Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.09.1998
Aktenzeichen: IX ZR 371/97
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 765
BGB § 777
BGB § 633 Abs. 2
BGB § 640
BGB § 387
BGB § 242 Cd
BGB §§ 765, 777, 633 Abs. 2, 640

Ist in einer zur Sicherung der Erfüllungsansprüche aus einem Werkvertrag erteilten Bürgschaft vereinbart worden, daß die Verpflichtungen des Bürgen mit der Abnahme, spätestens jedoch dann erlöschen, wenn er nicht bis zu einem bestimmten Endtermin in Anspruch genommen worden ist, so entfallen die Rechte des Gläubigers, der die Bürgenleistung fristgemäß und zu Recht angefordert hat, nicht schon dadurch, daß er später das Werk abnimmt.

BGB §§ 765, 387, 242 Cd

a) Hat der Gläubiger die Leistung aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern materiell zu Unrecht in Anspruch genommen und der Hauptschuldner dem Bürgen dessen Aufwendungen erstattet, so steht dem Hauptschuldner aus der Sicherungsabrede mit dem Gläubiger ein eigener Rückforderungsanspruch zu.

b) Die Sicherungsabrede über die Gewährung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist im allgemeinen so auszulegen, daß der Gläubiger gegenüber dem eigenen Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners nicht mit streitigen Forderungen aufrechnen darf, die durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern nicht gedeckt sind.

c) Das Aufrechnungsverbot aus der Sicherungsabrede zwischen Gläubiger und Hauptschuldner greift nicht durch, soweit dem Gläubiger dadurch ein Nachteil entstanden ist, daß der Hauptschuldner eine weitere vertraglich geschuldete Sicherheit nicht erbracht hat.

BGH, Urt. v. 24. September 1998 - IX ZR 371/97 - OLG Düsseldorf LG Wuppertal


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 371/97

Verkündet am: 24. September 1998

Bürk Justizhauptsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Paulusch und die Richter Dr. Kreft, Stodolkowitz, Kirchhof und Dr. Fischer

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. Oktober 1997 und das Teilurteil der 5. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Wuppertal vom 22. Januar 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Durch Vertrag vom 15. Juni 1993 beauftragte die Beklagte die Klägerin mit der Lieferung und Montage eines Lagerverwaltungssystems zum Preis von 1,75 Mio DM zuzüglich Mehrwertsteuer. Die Klägerin hatte verschiedene Bürgschaften zu stellen, darunter am 1. Oktober 1993 eine Fertigstellungsbürgschaft in Höhe von 30 % der Auftragssumme, die zeitlich begrenzt bis zum Übergabetermin, spätestens bis zum 5. März 1994, gelten sollte. Die Beklagte erhielt fristgerecht eine Bürgschaft der S. AG (fortan: S.-Bank) in Höhe von 619.620,72 DM "für die Ausführung der dem Auftragnehmer übertragenen Lieferungen/Leistungen". Weiter heißt es in der Urkunde:

3. Die Verpflichtungen der Bank aus dieser Bürgschaft erlöschen mit der Abnahme der vereinbarten Lieferung/Leistung oder mit der Rückgabe dieser Bürgschaftsurkunde, spätestens jedoch - insoweit abweichend von § 777 BGB -, wenn die Bank nicht bis zum 5. März 1994 aus dieser Bürgschaft in Anspruch genommen worden ist.

Darüber hinaus bestätigte die S.-Bank der Beklagten, sie werde auf erstes schriftliches Anfordern zahlen, sofern die Beklagte ihr mitteile, daß die Klägerin ihren vertraglichen Pflichten nicht nachgekommen sei; der in der Bürgschaftsurkunde enthaltene Haftungsausschluß betreffend Ansprüche auf fristgerechte Erfüllung der Mängelgewährleistung sei gegenstandslos.

Der in der Bürgschaft angegebene Endtermin wurde auf Bitten der Beklagten mehrfach verschoben, zuletzt bis zum 21. Dezember 1994. Am 12. September 1994 schlossen die Parteien eine Vereinbarung zur Bereinigung aufgetretener Meinungsverschiedenheiten. Auch in der Folgezeit beanstandete die Beklagte verschiedene von der Klägerin erbrachte Leistungen. Als ihrer Bitte, den Endtermin der Bürgschaft erneut zu verschieben, nicht entsprochen wurde, forderte sie bei der S.-Bank die Bürgschaftssumme am 21. Dezember 1994 an und erhielt sie ausbezahlt.

