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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.07.2002
Aktenzeichen: IX ZR 265/01
Rechtsgebiete: InsO, AO, HGB


Vorschriften:

InsO § 93
AO § 69
AO § 34
HGB § 161 Abs. 2
HGB § 128
a) Die Ermächtigung des Insolvenzverwalters nach § 93 InsO bezieht sich nur auf Ansprüche aus der gesetzlichen akzessorischen Gesellschafterhaftung.

b) § 93 InsO hindert die Finanzverwaltung nicht, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO aufgeführten Gesellschaft einen Anspruch aus §§ 69, 34 AO gegen den persönlich haftenden Gesellschafter der Schuldnerin geltend zu machen.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 265/01

Verkündet am: 4. Juli 2002

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Ganter und Raebel

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 21. September 2001 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Einzelrichters der 12. Zivilkammer des Landgerichts Lübeck wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem am 30. Juni 1999 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der H. M. KG. Die beklagte Bundesrepublik Deutschland hat am 4. Oktober 1999 durch das zuständige Finanzamt gegen den persönlich haftenden Gesellschafter der Schuldnerin einen Haftungsbescheid wegen Steueransprüchen gegen die KG in Höhe von 83.791,86 DM erlassen. Aufgrund des bestandskräftig gewordenen Haftungsbescheids hat die Beklagte die Eintragung einer Sicherungshypothek in Höhe von 84.575,74 DM auf dem hälftigen Miteigentumsanteil des persönlich haftenden Gesellschafters an einem Grundstück in L. erwirkt.

Der Kläger vertritt unter Hinweis auf § 93 InsO die Auffassung, das Finanzamt sei nicht berechtigt gewesen, die Steueransprüche gegen die Schuldnerin gegenüber dem persönlich haftenden Gesellschafter durchzusetzen. Er hat Klage auf Zustimmung zur Löschung der Sicherungshypothek erhoben. Die Beklagte hat den Haftungsbescheid teilweise widerrufen und im Laufe des Rechtsstreits dem Notar gegenüber die Löschungsbewilligung verbunden mit der Auflage erteilt, davon nur gegen Zahlung von 49.121,49 DM Gebrauch zu machen. Diesen Betrag hat die Beklagte im Zuge der Veräußerung des Grundstücks erhalten. Der Kläger hat daraufhin Auskehr dieses Betrages verlangt und nach Erhalt einer Teilzahlung von 6.567,08 DM die Hauptsache in diesem Umfang einseitig für erledigt erklärt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß zur Zahlung des streitig gebliebenen Betrages verurteilt. Mit der zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg; die Klage ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat der Klage mit folgenden Erwägungen stattgegeben: Gemäß § 93 InsO könne allein der Insolvenzverwalter den Gesellschafter wegen Insolvenzforderungen in Anspruch nehmen, für die dieser nach § 128 HGB einzustehen habe. Das gelte selbst dann, wenn der Anspruch daneben auf andere Rechtsgrundlagen gestützt werden könne. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung von § 93 InsO den Zweck verfolgt, aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung einen Wettlauf der Gläubiger um die Haftung der Gesellschafter zu verhindern. Aus dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergebe sich nicht, daß die alleinige Forderungszuständigkeit des Insolvenzverwalters entfalle, wenn die Haftung des Gesellschafters auch aus anderen Gründen als § 128 HGB durchgreife.

II.

Gegen diese Auffassung wendet sich die Revision mit Erfolg.

Wer als Dritter durch die von der Finanzbehörde getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen in seinen Rechten verletzt wird, kann gemäß der im wesentlichen mit § 771 ZPO übereinstimmenden Vorschrift des § 262 Abs. 1 Satz 1 AO dagegen mit der Klage vor den ordentlichen Gerichten vorgehen. Ist die Zwangsvollstreckung, wie im Streitfall, bereits beendet, kommt ein Bereicherungsanspruch gemäß § 812 BGB in Betracht (vgl. Zöller/Herget, ZPO 23. Aufl. § 771 Rn. 5). Dem Kläger steht jedoch aufgrund der Einziehungsbefugnis nach § 93 InsO kein solches Recht zu; denn die Wirkungen dieser Vorschrift erstrecken sich nicht auf den Anspruch, hinsichtlich dessen die Beklagte einen Haftungsbescheid gegen den persönlich haftenden Gesellschafter der Schuldnerin erlassen hat.

