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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 19.03.2009
Aktenzeichen: IX ZR 58/08
Rechtsgebiete: BGB, GenG, InsO


Vorschriften:

InsO § 80 Abs. 1
InsO § 109 Abs. 1
BGB § 573 Abs. 1
GenG § 66
Der Insolvenzverwalter kann die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft kündigen. Das insolvenzrechtliche Kündigungsverbot für gemieteten Wohnraum ist auf diesen Fall nicht entsprechend anwendbar.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter und

die Richter Raebel, Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein und Grupp

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers werden das Urteil der Zivilkammer 51 des Landgerichts Berlin vom 29. November 2007 und das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 23. Mai 2007 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass die Mitgliedschaft des Insolvenzschuldners in der Beklagten durch Kündigung vom 29. Juni 2006 beendet ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Über das Vermögen des M. W. (künftig: Schuldner) wurde mit Beschluss vom 28. April 2006 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet. Der Kläger wurde zum Treuhänder bestellt. Der Schuldner ist Genosse der Beklagten und nutzt aufgrund eines Dauernutzungsvertrags eine ihrer Wohnungen. Mit Schreiben vom 29. Juni 2006 kündigte der Kläger die Mitgliedschaft des Schuldners in der Genossenschaft und forderte die Beklagte auf, das aktuelle Geschäftsguthaben des Schuldners mitzuteilen. Die Beklagte wies die Kündigung zurück. Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben mit dem Antrag

festzustellen, dass die Mitgliedschaft des Schuldners in der Beklagten durch die Kündigung beendet ist.

Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in Grundeigentum 2008, 333 veröffentlicht ist, hat ausgeführt: Der Treuhänder sei entsprechend § 66 GenG befugt gewesen, die Mitgliedschaft des Schuldners an der Beklagten zu kündigen. Die Kündigung sei jedoch analog § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO unwirksam. Diese Vorschrift, nach der ein Insolvenzverwalter das Mietverhältnis des Schuldners über seine Wohnung nicht kündigen, sondern nur erklären könne, dass Ansprüche, die nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten, sei in entsprechender Anwendung auch für den Fall einschlägig, in dem der Schuldner eine genossenschaftliche Wohnung nutze und bei einer Kündigung seiner Mitgliedschaft in der Genossenschaft ohne weiteres auch die Kündigung des Mietverhältnisses zulässig wäre. Letzteres sei hier der Fall, weil die Beklagte eine Warteliste habe, wonach offenbar mehrere Interessenten die Zuteilung einer Genossenschaftswohnung beantragt hätten. Bei einer Fortsetzung des Mietverhältnisses mit einem ausgeschiedenen Mitglied würden diese Bewerber statutwidrig benachteiligt. Die Beklagte habe daher bei einem Ausscheiden des Schuldners aus der Genossenschaft ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses. Der gekündigte Genosse stehe bereits "mit einem Bein auf der Straße". Dies widerspreche dem Willen des Gesetzgebers. Nach der Begründung zur Änderung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO im Jahr 2001 solle das Verbraucherinsolvenzverfahren gerade verhindern, dass der Schuldner obdachlos und die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung von vornherein vereitelt würde.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1.

Mit Recht hat das Berufungsgericht den Kläger im Grundsatz für berechtigt gehalten, die Mitgliedschaft des Schuldners bei der Beklagten zu kündigen. In der Insolvenz des Mitglieds einer Genossenschaft steht das Recht, die Mitgliedschaft zu kündigen mit dem Ziel, den zur Insolvenzmasse gehörigen Anspruch des Schuldners auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens ( § 73 GenG) zu realisieren, dem Insolvenzverwalter zu. Dies ergibt sich aus § 80 Abs. 1 InsO, jedenfalls aber in entsprechender Anwendung von § 66 GenG (Fandrich in Pöhlmann/Fandrich/Bloehs, GenG 3. Aufl. § 65 Rn. 7; Bauer, Genossenschaftshandbuch § 65 GenG Rn. 3; Lang/Weidmüller/Schulte, GenG 36. Aufl. § 65 Rn. 8; Beuthien, GenG 14. Aufl. § 65 Rn. 7; Müller, GenG 2. Aufl. § 65 Rn. 11; BerlinerKomm-GenG/Kessler, § 65 Rn. 3; Emmert ZInsO 2005, 852, 854 ; Tetzlaff ZInsO 2007, 590, 591 f).