Im Januar 1995 wurde der als Voraussetzung einer Abnahme vereinbarte Test der Anlage durchgeführt. In dem darüber aufgenommenen Protokoll heißt es:

Die Anlage ist somit betriebsbereit, bis auf die in der Anlage 1 vom 23.01.1995 aufgeführten Mängel und den damit verbundenen Funktionsbeeinträchtigungen.

Der Anwalt der Beklagten bestätigte mit Schreiben vom 7. Februar 1995, daß die Anlage abgenommen sei.

Die S.-Bank belastete die Klägerin mit dem Bürgschaftsbetrag. Diese nimmt die Beklagte auf Rückzahlung der erhaltenen Leistung in Anspruch und verlangt zusätzlich restlichen Werklohn von 139.676,24 DM. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin die gerügten Mängel ordnungsgemäß beseitigt hat und etwa insoweit noch bestehende Ansprüche von der Bürgschaft gedeckt sind. Die Beklagte hat die Leistung der Klägerin in zahlreichen Punkten beanstandet und vorsorglich mit Gegenforderungen aufgerechnet sowie ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht. Das Landgericht hat durch Teilurteil dem auf Rückzahlung der Bürgschaftssumme gerichteten Anspruch stattgegeben, das Oberlandesgericht die dagegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt die Beklagte weiterhin Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte müsse der Klägerin den aus der Bürgschaft erhaltenen Betrag erstatten, und hat dies wie folgt begründet:

Vereinbart und geleistet worden sei eine Vertragserfüllungsbürgschaft. Diese sichere nicht nur Rechtzeitigkeit und Vollständigkeit der Werkleistung, sondern auch etwaige Mängelrechte des Auftraggebers. Die Verpflichtungen aus der Bürgschaft seien jedoch mit der Abnahme des Werks am 23. Januar 1995 erloschen; das ergebe sich eindeutig aus dem Wortlaut der Bürgschaftsurkunde. Wegen des durch die Abnahme bedingten Wegfalls des Sicherungszwecks sei die Beklagte verpflichtet, die Bürgschaftssumme zu erstatten.

Dieser Anspruch sei nicht durch die Aufrechnung der Beklagten erloschen. Aus dem Zweck der Bürgschaft, lediglich die Ausführung des Werks bis zur Abnahme zu gewährleisten, folge, daß eine Aufrechnung stillschweigend ausgeschlossen sei. Der Beklagten stehe auch kein Zurückbehaltungsrecht zu, weil sie verpflichtet gewesen sei, die Erfüllungsbürgschaft zurückzugeben, bevor ihr die Klägerin eine Gewährleistungsbürgschaft zur Ablösung des Sicherungseinbehalts habe aushändigen müssen.

II.

Diese Erwägungen halten in wesentlichen Punkten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Berufungsgericht hat die von der S.-Bank am 30. September 1993 erteilte Erklärung zutreffend als Erfüllungsbürgschaft gewertet. Die Bank hat dort die Haftung für die Ausführung der dem Auftragnehmer übertragenen Lieferungen/Leistungen übernommen. Eine derartige Bezeichnung der Leistungspflicht deutet in aller Regel auf eine Erfüllungsbürgschaft hin (BGH, Urt. v. 17. Dezember 1987 - IX ZR 263/86, NJW 1988, 907; Schmitz, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch Band II § 91 Rdnr. 152). Die Auslegung des Berufungsgerichts stimmt zudem im Ergebnis überein mit der mündlichen Einigung der Parteien vor Abschluß des Vertrages, wie sie in dem Besuchsbericht des Angestellten der Klägerin L. vom 18. Mai 1993 niedergelegt ist. Danach hat die Klägerin sich damit einverstanden erklärt, eine "Vertragserfüllungsgarantie" in Höhe von 30 % des Lieferumfangs zu stellen. Die in Ziff. 27 des Vertrages vom 15. Juni 1993 eingegangene Verpflichtung, bis zum 1. Oktober 1993 eine Fertigstellungsbürgschaft in Höhe von 30 % der Auftragssumme, zeitlich begrenzt bis zum Übergabetermin, beizubringen, bezog sich damit auf eine Vertragserfüllungsbürgschaft und wurde durch die Erklärung der S.-Bank vom 30. September 1993 realisiert.

