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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 30.11.2000
Aktenzeichen: IX ZR 276/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 765; VOB/B § 16 Nr. 6

Verspricht der Auftraggeber einem Nachunternehmer, der sich wegen Zahlungsverzugs des Hauptauftragnehmers an ihn gewandt hat, er werde "von seinen Rechten gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B Gebrauch machen", so übernimmt er allein damit noch keine Bürgschaft.

BGH, Urteil vom 30. November 2000 - IX ZR 276/99 - KG Berlin LG Berlin


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 276/99

Verkündet am: 30. November 2000

Preuß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Zugehör und Dr. Ganter

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 21. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 15. Juni 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Berlin , Kammer für Handelssachen 105, vom 8. Dezember 1997 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelzüge fallen der Klägerin zur Last.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin führte im Jahre 1996 als Nachunternehmerin der V. H. GmbH (im folgenden: V. oder Hauptauftragnehmerin) an Bauvorhaben der Beklagten Fliesenarbeiten durch.

Weil V. auf Zwischenrechnungen der Klägerin zögerlich zahlte, wandte sich diese zwischen Mai und Oktober 1996 mehrfach telefonisch an die Beklagte. Der Inhalt dieser Gespräche ist streitig. Mit Schreiben vom 17. Oktober 1996 bat die Klägerin die Beklagte, nach § 16 Nr. 6 VOB/B vorzugehen. Am 7. November 1996 kam es deswegen zu einer Besprechung zwischen Vertretern der Parteien und der Hauptauftragnehmerin. Gegenstand der Besprechung war insbesondere die seinerzeit vorliegende sechste Zwischenrechnung der Klägerin. V. hatte diese geprüft und etliche Kürzungen vorgenommen. Unter Berücksichtigung dieser Kürzungen erstellte die Klägerin die Schlußrechnung vom 13. November 1996. Mit Anwaltsschreiben vom 26. November 1996 forderte sie die Beklagte vergeblich zur Zahlung des sich aus der Schlußrechnung ergebenden Betrages auf. Am 28. November 1996 wurde über das Vermögen der Hauptauftragnehmerin ein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet. Mit Beschluß vom 7. April 1997 wurde die Gesamtvollstreckung eröffnet. Der Verwalter hat inzwischen die Massearmut erklärt.

Die Klägerin hat Klage auf Zahlung von 232.690,47 DM erhoben mit der Behauptung, die Beklagte habe zugesichert, sie werde von § 16 Nr. 6 VOB/B gegenüber der Hauptauftragnehmerin Gebrauch machen und die klägerischen Forderungen direkt begleichen. Nur im Hinblick auf diese Zusage habe sie, die Klägerin, von ihrer Absicht, die Arbeiten einzustellen, zunächst Abstand genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr - nach Beweisaufnahme - zum überwiegenden Teil stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet.

Die Beklagte habe gegenüber der Klägerin im Verlaufe der Telefongespräche zwischen Mai und Oktober 1996 eine Bürgschaft für die Erfüllung des der Klägerin gegenüber V. zustehenden Werklohnanspruchs übernommen. Das stehe aufgrund der Aussage der Zeugin Sch. (Ehefrau des Geschäftsführers der Klägerin) fest. Danach habe die Zeugin N. von der Projektleitung der Beklagten telefonisch erklärt, diese werde, falls V. dies nicht tue, selbst zahlen. Diese Erklärung sei nicht mit dem Vorbehalt verbunden gewesen, daß die Zahlung nur aus einem Guthaben V.s bei der Beklagten erfolge. Da die Parteien Kaufleute seien, habe der Bürgschaftsvertrag formlos abgeschlossen werden können (§ 350 HGB).

II.

Das hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Der Vortrag der Klägerin rechtfertigt auch unter Einbeziehung der Aussage der Zeugin Sch. nicht die Annahme, daß sich die Beklagte für die Werklohnforderung der Klägerin verbürgt hat.

a) Ursprünglich hat die Klägerin behauptet, Frau N. von der "Projektleitung Neubau" der Beklagten habe der Klägerin "zugesichert", sie brauche sich keine Gedanken zu machen, da die Beklagte beabsichtige, von den Rechten gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B Gebrauch zu machen; sie werde die an V. zu leistenden Zahlungen zurückhalten und direkt an die Klägerin zahlen.

