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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.02.2003
Aktenzeichen: IXa ZB 10/03
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 574 Abs. 1 Nr. 2
ZPO § 574 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 885
ZPO § 885 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 888
ZPO § 893
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IXa ZB 10/03

vom

14. Februar 2003

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Der IXa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter Raebel, Dr. Boetticher, von Lienen und die Richterinnen Dr. Kessal-Wulf und Roggenbuck

am 14. Februar 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Gläubigers wird der Beschluß der 5. Zivilkammer des Landgerichts Göttingen vom 13. Mai 2002 aufgehoben.

Die sofortige Beschwerde der Schuldnerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts Göttingen vom 16. April 2002 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Erinnerungsverfahrens werden beiden Schuldnern auferlegt. Die Schuldnerin trägt die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 1 Mio. €

Gründe:

I. Der Gläubiger vermietete an den Schuldner eine Immobilie nebst Inventar, in der ein Altenwohn- und Pflegeheim betrieben wird. Der Schuldner überließ das Objekt der Schuldnerin, die in der Einrichtung etwa 300 Bewohner betreut. Nachdem es zu Mietrückständen gekommen war, erwirkte der Gläubiger gegen beide Schuldner einen Titel auf Herausgabe des Mietgegenstandes. Der zuständige Gerichtsvollzieher äußerte Bedenken gegen die Ausführung des ihm erteilten Vollstreckungsauftrages. Auf die Erinnerung des Gläubigers hat ihn das Amtsgericht mit Beschluß vom 16. April 2002 angewiesen, die Herausgabevollstreckung vorzunehmen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Schuldnerin hatte Erfolg. Mit seiner zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Gläubiger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses.

II. Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat den Vollstreckungstitel dahin ausgelegt, daß er nicht nur zur Herausgabe verpflichte. Mit der bloßen Besitzaufgabe nebst Zugangsverschaffung sei dem Gläubiger angesichts der in den Räumlichkeiten verbleibenden Heimbewohner, deren Rechte zu berücksichtigen seien, nicht gedient. Statt dessen sei eine vollständige Räumung des Objekts durch die Schuldnerin erforderlich. Das könne durch eine Verlegung der Betriebsstätte geschehen ebenso wie durch eine Betriebsübergabe an den Gläubiger oder einen von ihm beauftragten Dritten. Gerade die Überleitung auf eine neue Betreibergesellschaft stelle aber eine unvertretbare Handlung dar, deren Vornahme über § 888 ZPO erzwungen werden müsse. Diese sachbezogene Handlungspflicht sei vor der schlichten Herausgabe zu erfüllen.

Dagegen wendet die Rechtsbeschwerde ein, der Titel laute ausschließlich auf Herausgabe des Heimes. Eine umfassende Räumung des Heimes könne - und wolle - der Gläubiger nicht verlangen. Er begehre lediglich die Einräumung der Besitzposition, über die bislang die Schuldner verfügt hätten. Zumindest der Teil der Pflichten, der die Herausgabe zum Gegenstand habe, sei nach § 885 ZPO zu vollstrecken. Diese Vollstreckung dürfe ihm nicht verwehrt werden. Auf Interessen Dritter könne sich die Schuldnerin nicht berufen, da sie insoweit nicht beschwert sei.

2. Diese Rügen werden zu Recht erhoben.

Auf die Rechtsfrage, die dem Beschwerdegericht Anlaß für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegeben hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Der Titel, aus dem der Gläubiger die Vollstreckung betreibt, hat ausschließlich die Pflicht zur Herausgabe zum Gegenstand. Diese ist über § 885 ZPO durchzusetzen. Da mit der Herausgabepflicht keine weiteren Handlungspflichten zusammentreffen, bedarf es keiner Entscheidung, wie die Pflichten sich zueinander verhalten und inwieweit der Gläubiger darauf zu verweisen ist, zunächst die Vornahme unvertretbarer Handlungen über § 888 ZPO zu erzwingen.

a) Die Schuldner sind zur Rückgabe eines vom Gläubiger an den Schuldner vermieteten Alten- und Pflegeheimes verurteilt worden. Der Herausgabepflicht sind beide nicht nachgekommen. Da es sich um die Herausgabe einer unbeweglichen Sache handelt, hat der Gerichtsvollzieher die Schuldner in Ausführung des ihm erteilten Vollstreckungsauftrages gemäß § 885 Abs. 1 Satz 1 ZPO aus dem Besitz zu setzen und den Gläubiger in den Besitz einzuweisen. Die Vollstreckungsmaßnahme erstreckt sich ohne weiteres auf das Zubehör der der Vollstreckung unterworfenen unbeweglichen Sache; auf dessen gesonderte Erwähnung im Titel kommt es nicht an (Zöller/Stöber, ZPO 23. Aufl. § 885 Rdn. 15). Zusätzliche Handlungspflichten enthält das landgerichtliche Urteil nicht, was zwischen den Parteien außer Streit steht.

b) Das Beschwerdegericht ist allerdings mit der Schuldnerin davon ausgegangen, daß mit der Herausgabe des Alten- und Pflegeheims notwendig unvertretbare Handlungen verbunden sind, die der Gläubiger selbständig - und vorrangig - über § 888 ZPO zu erzwingen habe. Dem ist nicht zu folgen.

