1990, 1642, 1643; v. 11. Juli 1996 - IX ZR 81/94, WM 1996, 1599, 1601). Im Streitfall sehen §§ 230, 231 Abs. 1 AO vielfache Möglichkeiten der Hemmung oder Unterbrechung der Verjährung vor, zu denen der Kläger in den Tatsacheninstanzen nicht vorzutragen brauchte, weil die jetzt geltend gemachte Zahlungsverjährung bei Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 26. März 1998 weder eingetreten war noch unmittelbar bevorstand. Der Kläger muß deshalb noch Gelegenheit erhalten, zu möglichen Hemmungs- oder Unterbrechungstatbeständen vorzutragen und gegebenenfalls Beweis anzubieten.

III.

Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F.), um diesem Gelegenheit zur Prüfung zu geben, ob die streitgegenständliche Transportware in Deutschland entladen worden und/oder, ob hinsichtlich der verbürgten Forderung die jetzt geltend gemachte Zahlungsverjährung eingetreten ist.

Ende der Entscheidung

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