1. Nach dem vor Inkrafttreten der InsO geltenden Recht war eine Einbeziehung der Ansprüche gegen die unbeschränkt haftenden Gesellschafter in das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft nicht vorgesehen. Allein die Außenhaftung der Kommanditisten für ihre Einlageschuld konnte während des Insolvenzverfahrens ausschließlich vom Konkursverwalter geltend gemacht werden (§ 171 Abs. 2 HGB a.F.). Dem Vorbild jener Vorschrift folgend bezieht § 93 InsO nunmehr die Ansprüche wegen persönlicher Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft in das Insolvenzverfahren über das Vermögen dieser Gesellschaft in der Weise ein, daß diese Ansprüche während des Insolvenzverfahrens der alleinigen Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters unterliegen. Die persönliche Haftung der Gesellschafter soll ebenso wie die Haftung im Falle eines Gesamtschadens (§ 92 InsO) der Gesamtheit der Gläubiger zugute kommen. Im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger schließt § 93 InsO aus, daß sich einzelne Gläubiger durch schnelleren Zugriff auf das Gesellschaftervermögen Sondervorteile verschaffen (vgl. Begründung zu § 105 des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2443, S. 140; MünchKomm-InsO/Brandes, § 93 Rn. 14; Kübler/Prütting/Lüke, InsO § 93 Rn. 16).

2. Die Regelung des § 93 InsO betrifft jedoch nur den Bereich der gesetzlichen akzessorischen Haftung des Gesellschafters für gegen die Gesellschaft gerichtete Ansprüche, erfaßt also im Bereich der Kommanditgesellschaft nur dessen Verpflichtung gemäß §§ 161 Abs. 2, 128 ff, 176 HGB. Die Rechtswirkungen dieser neu eingefügten Vorschrift erstrecken sich nicht auf solche Ansprüche, die deshalb gegen die Gesellschafter bestehen, weil diese aus einem von den handelsrechtlichen Haftungsbestimmungen unabhängigen Rechtsgrund, insbesondere einer rechtlich selbständigen eigenen Verpflichtung, für die Verbindlichkeit der Gesellschaft einzustehen haben. Diese sowohl vom Bundesfinanzhof (ZIP 2002, 179, 180) als auch von der Mehrheit im Schrifttum (Blersch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzordnung § 93 Rn. 7; Kübler/Prütting/Lüke, aaO Rn. 18; MünchKomm-InsO/Brandes, aaO Rn. 21; Staub/Habersack, Großkommentar zum HGB 4. Aufl. § 128 Rn. 76, 80; Bitter ZInsO 2002, 557, 558 f; Haas/Müller NZI 2002, 366, 367; Fuchs ZIP 2000, 1089; Karsten Schmidt ZGR 1996, 209, 217 f; Schmidt/Bitter ZIP 2000, 1077, 1082; Theißen ZIP 1998, 1625 ff) vertretene Auffassung kann sich auf die Entstehungsgeschichte sowie den Inhalt und Zweck der gesetzlichen Regelung stützen. Die Argumente derjenigen, die demgegenüber - wie das Berufungsgericht - den Anwendungsbereich des § 93 InsO zum Schutz der Interessen der Gläubigergesamtheit ausdehnen wollen (Bork NZI 2002, 362, 366; Kesseler ZInsO 2002, 549, 554; Oepen, Massefremde Masse [1999] S. 147 ff; Pelz, Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der Insolvenz [1999] S. 84 ff; wohl auch HK-InsO/Eickmann, 2. Aufl. § 93 Rn. 3), hält der erkennende Senat nicht für tragfähig.