2. Hat die Beklagte zu Unrecht die Bürgin in Anspruch genommen, steht der Klägerin, die ihrerseits von der Bank belastet worden ist, ein eigener Rückforderungsanspruch zu. Aus Inhalt und Zweck der Sicherungsabrede folgt die Verpflichtung des Gläubigers, die Sicherung zurückzugewähren, sobald feststeht, daß der Sicherungsfall nicht mehr eintreten kann (vgl. BGHZ 124, 371, 375 ff; 124, 380, 384 ff; BGH, Beschl. v. 27. November 1997 - GSZ 1 u. 2/97, ZIP 1998, 235, 237, z.V.b. in BGHZ 137, 212). Hat die Beklagte die ihr als Sicherheit geleistete Bürgschaft zu Unrecht verwertet, hat sie folglich der Klägerin, die ihrerseits die Bürgin befriedigt hat, die erhaltene Zahlung zu erstatten.

3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, das Klagebegehren sei insoweit schon deshalb begründet, weil von der Bürgschaft gedeckte Forderungen der Beklagten infolge der Abnahme der Sache erloschen seien, beruht jedoch auf einem rechtlich unzutreffenden Verständnis der in Ziffer 3 der Bürgschaft zur Vertragsbeendigung enthaltenen Klausel.

a) Die Vertragserfüllungsbürgschaft ist als Zeitbürgschaft (§ 777 BGB) erteilt worden; denn die S.-Bank hat die Verpflichtung daraus zeitlich begrenzt übernommen. Die Haftung der Bank unterscheidet sich von der gesetzlich vorgesehenen Form der Zeitbürgschaft nur dadurch, daß die Bürgin schon dann frei wird, wenn der Gläubiger sie nicht bis zu dem festgelegten Endtermin in Anspruch genommen hat. Deshalb erwähnt die Bürgschaftsurkunde in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Vorschrift des § 777 BGB. Die Haftung aus einer derartigen Zeitbürgschaft beschränkt sich auf solche Forderungen, die spätestens bis zum Ende der Bürgschaftszeit fällig geworden sind. Hat der Gläubiger dem Bürgen fristgerecht angezeigt, er nehme ihn in Anspruch, so hat er sich damit diese Rechte aus der Bürgschaft gesichert (BGHZ 91, 349; BGH, Urt. v. 21. März 1989 - IX ZR 82/88, ZIP 1989, 627). Die Beklagte hat die Bürgin innerhalb der letztmals bis zum 21. Dezember 1994 verlängerten Frist zur Leistung aufgefordert.

b) Im Rahmen der so zu bestimmenden Leistungspflicht haben die Parteien des Bürgschaftsvertrages der Abnahme nicht die Funktion zugewiesen, das Erlöschen aller bis dahin schon fällig gewordenen Ansprüche zu bewirken. Vielmehr hat die Abnahme insoweit lediglich die Bedeutung eines im Verhältnis zu dem datumsmäßig bestimmten Tag alternativen Endtermins.

Dies geht schon aus dem Wortlaut von Ziffer 3 der Bürgschaftsurkunde hervor. Diese Bestimmung befaßt sich allein mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Verpflichtungen aus der Bürgschaft enden, und nennt dafür drei Ereignisse: die Abnahme, die Rückgabe der Bürgschaftsurkunde, den Ablauf des vorgesehenen Endtermins. Sobald eine dieser drei Voraussetzungen erfüllt war, sollte die Haftungsperiode, die die Zeitbürgschaft abzudecken hatte, beendet sein. Die Gläubigerin konnte die Bürgin nur wegen solcher Ansprüche haftbar machen, die bei Eintritt einer dieser Voraussetzungen schon fällig waren, und mußte der Bürgin bis dahin die Inanspruchnahme angezeigt haben. Eine solche Regelung entspricht dem Sinn und Zweck der von der Bürgin übernommenen Verpflichtung. Für die mit der Abnahme beginnende Garantielaufzeit war in Ziffer 27 des Vertrages der Parteien eine Gewährleistungsbürgschaft vorgesehen, die die während dieses Zeitraums fällig werdenden Gewährleistungsrechte sichern sollte. Aus diesem Grunde begrenzten die Parteien die Fertigstellungsbürgschaft "bis zum Übergabetermin", also der Abnahme des von der Klägerin zu erstellenden Werks.