2.

Richtig ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, dass § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO auf den Fall einer Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft durch den Insolvenzverwalter nicht unmittelbar anwendbar ist. Nach ihrem Wortlaut betrifft diese Vorschrift das Mietverhältnis über die Wohnung des Schuldners. Zwar ist mit der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft regelmäßig auch ein Dauernutzungsverhältnis über eine Wohnung verbunden. Beide Rechtsverhältnisse sind aber voneinander zu unterscheiden. Das Kündigungsverbot des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO gilt unmittelbar allenfalls für das Dauernutzungsverhältnis.

3.

Ob § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO, wie das Berufungsgericht meint, auf die Kündigung der Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft entsprechend angewendet werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Für eine analoge Anwendung haben sich ausgesprochen: AG Dortmund InVo 2007, 155 (bestätigt durch LG Dortmund, Beschl. v. 22. Juli 2007 - 1 S 18/07, [...]); LG Dresden ZVI 2008, 493; LG Frankfurt/Oder (Urteil vom 3. Juni 2008 - 6a S 175/07, n.v.); Eupen GE 2008, 310, 312. Gegen eine Analogie haben sich gewandt: Emmert aaO S. 855; Tetzlaff aaO S. 591; MünchKomm-Inso/ E-ckert, 2. Aufl. § 109 Rn. 51; derselbe in ZVI 2006, 133, 136; zweifelnd Flatow, jurisPR-Mietrecht 14/2008 Anm. 4; differenzierend Tintelnot in Kübler/ Prütting/Bork, InsO § 109 Rn. 23; unentschieden HmbKomm-InsO/Lüdtke, 2. Aufl. § 35 Rn. 158 und HK-InsO/Marotzke, 5. Aufl. § 109 Rn. 8.

4.

Die Vorschrift des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ist auf die Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft nicht entsprechend anwendbar. Ob eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, kann dahinstehen. Der zu beurteilende Sachverhalt ist jedenfalls mit dem gesetzlich geregelten Sachverhalt nicht hinreichend vergleichbar (vgl. zu diesen Voraussetzungen einer Analogie etwa BGH, Beschl. v. 14. Juni 2007 - V ZB 102/06, NJW 2007, 3124, 3125, Rn. 11 m.w.N.). Eine Analogie wäre nur dann zulässig, wenn der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht dem Tatbestand, den der Gesetzgeber geregelt hat, so ähnlich wäre, dass angenommen werden könnte, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH aaO). Dies ist jedoch nicht der Fall.

a)

Die Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft steht in einem engen Zusammenhang mit der dauerhaften Nutzung einer genossenschaftlichen Wohnung durch das Mitglied. Der Beitritt zur Genossenschaft, verbunden mit dem Erwerb eines oder mehrerer Geschäftsanteile, ist regelmäßig Voraussetzung für die erstrebte Nutzung der von der Genossenschaft angebotenen Leistungen. In diesem Sinne sind die Mitglieder ihrer Genossenschaft in einer Doppelfunktion verbunden, als Kapitalgeber und als Nutzer bzw. Kunde, wobei die Kundenbeziehung in aller Regel die vorrangige ist und die Kapitalbeteiligung nur sekundär als Mittel zum Zweck der Schaffung der Grundlagen für die Kundenbeziehung erfolgt (Fandrich aaO § 1 Rn. 4).

b)