a) Die Vorschrift des § 171 Abs. 2 HGB bezieht sich allein auf die Ansprüche aus der gesetzlichen Außenhaftung der Kommanditisten. Als im Rahmen der Diskussion zur Reform des Insolvenzrechts Überlegungen einsetzten, die Einziehungsbefugnis des Verwalters auf die unbeschränkt haftenden Gesellschafter zu erweitern, wurde der Vorschlag unterbreitet, auch die Forderungen aus Bürgschaften und vergleichbaren persönlichen Verpflichtungen der Gesellschafter zur Masse zu ziehen (Karsten Schmidt, Verhandlungen des 54. Deutschen Juristentages, Gutachten D 47 f; vgl. auch ders. JZ 1985, 301, 303 f). Schon die Kommission für Insolvenzrecht hat sich intensiv mit der Frage einer Zuweisung von Mithaftungsansprüchen gegen die Gesellschafter an die Insolvenzmasse befaßt und die Auffassung vertreten, dies komme nur in Betracht, wenn ein Gesellschafter oder Organmitglied den Haftungstatbestand gegenüber allen Gesellschaftsgläubigern verwirklicht habe. Ansprüche einzelner Gläubiger, insbesondere aus rechtsgeschäftlicher Verpflichtung oder unerlaubter Handlung, hätten die Funktion, nur die Verluste des jeweiligen Anspruchsinhabers gegenüber der Gesellschaft auszugleichen, und könnten daher nicht der Insolvenzmasse zugeordnet werden (Bundesministerium der Justiz, Erster Bericht der Kommission für Insolvenzrecht 1985, Begründung zu Leitsatz 6.2, S. 446 ff). Die weitere Entwicklung der Gesetzgebung liefert keinen Hinweis dafür, daß später in Abweichung von jener Entschließung eine Erweiterung in dem von Karsten Schmidt ursprünglich vorgeschlagenen Umfang in Erwägung gezogen worden ist. Die Begründung des Regierungsentwurfs bezieht sich lediglich auf die §§ 128, 171 HGB und erwähnt eigenständige persönliche Haftungsverpflichtungen des Gesellschafters nicht. Da dem Gesetzgeber die rechtliche Problematik bekannt war, kann schon aus diesem Grunde der Begriff der persönlichen Haftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wie ihn § 93 InsO verwendet, nur in dem gemäß § 128 S. 1 HGB geltenden, allein die generelle gesetzliche Haftung betreffenden Sinne verstanden werden.

b) Dies erscheint auch systemgerecht. Die Einbeziehung von Haftungsansprüchen gegen Gesellschafter, deren Rechtsgrund außerhalb der §§ 128 ff, 161 ff HGB liegt, in den Geltungsbereich des § 93 InsO hätte zur Folge, daß solche persönlichen schuldrechtlichen Ansprüche gegen die Gesellschafter für den Gläubiger nahezu nutzlos wären. Bürgschaften und vergleichbare Verpflichtungen erweisen ihren Wert in der Regel erst dann, wenn der Hauptschuldner insolvent wird. Kann der Gläubiger den Gesellschafter während des Insolvenzverfahrens aus solchen persönlichen Verpflichtungen nicht in Anspruch nehmen, so steht er sich regelmäßig im wirtschaftlichen Ergebnis ebenso, wie wenn er sich mit der gesetzlichen Haftung begnügt hätte. Es ist anzunehmen, daß der Wille, persönliche Schuldverpflichtungen der Gesellschafter - entgegen dem bisher geltenden Recht - in solcher Weise zu entwerten, im Gesetz deutlich zum Ausdruck gebracht worden wäre, wenn der Gesetzgeber mit der nunmehr geltenden Regelung eine solche Wirkung bezweckt hätte. Anhaltspunkte dafür fehlen jedoch. Im Gegenteil bestimmt § 254 Abs. 2 Satz 1 InsO, daß nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans die Rechte der Insolvenzgläubiger gegen Mitschuldner und Bürgen des Schuldners durch den Plan nicht berührt werden, vielmehr ebenso zu behandeln sind wie Rechte an Gegenständen, die nicht zur Insolvenzmasse gehören. Für die Restschuldbefreiung enthält § 301 Abs. 2 InsO eine entsprechende Vorschrift. Dies macht zusätzlich deutlich, daß die durch § 93 InsO begründete Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters über die kraft gesetzlicher Akzessorietät entstehenden Haftungsansprüche nicht hinausgeht (ebenso Blersch, aaO; MünchKomm-InsO/Brandes, aaO Rn. 1; Schmidt/Bitter, aaO).