Weder die Bürgschaftsurkunde noch die schriftlichen Vereinbarungen der Parteien oder ihr Prozeßvortrag liefern einen Hinweis dafür, daß der Abnahme eine über die oben beschriebene Bedeutung hinausgehende Wirkung nach dem Willen der Parteien zukommen sollte. Hätte es den gemeinsamen Vorstellungen der Beklagten und der Bürgin entsprochen, die Haftung der S.-Bank allein infolge der Abnahme entfallen zu lassen, obwohl der Gläubiger zu diesem Zeitpunkt die Bürgin fristgerecht in Anspruch genommen hatte und fällige Mängelbeseitigungsansprüche besaß, so hätte es nahegelegen, dies ausdrücklich zu regeln; denn eine solche Rechtsfolge widerspricht dem typischen Inhalt einer als Zeitbürgschaft gegebenen Erfüllungsbürgschaft. Diese bezweckt gerade bei fristgerechter Inanspruchnahme eine umfassende und bleibende Sicherung des Gläubigers für während ihrer Geltung fällig gewordene vertragliche Ansprüche (vgl. BGH, Urt. v. 9. Dezember 1976 - VII ZR 68/75, WM 1977, 290; v. 21. März 1989, S. 628). Ohne eine entsprechende Klarstellung war für die Beklagte eine Wirkung der Abnahme, wie sie das Berufungsgericht der Bürgschaft entnehmen will - wodurch die Interessen des Bürgschaftsgläubigers erheblich beeinträchtigt würden -, aus dem von der Bürgin entworfenen Vertragstext nicht zu ersehen.

Die Auslegung des Berufungsgerichts, die die vorstehend aufgezeigten Gesichtspunkte nicht beachtet hat, ist daher für den Senat nicht bindend. Da es insoweit keiner weiteren tatsächlichen Feststellungen bedarf, kann der Senat die Auslegung selbst vornehmen. Nichts deutet darauf hin, daß die Erfüllungsbürgschaft nach dem Willen der Parteien wesentlich von dem im Geschäftsverkehr allgemein üblichen Sinn und Zweck einer solchen Verpflichtung abweichen sollte. Entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Auffassung enthält auch die von den Parteien am 12. September 1994 getroffene Vereinbarung keine entsprechende Regelung. Sie diente lediglich dazu, die bis dahin aufgetretenen Meinungsverschiedenheiten auszuräumen. Dagegen wurden, soweit es um die hier behaupteten Ansprüche geht, die Rechte der Beklagten aus der Bürgschaft nicht eingeschränkt. Diese ist in dem Sinne auszulegen, daß der Beklagten die Ansprüche erhalten blieben, die bei Inanspruchnahme der Bürgin am 21. Dezember 1994 gegenüber der Klägerin bereits fällig waren, soweit diese Rechte später nicht kraft Gesetzes oder einer nachträglich getroffenen Vereinbarung entfallen sind.

c) Nach dem Vorbringen der Beklagten, zu dem das Berufungsgericht keine entgegenstehenden Feststellungen getroffen hat und das demnach der revisionsrechtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist, standen ihr im maßgeblichen Zeitpunkt fällige Mängelbeseitigungsansprüche (§ 633 Abs. 2 Satz 1 BGB) gegen die Klägerin zu. Diese sind durch die Abnahme nicht entfallen; sie beschränken sich nunmehr lediglich auf das abgenommene Werk. Die höchstrichterliche Rechtsprechung bezeichnet sie als modifizierte Erfüllungsansprüche, die infolgedessen auch dazu berechtigen, die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach § 320 BGB zu erheben (BGHZ 61, 42, 45; 96, 111, 116, 118). Das Mängelbeseitigungsrecht besteht also nach der Abnahme fort. Damit entzieht das Gesetz dem Auftraggeber mit der Abnahme nicht den Schutz, den er aufgrund einer Erfüllungsbürgschaft bereits für die vorher fällig gewordenen Nachbesserungsansprüche erworben hat.