Aufgrund dieses Zusammenhangs kann das Ausscheiden eines Mitglieds aus der Wohnungsgenossenschaft auch zur Beendigung des Nutzungsverhältnisses an der genossenschaftlichen Wohnung führen. Denn der Zweck einer Wohnungsgenossenschaft ist es, ihren Mitgliedern Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Scheidet ein Mitglied aus der Genossenschaft aus und haben andere Genossen einen Bedarf an der Wohnung des ausgeschiedenen Genossen, ist die Genossenschaft regelmäßig aufgrund ihres Statuts gehalten, das Nutzungsverhältnis mit dem ausgeschiedenen Genossen aufzulösen und die Wohnung einem Mitglied zu überlassen. Der Bundesgerichtshof (Urt. v. 10. September 2003 - VIII ZR 22/03, NJW-RR 2004, 12) hat deshalb ein berechtigtes Interesse der Genossenschaft an einer Kündigung des Nutzungsverhältnisses gemäß § 564b Abs. 1 BGB a.F. ( § 573 Abs. 1 BGB n.F.) bejaht, wenn ein Mitglied gemäß § 68 GenG aus der Genossenschaft ausgeschlossen wird oder gemäß § 65 Abs. 1 GenG freiwillig austritt und die von ihm genutzte Wohnung für ein anderes Mitglied benötigt wird. Ob dies auch für den Fall der Kündigung der Mitgliedschaft durch einen Gläubiger des Schuldners nach § 66 GenG gilt, hat der Bundesgerichtshof offen gelassen. Zwingend ist die Annahme eines Kündigungsrechts der Genossenschaft in einem solchen Fall nicht. Erst recht gilt dies, wenn nicht ein Einzelgläubiger, sondern der Treuhänder die Mitgliedschaft des Schuldners in der Genossenschaft analog § 66 GenG kündigt. Die Umstände des Einzelfalles, etwa ein vom Schuldner mit dem Ziel der Restschuldbefreiung selbst gestellter Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens und eine Bereitschaft des Schuldners, sich nach Beendigung des Insolvenzverfahrens nach Kräften um eine Wiedererlangung der Mitgliedschaft zu bemühen, können bei der Prüfung eines berechtigten Interesses der Genossenschaft an der Kündigung, jedenfalls aber im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen im Falle eines Fortsetzungsverlangens des ausgeschiedenen Mitglieds nach § 574 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden.

c)

Der somit nicht zwangsläufige, aber immerhin drohende Verlust der Wohnung kann das Ziel des Verbraucherinsolvenzverfahrens, dem Schuldner durch Erlangung der Restschuldbefreiung einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen, gefährden. Dieser Gefahr ist der Gesetzgeber für Mietwohnungen mit der Neuregelung in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO im Jahr 2001 entgegen getreten (vgl. BT-Drucks. 14/5680, S. 27 zu Nr. 11).

d)

Zwischen der Situation, in der sich ein Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft in einer Zahlungskrise befindet, und der entsprechenden Situation eines "gewöhnlichen" Wohnungsmieters besteht jedoch ein entscheidender Unterschied. Gegenüber beiden können Gläubiger vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Pfändung und Überweisung des künftigen Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens bzw. der Mietkaution nach §§ 829, 835 ZPO erwirken. Während dem Gläubiger eines Genossenschaftsmitglieds aber die Befugnis offen steht, nach § 66 GenG unter den dort genannten Voraussetzungen das Kündigungsrecht des Mitglieds an dessen Stelle auszuüben und so die Voraussetzung für eine Auszahlung des gepfändeten Anspruchs auf Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens herbeizuführen (dagegen - zu Unrecht - AG Halle, Urt. v. 19. Februar 2009 - 93 C 2749/08, zitiert nach [...]), hat der Gläubiger eines Mieters diese Möglichkeit nicht. Zugriff auf die Mietkaution hat er erst, wenn das Mietverhältnis ohne sein Zutun endet. Die Vorschrift des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO gewährleistet diesen Schutz des Mieters auch im Insolvenzverfahren, indem er eine Kündigung des Mietverhältnisses durch den Insolvenzverwalter ausschließt. Gewährte man dem Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft im Insolvenzverfahren einen entsprechenden Schutz, führte dies zu einer Gleichstellung mit dem Mieter, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht bestand.

e)

Hinzu kommt, dass Wohnungsgenossenschaften ihren Mitgliedern das Recht einräumen können, mehr Geschäftsanteile zu erwerben, als nötig ist, um eine genossenschaftliche Wohnung nutzen zu dürfen ( § 7a GenG). Als Einzahlungen auf den Geschäftsanteil können auch Sacheinlagen, wie zum Beispiel Grundstücke, zugelassen werden ( § 7a Abs. 3 GenG). Wäre eine Kündigung der Mitgliedschaft durch den Insolvenzverwalter in einem solchen Fall in entsprechender Anwendung des § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO ausgeschlossen, wären den Gläubigern auch Vermögenswerte des Schuldners entzogen, die für den Erhalt seiner Wohnung nicht erforderlich sind. Dies wäre vom Schutzzweck dieser Norm nicht mehr gedeckt.

III.

Das angefochtene Urteil kann damit keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben ( § 562 Abs. 1 ZPO). Weil die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden ( § 563 Abs. 3 ZPO).

Ende der Entscheidung

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