Erklärt der Bauherr, er wolle "von den Rechten gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B Gebrauch machen", so erteilt er damit gerade keine Bürgschaft. Nach der genannten Vorschrift ist der Auftraggeber berechtigt, zur Erfüllung seiner Zahlungsverpflichtungen aus § 16 Nr. 1 bis 5 VOB/B mit befreiender Wirkung gegenüber dem Auftragnehmer an dessen im einzelnen bezeichneten Gläubiger (Drittgläubiger) zu leisten, wenn der Auftragnehmer in Zahlungsverzug gekommen ist. Nach allgemeiner Auffassung ist es dem Auftraggeber erlaubt, auf jede Forderung des Drittgläubigers zu zahlen. Im allgemeinen trifft ihn keine Verpflichtung hierzu (BGHZ 142, 72, 74; BGH, Urt. v. 19. Mai 1994 - VII ZR 124/93, NJW-RR 1994, 1044; v. 3. Dezember 1998 - VII ZR 341/96, NJW 1999, 1331, 1332; vgl. auch BGHZ 111, 394, 397 f.). Allerdings kann sich der Auftraggeber durch Vereinbarung mit dem Drittgläubiger dazu verpflichten, "von seinen Rechten gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B Gebrauch zu machen", d.h. den Drittgläubiger aus Mitteln zu befriedigen, die an sich zur Begleichung der Schuld gegenüber dem Auftragnehmer benötigt werden (zur Zulässigkeit einer solchen Vereinbarung vgl. Ingenstau/Korbion, VOB 13. Aufl. § 16 VOB/B Rdnr. 319). Eine Bürgschaft ist dies aber nicht. Bei einer solchen verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger, für die Erfüllung der Verbindlichkeit eines Dritten einzustehen (§ 765 Abs. 1 BGB), und zwar mit dem eigenen freien Vermögen, unabhängig davon, ob der Dritte gegen den Bürgen eine gleichartige Forderung hat. Eigene - freie - Mittel wollte die Beklagte aber nicht einsetzen, wenn sie lediglich die an V. zu leistenden Zahlungen zurückzuhalten und diese direkt an die Klägerin zu leiten versprach.

Mit Schriftsatz vom 28. April 1999 hat die Klägerin ihren Vortrag dahin "ergänzt", daß Frau N. gesagt habe, die Klägerin solle sich "keine Sorgen machen"; die Beklagte würde "dafür sorgen, daß die Klägerin zu ihrem Geld komme". In bezug auf den Auftragnehmer habe Frau N. gesagt, "wenn der nicht zahlt, zahlen wir". Dieser Vortrag, für sich genommen, hätte zwar für die Annahme einer Bürgschaft schlüssig sein können. Die Klägerin hat indes im gleichen Schriftsatz ihr früheres Vorbringen wiederholt, Frau N. habe erklärt, daß "man einen Teil der Mittel, die für die Rechnungen ... V. ... bereitgestellt würden, einbehalten würde, um die Klägerin zu befriedigen". Ferner hat die Klägerin auf ihr Schreiben vom 17. Oktober 1996 Bezug genommen. Darin hat sie die Beklagte gebeten, "nach § 16 Nr. 6 VOB/B zu verfahren". Das wirkt sich zugleich auf das Verständnis der behaupteten Zahlungszusage der Frau N. aus. Diese ist nicht isoliert, sondern in Zusammenhang mit den übrigen Verhandlungserklärungen zu verstehen.

b) Legt man die Aussage der Zeugin Sch. zugrunde, ergibt sich kein anderes Bild. Die Zeugin hat bekundet, Frau N. habe in mehreren Telefonaten zwischen Mai und Oktober 1996 erklärt, die Beklagte werde dafür sorgen, daß die Klägerin ihr Geld bekomme, wenn V. nicht zahle. Insoweit würden der Bezahlung V.s dienende Mittel zurückgehalten werden. Dies entsprach dem Vortrag der Klägerin und war somit - wie oben unter a) ausgeführt - für die Annahme einer Bürgschaft nicht ausreichend.