d) Die Beklagte hat somit die Bürgschaft zu Recht in Anspruch genommen, soweit ihr schon damals fällige Ansprüche auf Mängelbeseitigung (Nachbesserung) zustanden. Maßgeblich sind insoweit die voraussichtlichen Kosten der Mängelbeseitigung; denn die Haftung des Erfüllungsbürgen erstreckt sich auch auf Zahlung des dafür benötigten Vorschusses (BGH, Urt. v. 5. April 1984 - VII ZR 167/83, NJW 1984, 2456; v. 27. Februar 1992 - IX ZR 57/91, ZIP 1992, 466, 467). Diese Ansprüche bedürfen nach Grund und Höhe noch der tatrichterlichen Feststellung.

4. Der Anspruch, über den das Landgericht durch Teilurteil erkannt hat, ist selbst dann nicht im Sinne der Klage entscheidungsreif, wenn die Beklagte am 21. Dezember 1994 keine fälligen Erfüllungsansprüche besaß, die Bürgschaft also objektiv zu Unrecht in Anspruch genommen hat. In diesem Falle kommt die erklärte Aufrechnung mit Gegenforderungen, die in den Vertragsbeziehungen der Parteien begründet sind, in Betracht. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist eine solche Aufrechnung nach dem bisherigen Sach- und Streitstand nicht ausgeschlossen.

a) Allerdings ist einer Partei die Aufrechnung über die gesetzlich oder vertraglich ausdrücklich geregelten Fälle hinaus versagt, wenn dies nach dem besonderen Inhalt des zwischen den Parteien begründeten Schuldverhältnisses als stillschweigend vereinbart angesehen werden muß (§ 157 BGB) oder die Natur der Rechtsbeziehung oder der Zweck der geschuldeten Leistung eine Erfüllung im Wege der Aufrechnung als mit Treu und Glauben unvereinbar erscheinen lassen (BGHZ 95, 109, 113; 113, 90, 93; BGH, Urt. v. 4. März 1993 - IX ZR 151/92, ZIP 1993, 602, 604). Der Senat hat es demgemäß einem Sicherungsnehmer, welcher eine ihm zur Sicherung übereignete Sache verwertet hatte, versagt, gegenüber dem Anspruch auf Auskehrung des Mehrerlöses mit anderen, ungesicherten Forderungen aufzurechnen, weil er auf diese Weise die ursprüngliche Sicherungsabrede in ihrer Wirkung durch einseitige Erklärung erweitern würde (Urt. v. 14. Juli 1994 - IX ZR 110/93, NJW 1994, 2885, 2886).

Entsprechende Erwägungen gewinnen erst recht Bedeutung bei einer Bürgschaft auf erstes Anfordern wegen der besonderen Funktion dieses Rechtsinstituts, das Einwendungen gegen die Hauptforderung im Erstprozeß grundsätzlich ausschließt und sich deshalb für Bürgen und Hauptschuldner als besonders risikoreich erweist. Könnte der Gläubiger, der sich aus der Sicherung zu Unrecht befriedigt hat, dem deshalb begründeten Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners aus der Sicherungsabrede solche Forderungen entgegenhalten, die nicht durch die Bürgschaft auf erstes Anfordern gedeckt sind, stände ihm dieses Sicherungsmittel im wirtschaftlichen Ergebnis zur Befriedigung aller Ansprüche gegen den Hauptschuldner zur Verfügung. Die materiell unberechtigte Anforderung der Bürgschaft auf erstes Anfordern könnte für ihn dann dem Hauptschuldner gegenüber in aller Regel keine nachteiligen Rechtsfolgen auslösen, sofern er gegen diesen nur irgendwelche Forderungen besitzt. Eine solche zusätzliche Verbesserung der ohnehin starken Rechtsposition des Gläubigers, welcher als Sicherheit eine Bürgschaft auf erstes Anfordern erhalten hat, würde einen angemessenen Interessenausgleich verfehlen. Sie kann demzufolge nach Treu und Glauben nicht gewollt sein. Die Sicherungabrede zwischen Hauptschuldner und Gläubiger über die Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ist danach grundsätzlich in dem Sinne auszulegen, daß der Gläubiger gegenüber dem eigenen Rückforderungsanspruch des Hauptschuldners nicht mit Forderungen aufrechnen darf, die von der Bürgschaft nicht gedeckt sind, es sei denn, sie seien unstreitig oder rechtskräftig festgestellt (vgl. auch OLG Düsseldorf WM 1996, 1856).