(1) Der Vollstreckungserfolg kann durch den Gerichtsvollzieher über § 885 ZPO bewirkt werden, ohne daß es gesonderter Handlungen durch die Schuldnerin bedürfte. Bewegliche Sachen, die der Schuldnerin gehören, aber von ihr nicht freiwillig entfernt werden, hat der Gerichtsvollzieher gemäß § 885 Abs. 2 ZPO wegzuschaffen. Will der Gläubiger - wie auch hier - an Gegenständen, die sich in dem herauszugebenden Objekt befinden, ein Vermieterpfandrecht geltend machen, kann er seinen Vollstreckungsauftrag dahin beschränken, diese Gegenstände nicht zu entfernen (Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz 3. Aufl. § 885 ZPO Rdn. 15). Damit ist die Herausgabevollstreckung durchgeführt.

(2) Soweit seitens der Schuldnerin Vorkehrungen zu treffen sind, um ihren Betrieb in ein anderes Objekt zu verlegen, kommt dem neben der dem Gläubiger allein geschuldeten Herausgabe der Mietsache keine eigenständige Bedeutung zu. Zur Übergabe auch des Betriebes ist die Schuldnerin dem Gläubiger nicht verpflichtet; die darauf gerichteten Ausführungen des Beschwerdegerichts gehen fehl. Die Schuldnerin muß dem Gläubiger weder Geschäftsunterlagen überlassen, noch ist sie gehalten, an der Überleitung von Verträgen, die sie mit Pflegepersonal und Heimbewohnern abgeschlossen hat, auf eine neue Betreibergesellschaft mitzuwirken. Es bleibt ihr überlassen, ob sie die Einrichtung schließt oder in einem anderen Objekt weiterführt, ebenso wie es in die freie Entscheidung des Personals und der Heimbewohner fällt, die Dienst- und Pflegeverträge mit der Schuldnerin fortzusetzen. Das alles sind Fragen, die ausschließlich das Rechtsverhältnis der Schuldnerin zu ihren bisherigen Angestellten, den Heimbewohnern und den jeweiligen Kostenträgern betreffen. Für das Zwangsvollstreckungsverfahren stellen sie sich nicht. Eine besondere, über die Herausgabe der Immobilie hinausgehende Leistungspflicht der Schuldnerin, die nach § 888 ZPO zu vollstrecken wäre, besteht nicht. Damit verbietet sich zugleich die Annahme sachbezogener Handlungspflichten, die überhaupt erst ermöglichen, daß die herauszugebende Sache dem Gläubiger zugeführt werden kann (vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO 21. Aufl. § 883 Rdn. 4; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO 3. Aufl. § 883 Rdn. 17 ff.; MünchKomm-ZPO/Schilken, 2. Aufl. § 883 Rdn. 8; Zöller/Stöber, aaO § 883 ZPO Rdn. 9; Musielak/Lackmann, ZPO 3. Aufl. § 883 Rdn. 4; Schuschke/Walker, aaO § 883 ZPO Rdn. 3). Im übrigen wäre selbst dann der Gläubiger nicht gehindert, sich auf die Vollstreckung der Herausgabepflicht zu beschränken und im gegebenen Fall weiter nach § 893 ZPO vorzugehen (vgl. Stein/Jonas/Brehm, aaO Rdn. 7). Jedenfalls darf eine solche Herausgabevollstreckung nicht, wie durch das Beschwerdegericht geschehen, ohne jede zeitliche oder inhaltliche Einschränkung für unzulässig erklärt werden. Es ist auch nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichts, die vom Gläubiger offen gelegten wirtschaftlichen Interessen durch eine eigene Beurteilung zu ersetzen. Der Gläubiger möchte vorliegend als Eigentümer der Immobilie die Rückgabe der vermieteten Sache durchsetzen. Dazu ist er nach dem Inhalt des Vollstreckungstitels berechtigt. Ob es auch zu der von ihm erhofften Übernahme des von der Schuldnerin geführten Betriebes kommt, ist für das Vollstreckungsverfahren ohne Bedeutung.

(3) Mit dem Verbleib der Heimbewohner in der Einrichtung ist der Gläubiger ausdrücklich einverstanden. Mangels eines auf sie lautenden Titels könnte er seinen Vollstreckungsauftrag ohnehin nicht auf diesen Personenkreis erweitern. Dessen Belange, insbesondere die neben der bloßen Unterbringung erforderliche Betreuung und medizinische Versorgung, sind durch die Heimaufsicht zu wahren. Das Heimgesetz gibt die dafür nötige Handhabe.

Ende der Entscheidung

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