Die Zeugin hat allerdings ein Gespräch, das Mitte oder Ende Oktober 1996 stattgefunden haben soll, besonders hervorgehoben. Dabei habe Frau N. gesagt, daß die Beklagte zahlen werde, wenn V. nicht zahle. Diese Aussage hatte das Berufungsgericht dahin verstanden, die Erklärung der Frau N. sei "nicht mit dem Vorbehalt verbunden (gewesen), nur aus einem Guthaben gegenüber der Hauptauftragnehmerin (V.) zahlen zu wollen, was allein auf ein Vorgehen nach § 16 Nr. 6 VOB/B hingedeutet hätte".

Diese Würdigung ist - wie die Revision mit Recht rügt - rechtsfehlerhaft. Das Berufungsgericht hat die Doppeldeutigkeit dieser Aussage verkannt, die genausogut dahin verstanden werden kann, daß die Beklagte lediglich nach § 16 Nr. 6 VOB/B hat vorgehen wollen. Zum einen hat die Zeugin eingangs bemerkt, für sie habe zwischen der Erklärung der Frau N., die Klägerin werde ihr Geld bekommen, falls V. nicht zahle, und der weiteren Erklärung, das Geld zur Bezahlung der Klägerin werde von den V.-Rechnungen einbehalten werden, "kein inhaltlicher Unterschied" bestanden. Mit dieser Bemerkung hätte sich das Berufungsgericht auseinandersetzen müssen, weil sie den Schluß erlaubte, Frau N. habe eben doch nur eine Zahlung "aus dem Guthaben" V.s versprochen. Zum zweiten hat die Zeugin angegeben, Frau Niemeck habe, als sie erklärt habe, die Beklagte werde notfalls anstelle von V. zahlen, darauf hingewiesen, daß man "dann allerdings etwas Schriftliches benötige". Was damit gemeint war und ob die Beklagte "das Benötigte" erhalten hat, hat das Berufungsgericht nicht geprüft.

2. Erlauben der Vortrag der Klägerin und die hierzu getroffenen Feststellungen schon nicht die Annahme, die Beklagte habe sich für die streitbefangene Werklohnforderung verbürgt, so scheiden erst recht ein Schuldbeitritt (vgl. BGH, Urt. v. 19. Mai 1994 - VII ZR 124/93, aaO; v. 3. Dezember 1998 - VII ZR 341/96, aaO; OLG Hamm NJW 1993, 2625 f) und eine Garantie (vgl. BGH, Urt. v. 22. Februar 1962 - VII ZR 262/60, WM 1962, 576, 577) aus.

III.

Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO). Falls sich die Beklagte der Klägerin gegenüber verpflichtet haben sollte, "von ihren Rechten gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B Gebrauch zu machen", konnte sich aus einer schuldhaften Verletzung dieser Pflicht zwar ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus culpa in contrahendo ergeben. Die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs hat aber - mit Recht - bereits das Landgericht verneint. Es hat darauf hingewiesen, eine Verpflichtung, gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B vorzugehen, hätte die Mitwirkung der Klägerin vorausgesetzt. Zumindest hätte diese die Beklagte über den Umfang der erhobenen und noch offenen Ansprüche gegen V. informieren müssen. Dies habe sie unterlassen. Dagegen ist in den Rechtsmittelinstanzen nichts vorgebracht worden. Es ist vielmehr unstreitig, daß die Klägerin die Zwischenrechnungen nur an V. und nicht auch an die Beklagte geschickt hat. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, die erste Aufforderung der Beklagten zur Zahlung des eingeklagten Betrages sei unter dem 26. November 1996 mit einer Fristsetzung von zwei Wochen erfolgt. Zu diesem Zeitpunkt sei die Prüfungsfrist für die Schlußrechnung vom 16. November 1996 noch nicht abgelaufen gewesen. Das Schreiben vom 26. November 1996 ist der Beklagten nach ihrer unwidersprochenen Behauptung am 28. November 1996 zugegangen. An demselben Tage ordnete das Gesamtvollstreckungsgericht über das Vermögen der Hauptauftragnehmerin ein allgemeines Verfügungsverbot an. Da die Beklagte danach nicht mehr gemäß § 16 Nr. 6 VOB/B mit befreiender Wirkung an die Klägerin zahlen konnte (vgl. BGHZ 142, 72, 75), scheidet eine schuldhafte Pflichtverletzung aus.

IV.

Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Gemäß den Ausführungen II 1, 2 und III ist die Sache entscheidungsreif. Die Klage ist abzuweisen (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).



Ende der Entscheidung

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