c) Aus Gründen der Gläubigergleichbehandlung mag es wünschenswert sein, im eröffneten Insolvenzverfahren auch die aus einer persönlichen Verpflichtung des Gesellschafters herrührenden Haftungsansprüche der alleinigen Einziehungsbefugnis des Verwalters zu unterstellen. Es trifft auch zu, daß die Gesellschaftsgläubiger ohne eine solche Übertragung die Möglichkeit haben, durch persönliche Vereinbarungen mit den Gesellschaftern die Wirkungen des § 93 InsO zu umgehen. Das rechtfertigt jedoch keine ausdehnende Anwendung der Vorschrift im Wege der Analogie - mit der Folge eines beträchtlichen Eingriffs in die der Privatautonomie unterstehenden Möglichkeit, Sicherungsgeschäfte abzuschließen -, weil die gesetzliche Regelung unter keinem Gesichtspunkt eine planwidrige Lücke enthält.

3. Der Anspruch, der hier durch die Eintragung der Sicherungshypothek gesichert wurde, beruht auf dem von § 161 Abs. 2 i.V.m. § 128 HGB unabhängigen Rechtsgrund der §§ 34, 69 AO. Die Geschäftsführer einer Kommanditgesellschaft haben deren steuerliche Pflicht zu erfüllen; gibt es keinen Geschäftsführer, trifft diese Verpflichtung die persönlich haftenden Gesellschafter (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 AO). Diese Personen haften gemäß § 69 AO, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht ausgeglichen werden. Dabei handelt es sich um einen eigenständigen abgabenrechtlichen Haftungstatbestand, der besondere, den handelsrechtlichen Normen fremde Merkmale - vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung steuerrechtlicher Pflichten - enthält und auch inhaltlich abweichend ausgestaltet ist, weil im Verhältnis zu anderen Gesellschaftsverbindlichkeiten der Grundsatz der anteiligen Tilgung gilt (vgl. dazu Klein/Rüsken, AO 7. Aufl. § 69 Rn. 23 ff). Da § 69 AO somit gerade nicht eine lediglich verfahrensrechtliche Regelung enthält, kann die Durchsetzung des aus dieser Vorschrift folgenden Anspruchs - entgegen einer vereinzelt vertretenen Auffassung (Kling ZIP 2002, 881, 882 f) - nicht mit Erwägungen zur Konkurrenz von Insolvenz- und Steuerrecht ausgeschlossen werden. Wegen der Besonderheiten des steuerrechtlichen Anspruchs verneint selbst ein Teil derjenigen Vertreter des Schrifttums, die eine analoge Anwendung des § 93 InsO auf Bürgschaften befürworten, die Einziehungsbefugnis des Insolvenzverwalters; denn der bei vertraglichen Vereinbarungen bedeutsame Umgehungsgedanke greift hier nicht durch (vgl. Oepen ZInsO 2002, 162, 169 f).

III.

Da die auf §§ 69, 34 AO gestützte Haftung eine Sonderverbindung zwischen der Beklagten und dem persönlich haftenden Gesellschafter der Schuldnerin begründet, ist die Eintragung der Sicherungshypothek rechtmäßig erfolgt. Die Beklagte hat den zur Ablösung dieses Rechts geleisteten Betrag nicht ohne Rechtsgrund erhalten. Folglich hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden und das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederherzustellen.

Ende der Entscheidung

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