b) Im Einzelfall können jedoch Umstände vorliegen, die die Berufung auf den Ausschluß der Aufrechnung als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) erscheinen lassen. Hatte der Hauptschuldner dem Gläubiger, der zu Unrecht die Leistung aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern abgerufen hat, für andere, davon nicht gedeckte Ansprüche Sicherheit zu leisten und hat er diese Verpflichtung nicht erfüllt, so kann es treuwidrig sein, sich gegenüber der Aufrechnung mit solchen vertragswidrig nicht gesicherten Ansprüchen auf das Aufrechnungsverbot zu berufen. In einem solchen Falle steht der unberechtigten Inanspruchnahme der Bürgschaft auf erstes Anfordern durch den Gläubiger eine die Sicherheitengewährung betreffende Vertragsverletzung des Hauptschuldners gegenüber. Das Aufrechnungsverbot greift allerdings nur dann nicht durch, wenn der Gläubiger die fehlende Sicherheit nicht auf andere Weise, etwa durch Einbehaltung eines Teils der dem Hauptschuldner zustehenden Forderung, ausgeglichen hat. Die Aufrechnungsbefugnis beschränkt sich also auf den Betrag, in dessen Höhe der Gläubiger durch das Fehlen der vereinbarten Sicherheit benachteiligt ist.

Hier hat die Klägerin, weil die Parteien im Zusammenhang mit der Verwertung der Erfüllungsbürgschaft in Streit gerieten, die vertraglich vereinbarte Gewährleistungsbürgschaft in Höhe von 10 % der Auftragssumme nicht mehr zur Verfügung gestellt. Inzwischen ist die Garantiezeit, für die diese Bürgschaft gelten sollte, abgelaufen. Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand kommt eine zusätzliche Aufrechnungsbefugnis der Beklagten in Betracht, weil sie lediglich einen Betrag einbehalten hat, der weniger als 10 % der Auftragssumme ausmacht.

III.

1. Demzufolge ist das angefochtene Urteil aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Zugleich steht fest, daß das Landgericht zu Unrecht ein Teilurteil erlassen hat, weil über diesen Anspruch nicht ohne Berücksichtigung der Aufrechnung sowie die Beantwortung der Fragen entschieden werden kann, die für den noch erstinstanzlich anhängigen Werklohnanspruch ebenfalls von Bedeutung sind. Da das Berufungsgericht aus diesem Grunde bei richtiger Sachbehandlung das Teilurteil hätte aufheben und die Sache an das Landgericht zurückverweisen müssen, ist dies vom Senat nachzuholen (vgl. BGH, Urt. v. 12. Januar 1994 - XII ZR 167/92, WM 1994, 865, 867 m.w.N.).

2. Für die weitere Sachbehandlung wird darauf hingewiesen, daß nunmehr zunächst festzustellen ist, in welchem Umfang der Beklagten Ansprüche zustehen, die durch die Erfüllungsbürgschaft gedeckt sind. Erreichen sie nicht die Höhe der geleisteten Bürgschaftssumme, ist zu prüfen, in welchem Umfang die Beklagte mit Ansprüchen aufrechnen darf, die durch die Gewährleistungsbürgschaft hätten gesichert werden sollen. Erst danach kann sich erneut die Frage stellen, ob ein Teilurteil rechtlich möglich und auch zweckmäßig erscheint.

Ende der Entscheidung

Zurück